Den einen gelten sie als antideutsche Vorzeigeband, andere lamentieren, wie jüngst in der „Jungle World“, dass sie nur noch den „Soundtrack zur Affirmation“ liefern würden. Neonazis rufen in Anspielung auf ihren Titel „Raven gegen Deutschland“ zum „Raven gegen Nestbeschmutzer“ auf, und die Verschwörungstheoretiker von der Band „Die Bandbreite“ haben Anzeige gegen sie erstattet: „Egotronic“. Die Bonjour Tristesse sprach aus Anlass ihres letzten Konzertes in Halle mit ihnen über die Themen, die jeden Redakteur eines Jugendmagazins bewegen: Geld, Liebe, Spaß und Neid.
Wenn von „Egotronic“ gesprochen wird, wird immer wieder von Hedonismus als politischem Prinzip geredet. Was verbirgt sich hinter dieser Aussage?
Torsun: Ehrlich gesagt, wir sind gar nicht in erster Linie ein politisches Projekt. Wir haben relativ viele politische Texte, weil wir halt Texte über Dinge schreiben, die uns beschäftigen. Und da das politische Dinge sind, spiegelt es sich auch in unseren Liedern wider. Allerdings ist es nicht so, dass wir uns als Agitatoren begreifen oder Protestsongs schreiben würden.
Und was habe ich mir unter Hedonismus, der immer mal wieder im Zusammenhang mit euch erwähnt wird, vorzustellen?
Endi: Ich habe mit Hedonismus nichts am Hut.
Torsun: Ich glaube, auf uns wird eher projiziert, dass wir Hedonismus präsentieren würden. Das ist aber gar nicht wirklich so. Es gibt zwar Songs, wie z. B. „Lustprinzip“, wo es schon darum geht, einfach auszurasten und zu sagen: „Hey, ich habe auf nichts anderes Bock als zu tanzen, ich will mich nicht mit irgendwelchem Scheiß auseinandersetzen müssen.“ Feiern und in bestimmten Momenten nur an das eigene Glücksgefühl zu denken – das spielt bei uns natürlich schon eine Rolle, sowohl textlich als auch im konkreten Leben. Aber Hedonismus als politisches Prinzip vertreten wir nicht.
Ihr seid jetzt seit acht Tagen unterwegs und spracht gerade davon, dass ihr nicht dauernd an die „ganze Scheiße“ – also sicher auch: Arbeit, Anstrengung, physische Reproduktion usw. – denken wollt. Ist es nicht auch anstrengend, jeden Abend gute Laune haben zu müssen, gut drauf sein und Party machen zu müssen? Ihr seid ja im Unterschied zum Großteil eures Publikums auch nicht mehr 19. Verbittert es nicht auf Dauer, wenn man jeden Abend für Unterhaltung sorgen muss?
Torsun: Es verbittert nicht, aber manchmal ist es schon anstrengend. Ich habe für mich dafür irgendwann mal den Begriff der professionellen guten Laune geprägt. „Egotronic“ ist halt auch ein Job, das heißt, wir verdienen damit unseren Lebensunterhalt, und insofern ist es eben auch manchmal anstrengend. Aber eigentlich macht es Spaß. Ansonsten würde ich das auch nicht machen. Während der Tour gab es z. B. einen Tag, an dem ich überhaupt keine Lust auf einen Auftritt hatte – ich sage natürlich nicht wo –, aber so etwas wird dann mit professioneller guter Laune übertüncht.
Endi: Bei mir ist das so: Wenn ich privat auf Konzerte gehe, dann ist es mir relativ egal, ob es der Band gut oder schlecht geht. Ich möchte, dass die eine gute Show liefert. Dabei merkt man ziemlich schnell, ob die Leute auf der Bühne Bock haben oder nicht. Bei uns ist es glücklicherweise meistens so, dass wir nie alle zusammen schlecht drauf sind, so dass es immer einer von uns rausreißen kann. Wenn die Leute Eintritt bezahlen und Lust auf ein Konzert haben, dann sollte man schon versuchen, denen einen schönen Abend zu bereiten – auch wenn man selbst nicht so gut drauf ist.
Ihr habt gesagt, dass ihr mit „Egotronic“ euren Lebensunterhalt verdient. Zum „Lustprinzip“ gehört bekanntlich mehr als eine Matratze im Bauwagen. Das heißt: Könnt Ihr von „Egotronic“ auch gut leben?
Endi: Wir werden nicht wirklich reich davon, aber wir können uns damit so über Wasser halten, wie wir es früher mit bescheuerter Lohnarbeit getan haben: mit blöden Jobs, mit Chef usw. Da haben wir zwar auch nicht viel mehr verdient als jetzt, aber es ist schon schöner, wenn man etwas macht, das Spaß macht und wo man auch noch sein eigener Chef ist.
Torsun: Gerade in Berlin sind die Löhne ja extrem niedrig – und da gehört man mit unserem Auskommen tatsächlich schon zu den Besserverdienern. Wenn ich sehe, wie wenig Geld einige Leute für ihre Knochenjobs bekommen, dann muss ich sogar sagen, dass es ein wirklich gutes Leben ist.
Bei euren Konzerten ist mir die Mischung eures Publikums aufgefallen: Da tanzt die Rastaträgerin mit Antifa-Recherchefimmel neben dem Jung-Antideutschen mit Israel-Buttonparade, der Indiepopper neben dem Kulturarbeiter mit Politvergangenheit. Gibt es in der Linken eigentlich irgendjemanden, der euch nicht mag?
Torsun: Doch, schon. Aber die Zeit, in der es richtig gerappelt hat, ist tatsächlich schon eine ganze Weile vorbei. Das letzte Mal, dass wir Ärger mit Antiimps hatten, von denen wir ja nichts anderes erwarten, war vor etwa zwei Jahren in Hannover. Die haben Flugblätter gegen uns verteilt, auf denen stand, dass wir Kriegstreiber seien. Insgesamt scheinen diese Leute aber so angepisst davon zu sein, dass „Egotronic“ so erfolgreich ist, dass sie lieber nicht über uns reden wollen. Es ist also deutlich weniger geworden.
Nach Dresden hat es allerdings auf unserer „Facebook“-Seite gerappelt. Ich hatte eine Büttenrede ins Netz gestellt, in der ich mich über das kollektive Trauern am 13. Februar, dem Tag der Bombardierung, lustig gemacht habe. Der Tenor war, dass deutsche Täter keine Opfer sind. Das stand sogar in der Bildzeitung Dresden: „Linker Videoclown verhöhnt die Opfer von Dresden.“ Diese Büttenrede hat letztlich auch bei unseren eigenen Fans für Kontroversen gesorgt. Da habe ich mich schon gefragt: Was für Leute hören uns denn eigentlich? Haben die sich schon irgendwann mal einen unserer Texte angehört? Wenn die ganzen Nazirapper in jüngster Zeit allerdings meinen, sich an uns abarbeiten zu müssen und wir als Paradefeindbilder für die herhalten müssen – „Raven gegen Nestbeschmutzer“ ist so ein neues Ding von denen –, dann glaube ich aber, dass wir etwas richtig gemacht haben. Wir haben auf jeden Fall keine Skrupel, uns mit den eigenen Fans anzulegen.
Noch einmal zurück zur Frage nach der großen Eintracht bei Euren Konzerten: Wie erklärt ihr euch eure – zumindest weitgehende – Beliebtheit innerhalb der Linken? Die paar Antiimps, die es in Magdeburg, Hannover oder Bitterfeld noch gibt, zählen ja nicht so richtig.
Endi: Zunächst mal finde ich es natürlich schön, wenn die verschiedensten Leute zu unseren Konzerten kommen und dort Spaß haben. Ich mag es, vor den unterschiedlichsten Leuten zu spielen. Dann ist es natürlich so, dass elektronische Musik in der Linken enorm an Bedeutung gewonnen hat. Als ich aufgewachsen bin, habe ich in keinem einzigen linken Jugendzentrum jemals auch nur einen Beat gehört. Techno wurde von den Trotteln und Druffis gehört. Während wir noch mit Punk, Hardcore und Metal sozialisiert worden sind, wachsen viele Politleute inzwischen mit Elektromusik auf. Es gehört ja mittlerweile zum Konsens, dass es bei linken Feiern, Soliveranstaltungen usw. mindestens einen Technofloor gibt. Insofern ist es auch nicht besonders überraschend, dass die Konzerte der paar Bands, die solche Musik machen, gut besucht sind. Wenn es 30.000 Elektrobands gäbe, wie es 500.000 Schrammel-Deutschpunk-Bands gibt, würden garantiert auch weniger Leute zu unseren Konzerten kommen.
Torsun: Wichtig ist sicher auch, dass wir selbst aus dieser Politszene kommen und zu den ersten gehört haben, die musikalisch mal was anderes, Tanzclub-Musik mit einer politischen Aussage eben, gemacht haben.
Bei all eurer Beliebtheit lautet einer der Vorwürfe, die euch regelmäßig von Fans der ersten Stunde gemacht werden, dass ihr nicht mehr so politisch wie in der guten alten Zeit seid. Ich habe mir eure Platten darum mal angesehen und festgestellt, dass sich die Anzahl der politischen Texte in den letzten Jahren nicht besonders verändert hat. Wie erklärt Ihr Euch diese Vorwürfe, die jeder Empirie widersprechen?
Endi: Jeder kennt ja das Phänomen, dass man einerseits möglichst viele Leute für die eine unbekannte Band begeistern möchte, die einem gefällt, und es dann andererseits scheiße findet, wenn nicht mehr 30, sondern 300 Leute zu den Konzerten kommen. Das ging mir bei verschiedenen Bands auch schon so. Dazu kommt, dass bei unseren richtig großen Konzerten sicher auch Leute auftauchen, die „Raven gegen Deutschland“ als Scherz abtun oder sich nur auf die Musik einlassen und nichts von den Texten wissen wollen. Wenn unsere Old-School-Fans dann sagen, dass sie damit nichts mehr zu tun haben wollen, dann kann ich das sogar bis zu einem gewissen Punkt nachvollziehen. Ich werfe denen das auch nicht vor. Es nervt allerdings, wenn das nicht offen ausgesprochen wird, sondern merkwürdige Unterstellungen herhalten müssen: Wir seien nicht mehr so politisch, nicht mehr radikal wie früher usw.
Torsun: Merkwürdig finde ich es vor allem, wenn solche Vorwürfe aus einer politischen Ecke kommen, die mir sehr nahe steht. Dort wird immer gesagt, dass man nicht mit dem Bauch denken, sondern auch mal den Kopf einschalten soll – und dann wird plötzlich doch ganz gern mit dem Bauch gedacht und mit abstrusen Vorwürfen um sich geworfen. Wenn so etwas an uns herangetragen wird, dann nehmen wir uns in der Regel zwar viel Zeit, diskutieren mit den Leuten, sagen, dass sie sich doch einfach mal die neue Platte anhören sollen, auf der mehr Politsongs als auf den Platten davor sind, oder dass wir mehr Solikonzerte spielen denn je. Aber trotzdem werden sich solche Vorwürfe wohl nicht vermeiden lassen. Bei der nächsten Platte wird es auch wieder heißen, dass wir noch unpolitischer geworden sind. Versprochen.
Wann gibt es endlich mal einen Egotronic-Starschnitt in eurem Heft?
Wenn der Starkult schon sein muss, dann schon besser ein lebensgroßes Poster von Täve Schur mit Sprechblase…
Ein kritisches und intellektuell brilliantes Interview mit einer kritischen und musikalisch brillianten Band.
So kann man Anspruch natürlich auch durchstreichen: „Hey, ich habe auf nichts anderes Bock als zu tanzen, ich will mich nicht mit irgendwelchem Scheiß auseinandersetzen müssen. […] Wenn die Leute Eintritt bezahlen und Lust auf ein Konzert haben, dann sollte man schon versuchen, denen einen schönen Abend zu bereiten – auch wenn man selbst nicht so gut drauf ist.“ Da war ja Punk noch besser.
Egotronic ist nicht zu loben; ihnen wäre gerade vorzuwerfen, dass sie politische Texte machen.
Z. B. „Raven gegen Deutschland“, verrät ja in einem Zug, woran es, bereits hochgradig zur Ideologie verhärtet, gemahnen könnte: Herstellung des Rechts des Besonderen. Der individuelle Genuß wird zum Politikum. Mal abgesehen davon, dass diese Phrase Schwachsinn ist weil einer genausogut essen, trinken, wohnen gegen Deutschland könnte, was eigentlich schon Grund genug wäre, der Band nicht das Wort zu lassen und sie einer Klientel vorzustellen, die sie ohnehin kennt, sondern sie kritisch zu sezieren, ist sie auf Infantilisierung und Massenbildung aus, was bei Egotronic keine Seltenheit ist. Wer es nicht glauben möchte, sei auf das Bandvideo zum Song „Lustprinzip“, das ein einziger Verrat an aller Lust ist, verwiesen. Mit „Raven gegen Deutschland“ wird das eigene, strunzdumme Abfeiern der monotonen Musik zur Weltveränderung erklärt, ganz wie in den autonomen Zentren wird das kreative Herumwursteln zur politischen Tat, und das einer solchen Zumutung sich aussetzende Publikum zum besseren Deutschland. Die monotone Musik schafft eine in Betäubung jedes Gedanken schwelgende Masse, die man von der Bühne aus wahrscheinlich zu jeder Missetat anstacheln kann. Der Interviewer weiß dass, wenn er fragt, ob es eigentlich in der Linken irgendjemand gibt, der Egotronic nicht leiden kann. Und auch wenn man ihm die gebotene Distanz zum Interviewpartner nicht absprechen kann, so bleibt ihm doch vorzuwerfen, dass er im wichtigsten Punkt nicht mit ihm ins Gericht gehen will, sondern das bewußtlose Weitermachen ganz offen einfordert. Bleibt nur, allen, die sich ihr individuelles Lebensglück nicht von irgendwelchen „antideutschen“ Volksmusikanten verhunzen und in den Dreck treten lassen möchten, Electro-Musik wie von Nicolas Jaar oder Console anzuempfehlen. Dass billige Polit-Partyevents in linken Kulturzentren gemieden und zum Gegenstand der Kritik gemacht gehören; dass derlei Musik gerade das affirmiert, wogegen die Texte zu opponieren vorgeben, und jede Opposition zum aktiven Mitmachen, dem stillschweigenden Einverständnis in fortschreitende Barbarisierung integriert, sollte man eigentlich niemand mehr erklären müssen.
Sehr gut!
Großer Protest! in Bitterfeld gibt es nun wirklich nicht viel und schon gar nicht an politischen Menschen und die wenigen, die es gibt, wollen sich selbst erst recht nicht zu Bitterfeld zählen. was es dort aber definitiv nicht mehr gibt sind in Gruppen strukturierte Antiimps! Und ja auf den Partys des einzigen Linken Projekts in Bitterfeld läuft auch Egotronic und das nicht nur wegen der Beats!
Wo soll ich anfangen?
Egotronic sind, wie ja jeder weiß, links einzuordnen.
Die Gefahr der ‚betäubten Masse‘ besteht allemal und ich finde Egotronic sind als Gefahr einzustufen. Nicht etwa weil ich ein ‚Freiwild-verehrender-Fascho‘ bin (oder eher Faschistin), sondern weil ich das linke Prinzip einfach (tut mir Leid. Oder auch nicht) schwachsinnig finde.
Nennt mir einen Song, nennt mir ein Statement von Torsun himself, indem er Stellung bezieht, nicht zu seiner offensichtlichen Einstellung, sondern zu seinen Verbesserungsvorschlägen. Die tauchen nie auf, weder bei Diskussionen noch in seinen Aussagen. Wie sieht denn das neue Deutschland aus? Wie bestehen wir denn noch als Haufen Staatsfeinde, die hier aber wohnen.. weil.
Ok, mein Kommentar wird jetzt womöglich wieder verhöhnt, denn ich bin nun ein ‚toleranter Nazi‘, weil ich dieses Weltbild anzweifle.
Ich frage mich, ob das mittlerweile nicht alles nur noch Merch ist, anstatt wirkliche Überzeugung. Denn hat man Torsun Burkhardts Bildungsgrad, der einigermaßen hoch ist, da gehe ich von aus, kann man dieses Denken doch wohl nicht für rational befinden.
Oder bin ich weltfremd?
Torsun hat in seiner Karriere unzählige Morddrohungen erhalten, wie er beiläufig erwähnt. Nun ist er unheilbar an Krebs erkrankt. Ein Stern der antideutschen Szene tritt ab…
https://www.musikexpress.de/torsun-im-interview-ich-muss-nicht-der-taffe-typ-sein-der-noch-lachend-in-den-tod-rennt-2311615/