Ein Abgesang auf die Hafenstraße 7.
Kurz nach dem Jubiläum seines zweijährigen Bestehens steht das soziokulturelle Zentrum »Hasi« vor dem Aus. Als im September 2017 die Gestattungsvereinbarung zur Nutzung des Hauses auszulaufen drohte und der das Projekt in der Hafenstraße 7 betreibende Capuze e.V. und die Hallesche Wohnungsgesellschaft (HWG), der das Objekt gehört, keine Einigung erzielten, setzten die Aktivisten auf den Rückhalt aus der städtischen Politik. Sie riefen ihre Unterstützer dazu auf, Transparente mit der Aufschrift »Hasi bleibt!« aus ihren Wohnungen zu hängen und druckten Sticker mit derselben Botschaft. Es dauerte nicht lange, da prangte in bester Wahlkampfmanier ein Aufkleber an jeder zweiten Laterne, und vor zahlreichen Häusern flatterten bemalte Bettlaken herum. Obendrein lud man alle Wohlgesonnenen zu einer öffentlichkeitswirksamen Vollversammlung in den hauseigenen Garten und bekam von der Tageszeitung (Taz) eine Reklameveranstaltung mit dem Titel »Etwas stimmt mit ›Hasi‹ nicht« ausgerichtet. Die Mobilisierung des weltoffenen Halles schien erfolgversprechend: Oberbürgermeister Bernd Wiegand und drei der fünf Stadtratsfraktionen (Linke, Grüne, Mitbürger) sprachen sich öffentlich für den Erhalt des Projekts aus. Im Dezember 2017 entschied sich der Stadtrat jedoch gegen den Kauf des Objekts, de facto also gegen eine langfristige Legalisierung. Folglich lief Ende Januar 2018 die Duldung aus und so bangte die Hafenstraße 7 bei Redaktionsschluss um ihr Fortbestehen. Weshalb man sich weder über eine bestehende, noch über eine ehemalige »Hasi« Illusionen machen sollte, erläutert Paul-Holger Seiden.
Die Hausbesetzer der 1970er bis 1990er Jahre hatten es noch vergleichsweise leicht, sich auf der Basis ihrer eigenen Taten ein Selbstbild als Revolutionär zuzulegen. Zwar hatte stets ein Teil der Bevölkerung offene oder zumindest heimliche Sympathien für sie, auch einige Politiker zeigten für manche ihrer Anliegen Verständnis. Dennoch kam es hin und wieder zu Räumungen und Straßenschlachten mit der Polizei. So konnten sich die Hausbesetzer als Gegner des Systems, der Staatsmacht und böser »Spekulanten« in Szene setzen. Wenn heute die Protagonisten über die damalige Zeit sprechen, tun sie das meist mit funkelnden Augen. Völlig nebensächlich erscheint ihnen, dass sie ein in allen Belangen angepasstes Leben führen und sich von »damals« nur den Ökokitsch, ihr Faible für kollektives Wohnen samt aufreibender Hausplena und die Liebe zu verfallenden Altbauten behalten haben. Die wilde Zeit möchten sie keinesfalls missen. Sie ist ein integraler Bestandteil der eigenen Identität.
Wer heute jung und links ist, hat es weitaus schwerer mit dem Abschluss einer ähnlich gut verzinsten Anlage ins eigene Gewissen: Fast alle Hausprojekte sind legalisiert. Wer zur Selbststilisierung noch die pathetische Floskel vom »Leben im besetzten Haus« bemüht, blamiert sich deshalb zuallererst. Den Gegnern linker Zentren stehen mindestens genauso viele Befürworter gegenüber, die die Bedeutung der Aktivisten für das kulturelle Leben der Stadt und ihr Engagement gegen den Rechtsextremismus loben. Und kommt es mal zu einer Besetzung, die nicht nur symbolischer Natur ist, ist der weitere Ablauf ebenfalls vorhersehbar: Entweder es erfolgt zügig eine Räumung, die so unspektakulär ist, dass sie kaum zur Tresengeschichte taugt. Oder man lebt in einer Stadt wie Halle, die händeringend versucht, sich ein kulturell interessantes und alternatives Image zu verschaffen. Dann suchen deren Vertreter sofort das nette Gespräch bei Kaffee und Kuchen, sprechen binnen weniger Tage eine informelle Duldung und kurz darauf eine formelle aus.
Radikale Politikberatung
Genau das ist die Geschichte der Initiative »Wir brauchen Platz!«, die am 06. Januar 2016 eine ehemalige Gasanstalt in der Hafenstraße 7 besetzte. In den Tagen kurz danach – als die gesamte Front des Hauses mit Transparenten voll kämpferischer Parolen behängt war, Leute aus der Umgebung ihren Sperrmüll als freundliche Gabe vorbeibrachten und es weder Strom noch fließend Wasser gab – schnupperten manche noch den Hauch von Widerstand. Schon die Taufe des Objekts auf den infantilen und dümmlichen Namen »Hasi« zeigte jedoch an, wohin die Reise gehen sollte. Spätestens als nach nicht einmal drei Wochen eine Gestattungsvereinbarung mit der HWG unterzeichnet wurde, die den Aktivisten garantierte, das Gelände unter einigen Auflagen mindestens 20 Monate lang nutzen zu dürfen, war das rebellische Selbstbild kaum mehr aufrechtzuerhalten. Aufgeben konnte man es aber auch nicht.
Denn die Pflege der subversiven Fassade dient nicht nur dem eigenen Gewissen. Der »Hasi« geht es genau wie anderen linken Häusern auch: Da man sich schließlich durch die Einnahmen von Partys und Kleinstspenden finanziert, ist man auf einen möglichst großen Kreis von Unterstützern angewiesen. Die wiederum wollen sich natürlich auch irgendwie vormachen können, dem Schweinesystem Paroli zu bieten. Schon deshalb ist man gezwungen, große Ideale vor sich herzutragen: Es wird stets von Selbstbestimmung, Hierarchiefreiheit und Basisdemokratie geschwätzt. Dazu sei das Projekt ein antifaschistischer, antisexistischer, antirassistischer Leuchtturm – die Antis lassen sich bekanntlich beliebig erweitern – innerhalb der zum jeweiligen Gegenteil zurechtgelogenen Gesellschaft.
Besonders originell ist all das nicht. Einfallsreicher fiel hingegen die Begründung der eigenen Widerständigkeit im zur Besetzung Anfang 2016 verteilten Flugblatt aus.1 Dort beschwerte man sich, dass »es vielen sozialen und kulturellen Projekten an Geld und Raum« fehle. »In einer Zeit, in der viele staatliche Aufgaben zum Großteil von selbstorganisierten Initiativen übernommen werden, kann es nicht möglich sein, dass die notwendige Infrastruktur nicht zur Verfügung gestellt wird.« Über den Plan der Aktivisten erfährt man: »Angedacht sind Projekträume zur freien und unkommerziellen Nutzung für verschiedenste Gruppen: Werkstätten, Unterrichtsräume, ein Lesecafé, Infrastruktur für Geflüchtete und Büro-, Arbeits- und Seminarräume für Initiativen, die keinen Platz haben. […] Der neu geschaffene Raum ermöglicht es, diese wichtige Arbeit ohne finanziellen Druck voranzubringen.« Man hat offenbar kein großes Problem damit, dass der Staat sukzessive soziale Aufgaben an die vielbeschworene Zivilgesellschaft abgibt. Dementsprechend fehlt auch jede Kritik an der deshalb wachsenden Konkurrenz zwischen den Initiativen um finanzielle Zuwendungen, die sie tendenziell zu staatsabhängigen, rivalisierenden Cliquen formt. Empörend ist für die Verfasser einzig und allein, dass der Staat diesen Prozess nicht optimal gestaltet, insofern er nicht genug Infrastruktur für die arbeitshungrigen Aktivbürger bietet. Deshalb wollen ihm die Besetzer jetzt mal zeigen, wie das richtig geht. Die Aktivisten geben Politikern Nachhilfe in effektiver Ausbeutung ideologietrunkener Wohltäter.
Unnötig und trotzdem da
Darüber hinaus enthält die zitierte Erklärung auch die Lebenslüge des Projektes. Die zahlreichen Gruppen, wegen derer man angeblich ein Haus besetzen musste, um ihnen den zum Arbeiten notwendigen Raum zu schaffen – es gab sie nie. Mitnichten füllte sich die »Hasi«, wie angekündigt, nach und nach mit allerlei sozialen und kulturellen Vereinen. Das ist auch wenig überraschend: Die staatlich geförderten Zivilgesellschaftsvereine können aus ganz banalen Gründen nicht in der Hafenstraße 7 arbeiten. Sie benötigen schließlich Büro- und Seminarräume, in die man Klienten einladen kann, ohne sich völlig zu blamieren – und damit das genaue Gegenteil des abrissreifen Hauses. Linke Gruppen haben ihrerseits bereits genug Orte, an denen sie sich austoben können, insbesondere die anderen hallischen Hausprojekte. Und da selbst diese beim Betreten einen weniger starken Fluchtreflex auslösen als das neubesetzte Haus, gab es niemanden, der auch nur entfernt an einen Umzug dachte. Ganz ähnlich verhält es sich mit den kulturellen Initiativen. In Halle gibt es ausreichend Orte für Vorträge, Ausstellungen, Workshops, Partys usw., die allesamt zentraler gelegen, ansehnlicher und geräumiger sind als die ehemalige Gasanstalt. Von Anfang an war also klar: Niemand braucht Platz.
So offensichtlich die Lüge vom fehlenden Raum schon immer war, so sehr musste sie zwanghaft aufrechterhalten werden, um das Bestehen des Projektes zu rechtfertigen. Also bemühten sich die Besetzer, irgendwie das Haus voll zu bekommen. Zahlreiche hallische Politgruppen, zivilgesellschaftliche Initiativen und Kleinkünstler wurden angebettelt, sich doch bitte in den neuen Räumlichkeiten zu engagieren. Auch gänzlich Unbedarfte sollten mittels des regelmäßig stattfindenden Nachbarschaftscafés und des wöchentlichen Familiennachmittags auf das Gelände gelockt werden. Bis heute ist die erste Antwort der Aktivisten auf die Frage, wie man sie unterstützen könne, immer dieselbe: Man soll in der Hafenstraße Zeit verbringen oder – noch besser – Veranstaltungen organisieren. Die verzweifelte Suche nach Leuten, die dem Projekt Leben einhauchen, beweist dessen Überflüssigkeit. Noch die fadenscheinigste Ausrede wurde bemüht, um den Schwindel nicht zugeben zu müssen: Beim Lokalfunk Radio Corax behauptete ein Vertreter der Initiative, es wären nur deshalb kaum Gruppen eingezogen, weil die auf 20 Monate befristete Gestattungsvereinbarung diesen nicht ausreichend Planungssicherheit geboten hätte. Klar! Das Wichtigste für Linke ist und bleibt die Planungssicherheit.
Doch alle Verschleierungsversuche halfen nichts: Mit der Zeit schwand bei vielen Außenstehenden der Glaube, der Schlappohrstall trage maßgeblich zur Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements bei. Allzu große Schwierigkeiten bereitete das den Aktivisten aber nicht. Denn sie hatten der angeblichen Notwendigkeit des Projekts von Anbeginn eine weitere Stütze gebastelt. Im Stile zeitgenössischer Marketingexperten stellten sie der Hafenstraße eine Leerformel anheim, die ein wohliges Gefühl erzeugt und für ein ganzes Lebensmodell steht. Sie machten ein Wort zum Angelpunkt ihrer Werbestrategie, das schon ewig durch die subkulturellen Kreise geistert: Freiraum.
Feindbild Stadt
Die große Stärke des Freiraumbegriffs liegt darin, dass niemand weiß, was er eigentlich bedeutet. Dass die ersten Assoziationen jedenfalls durchweg positiv ausfallen dürften, garantiert schon der Wortbestandteil »frei«. Zwar nichts über seinen Inhalt, dafür umso mehr über die Funktion des Wortes erfuhr man bei einer Demonstration im Juli 2017. Etwa 300 Leute zogen quer durch Halle und forderten den Erhalt ihrer sogenannten Freiräume. Im dazugehörigen Aufruf heißt es: »alles Mögliche wird in und um Freiräume herum organisiert«. Sie »prägen das Stadtbild«, »erscheinen vielen als selbstverständlich«, sind gar »für eine freie Gesellschaft fundamental« und ohnehin »ein Grundbedürfnis«.2 Was auch immer diese Freiräume sind, sie scheinen immens wichtig zu sein – und bedroht sind sie obendrein.
Neben der Gentrifizierung sei es vor allem die Stadt Halle, die bei der Verdrängung der Freiräume kräftig mitmachen würde. Als Beweis dafür präsentiert der Aufruf den bevorstehenden Umzug der Fahrwerk-Skatehalle und die Schließung der Szenelokalität La Bim. Es interessiert die Verfasser kein bisschen, dass sich die hallischen Skater immens auf die brandneue Halle freuen, die sie von der Stadt als Ersatz für die alte bekommen. Auch dass das La Bim Ende 2017 schließen musste, weil es von der privaten Erbengemeinschaft, die den größten Teil des dazugehörigen Geländes besitzt, vor die Tür gesetzt wurde und sich Vertreter der Stadt seitdem bemühen, ein Ersatzobjekt zu finden, blieb unerwähnt.
Die sich hier abzeichnende Realitätsverweigerung erreichte ihren Gipfel dann auf der Demonstration selbst. In einem Redebeitrag hieß es, man selbst habe »kaum mehr als nichts«, der »Charme des Randständigen und Verwegenen« (also die Hässlichkeit des Hauses) entspringe »der Not, dass es heute höchstens noch möglich ist, an ein paar Abrissbuden heranzukommen.«3 So einfach lassen sich Empfänger von BAföG oder elterlichen Spesen, die ihre Verachtung für Schönheit und Luxus frei gewählt haben, zu gesellschaftlich Abgehängten umlügen. Der Schwindel stützt gleichzeitig die Selbstimagination als Rebell und das Feindbild Saalestadt. Er hilft zu vergessen, dass in Halle noch das letzte kulturelle Projekt aus Gründen der Imagepflege unterstützt wird. Und so heißt es dann: »Die Städte sind für uns zu feindlichen Territorien geworden.«
Diese Feindbestimmung, mit der man an den Jahrzehnte alten Antagonismus zwischen besetzten Häusern und ihrer Umwelt anknüpfen will, enthält den eigentlichen Zweck der Rede vom Freiraum. Die Inhaltslosigkeit des Wortes ist gewollt, damit es beliebig gewendet werden kann. Es kommt nicht darauf an, etwas Bestimmtes mit ihm zu bezeichnen – das zeigt schon der Umstand, dass ein soziokulturelles Zentrum und ein Skatepark nichts gemein haben und dennoch beides Freiräume sein sollen. Worum es geht, ist, einen Kampfbegriff zu haben, mit dem man die diffuse Feindschaft zur kalten, durchkapitalisierten Welt ausdrücken kann, von der man nichts versteht und nichts verstehen will. Würden sich die Freunde der »Hasi« einmal die Mühe machen, der eigenen Empörung eine Analyse der Verhältnisse folgen zu lassen, müssten sie einsehen, dass ihre Gegnerschaft zu jenen nur eine eingebildete ist.
Gleich und gleich gesellt sich gern
Das folgt schon daraus, dass eine Stadt nicht allein auf die verhassten, kapitalstarken Investoren (im Jargon der Aktivisten: »Immo-Haie«) angewiesen ist, sondern auch auf Leute, die in ihr leben möchten. Nun inszeniert sich Halle marketingtechnisch als »Medienstadt«, das heißt sie schielt weniger auf reiche Firmenchefs als auf junge Kreative, die bekanntlich nur mit ihrem Fimmel für Selbstverwirklichung und Subversion zu haben sind. Weil sich die Saalestadt nach den Interessen dieses den Mainstream verabscheuenden Mainstreams richten muss, der Lebensqualität in Subkultur und einer großen alternativen Szene sieht, braucht sie genau solche Projekte wie die Hafenstraße. Insofern war es alles andere als ein Verrat am Projekt, als bei einer öffentlichen Diskussion vorgeschlagen wurde, das Haus ins Stadtmarketing aufnehmen zu lassen.
Dass die selbsternannten Rebellen ungefragt genau das liefern, was die Stadtgemeinschaft haben möchte, zeigt sich immer wieder. Jede Woche stehen Yoga, Impro-Tanz und Theaterproben auf dem Programm. Beim Sommerfest »Zitterhasi« konnte man Siebdruck, Jonglage, Massieren und Origami lernen, darüber hinaus, wie man ein Didgeridoo oder eine Lochkamera baut. Den Freunden der Natur bot man eine Kräuterwanderung, Esoterikern den Kurs »Zaubertränke Aphrodisieren«, Kapitalismuskritikern ein Planspiel zum Geldsystem sowie Feministen einen Vortrag zur Frauenbewegung in Rojava und den Workshop »Sexualisierte Gewalt«. Kein einziger Punkt auf dem Programm kollidiert mit dem Mainstream des gegenwärtigen Deutschlands.
Ganz direkt griff man der Stadt Halle unter anderem beim Tag des offenen Denkmals 2017 unter die Arme: Interessierten wurden stolz die eigenen Ausarbeitungen zur Geschichte der Gasanstalt präsentiert, die sich auf dem Gelände befand. Ein noch eindrucksvolleres Beispiel bot die Beteiligung am hochoffiziellen Reformationsjubiläum. Die »Hasi« veranstaltete im Rahmen der sich an Jugendliche richtenden Reihe »Du bist frei« einen »Do It Yourself-Aktionsabend«, der zu Siebdruck, Urban Gardening und zum gemeinsamen Kochen einlud. Ebenfalls Teil der Reihe: ein Gospelkonzert und ein »Bibelmarathon«. Oft wird behauptet, diese Anbiederung an die Stadtgesellschaft sei strategischer Natur gewesen, um die eigene Verhandlungsposition zu verbessern. Eine solche Verteidigung ist jedoch in zweierlei Hinsicht grotesk. Einerseits wirft sie die Frage auf, was ein Projekt überhaupt wert ist, wenn der opportunistische Haufen, der sich in ihm trifft, für dessen Erhalt bereit ist, seine Ideale zu verraten. Andererseits ist die Behauptung, man hätte bewusst taktisch gehandelt, blanker Unsinn. Die Kooperationsveranstaltungen mit der Stadt unterscheiden sich kein bisschen von denjenigen, die die Aktivisten aus freien Stücken organisieren. Es musste überhaupt niemand seine Überzeugungen zur Disposition stellen, da man sich ohnehin einig ist mit dem angeblichen Feind.
Eine Verankerung in der Realität hat die obsessiv vor sich hergetragene Gegnerschaft zu Gesamtgesellschaft und städtischen Entscheidungsträgern also ganz und gar nicht. Damit sich die Aktivisten und ihr Dunstkreis als widerständige Gemeinschaft imaginieren können, müssen sie alle Register ziehen, um die Lüge aufrechtzuerhalten. Die Verlautbarungen über die Verhandlungen mit der HWG waren vor allem eines: Propaganda. Das drohende Auslaufen der Gestattungsvereinbarung vor der Verlängerung wurde als »Illegalisierung« des Projektes bezeichnet – ganz so, als wäre es eine böse Finte der HWG, vorerst nur den bestehenden Vertrag einzuhalten. Dass die illegale Besetzung erst durch diesen legal wurde und man selbst der Befristung zugestimmt hatte, wurde geflissentlich unter den Tisch fallen gelassen. Dagegen wurde immer wieder der Vergleich mit einem Hausprojekt der neurechten Identitären Bewegung (IB) bemüht.4 Wie könne die Stadt dieses tolerieren und gleichzeitig die »Hasi« rauswerfen, so die Anklage. Die Antwort ist erschütternd banal: Die IB’ler hatten ihr Haus gekauft. Davon, dass das ein Unterschied ums Ganze ist, will man in der Hafenstraße nichts wissen.5
Der Vorschlag, das Objekt von der HWG zu kaufen – also sowohl langfristige Sicherheit als auch Unabhängigkeit zu erreichen – wurde lange Zeit spöttisch belächelt. Erst als das Projekt im Januar 2018 erneut kurz vor dem Aus stand, fasste man widerwillig auch diese Option ins Auge. Dass die Aktivisten keine allzu großen Verpflichtungen eingehen wollen, ist nur allzu verständlich, wenn man bedenkt, dass die meisten von ihnen wohl selbst damit rechnen, die Hafenstraße in absehbarer Zukunft wieder hinter sich zu lassen. Sobald sich neue persönliche Chancen bieten oder einfach die Lust vergeht, will man jederzeit aussteigen können.
Häschen in der Grube
Zwar stimmt es, wenn die Aktivisten schreiben, dass sie »enorm viel Zeit und Energie […] investiert, das Gelände entmüllt, das Haus nutzbar gemacht, einen Garten angelegt und Werkstätten eingerichtet« haben.6 Gleichzeitig zeugt jedoch der nach zwei Jahren noch immer schäbige Zustand des Hauses davon, dass es nie darum ging, es sich schön zu machen. Stattdessen lag der Zweck der Arbeit immer in ihr selbst. Die Plackerei im Freiraum gleicht der des Heimwerkers, der Freude daran findet, Dinge, die er problemlos kaufen könnte, selbst zu bauen. In der Hafenstraße will man vor sich hin werkeln können, ohne dass einem jemand dabei über die Schulter schaut, das Ergebnis beurteilt und nach dessen Nutzen fragt. Mit einem naiven Blick und etwas Wohlwollen ließe sich hierin sogar ein am sogenannten Freiraum zu rettender Aspekt erkennen: Nischen, in denen nicht jedes Tun dem Nutzenprinzip unterworfen ist. Nur bräuchte es dafür überhaupt kein soziokulturelles Zentrum. Solche Bereiche gesteht die bürgerliche Gesellschaft jedem zu; man nennt sie das Private. Gewiss ist die Privatsphäre kein Gottesgeschenk, sondern erfüllt gesellschaftlich die Funktion, die Reproduktion der Arbeitskraft sicherzustellen – nur wer sich zuhause ordentlich ausleben kann, ist motiviert, seinen oft eintönigen Job auszuüben. Dennoch braucht man kein Hausprojekt, um seine Freizeit nach eigenem Belieben zu gestalten und seinen Interessen nachzugehen. Ein privater Rückzugsraum war auch nie das Ziel der Alternativen. Sonst hätten sie sich einfach einen Kleingarten pachten können, in dem man sich ebenfalls zur Genüge austoben und gelegentlich Partys feiern kann. Untauglich ist die bezahlte Datsche deshalb, weil sie kaum Anlass gibt, sich als Rebell zu fühlen. Während jeder Kleingärtner weiß, dass seine Arbeit reines Hobby ist, werden Gärtnern, Innenausbau und gemeinsames Kochen in der Hafenstraße zum Fluchtpunkt des linken Daseins. Selbermachen gilt als Gegenentwurf zur kapitalistischen Gesellschaft. Gleich am Eingang zum Gelände werden Besucher mittels eines großen Schildes unterrichtet: »Hasi bleibt frei von Kommerz«. Hierin deutet sich schon an, dass hinter dem Wunschbild der Selbstbestimmung bei vielen Aktivisten oftmals nichts anderes steht als zivilisationsmüdes Aussteigertum. Davon zeugt nicht nur das von den Bewohnern der Hafenstraße betriebene und als politischer Akt verklärte Containern von Lebensmitteln. Einige Aktivisten berieten ernsthaft darüber, ob sie nicht in einem Baumhaus oder einer Erdhöhle auf dem Gelände wohnen könnten.
Konfliktvermeidung und Denkverbot
Dort wäre es zwar kalt, doch gegen die wohlige Nestwärme des Kollektivs kommt ohnehin keine Heizung an. Außenstehenden schwärmt man stets davon vor, wie sehr sich im Freiraum alle lieb hätten. Verschwiegen wird dabei, dass die angeblich konfliktfreie Gemeinschaft nur mit Gewalt konstituiert und aufrechterhalten werden kann. Politische Differenzen werden meist einfach mit dem Hinweis, dass alle ja irgendwie dasselbe wollen, begraben. Wenn doch einmal jemand auf die Idee kommt, dem Kollektiv zu widersprechen, stehen sofort alle anderen gegen ihn zusammen. Die Handlungsmöglichkeiten für den Einzelnen bestehen dann darin, entweder wieder einzuscheren oder ausgestoßen zu werden. Weil die drohende Stigmatisierung zum einhelligen Hassobjekt wie ein Damoklesschwert über jedem schwebt, traut sich niemand mehr, überhaupt zu widersprechen. Es entsteht eine Kultur des Abnickens, durch die sich das Kollektiv effektiv gegen die Möglichkeit inneren Dissenses abschottet. Hierdurch wird die Möglichkeit von Erkenntnisfortschritt, ja das Denken selbst verhindert, sodass die eigene »Kritik« das Niveau aufgeschnappter Parolen nicht überschreiten kann. Doch ab und an bröckelt die traute Einigkeit. Nämlich dann, wenn persönliche Differenzen auftreten, die sich nicht bei einem gemeinsamen Bier tilgen lassen. Nicht selten liegen den persönlichen Konflikten auch politische Ursachen zugrunde, die man jedoch auf die persönliche Ebene ziehen muss, weil sie anders nicht ausgetragen werden können. In solchen Fällen streitet man sich umso heftiger, denn jetzt kann endlich die ganze aufgestaute Wut rausgelassen werden, die sich bei der pausenlosen Konfliktvermeidung anstaut. Nach kurzer Zeit rauft man sich jedoch – es geht ja um die gemeinsame Sache – meist wieder notdürftig zusammen und hält insbesondere nach außen den Schein des innigen Miteinanders aufrecht.
Avantgarde der Linken
Diese merkwürdige Gemeinschaftsformation ist keine neue Entwicklung (vgl. hierzu Bonjour Tristesse #7). Seit jeher schwankt die Linke zwischen Gesellschaftskritik und Kommunenromantik. Schon die Hausbesetzer des 20. Jahrhunderts besetzten häufig aus politischen Gründen, waren aber nach dem Einzug größtenteils mit internen Streitigkeiten beschäftigt. Bis heute befördern linke Hausprojekte eher die Errichtung einer Lebens- und Arbeitsgemeinschaft als die Schaffung eines Raumes kritischer Diskussionen, da das dortige Zusammensein weniger auf vernünftigen Diskussionen und Streits basiert, als auf dem Zwang, miteinander auskommen zu müssen. In Zeiten, die nicht gerade die Versöhnung der Menschen erwarten lassen, rückt zudem das Bedürfnis, sich als Revolutionär zu fühlen, weiter in den Vordergrund gegenüber der ohnehin unerquicklichen Frage, was das eigene Tun gesellschaftlich bewirken soll.
Dennoch treibt die »Hasi« diese Tendenzen auf die Spitze. Während andere Hausprojekte entgegen der Realität in der Regel noch hartnäckig darauf bestehen, politische Akteure zu sein, geht die neue Riege der Hausbesetzer offensiver damit um, dass es ihr, allem widerständigen Gebaren zum Trotz, in erster Linie um Selbstverwirklichung und Aussteigertum geht. So erklärte ein Vertreter der Hafenstraße etwa bei einer Podiumsdiskussion, seinen »Freiraum« mache es in erster Linie aus, dass er »offen« und »freundlich« sei. Diese Abkopplung des Hausprojektes von politischen Ansprüchen ist großen Teilen der linken Szene in Halle ein Dorn im Auge. Wenn sie deshalb abschätzig über die Hafenstraße vom »Hippiehaus« reden, verdrängen sie jedoch bloß, dass sich die »Hasi« nicht grundsätzlich von den anderen Hausprojekten unterscheidet, sondern lediglich einen Schritt weiter ist.
Paul-Holger Seiden
Anmerkungen:
1 wirbrauchenplatz.tumblr.com/info
2 freiraumdemo.noblogs.org/
3 aergernis.blogsport.de/2017/07/16/fuer-ein-ende-der-schuechternheit/
4 Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass die IB’ler ihr Hausprojekt ebenfalls als »Freiraum für Kultur, Leben und politische Arbeit« begreifen.
5 Genauso wenig davon, dass der HWG durch das Projekt nicht unerhebliche Kosten entstehen. Schließlich muss die Wohnungsgesellschaft für die Sicherheit der Nutzer garantieren. Während der Verhandlungen wies die HWG folgerichtig darauf hin, dass bei einer Verlängerung des Vertrags hohe Sanierungskosten auf sie zukämen. Und einem der betriebswirtschaftlichen Logik verpflichtetem Unternehmen falle es eben schwer, diese Ausgaben für ein einziges Objekt zu rechtfertigen – insbesondere gegenüber den Mietern, die brav monatlich zahlen. Dies wollten die Wortführer der »Hasi« überhaupt nicht einsehen und behaupteten trotzig, die veranschlagten Kosten wären künstlich in die Höhe getrieben worden, was nur Ausdruck der feindseligen Haltung des städtischen Unternehmens sei. Als etwa die HWG Heizungen im Gebäude anbringen lassen wollte, hieß es, die Ausgabe sei unnötig; die momentan vorhandenen Holzöfen würden schließlich völlig ausreichen. Ironischerweise bettelten zwei Aktivisten in einem späteren Radiointerview die Unterstützer der »Hasi« an, doch bitte ihre alten Öfen zu spenden, da es im Winter zu kalt im Haus sei.
6 hafenstrasse7.noblogs.org/projekt/
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