Wie ungerecht die Welt ist, vor allem für junge Künstler, zeigt ein Beispiel aus Halle. Während die Arbeiten des Künstlerkollektivs Taring Padi, die auf der Documenta zu sehen waren, für Furore im deutschen Feuilleton sorgten, blieb dem überdimensionalen Werk eines verkannten Graffitikünstlers in der Delitzscher Straße lange Zeit die notwendige Aufmerksamkeit verwehrt.





Der hallische Osten ist ein Gebiet, in das sich nur wenige wagen. Baulicher Verfall, der Lärm von Maschinen und Lastwagen und eingefallene Gesichter prägen sein Bild und erzeugen eine beklemmende Stimmung. Kein einladender Ort. Daran ändern auch Kunstgalerien unter freiem Himmel und neu entstehende Räume alternativer Subkultur nichts. Dass an einem dieser Orte ein Werk schlummerte, das es locker verdient hätte, auf der Documenta ausgestellt zu werden, konnte man also wirklich nicht ahnen.
Umgeben von dubiosen Spielotheken, Tankstellen und Schrottplätzen befindet sich das alte Fabrikareal in der Delitzscher Straße 73. Das heruntergekommene Gelände wirkt auf den ersten Blick unscheinbar. Der Bürotrakt, in dem seit neuestem wieder kulturelle Veranstaltungen stattfinden, ist unbelebt und trist. Betrachtet man allerdings die dahinterliegende Lagerhalle, stechen einem sofort ganze Wände füllende Graffiti, sogenannte Murals, ins Auge. Einige sind mehr oder weniger gelungen, beeindrucken allein schon durch ihre schiere Größe und die professionelle Ausführung. Eines dieser Murals bedeckt auf einer Länge von gut 40 Metern fast die komplette Seitenwand der Lagerhalle.
Bildsprache der Weltverschwörung
Das 500 Quadratmeter große Wandbild zeigt eine fahle Fratze mit Hakennase und Reißzähnen, in deren Augen Geldsymbole erscheinen. Aus ihrem Mund gebiert sie verschiedenste Waffen, Kanonenrohre und Kampfflugzeuge. Diesen voran fährt ein Panzer mit gehisster EU-Flagge. Während die Figur in der einen Hand ein Weinglas schwenkt, hält sie in der anderen eine Giftspritze, deren Tropfen teilweise zu herabregnenden Granaten werden und teilweise den Übergang zu den Tentakeln eines Kraken bilden, der mit einer riesigen Nase und der Aufschrift „Frontex“ gekennzeichnet ist. Der Krake bringt den Tod aus dem Lauf eines Revolvers, umschlingt ein Flüchtlingsboot und zieht es in den Abgrund – die Passagiere fallen von Bord und ertrinken. Gleichzeitig kann ein mit Rohstoffen beladenes Schiff problemlos vorbeifahren. Über dem Geschehen fliegt eine Friedenstaube mit der Waage der Gerechtigkeit im Schnabel, die aber von einer Überwachungsdrohne mit Illuminatenauge abgedrängt wird. Eine Hand aus Geld legt sich über das Wasser und verdeckt die Sicht auf die ertrinkenden Menschen. Der zweite Bildteil am rechten Rand zeigt den afrikanischen Kontinent als primitives Schlaraffenland, dessen Ressourcen ihm von einer aus dem Himmel kommenden goldenen Hand entrissen werden. Darunter sind auch jene Rohstoffe, die wir vorher auf dem Schiff gesehen haben: Diamanten, an denen Blut klebt. Sie erschienen auch im Auge des Bösewichts und spannen den Bogen der Erzählung.
Verantwortlich für das Machwerk sind der dem Kölner Street-Art-Kollektiv Captain Borderline zugehörige Sprayer A.Signl, der sich Lake-Oner nennende Berliner Graffitimaler Christian Wahle sowie mehrere Mitglieder der Freiraumgalerie Halle, die die beiden bei der Ausführung des Wandbildes unterstützten. Sie selbst präsentierten ihr Produkt mit dem tiefschürfenden Titel „Karmische Konsequenz ist Kausalität“ als Kritik an der Globalisierung und an der „Jahrhunderte alte[n] Tradition der Ausbeutung schwächerer Staaten“ und wollten mit ihrem Bild dem Westen die Konsequenzen seines Handelns vorführen. (1) Welche Weltanschauung sich hinter ihrer vermeintlich kapitalismuskritischen Analyse verbirgt, tritt angesichts der verwendeten Bildsprache deutlich zu Tage. Der todbringende Krake und der hakennasige, durch seine Vampirzähne als Blutsauger gezeichnete geldgierige, hinter allem stehende Kriegsverursacher, die beide direkt Julius Streichers Stürmer entnommen sein könnten, lassen letztlich nur eine Bildaussage zu: Der in Saus und Braus lebende, von Geldgier getriebene Jude übersät die Welt mit Krieg, den er von seinen Lakaien, wie der EU, ausführen lässt. Er vergiftet die Welt aber nicht nur mit Waffen, sondern stürzt auch die Leidtragenden seiner Machtspiele – die Flüchtlinge auf dem Mittelmeer – durch sein todbringendes Ungeheuer in den Abgrund, damit die Kapitalströme ungestört weiterfließen können. Darüber hinaus haben die Herren des Geldes die Macht, ihre Verbrechen zu verbergen. Währenddessen wird die Bewegung für Frieden und Gerechtigkeit mit Repression überzogen. Afrika – stellvertretend für den globalen Süden – ist das unschuldige Objekt seiner Machenschaften und wird von ihm rücksichtslos ausgebeutet. Kurzum: Die jüdisch-kolonialistische Weltverschwörung.
Die Werke des Hauptverantwortlichen A.Signl waren schon immer von plumpen Welterklärungen und pazifistischen Anklagen in der Nachfolge Banksys geprägt. Er scheidet die Welt in Volk gegen Elite, primitives Schlaraffenland gegen imperialistischen Westen, skrupellose Überwachung und Repression gegen selbstlosen Freiheitskampf, Gut gegen Böse. Vermutlich möchte der Schöpfer des antisemitischen Bildes sein Werk tatsächlich als kritische Analyse der bestehenden Verhältnisse verstanden wissen und würde den Vorwurf des Judenhasses, höchstwahrscheinlich mit dem Verweis, dass mit den bösen Kapitalisten keineswegs die Juden gemeint seien, empört von sich weisen. Dass A.Signl in seiner Darstellung nahezu schlafwandlerisch abstrakte gesellschaftliche Verhältnisse personifiziert und dabei gar nicht anders kann, als auf kulturell tradierte Judenkarikaturen zurückzugreifen, liegt in der Logik seines zur Vernichtung treibenden, manichäischen Weltbildes begründet.
Kunstmäzene mit Vision
Entstanden ist das Mural von April bis Juni 2014 im Rahmen des von der Kunststiftung Sachsen-Anhalt beworbenen Farbtöne-Festivals, zu dem diverse Graffiti-Künstler eingeladen wurden. Organisiert wurde es zum einen von der Freiraumgalerie Halle, zum anderen von dem in der Nähe gelegenen Unternehmen Häßler Lift. (2) Diese Verbindung erscheint zunächst nicht weiter merkwürdig: Für große Murals werden Baukräne benötigt, eine gute Gelegenheit also für den Betrieb, seine Maschinen auf einem Graffiti-Fest zu präsentieren. Dass ein ostdeutscher Kleinunternehmer kein Bewusstsein für antisemitische Bildsprache hat, könnte man als erwartbar abtun. Doch der Zusammenhang endet hier noch längst nicht: Der Firmeninhaber Thomas Häßler ist beruflich nämlich breit aufgestellt und wagt sich nicht nur auf Kräne, sondern unternimmt auch geistige Höhenflüge: Neben seiner Firma unterhält er mit der Visionsschule eine Beratungsfirma nach den Prinzipien des Integralen Forums, dessen örtlichen Ableger, den Integralen Salon Halle er als Guru persönlich leitet. (3)
Bei der Integralen Theorie handelt es sich um eine holistische New-Age-Religion, die christliche und kosmologische Versatzstücke, sowie Elemente des Yoga mit einer gehörigen Portion Antisemitismus vereint. (4) Letzterer lässt sich auch gut an den Aussagen ihrer Mitglieder zu allen möglichen politischen Themen, in jüngster Zeit vor allem zur Corona-Pandemie, studieren. So beklagte bspw. Häßlers Frau, die ehemalige Vorsitzende des Integralen Salons, Elisabeth Wandt kürzlich ihren „persönlichen Nürnberger Prozess wegen Maskendelikts“ erfahren zu haben. (5) Gut möglich also, dass die Visionäre nicht nur die Kräne zur Verfügung stellten, sondern auch inhaltliches Rüstzeug beisteuerten. Die Visionsschule – Tarnfirma einer esoterischen Sekte – wird ebenfalls als Mitorganisator des über die Freiraumgalerie mit öffentlichen Geldern geförderten Farbtöne-Festivals 2014 genannt. (6) Der Integrale Salon lud darüber hinaus zur meditativen Betrachtung des Wandbildes ein.
Offenbar hat im Jahre 2014 niemand genauer hingesehen, denn obwohl laut Veranstalter allein zur Abschlussveranstaltung mehr als 2.000 Menschen das Festival besuchten, (7) gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass jemand den offensichtlichen Antisemitismus erkannt hat. Aufseiten der Freiraumgalerie und des Freiraumbüros der Stadt Halle, das als Vergabestelle für das Gelände fungiert, herrscht entweder ein völliges Unvermögen vor, antisemitische Bildsprache zu erkennen, oder aber die Verantwortlichen teilen gar das Weltbild der Künstler von der Globalisierung als der großen Verschwörung.
Der Skandal blieb jedenfalls aus, und auch während der letzten acht Jahre schien sich niemand daran zu stören, auch wenn zugegebenermaßen die Lage der von der Straße aus nicht einsehbaren Fabrikwand einen gewissen Anteil daran gehabt haben dürfte. Doch seit dem Sommer 2021 wird das Gelände in der Delitzscher Straße vom Kulturverein Blendwerk e.V. gemietet und wieder rege genutzt. Anlass, sich zur gigantischen Stürmer-Wandzeitung an ihrer Mauer zu äußern, sahen dessen Mitglieder bisher nicht. Im Gegenteil: Im Video zu ihrer Crowdfunding-Kampagne zeigen sie immer wieder Ausschnitte davon. Der esoterische Einschlag ihres Veranstaltungsprogramms, der Umstand, dass sie ihre Räume der Untergangssekte Letzte Generation zur Verfügung stellen, sowie der Auftritt der Band Vision, die sich zufällig auch für die Integrale Theorie begeistert, legen nahe, dass ihnen das Skandalöse des Werkes gar nicht auffallen kann. Schließlich scheinen sie die mit ihm vorgetragene „Globalisierungskritik“ mehr als zu schätzen.
Otto Tiedtke
1. https://captainborderline.org/karmische-konsequenz-ist-kausalitaet-carmic-consequence-causality/ (zuletzt eingesehen am 29.8.2022)
2. https://hallespektrum.de/nachrichten/vermischtes/freiraumgalerie-expandiert-farbtoene-2014-festival-in-bueschdorf/92059/ (zuletzt eingesehen am 04.10.2022)
3. https://de.linkedin.com/in/thomas-h%C3%A4%C3%9Fler-21005b64?original_referer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F (zuletzt eingesehen am 04.10.2022)
4. Tom Dorow: Die Integralen. Gute Nacht. Deutsche Esoteriker überwinden den Holocaust, in: Junge Welt vom 12.05.2010.
5. https://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=4773426519431525&id=389589031148651 (zuletzt eingesehen am 04.10.2022)
6. https://www.freiraumgalerie.com/kontakt/ (zuletzt eingesehen am 04.10.2022)
7. https://www.hebebuehnen-deutschland.de/news/das-war-das-farbtoene-2014-festival/ (zuletzt eingesehen am 04.10.2022)
Seid ihr bei Trost?
Dieser Artikel ist das Paradebeispiel eines pseudo investigativen Journalismus. Man packt einfach aller rein, was bei einem im Kopf herumgeistert, gepaart von ein paar klugen Worten, zack ist der Text fertig. Ohne sich mit dem Künstler, seinem Leben und seinem Werk zu beschäftigen, persönlich mit ihm darüber zu sprechen, schreibt der Autor eigentlich seine eigene Sicht auf die Welt und seinen eigenen Hass runter.
Wenn man mit dem Fokus auf „Antisemitismus“ durch die Welt geht, wird man überall Antisemitismus finden. Dasselbe gilt für jedes andere Thema.
Bin sprachlos über die Inkompetenz des schreibenden. Kopfschütteln 🤦🏻♀️