Die beiden folgenden Texte wurden von den Autoren als Vorträge auf der Diskussionsveranstaltung des AK Antifaschismus mit dem Titel „Die Austreibung der Natur. Zur Queer- und Transideologie der Gegenwart“ am 17. September 2021 gehalten. Für eine bessere Lesbarkeit wurden sie leicht überarbeitet. (2/2)
Von Transexualität zu Transgender.
Über die Konsequenzen eines begrifflichen Wandels
In den letzten Jahren gab es an deutschen Universitäten einen spürbaren Umschwung hin zu einem poststrukturalistisch inspirierten „Feminismus“. Vojin Saša Vukadinović beschrieb in seinem Vortrag, welche Rolle die Queer Theory Judith Butlers bei diesem Paradigmenwechsel für die Wissenschaft und die Frauenrechtsbewegung spielte. Daran anknüpfend gehe ich der Frage nach, welche praktischen Auswirkungen der an Butler geschulte Aktivismus hat, inwiefern er Menschen konkret schadet und warum die Kritik an ihm so unabdingbar ist. Ich möchte dafür zunächst einen Überblick über die Bedeutung des Begriffs trans bzw. Transsexualität in der Psychologie und Diagnostik geben und auf einen in den letzten Jahren vonstatten gegangenen, begrifflichen Wandel eingehen.
Begriffsauflösung und Verantwortungsabgabe
Der 1997 erschienene Leitfaden für die Behandlung und Begutachtung von Transsexuellen betont die Wichtigkeit klarer, objektivierbarer Diagnoseschlüssel jenseits des subjektiven Empfindens der Patienten. Begründet wird das mit dem Schutz vor Fehlentscheidungen, da im Falle einer medizinischen Behandlung notwendigerweise die Versehrtheit des eigenen Körpers betroffen ist. Die Möglichkeit, dass sich Menschen hinsichtlich ihrer Wahrnehmung irren können, wird also ausdrücklich zugelassen, wenn es dort heißt: „Wegen der weitreichenden und irreversiblen Folgen hormoneller und/oder chirurgischer Transformationsmaßnahmen besteht im Interesse der Patienten die Notwendigkeit einer sorgfältigen und sachgerechten Diagnostik und Differentialdiagnostik. Die Heftigkeit des Geschlechtsumwandlungswunsches und die Selbstdiagnose allein können nicht als zuverlässige Indikatoren für das Vorliegen einer Transsexualität gewertet werden. Eine zuverlässige Beurteilung ist nur im Rahmen eines längerfristigen diagnostisch-therapeutischen Prozesses möglich.“(1)
Zu den objektivierbaren Kriterien – die laut Leitfaden vorliegen müssen, um überhaupt von einer transsexuellen Identität sprechen zu können – gehört unter anderem das Vorhandensein eines dauerhaften Gefühls, zum anderen Geschlecht zu gehören. Damit gehen sowohl die Ablehnung der körperlichen Merkmale des Geburtsgeschlechts und der mit dem biologischen Geschlecht verbundenen Rollenerwartungen einher, als auch der Wunsch nach körperlichen Modifikationen, um wie das andere Geschlecht zu erscheinen. Die genannten Kriterien setzen voraus, dass ein von der Geschlechtsidentität unabhängiges biologisches Geschlecht existiert, und dass bei Transsexualität notwendigerweise eine Diskrepanz zwischen Geschlechtsidentität und biologischem Geschlecht vorhanden ist. Diese Diskrepanz könne sich aus unterschiedlichen Gründen entwickeln, weshalb der Leitfaden die Notwendigkeit betont, im Rahmen eines langwierigen, therapeutischen Prozesses herauszufinden, welche Behandlungsmethode für die jeweils Betroffenen am sinnvollsten ist. Das bedeutet auch, Transsexualität von anderen Phänomenen mit ähnlichen Symptomen abzugrenzen. Darüber hinaus wird erläutert, warum sich manche Betroffenen in ihrer Entscheidung der körperlichen Modifikation irren können bzw. es notwendig ist, zu klären, woher das Unbehagen am eigenen körperlichen Geschlecht stammt und ob das Annehmen der Transidentität eine kohärente Entscheidung ist. Vor dem Hintergrund irreversibler hormoneller und chirurgischer Modifikationen sei es im Sinne der Betroffenen, dass so weit wie möglich sichergestellt wird, dass sie ihre Entscheidung später nicht bereuen. Es wird darauf beharrt, dass Betroffene in gewissen Lebenslagen nicht unbedingt immer wissen können, was das Beste für sie ist.
Diese 1997 formulierten Standards, die dem Transsexuellengesetz (TSG) in seiner derzeitigen Form zugrunde liegen, möchte ich nun dem 2019 formulierten neuen Leitfaden gegenüberstellen. Er bildet die Basis für die derzeitig debattierten Gesetzesentwürfe, mit denen das TSG von 1997 abgeschafft und durch ein „Selbstbestimmungsgesetz“ ersetzt werden soll. In den neuen Leitlinien, wird „ein selbstbestimmter, informierter und freier Zugang zu trans-spezifischen Gesundheitsdienstleistungen ohne Indikationsstellung aus dem psychiatrisch-psychotherapeutischen Fachgebiet“ gefordert und als Beispiel hierfür auf das 2012 erlassene, argentinische Geschlechtsidentitätsgesetz verwiesen.(2)
Die Idee, dass eine therapeutische Begleitung nicht nur sinnvoll, sondern zum Schutz der Patienten notwendig ist, soll also verworfen werden. Abgegeben wird damit jegliche Verantwortung, Betroffene vor Fehlentscheidungen zu schützen. Die Sinnhaftigkeit von Diagnosekriterien jenseits des subjektiven Empfindens wird negiert. „Eine Sicherung der Diagnose im Rahmen eines längerfristigen diagnostisch-therapeutischen Prozesses als Aufgabe der Psychotherapie“ oder „durch eine Verlaufsbeobachtung bzw. eine psychotherapeutisch begleitete Alltagserprobung“ sei, so der neue Leitfaden, „hinfällig“. Es wird mit anderen Worten also behauptet, dass es keine „objektiven Beurteilungskriterien“ gäbe, die darüber bestimmen könnten, ob jemand trans sei oder nicht.
Diese Behauptung ist unwahr. Die existierenden objektiven Beurteilungskriterien sollen allein deshalb abgeschafft werden, weil es die Gefühle der Betroffenen verletzen könnte, mit Widersprüchen konfrontiert zu werden. Wer die objektivierbare, das heißt sowohl die biologische, als auch gesellschaftliche Definition von Frau und Mann auflöst, indem er sowohl die signifikanten, biologisch determinierten Unterschiede zwischen beiden als auch die unterschiedlichen Sozialisationsfaktoren negiert, der löst selbstverständlich auch die Definition von Transsexualität auf, wie man am Beispiel des aktuellen Leitfadens eindrücklich nachvollziehen kann.
Logische Fehlschlüsse
Als Beweis, dass es keine objektiven biologischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt, dient den Aktivisten das Phänomen der Intersexualität, mit dem sie ihre eigene Position untermauern. Heinz-Jürgen Voß schreibt in Geschlecht. Wider die Natürlichkeit, das Feststellen von Differenzen käme vor allem durch das Zurichten nach der Geburt zustande, vor allem durch unterschiedliche Ernährung und unterschiedliche Beanspruchung der Muskulatur.(3) Dabei vermeidet er jedoch, auf die unterschiedlichen Reproduktions- und Lustorgane einzugehen, die ja durchaus biologisch determiniert sind. Anhand des Intersex-Phänomens widerspricht Voß daraufhin maßgeblich seinen vorangegangen Ausführungen zur körperlichen Geschlechtskonstitution. Während für ihn zuvor die Körper von biologischen Männern und Frauen – also Menschen, die genitale und reproduktionsorganische Merkmale von nur einem Geschlecht aufweisen – als materielle Tatsache keinen Bestand haben, da sich solche Körper nur durch die gesellschaftliche Zurichtung formen würden, geht er bei den Körpern von Intersexuellen, die (teilweise) die biologischen Merkmale beider Geschlechter aufweisen, von einer materiellen Tatsache aus.
Voß bemängelt in seinem Buch zwar zu Recht, dass intersexuelle Körper lange Zeit in der Medizin als „falsche Körper“ bewertet wurden und intersexuelle Menschen oft gewaltvoll zu Trägern von nur einem Geschlechtsmerkmal gemacht wurden. Dieser Umstand beweist jedoch vor allem, dass die ganz überwiegende Mehrheit der Menschen eindeutig als biologisch männlich oder weiblich bestimmt werden kann, da die Ausprägung intersexueller Merkmale und daraus resultierende medizinische Eingriffe Ausnahmen darstellen.
Anne Fausto-Sterling erklärt in ihrem im Jahr 2000 veröffentlichten Buch Sexing the Body, es sei eine soziale Entscheidung, eine Person dem einen oder dem anderen Geschlecht zuzuweisen, sie als Mann oder als Frau zu bezeichnen.(4) Sie sagt, zuerst war die Idee von gender da, bevor es dann zum sex gemacht wurde. Die Wissenschaft sei dementsprechend vorbelastet, da sie etwas, das an sich rein sozial konstruiert sei, durch Studien und Forschung, in denen die Zweigeschlechtlichkeit vorausgesetzt wird, naturalisieren würde. Biologische Differenzen zwischen Männern und Frauen seien ihr zufolge ein Mythos. Die Existenz von Intersexuellen ist für Sterling, genau wie für Voß, der Beweis dafür, dass objektive Kriterien, welche die Eindeutigkeit von Geschlechtlichkeit bestimmen können, nicht existieren. Dabei sind beide logischen Fehlschlüssen anheimgefallen: Nur weil es Menschen mit Intersexualität gibt, bedeutet das nicht, dass alle Menschen quasi von Intersexualität betroffen sind. Doch logische Fehlschlüsse sind vorprogrammiert, wenn es einem nicht mehr um Aufklärung, sondern vor allem um die Auflösung von begrifflichen Grenzen geht. Durch die Auflösung der Bedeutung von Begriffen werden unterschiedliche Ausprägungen zu ein und derselben Sache erklärt: Ein Penis sei dementsprechend quasi dasselbe wie eine Vulva, die Biologie zwischen Männern und Frauen nicht mehr eindeutig unterscheidbar.
Transsexualität gleich Intersexualität?
Durch die systematische Auflösung der Bedeutung körperlicher Geschlechtlichkeit wird Intersexualität oft mit dem Phänomen der Transidentität gleichgesetzt und so getan, als gelte es im Interesse beider betroffener Gruppen, dieselben Forderungen zu stellen. Der bedeutende Unterschied zwischen den beiden Phänomenen ist jedoch, dass die Transsexualität vor allem psychologischer Natur ist. Das heißt, sie setzt ein Gefühl der geschlechtlichen Inkongruenz voraus. Biologisch sind die meisten Transsexuellen eindeutig männlich oder weiblich. Intersexualität ist dahingegen vor allem eine biologische Tatsache und keine Identität. Jemand ist ganz unabhängig vom eigenen Gefühl intersexuell. Eine Intersexualität kann auch lange unbemerkt bleiben, wie einige bekannt gewordene Fälle unter Sportlerinnen zeigen – so zum Beispiel bei Ewa Kłobukowska und Caster Semenya.(5)
Transsexualität ist also mitnichten mit dem Phänomen der Intersexualität gleichzusetzen: Menschen, die intersexuell sind, wollen vor ungewünschten und medizinisch unnötigen Hormonbehandlungen und/oder chirurgischen Eingriffen im Kindes- und Jugendalter geschützt werden. Menschen, die eine Transidentität annehmen, wünschen sich hingegen oftmals explizit Hormonbehandlungen und chirurgische Eingriffe. Die Belange von Intersexuellen werden oft nur vorgeschoben, um Geschlechtlichkeit von jeder Körperlichkeit zu trennen.
In der 2015 verfassten Stuttgarter Erklärung, verfasst von einer Initiative, die vorgibt sich für „menschrechts- konforme Behandlung von Trans/Inter“ einzusetzen, heißt es beispielsweise:
„Das Geschlecht eines Menschen kann nicht durch andere bestimmt werden, was einer Fremdbestimmung und Inbesitznahme gleich käme.“ Die „Nichtanerkennung des Geschlechts, als welches sich ein Mensch begreift“, käme einer „Entmenschlichung und Aberkennung seiner Würde gleich“. Hier wird also behauptet, dass es keine objektiven Kriterien gibt, mit denen das Geschlecht eines Menschen bestimmt werden kann. Diese Feststellung ist zwar kontrafaktisch, macht aber durch ihren moralisierenden Charakter deutlich, dass jegliche Infragestellung dieser Behauptung als menschenfeindlicher Akt gewertet wird. Weiter heißt es in der Erklärung: „Art und Weise der benötigten Hilfeleistung sollte der Hilfesuchende festlegen […]. Wir empfinden Hinweise auf Richt- bzw. Leitlinien als nicht dem Wohle des Patienten oder Klienten dienend und gleichzeitig als Missachtung medizinischen und therapeutischen Wissens […]. Medizinische Maßnahmen, wie u.a. Hormonbehandlungen oder chirurgische Eingriffe, welche notwendig sind, um im selbst wahrgenommenen bzw. selbstbestimmten Geschlecht diskriminierungsfrei würdevoll zu leben, erachten wir als notwendige Maßnahmen zur Erreichung psychischer und physischer Gesundheit.“(6)
Diese Definition von „Hilfe“ und die Absage an allgemein gültige Richtlinien lässt keine andere Form der Therapie zu, als die affirmative Therapie und verunmöglicht es, Betroffene vor Fehlentscheidungen zu schützen. Die einzig gültige Entscheidungsgrundlage, ob hormonelle und/oder operative Maßnahmen in Frage kommen, soll das subjektive Empfinden und das Bedürfnis der Betroffenen sein.
Die Folgen
Auf der Seite der Bundeszentrale für politische Bildung gibt es bisher mindestens acht verschiedene Beiträge, in denen queertheoretische Prämissen als Fakten, queeraktivistische Forderungen als fortschrittlich und jegliche Kritik daran als regressiv dargestellt werden. Es werden Projekte vorgestellt, die das Thema trans an Kitas, Grund- und weiterführenden Schulen aus queertheoretischer Perspektive vermitteln sollen. Es stellt sich die Frage, was die Auflösung der Definitionen von Geschlechtlichkeit realpolitisch für Folgen hat. Was bedeutet die Neudefinition für die Frauenrechte und den Schutz von Kindern, Jugendlichen und anderen Hilfsbedürftigen?
Debrah Soh schreibt in ihrem Buch The End of Gender über die Frage, ob Transfrauen Frauen seien, dass an einer (angeblich) „geschlechtergerechten“ Sprache ein antifeministischer Impetus sichtbar wird, da die neue, von den Aktivisten propagierte Sprache jegliche Bezugnahme auf Begriffe wie „Frau“ oder „weiblich“ vermeidet und die weibliche Anatomie vollkommen negiert.(7) Es gelte in manchen Kreisen schon als „transphob“ festzustellen, dass Frauen Vaginas haben, ihre Periode bekommen oder gebären können. Stattdessen werde ein Neusprech propagiert, der sich durch affektiert klingende Begriffe wie „schwangere Personen“, „gebärende Eltern“, „Uterus-Besitzer“, und „Menstruierende“ auszeichne. Frauen werde dadurch suggeriert, dass sie die Mutterschaft nicht zelebrieren sollen, weil dieser Umstand Transfrauen unangenehm sein könnte.
Aus medizinischer Sicht bringt die Negierung der biologischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen ernste Probleme mit sich – sowohl für Transfrauen als auch für Transmänner. Um die bestmögliche medizinische Behandlung anbieten zu können, müssen Ärzte eine genaue Patientenanamnese erheben, was ohne die Berücksichtigung des biologischen Geschlechts nur schwer möglich ist. Soh verdeutlicht dies an zwei Beispielen: In einem bekannten Fall sei ein Transmann in die Notaufnahme gekommen und habe sich mit Bauchschmerzen vorgestellt. Das Pflegepersonal und die Ärzte wurden nicht darüber informiert, dass es sich bei ihm um eine biologische Frau handelte. Dadurch wurde die Möglichkeit einer Schwangerschaft ausgeschlossen, was zur Folge hatte, dass der Transmann sein Baby verlor. Als ein weiteres Beispiel dienen Soh Prostatakrebs-Statistiken. In den USA sei Prostatakrebs neben Hautkrebs die häufigste Krebserkrankung bei biologischen Männern. Bei einem von neun Männern werde im Laufe seines Lebens diese Krebsart diagnostiziert. Durch die Negierung der biologischen Unterschiede werde, so Soh, der Zusammenhang zwischen Geschlecht und einem erhöhten Risiko für bestimmte Erkrankungen verkannt.
Neben medizinischen Aspekten geht Soh außerdem der Frage nach, was die Verneinung des biologischen Geschlechts für Auswirkungen auf die Rechte von Frauen haben könnte: Die Frage, ob Transidente Zugang zu allen geschlechtlich segregierten Räumlichkeiten – die ja zum Schutz von Frauen geschaffen wurden – erhalten sollten, sei ihr zufolge zu einer Gretchenfrage geworden. Gegner der geforderten Lockerungen zugunsten von Transfrauen hätten Bedenken geäußert, da sie davon ausgingen, dass übergriffige Männer das Gesetz ausnutzen und sich als Transfrauen ausgeben könnten, um Frauen und Mädchen sexuell zu belästigen. Viele Linke und Transaktivisten hätten diese Ängste reflexartig als übertrieben abgetan. Sie behaupten, nur transfeindliche Menschen könnten die Absicht haben, eine Politik zu verhindern, die ihrer Meinung nach nur das Ziel habe, Trans-Menschen das Leben zu erleichtern.
Soh weist darauf hin, dass geschlechtsneutrale Räume für Frauen und Mädchen gefährlicher sind, weil sie sehr wohl Sexualstraftätern die Chance bieten, leichteren Zugang zu Opfern zu erhalten: Jüngste Statistiken haben gezeigt, dass fast 90 Prozent der Beschwerden über sexuelle Übergriffe, Voyeurismus und Belästigung in britischen Schwimmbädern in Unisex-Umkleidekabinen stattfinden. Es hat einige Fälle gegeben, in denen Sexualstraftäter geschlechtsneutrale Toiletten und Umkleidekabinen ausnutzten, um ahnungslose Mädchen und Frauen auszuspionieren, per Video aufzuzeichnen und sich ihnen aufzudrängen. Im Jahr 2012 ist es außerdem einem verurteilten Sexualstraftäter gelungen, sich Zugang zu zwei Frauenhäusern in Toronto zu verschaffen, indem er sich als Transgender-Frau ausgab.
Soh kritisiert entschieden die Auffassung, dass man biologisch männlichen Sexualstraftätern aufgrund ihrer Transidentität Zugang zu Frauengefängnisse zu gewähren. Sie kritisiert außerdem, dass die Polizeibehörden in Großbritannien mittlerweile einen männlich geborenen Vergewaltiger als weiblich registrieren, wenn die Person aussagt, sich als Frau zu identifizieren. Dies würde die Statistiken verfälschen. Soh nimmt an, dass die Anzahlt der so definierten „weiblichen Täter“ in den kommenden Jahren stark ansteigen wird. Einer von 50 männlichen Gefangenen im britischen Gefängnissystem identifiziere sich ihr zufolge bereits als Transgender. Um einerseits Frauen den Schutz vor Sexualstraftätern zu gewähren und andererseits Transfrauen ebenfalls zu schützen, sei es notwendig, eine Transsexualität nicht nur an der Selbst-Identifikation festzumachen. Darüber hinaus sei die Eröffnung von Gefängnissen oder Abteilungen ausschließlich für Transgender-Häftlinge eine Möglichkeit dem Dilemma vorzubeugen. Eine derartige Haftanstalt sei in London bereits eröffnet worden.
In ihrem Buch plädiert Soh dafür, zusätzlich zu Frauen- und Männertoiletten geschlechtsneutrale oder All-Gender-Waschräume einzurichten, damit Gesetze nicht geändert werden müssen und allen Betroffenen ausreichend Schutz gewährt werden kann. Dieser pragmatischen Lösung stünde jedoch eine vermeintlich progressive Politik im Wege, die jegliches Vorbringen von Sicherheitsbedenken sofort als hasserfüllte Propaganda abstempelt. Es sei Soh zufolge nicht gerecht, den Schutz einer vulnerablen Gruppe aufzugeben, um die Gefühle einer anderen nicht zu verletzen. Es sei unfair und kontrafaktisch zu behaupten, dass die Sorgen von Cisfrauen keine Rolle spielen oder unbegründet sind.
Das Phänomen der Detransition
Ein weiteres negatives Resultat eines fehlgeleiteten Transaktivismus ist die offensichtliche Zunahme von bekennenden Detransitionern. Viele berichten darüber, dass sie vor dem Beginn ihrer Transition nicht ausreichend über die möglichen Nebenwirkungen aufgeklärt wurden beziehungsweise keine anderen Ursachen für das Gefühl der Inkongruenz zwischen Körper und Identität in Betracht gezogen hätten. In meiner Masterarbeit habe ich mich mit Erfahrungsberichten von Menschen befasst, die sich für eine Geschlechtsangleichung entschieden hatten, bevor sie feststellen mussten, dass die Annahme der Transidentität doch nicht die richtige Entscheidung für sie war. Das Phänomen der sogenannten Detransitioner wirft die Frage auf, welche Gründe Menschen dazu bewegen können, sich zunächst für und dann gegen eine Transition zu entscheiden. Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, habe ich mich mit autobiografischen Zeugnissen von Detransitionern auf Youtube auseinandergesetzt. In den letzten zwei Jahren kam es dort zu einem explosionsartigen Anstieg von hochgeladenen Videos, die Detransition zum vordergründigen Thema hatten. Die meisten Videos stammten von Betroffenen, die in den USA leben oder aus Ländern kommen, in denen der Zugang zu einer Hormontherapie weniger restriktiv als in Deutschland ist und/oder eine psychotherapeutische Begleittherapie keine erforderliche Notwendigkeit für körperliche Modifikationen mit dem Ziel einer Transition darstellt.
In meinen Untersuchungen kam ich zu folgenden Ergebnissen: Auch wenn die untersuchten Fälle im Alter, der Sexualität, dem biologischen Geschlecht und den politischen Überzeugungen variierten, war doch eine deutliche Mehrzahl der Detransitioner biologisch weiblich, zum Zeitpunkt ihrer Transition adoleszent, politisch eher als links oder links-liberal und Teil der LGB-Community. Ausnahmslos jede berichtete, dass sie vor der Annahme der Transidentität mit stark ausgeprägten, psychischen Problemen zu kämpfen hatte, zum Beispiel mit Depressionen, Angststörungen, Posttraumatischen Belastungsstörungen oder Essstörungen. Vor allem weibliche Betroffene, aber auch ein männlicher Betroffener, berichteten, dass der Beginn ihrer Pubertät auch den Beginn einer (adoleszenten) Identitätskrise markierte. Einige berichteten darüber, dass sie Opfer sexueller Übergriffe waren und deswegen nicht länger als ihrem Geburtsgeschlecht zugehörig wahrgenommen werden wollten.
Für andere war vor allem die eigene Sexualität ursächlich für innere oder soziale Konflikte. Für Frauen war die grundsätzliche sexuelle Orientierung dabei der Auslöser für diese Probleme, wobei die in den Videos berichtenden Frauen sowohl homo-, bi-, hetero- oder asexuell waren. Die Gründe variierten also von internalisierter Homophobie bis hin zum vordergründigen Wunsch, nach der Transition von anderen besser verstanden und stärker akzeptiert zu werden. Die Frauen befürchteten vor allem, von anderen als unattraktiv empfunden zu werden beziehungsweise keinen Partner oder keine Partnerin zu finden, die bereit seien, mit ihnen eine Liebesbeziehung einzugehen. So gut wie alle berichten, dass sie vor der Annahme der Transidentität Probleme mit der Anpassung an stereotype Geschlechtererwartungen hatten. Für viele war die Transidentität also ein Versuch, diesem empfundenen Anpassungsdruck zu entkommen.
Neben den sozialen Konflikten waren die empfundenen inneren Konflikte ausschlaggebend dafür, sich für eine Transidentität zu entscheiden. Durch das Annehmen der neuen Identität sollten sie gelöst werden. Fast alle Betroffenen berichteten, dass sie eine der zwei Formen von Geschlechtsdysphorie empfanden und deswegen die Transidentität annahmen.(8) Manche erzählten davon, ausschließlich eine soziale Geschlechtsdysphorie empfunden zu haben, andere wiederum, dass sie sowohl eine physische als auch eine soziale Geschlechtsdysphorie entwickelt hatten. Für viele waren die Auswirkungen der sozialen Geschlechtsdysphorie Grund genug, einen starken Drang nach physischen Modifikationen zu entwickeln, um dadurch nicht länger als ihrem Geburtsgeschlecht zugehörig wahrgenommen zu werden.
Auffällig ist, dass keiner der Betroffenen jemals andere Optionen in Betracht gezogen hatte, mit der empfundenen Geschlechtsdysphorie umzugehen. Die Annahme der Transidentität wurde von ihnen als einzige Möglichkeit gewertet, um mit ihren Problemen fertig zu werden.
Nicht alle waren zum Zeitpunkt der Entscheidung in therapeutischer Behandlung, da diese oftmals keine Voraussetzung mehr für eine Transition darstellte. Diejenigen, die in therapeutischer Behandlung waren, berichten, dass ihnen die behandelnden Therapeuten und Ärzte ebenfalls keine anderen Optionen aufzeigten und sie auch nicht ausreichend über die Nebenwirkungen der hormonellen Behandlungen und operativen Eingriffe informierten. Manche berichteten davon, dass sie Therapeuten, die ihnen nahelegten, nicht direkt mit einer Transition zu beginnen, zum Zeitpunkt ihres Transitionswunsches Feindseligkeit und „Transphobie“ vorwarfen und deswegen den Therapeuten wechselten.
Die Mehrheit berichtete, dass der Beginn der Hormontherapie zunächst Erleichterung verschaffte. Alle erreichten jedoch irgendwann einen Punkt, an dem sie feststellen mussten, dass sich das Gefühl der Erleichterung ins Gegenteil verkehrte. Für manche überwogen die negativen Effekte der Transition (zum Beispiel verstärkten sich bei vielen die zuvor entwickelten psychischen Störungen, wie Depressionen oder die Angststörungen), weswegen sie sich für die Detransition entschieden. Andere mussten feststellen, dass sich ihre an die Transition geknüpften Erwartungen nicht erfüllten und die Fortsetzung des Transitionsprozess dadurch obsolet wurde. Für viele änderte sich die Einstellung zu sich selbst. Bei manchen kann davon ausgegangen werden, dass die politischen oder religiösen Überzeugungen die Zweifel an der eigenen Transidentität verstärkten. Diese Faktoren können jedoch bei keinem der untersuchten Fälle als Ursache für die Entscheidung zur Detransition gelten. Für alle, die sich für eine Detransition entschieden, galt, dass sie sich in einer Krisensituation – genauer: in einer Identitätskrise – befunden hatten. Das Annehmen der Transidentität und die Entscheidung zur Detransition sind dabei als Versuch zu werten, diese krisenhafte Situation zu lösen.
Fazit
Die Annahme einer Transidentität ist eine Entscheidung, die stark durch innerpsychische und soziale Prozesse beeinflusst wird. Im Gegensatz zum biologischen Geschlecht ist die Geschlechtsidentität nicht angeboren. Sie entwickelt sich allmählich mit der Zeit. Eine Geschlechtsinkongruenz kann zwar ebenfalls durch biochemische Prozesse (vor allem durch die Einwirkung der Sexualhormone Testosteron oder Östrogen) bedingt sein. Dieser Umstand allein determiniert jedoch nicht die Geschlechtsidentität.
Diese Feststellung beabsichtigt nicht, Menschen vorzuschreiben, als was sie sich selbst bezeichnen sollen oder wie sie sich selbst zu verstehen haben, sondern will ein Bewusstsein für den Umstand schaffen, dass es wichtig ist, zwischen der eigenen Wahrnehmung, der Fremdwahrnehmung und dessen, was der Fall ist, zu unterscheiden. Das bedeutet nicht, dass alle Menschen, die eine geschlechtliche Inkongruenz empfinden, diese irgendwann überwinden können. Stattdessen sollen diese Ausführungen verdeutlichen, warum sowohl eine klare Definition davon, was transsexuell bedeutet, als auch strenge Richtlinien, wann und für wen körperliche Modifikationen in Frage kommen, notwendig sind. Die Annahme der Transidentität und den Wunsch nach einer Transition als Teil einer Geschlechtsidentitätsstörung zu begreifen, soll Betroffene vor Fehlentscheidungen schützen und dafür Sorge tragen, dass Ärzte und Therapeuten umsichtig mit Diagnosen und Behandlungsmöglichkeiten umgehen. Außerdem müssen geschlechtlich getrennte Räume, die dem Schutz vulnerabler Gruppen dienen, erhalten bleiben. Es spricht nichts gegen zusätzliche Schutzräume. Der Grund, warum Aktivisten in der Pathologisierung des Phänomens der Transidentität das große Übel sehen, besteht darin, dass sie die Feststellung einer Störung mit einer Abwertung betroffener Menschen gleichsetzen. Diese Gleichsetzung macht es schwer über diese Themen zu sprechen, ohne verletzte Gefühle zu provozieren.
Hannah Kassimi
Anmerkungen:
1. Sophinette Becker u.a.: Behandlung und Begutachtung von Transsexuellen. Standards der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung, der Akademie für Sexualmedizin und der Gesellschaft für Sexualwissenschaft, in: Psychotherapeut 4 (1997), S. 256. Zum Folgenden vgl. ebd.
2. Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF): Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit: S3-Leitlinie zur Diagnostik, Beratung und Behandlung, Version 1.1, Stand 22.02.2019, S.18.URL: https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/138-001l_S3_Geschlechtsdysphorie-Diagnostik-Beratung-Behandlung_2019-02.pdf, zuletzt eingesehen am 15. Februar 2022. Zum Folgenden vgl. ebd.
3. Vgl. Heinz Jürgen Voß: Geschlecht. Wider die Natürlichkeit, Stuttgart 2011. Hierzu und zum Folgenden vgl. ebd.
4. Vgl. Anne Fausto-Sterling: Sexing the Body. Gender Politics and the Construction of Sexuality, New York 2000. Hierzu und zum Folgenden vgl. ebd.
5. Ewa Kłobukowska hat eine Form der Intergeschlechtlichkeit, die als „Barr Body positive“ bekannt ist. Das bedeutet, sie hat neben dem XX-Chromosomensatz ein zusätzliches Paar XY-Chromosomen. Biologisch ist sie weiblich. Trotzdem wurde sie 1968 aus dem Frauensport ausgeschlossen. Caster Semenya hat eine Form der Intergeschlechtlichkeit, die als „5α-Reduktase-2-Mangel“ bezeichnet wird. Das bedeutet, biologisch männliche Kinder werden bei der Geburt aufgrund ihres untypischen Erscheinungsbildes fälschlicherweise als biologische Mädchen interpretiert. Während der Pubertät kommt es jedoch zu einem erhöhten Ausschuss des Sexualhormons Testosteron. Die vermeintlichen Mädchen durchleben in der Regel eine männliche Pubertät. Die Causa Semenya warf erneut die Frage auf, welche Parameter die Geschlechtlichkeit bestimmen, beziehungsweise wann Menschen vom Frauensport ausgeschlossen werden sollten und wann nicht. Seit 2019 ist es Semenya uneingeschränkt erlaubt, am Frauensport teilzunehmen, obwohl sie biologisch männlich ist.
6. Vgl. Stuttgarter Erklärung. Alternative Behandlungsempfehlungen bei geschlechtlichen Normvariationen, URL: https://die-erklaerung.de/wp-content/uploads/2015/04/StuttgarterErkl%c3%a4rung_FINAL_websmall.pdf, zuletzt aufgerufen am 17. Februar 2022.
7. Vgl. hierzu und zum Folgenden Debrah Soh: The End of Gender. Debunking the Myths about Sex and Identity in Our Society, New York 2020.
8. Die zwei Formen möglicher Geschlechtsdysphorie sind: 1. die soziale Geschlechtsdysphorie („Ich will von anderen nicht als mein biologisches Geschlecht wahrgenommen werden.“) und 2. die physische Geschlechtsdysphorie („Die körperlichen Ausprägungen meines biologischen Geschlechts fühlen sich falsch an.“)
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