Die Bücherlandschaft in Halle ist reicher geworden. In unmittelbarer Nähe zum Marktplatz liegt die Kohsie, eine selbsternannte Diversity-Buchhandlung. Ihr Name setzt sich aus dem englischen Wort „cosy“ – gemütlich – und dem Pronomen „sie“ zusammen. Beides ist Programm: Betreiberin Sarah Lutzemann ist stolz darauf, dass die Ladenfläche einem Wohnzimmer gleicht, in dem sich jeder wohlfühlen soll. Die angebliche Gemütlichkeit stellt sich bei näherer Betrachtung als Instagram-taugliche Idylle junggebliebener Mittdreißiger heraus: Weiße Ikea-Bücherregale wechseln sich mit Blumenmustern ab, die Bücher sind größtenteils nach Farbe sortiert, überall stehen frische Blumen herum, an den Wänden baumeln ausgestanzte Buchstaben und anbiedernde Sprüche, die Zeugen des schlechtesten Geschmacks sind. Das liegt im Trend. Was nämlich besonders originell und einladend daherkommen soll, findet sich so ähnlich in jedem zweiten Geschäft in der hallischen Innenstadt wieder. Längst werden dort nicht einfach mehr Produkte beworben, man sorgt sich stattdessen um das Wohlbefinden der Kunden – egal ob Dekorationsbedarf, Kunstbude oder eben Buchhandel. Abgerundet wird der Auftritt der Kohsie vom hauseigenen Slogan, den die Inhaberin gerne ihren Besuchern vorab in den Mund legt und in die Mikrofone des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) säuselt: „Ich gehe mal kurz zu Kohsie und kaufe mir noch ein Buch.“ Das klingt dann doch eher nach Edeka- oder Real-Markt.
Hinsichtlich der Bücherauswahl kann der Laden – Stichwort: „sie“ – dann aber doch mit einem Alleinstellungsmerkmal aufwarten. Auf den 60 Quadratmetern, die zur patriarchatsfreien Zone erklärt wurden, werden ausschließlich Bücher von „weiblichen und diversen Autor*innen“ ausgestellt. Damit hat man einen Nerv getroffen. Sarah Lutzemann und ihr Mann Danny, der auch im Geschäft mithelfen darf, konnten sich vor Interviews kaum noch retten. Vom MDR über die Mitteldeutsche Zeitung bis zum Börsenblatt des Deutschen Buchhandels und unzähligen Blogs, die sich mal an Bücherwürmer, mal an queere Aktivisten richten, war alles dabei. Selbst eines der größten hallischen Immobilienbüros ließ es sich nicht nehmen, das schlechte Image der Branche aufzupolieren und ließ die Inhaberin zu Wort kommen. Der Tenor war einhellig: So eine Buchhandlung fehlte noch in Halle. Wie sehr die Gendersensibilität in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, müssen die Besitzer der Kohsie natürlich leugnen. Ihr Geschäftsmodell beruht darauf, sich selbstbewusst und widerständig gegen eine Welt zu stemmen, die so schon gar nicht mehr existiert. Das gilt natürlich nicht nur für Fragen des Geschlechts. Triumphierend verkündet Sarah Lutzemann, dass man in ihrer Buchhandlung das Kinderbuch Der Struwwelpeter nicht bestellen könne. Dabei unterstellt sie natürlich, dass die furchtbaren Geschichten aus dem Struwwelpeter noch immer zum pädagogischen Kanon gehören würden und das Buch bei Thalia und Co. auf den Bestsellerlisten stünde – und eben nicht bei Oma auf dem Dachboden vor sich hin modert.
Mit dem Rausschmiss der Männer aus den Regalen ist es für die Inhaber der Kohsie aber nicht getan. Ihr Kampf ist intersektional. Deshalb kann man bei ihnen keine Bücher kaufen, die „Rassismus reproduzieren oder rassistische Sprache beinhalten“. Wie die ganze Gesellschaft muss schließlich auch der Buchhandel von der Vorherrschaft der weißen Männer befreit werden. Was braucht es dafür noch? Natürlich Sichtbarkeit und Repräsentation. Um die ungehörten Stimmen endlich zu Wort kommen zu lassen, hat man sich etwas ganz Ausgefuchstes überlegt: In mühevoller Kleinstarbeit wurden alle Autoren, deren Bücher man vertreibt, nach „Race, Gender und Herkunft“ selektiert. Auf der Website können Interessierte nun die gesammelten „Identitäten“ der Schriftsteller einsehen, inklusive schöner bunter Kreisdiagramme. So anschaulich war Diversity noch nie. Ihr Geschlecht dürfen sich die Künstler zwar frei aussuchen, dafür werden sie jedoch fein säuberlich nach Rassen getrennt und an ihre Herkunft gefesselt. Der heutige Antirassismus erklärt zum unentrinnbaren Schicksal, was noch dem bürgerlichen Freiheitsversprechen zufolge eine Nebensache hatte sein sollen.
Selbstredend darf es – gerade in Deutschland – nicht einfach beim Datensammeln bleiben, man muss auch etwas daraus machen. Folgerichtig wurde eine App entwickelt. „Auf Knopfdruck“ können die Betreiber der Kohsie die Identitätskategorien beliebig kombinieren und zielgenau ein Buch aus dem Regal fischen, dessen Autor genau in das gesuchte Profil passt. Wie beliebt die App bei den Kunden ist, lässt sich bisher nicht mit Sicherheit sagen. Man darf aber vom Schlimmsten ausgehen. Denn die Freunde der Diversity haben bisher noch jeden Trend mitgemacht, der sich als irgendwie fortschrittlich und minderheitenfreundlich darzustellen wusste. Und so ist nicht auszuschließen, dass die Kohsie tatsächlich die Routine des Bücherkaufens verändert: Bisher war es verbreitet, sich zur Buchhandlung aufzumachen mit einem kleinen Notizzettel, auf dem man Autorennamen und Titel vermerkte. Ab jetzt könnte dieser auch so aussehen: „Einmal weiß, cis-weiblich, nordamerikanisch; einmal BIPoC, trans-weiblich, ozeanisch; und dazu noch einmal non-binär aus Europa.“ Wen interessiert denn schon, was in einem Buch drinsteht?
axel
[…] Wen wollt ihr eigentlich verarschen? Klara Stock und Co.: Holocaustrelativierung light. Geschäftsmodell Racial Profiling. […]