Studentischer Debattenkultur und Meinungsfreiheit an der hallischen Universität dürften, wie an so vielen Hochschulen, schwere Zeiten bevorstehen. Zumindest, wenn es nach dem Willen einer Gruppe besonders engagierter Bürokraten geht, die derzeit im Studierendenrat der hallischen Universität tonangebend ist. Die jüngste lokale Episode einer weithin zu beobachtenden aggressiven Cancel Culture gipfelte vorläufig am 17. September 2021 in einem aufgebrachten Mob von circa 100 Leuten. Er schickte sich an, eine Diskussionsveranstaltung des AK Antifaschismus, ein Arbeitskreis des hallischen Studierendenrates, mit dem Titel „Austreibung der Natur. Zur Queer- und Transideologie der Gegenwart“ in der VL-Kneipe in der Ludwigstraße 37 zu sprengen. Die lautstarke Auslebung der Natur vor dem Zaun und das Bedrohen von Besuchern vermochten allerdings nicht zu verhindern, dass mehr als 200 Interessierte den Vorträgen zu den Fallstricken der Queertheorie folgen konnten. Unterdessen wurde vor dem Gelände ein verleumderisches Flugblatt des AK que(e)r einsteigen – ebenfalls ein Arbeitskreis des Stura – verteilt, das die Veranstalter nicht nur der üblichen Ismen, sondern darüber hinaus schwerer Sexualstraftaten bezichtigte. Online wurde zum Verfassen von Beschwerden an die Universität aufgerufen. Bei einem zweiten Vortragsabend, der sich unter dem Eindruck dieses Entrüstungssturms, nebst den gesellschaftlichen Konsequenzen der Transideologie, den Aktivisten und ihrem Bedürfnis widmete, fiel der Protest so klein aus, dass er bereits vor Beginn die Tische einklappen musste.
Damit hatte sich die Angelegenheit jedoch nicht erledigt. Im Gegenteil: Der Ausschluss eines Punkerpärchens von einer als Open Mic angekündigten Gegenveranstaltung des AK que(e)r einsteigen – einzig weil es vorher den Vorträgen des AK Antifa beigewohnt hatte und damit nun allein kraft seiner Anwesenheit scheinbar den Safe Space bedrohte – bot einen Vorgeschmack darauf, wie von der Sturamehrheit mit Kritik an ihrer inoffiziellen politischen Linie umgegangen wird. Die mit dem Queer-AK personell und vor allem ideologisch verbundenen Hochschulgruppen der Grünen Jugend, der Jusos sowie die Offene Linke Liste, welche zusammen über zwei Drittel der Sitze im Stura verfügen, stellten prompt den, vermutlich schon lange in einer Schublade liegenden Antrag, den AK Antifaschismus aufzulösen. Der Verbotsantrag wurde von einer ehemaligen Sprecherin des Gremiums, die in der Vergangenheit auch schon mal ungestraft interne Emails zum Sicherheitskonzept gefährdeter Veranstaltungen veröffentlichte, mit einem angeblichen Vertrauensverlust begründet. In Wahrheit ging es der, den Stura dominierenden, sich gegenseitig die Posten zuschusternden Clique natürlich einzig darum, einen Arbeitskreis abzustrafen, der sich weigert, einer bewusst mit Betroffenheit und wechselnden Positionen spielenden politischen Linie zu fügen und der nicht bereit ist, einen Kotau vor den ewig Beleidigten abzuleisten. Dass sie sich mit dieser Art der Anti-Antifa-Arbeit – denn nichts anderes bedeutet die Auflösung der ältesten, die linken Debatten in Halle seit Jahren prägenden Antifa-Gruppe – vor allem den Applaus des Stadtnazis Sven Liebich und der Magdeburger Antiimperialisten einfingen, während der AK Antifa, trotz einer konfliktreichen Geschichte, zahlreiche Solidaritätsbekundungen aus der hallischen Linken erhielt, brachte keinen der Antragsteller zum Zweifeln. Man bemühte sich stattdessen um siegessicheres und geschlossenes Auftreten.
Ganz so leicht, wie die Antragsteller es sich erhofft hatten, verlief die entscheidende Sitzung des Studierendenrates dann doch nicht. Die hauseigene Bürokratie, hinter der sie sonst ihr Sanktionsbedürfnis verstecken, legte ihnen unerwartet Steine in den Weg. Durch die Einberufung eines Mediationsverfahrens durch eine kleinere Stura-Fraktion, wurde die Auflösung des Arbeitskreises vorerst beiseitegeschoben. Die eigens für das Verfahren ausgearbeitete Änderung der Geschäftsordnung offenbarte dafür erneut die autoritären Sehnsüchte der Auflösungsfraktion, die in ihrem Demokratie- und Rechtsverständnis offenbar dem Stalinismus nachzueifern und sich mit dessen Agenten zu identifizieren scheint. Das Ergebnis des sogenannten Mediationsverfahrens, das weit treffender mit Disziplinarausschuss zu bezeichnen wäre, läuft unabhängig von seinem Ausgang auf eine Repression des Arbeitskreises hinaus. Ein Scheitern der Gespräche zöge den erneuten Auflösungsversuch nach sich, bei einem Gelingen sähe er sich – „Kritik und Selbstkritik“ lässt grüßen – mit einer mehrmonatigen Erprobungsphase konfrontiert, in der sich der Stura sämtliche Beschlüsse des Arbeitskreises vorlegen lässt und Wege finden wird, diese nach Gutdünken zu torpedieren. Dass davon reger Gebrauch gemacht werden würde, bewies die kommentarlose Ablehnung eines gängigen Förderantrags des AK. Sanktionen durch die Mediation kämen so lange einem Arbeitsverbot gleich, wie es das linke Stura-Kartell möchte. Die Möglichkeit eines konstruktiven Verfahrens und Aushaltens inhaltlicher Differenzen wird gar nicht erst in Erwägung gezogen. Ein Ergebnis, das auch den anderen Arbeitskreisen, die sich fast sämtlich gegen das Vorgehen des Stura aussprachen, Sorge bereitet. Denn allen ist klar, dass sie die Nächsten sein könnten, die arbeitsunfähig gemacht werden, weil ein verbohrtes und verstocktes Mitglied Halbwahrheiten und Unterstellungen über sie verbreitet.
Mit diesem Vorgehen stimmen die genannten Stura-Parteien in den internationalen Chor einer zunehmend totalitär agierenden, identitären Bewegung innerhalb der Gegenwartslinken ein. Sie setzt weniger auf Verbote konkret abweichender Positionen, sondern richtet sich vielmehr gegen all jene, die nicht im Gestus permanenter Unterwerfung unter die neueste politische Mode auftreten. Ob das beherzte Engagement dem ins Kinderparlament abgeschobenen Teil der Parteijugend den nötigen Karriereschub bringt, wird sich zeigen. Zu befürchten steht jedenfalls, dass derartige Kampagnen anderswo und auch in Halle in den nächsten Jahren häufiger und schärfer geführt werden.
Umso wichtiger finden wir es, jene zu unterstützen, die sich gegen diese Tendenz stemmen. Aus diesem Grund, und um die inhaltliche Diskussion weiterzuführen, veröffentlicht die Redaktion dieser Zeitschrift sowohl die inkriminierten Vorträge der Referenten des Arbeitskreises, als auch eine Reihe ausgewählter Texte, die den alltäglichen Wahnsinn in und um den hallischen Stura dokumentieren. Allen, die sich in Halle und anderswo freiwillig in solche Auseinandersetzungen begeben, wünschen wir nur das Beste.
[…] Editorial. […]
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