Seit Mitte des Jahres gibt es auch in Halle eine Initiative, die eifrig das Ziel verfolgt, jede Erinnerung an die düsteren Kapitel der Menschheitsgeschichte aus dem Straßenbild der Stadt zu tilgen. Offiziell spricht der Arbeitskreis Postkolonial zwar davon, dass es ihm darum ginge, „die Spuren der europäischen Kolonialismus aufzuspüren und seine Auswirkungen im Hier und Jetzt aufzuzeigen“. De facto beschränkt sich die Aktivität des Zirkels jedoch seit Monaten darauf, gegen die Mohren-Apotheke am hallischen Reileck Stimmung zu machen. Ihre Mitglieder tun nicht mehr, als den Eklat in die Provinz zu tragen: Nachdem es im Juli in Berlin zum Aufschrei kam, entschied die zuständige Bezirksverordnetenversammlung unverzüglich, die Mohrenstraße der Stadt umzubenennen. Fernab der Metropolen ist man längst noch nicht so weit, wovon die Vertreter des hiesigen Vereins ein Lied singen können. Sie beklagen, dass sie für ihr Anliegen, die Umbenennung von acht Apotheken Sachsen-Anhalts und einer ortsbekannten Gaststätte, kein öffentliches Interesse bekämen. Das stimmt natürlich nicht, aber bei Vereinen, die völlig auf Empörung und den Druck der Straße setzen, ist wehleidiges Gejammer gängiges Mittel der politischen Auseinandersetzung. Wahr ist, dass die Inhaberin der hallischen Apotheke bislang nicht dazu bereit war, ihren Laden umzubenennen. Unterdessen ließ jedoch die „Mitteldeutsche Zeitung“ die Initiative zu Wort kommen; „Radio Corax“ widmete dem Thema gefühlt mehrere Tage seines Programms, was wenig überrascht, immerhin ist der Sender auch sonst jederzeit bereit, Rassismusvorwürfen Gehör zu verschaffen, seien sie auch noch so abwegig. Das letzte Interview mit zwei Vertretern des Arbeitskreises liegt gerade einmal wenige Wochen (25. November 2020) zurück. Bei der Gelegenheit wiederholten sie jedoch im Wesentlichen nur, was sie bereits im Juli bei einem Gespräch von sich gaben.
Damals hatte der Sender auch die Betreiberin der Apotheke eingeladen. Schon in der Anmoderation wurde jedoch klar, wohin die Reise geht. Der eigenen Standortbestimmung treu, setzte man von Beginn an den Rahmen für das Gespräch und postulierte, dass das Wort Mohr in einer „rassistischen und kolonialistischen Tradition“ stände, ohne weiter auf die historischen Einzelheiten einzugehen. Sehr vorsichtig, im Wissen welches Minenfeld sie gleich betritt, versuchte die Apothekerin die Namensherkunft historisch mit dem Heiligen Mauritius als Patron einer Vielzahl von Medizinstuben zu erklären. Durchaus vernünftig verwies sie darauf, dass die Bedeutung von Begriffen im Laufe der Zeit einer Veränderung unterläge. Sie signalisierte Diskussionsbereitschaft und lud jeden herzlich in ihre Apotheke ein, um Fragen zu beantworten und ein Schaufenster für eine kritische Auseinandersetzung zu gestalten. Ob eine Flasche Klosterfrau Melissengeist für die Aktivisten nicht eine bessere Alternative wäre, wurde leider nicht geklärt.
Für das Vor-Ort-Kommando der Aktionsfront Cancel-Culture, das für Begriffsgeschiebe und Rumgedeute vermutlich bereits damals wenig übrig hatte, inzwischen jedoch längst die Parole „Smash M-Apotheken“ ausgerufen hat, durfte danach eine Vertreterin frei in den Äther assoziieren. Die Aktivistin scheute das Wort Mohr wie der Teufel das Weihwasser. Überall, wo es möglich war, umschiffte sie es. Bei dem Anhören des Beitrags verzagt man das erste Mal, wenn die Sprache auf den „Sarotti M“ kommt. Zweifel an der eigenen Rechtschreibfähigkeit treten auf – vergeblich sucht man das M in Sarotti, bis einem klar wird, dass offenbar das Markensymbol der Firma gemeint ist. Die Analogie zum Wort Neger, das durchaus einen herablassenden Unterton hat, in rassistischem Zusammenhang genutzt wird und gesellschaftlich verpönt ist, ergibt sich zwangsläufig. Die nicht nur im akademischen Bereich etablierte Redeweise N-Wort, die verwendet wird, um das Zitat zu vermeiden, wird von den Anhängern des Arbeitskreises auf der nach oben offenen Verblödungsskala auf Bilder ausgeweitet. Im Fortgang des Gesprächs stellten sich erste Lerneffekte sofort ein. Die Moderatorin nahm das M-Wort pflichtbewusst in ihren Wortschatz auf.
An der Debatte um den Begriff beteiligte sich die Verfechterin der Umbenennung nur augenscheinlich. Von Beginn an war der eigene Standpunkt sakrosankt. Auf die entscheidende Frage, wo der Ursprung des Begriffs liege, ließ sich die Vertreterin gar nicht erst ein. Stattdessen erklärte sie, er sei der „älteste Begriff für schwarze Menschen“ und es handele sich um eine „Fremdzuschreibung“. Inwieweit alte Begriffe per se ein Problem und ob Fremdzuschreibungen immer negativ konnotiert sind, wurde im weiteren Verlauf leider nicht geklärt. Weiter sprach sie davon, dass das Wort „Menschen mit dunkler Hautfarbe“ essentialisiere und deswegen rassistisch sei. Er riefe zwangsläufig das Bild „des willenlos kindlichen oder des noblen Wilden“ hervor. Triumphierend verkündete die Aktivistin dann, es gäbe keinen positiven Rassismus. Der eigentliche Taschenspielertrick bestand aber darin, den Mohr in eine Linie mit dem Neger zu bringen. Im Wissen um den antirassistischen Erfolg in der öffentlichen Debatte über rassistische Sprache in Kinderbüchern entschied sich der Arbeitskreis wohl ganz bewusst dafür, nach dem Vorbild des N-Worts auch das M-Wort zu institutionalisieren. Der Clou daran ist, dass man den Wortursprung erst ins 17. Jahrhundert katapultieren muss, um ihn überhaupt mit europäischen Kolonialismus und europäischer Sklaverei in Verbindung bringen zu können.
Das Wort Mohr ist entlehnt aus der orientalischen Welt der nordafrikanischen Mauren. Seit dem 12. Jahrhundert kamen Europäer durch sie mit begehrten Gewürzen, die als Grundlage vieler Medikamente galten und Farbpigmenten in Berührung. Ihre Unterlegenheit wurde dadurch bestärkt, dass die Händler mit dem Islam eine aggressive Kultur, die als bewundernswert angesehen wurde, auftraten. Trotz der beiderseitigen Kämpfe um das Mittelmeer bildeten Osmanen und Venezianer eine sonderbare Gemeinschaft. Die muslimische wie die christliche Macht waren gebunden an die Karawanenwege. Die Folge daraus war eine Vielzahl von Wappenmohren und Mohrenapotheken, um die wirtschaftliche Verbindung mit der arabischen Welt aufzuzeigen. Erst mit dem Niedergang dieses Verkehrsnetz setzte der Bedeutungsverlust Venedigs und der Osmanen ein. Mit dem Aufstieg der Engländer, Franzosen und Niederländer durch den transatlantischen Handel inklusive der Versklavung der Schwarzen wurden Venezianer und Osmanen zu Staaten einer veralteten Handelswelt. Spätestens ab dem 17. Jahrhundert war das Wort Mohr immer seltener zu hören, bis es vollends außer Gebrauch geriet. Zu jener Zeit gewann das Wort Neger an Verbreitung, das historisch schwerlich von Kolonialismus und transatlantischen Sklavenhandel zu trennen ist.
Statt sich seine historische Verortung anzusehen, werfen die Erinnerungspolizisten jedoch lieber den als durchaus selbstbewussten Händler agierenden Mohr mit dem versklavten Neger zusammen. Was für negative Assoziationen das M-Wort hervorruft, wissen sie vermutlich am Besten. Mit ihrer Kampagne gegen den Namen tragen sie jedenfalls mehr dazu bei, die feinen historischen Unterschiede zu nivellieren. Ein kritischer Umgang mit Vorurteilen sieht anders aus. Er hätte bedeutet, die in dem Wort mitschwingenden Assoziationen mit der historischen Wirklichkeit zu konfrontieren, anstatt es wie ein Fünfjähriger zu vermeiden und von allen anderen dasselbe zu verlangen. Dass es die Mitglieder selbst sind, die bei Schwarzen an kleine Kinder denken, die beschützt werden müssen, zeigt ihr Vorschlag für eine Namensänderung der Apotheke. In Anlehnung an eine Wiener Cancel-Erfolgsgeschichte wollen sie den Mohr vollends der Lächerlichkeit preisgeben. So schlugen sie vor, aus dem O der Mohren-Apotheke ein Ö zu machen.
M wie Möhre (Kurzmitteilung)
14. Dezember 2020 von bonjour tristesse
[…] Seit Mitte des Jahres gibt es auch in Halle eine Initiative, die eifrig das Ziel verfolgt, jede Erinnerung an die düsteren Kapitel der Menschheitsgeschichte aus dem Straßenbild der Stadt zu tilgen. Offiziell spricht der Arbeitskreis Postkolonial zwar davon, dass es ihm darum ginge, „die Spuren der europäischen Kolonialismus aufzuspüren und seine Auswirkungen im Hier und… — Weiterlesen bonjourtristesse.wordpress.com/2020/12/14/m-wie-mohre-kurzmitteilung/ […]
http://laemmergeier.info/2021/04/10/lustlos-hingeschriebene-thesen-zur-spaltung-der-ideologiekritischen-szene/
Im Text fällt zwei Mal das Wort NEGAtiv. Darin ist die lautliche Sequenz des sogenannten N-Worts enthalten. An der Verwendung dieses zukünftig diskriminierenden Wortungetüms zeigt sich das rassistische Potential dieses Textes. Wenn die Mohrenstraßen und Mohrenapotheken eines Tages aus den Kapiteln der Menschheitsgeschichte ausgelöscht sein werden, wird der Sprachpuritanismus auch die in den Lauten verborgenen rassistischen Vorstellungen bekämpfen müssen. Denn Sprache hat einen rassistischen Charakter. (Frei nach Roland Barthes)