Am Donnerstag, den 14. April 2022, fand in Halle eine Demonstration unter dem Titel „Raise Your Voice Against Terfs“ statt, organisiert vom neugegründeten Radikalen Flinta+ Kollektiv Ost. Schon Tage vorher wurde mit einem Mobilisierungsvideo zum Protest aufgerufen. Dessen Inhalt ist schnell wiedergegeben: vier Personen, mit rosa Skimasken auf dem Kopf, laufen durch die verlassene hallische Innenstadt; mal geht es in Manier der Beatles über einen Zebrastreifen; mal bringen sie in der hinterletzten Ecke, die ansonsten nur den hiesigen Nachtschwärmern als Pissoir dient, ihre Parolen an; mal treten sie auf einem ausgedruckten Blatt Papier mit der Aufschrift „Terfs“ herum. Unterlegt ist das Video mit einem der beliebtesten Rap-Songs der queeren Szene, der hinsichtlich Gewaltfantasien dem sonstigen Deutschrap in nichts nachsteht. Gepaart mit diesem Internetauftritt, waren in Halle in letzter Zeit immer wieder Hassparolen zu sehen, die sich bezeichnenderweise vor allem gegen Frauen richten, die sich nicht mit Sternchen schreiben und es wagen, die Umtriebe des Queeraktivismus zu kritisieren. Angesichts solch großspurigen Auftretens schickten wir einen unserer Reporter los, um sich die Veranstaltung etwas genauer anzusehen. Es entwickelte sich, selbst für hallische Verhältnisse, eine der skurrilsten Demonstrationen der jüngeren Vergangenheit. Der Irrsinn lohnt sich festgehalten zu werden. Deshalb ein kurzer Demobericht unseres Korrespondenten.
Ankunft am Startpunkt der Demonstration: Genauso bieder wie das Wetter an diesem Tag war auch die Protestgemeinschaft. Versprengt in einzelne Grüppchen, stand man am Versammlungsort herum, der Betonwüste, die sich Steintor nennt. Besonders ins Auge stach ein Trüppchen aus Gera. Dieses hatte sich vom dortigen Kegelclub die Idee der einheitlichen Trainingsjacken abgeguckt und zeitgemäß umgesetzt: Es stand zusammen in Kapuzenshirt samt Vereinsname und -logo. Allen gemein war die Langeweile, die ihren vollendeten Ausdruck darin fand, dem eigenen Telefon mehr Aufmerksamkeit zu schenken als seinen Mitmenschen.
Kurz darauf kamen Unruhe und Hektik auf. Aus einer Nebenstraße stieß eine weitere Gruppe hinzu. Für das wenig szenekundliche Auge war nicht gleich zu ermitteln, aus welchem Grund die Neuankömmlinge mit Argwohn betrachtet wurden, glich ihr Erscheinungsbild doch überwiegend dem der Herumstehenden. Schnell wurde jedoch klar, dass es sich nicht um Freunde der Veranstalter handelte. Denn das anwesende Queervölkchen kannte sich trotz mangelnder Unterhaltungen doch ganz gut – Twitter, Instagram und Tik Tok sei Dank. Eine Handvoll emsiger Ordner versetze auch den Letzten, der es noch nicht mitbekommen hatte, in Alarmbereitschaft. Diesen Moment allgemeiner Aufmerksamkeit nutzten die Hinzugekommenen und verteilten mitgebrachte Flugblätter. Auch ich nahm zwei verschiedene entgegen. Der Lesestoff, der von der Gruppe Artemis und der AG No Tears for Krauts verteilt wurde, stieß auf wenig Gegenliebe. Zum einen mag das daran liegen, dass die Queeraktivisten ohnehin ungern lesen – davon kann ein ortsansässiger Bücherladen ein Lied singen. Gegründet vor einem knappen Jahr und spezialisiert auf intersektionale und queerfeministische Literatur, mussten dessen Inhaber bereits öffentlich ihre Klientel anbetteln, doch bitte sämtliche Bücher bei ihnen zu kaufen, um den nächsten Sommer noch zu überstehen. Zum anderen gingen die meisten Anwesenden mit der Kritik wie Kleinkinder um und zerrissen das Papier, um ja nicht mit Unbekanntem konfrontiert zu werden. Von den anderen Demoteilnehmern erwarteten sie offenbar dasselbe.
Irritiert, dass es Leute gab, die mit dem modus operandi des queeren Aktivismus nicht vertraut waren und ohne Vorbehalte zugriffen, als ihnen eine Flugschrift angeboten wurde, brauchten die Ordner einen Moment, um geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Konspirativ steckten sie erst mal die Köpfe mit der anwesenden Polizei zusammen, um zu beraten, wie man sich der Störenfriede entledigen könnte. Nachdem ihnen das „Repressionsorgan“ Nachhilfe im Fach Pluralismus und Meinungsfreiheit erteilt hatte, kehrten die Ordner unzufrieden zurück. Mehr Erfolg versprach die Rückkehr zum altbekannten Muster: Ohne zu wissen, was in den Texten geschrieben steht, wirkte Team Awareness auf die Anwesenden ein und beeilte sich, sämtliche Flugblätter einzusammeln. Was beim eigenen Anhang noch funktionierte, schlug bei interessierten Passanten fehl. Leicht überfordert von der Situation startete man einen dritten Versuch. Nun kam die Diplomatie zum Zug. Die Ordner unterbreiteten den Flugblattverteilern das Angebot, ihre Texte einzupacken und im Gegenzug weiter auf der Demonstration verbleiben zu dürfen. Wohlwollend kamen diese der Bitte nach und tauschten die Flugblätter gegen ein mitgebrachtes Transparent aus, auf dem zu lesen war: „Für den Feminismus! Gegen den linken Totalitarismus“.
Schon optisch hob sich das Banner von vielen anderen ab – sah es doch nicht so aus, als hätte man zehn Jutebeutel zusammengenäht und auf dem Weg zur Kundgebung noch schnell besprüht. Unter kräftiger Mithilfe einer Vielzahl von Queeraktivisten entfaltete das Transparent seine Wirkung: Sie wandten die bekannte Vorgehensweise an, sich selbst vor Schriftzügen zu platzieren, um Betroffene vor dem Lesen vermeintlicher Unzumutbarkeiten zu schützen. Dass sie damit nochmals bewiesen, wie wenig sie mit Kritik umzugehen imstande sind – geschenkt. Denn eine Aktivistin sollte nochmal eine ordentliche Schippe drauflegen: Im Zuge des Getänzels um das Transparent kam es zu leichten Schubsereien, die die Polizei auf den Plan riefen. Besagte Aktivistin behauptete nun, sie sei dabei „begrapscht“ worden. Ein schwerer Vorwurf, allemal. Folgerichtig ermutigte die Polizei sie, Anzeige zu erstatten. Im sich entwickelnden Gespräch stellte sich jedoch heraus, dass mitnichten strafrechtlich Relevantes passiert war. Diese Situation steht sinnbildlich für die Tendenz innerhalb der queeren Szene, sich in politischen Auseinandersetzungen jeder Boshaftigkeit zu bedienen.
Es folgte der erste, nicht weiter erwähnenswerte Redebeitrag. Sodann setzte sich der Demozug in Bewegung. Aber auch das lief nicht reibungslos ab. Das Grüppchen hatte solche Probleme beim kleinen Demo-Einmaleins, dass die Polizei immer wieder nachhelfen musste: mal waren die Abstände inmitten des Aufzugs zu groß, mal lief man auf der falschen Straßenseite. Nicht ganz zu Unrecht berichteten deshalb stadtbekannte Twitterjournalisten davon, dass „einige Personen mit einem Banner der ‚AG No Tears for Krauts‘ immer wieder [versuchten], die Spitze der Demo zu bilden“. In der Tat hatte es den Eindruck, dass unter der Regie der Gruppe Artemis und der AG No Tears for Krauts der vordere Teil des Protestzugs deutlich besser organisiert war. Sichtlich genervt davon, dass selbst bei den eigenen Leuten diese Intervention als erfolgreich angesehen wurde, trotteten einige der Queeraktivisten neben oder vor dem Banner umher. Nach etwa einer Stunde verließen die Helfer in der Not die Demonstration dann wieder. Im Nachgang sollte unter den radikalen Queers keine rechte Stimmung mehr aufkommen.
Den nächsten Zwischenstopp legten sie am August-Bebel-Platz ein, also da, wo die Subkultur der Guten ihr Zuhause hat. Standesgemäß wurde das Heimspiel mit zwei Redebeiträgen bestritten. Auch die Gruppe Migrant Voices ließ sich nicht lumpen und trat ans Mikrophon. Extra aus Magdeburg war eine Person angereist, um ihre wilden Assoziationen zum Thema Intersektionalität abzuladen. Los ging es mit Antikapitalismus und Antiimperialismus: „Alle Linken wollen eigentlich antikapitalistisch und antiimperialistisch sein“, raunte es über das lauschende Häuflein hinweg. Es hätte sich eigentlich auch bis nach Magdeburg herumsprechen können, dass es gute Gründe gibt, sich als „Linke“ gegen Antikapitalismus und Antiimperialismus zu stellen. Gerade in der sachsen-anhaltischen Landeshauptstadt sind diese beiden Begriffe Chiffren für „Juden ins Meer“. Das aber wird auch der Grund sein, warum man sie partout nicht hinterfragen kann. Dem Leser sei der Lebenslauf der Rednerin erspart, der bei den Freunden der Intersektionalität mindestens die Hälfte jedes Vortrags ausmachen muss. Sie hatte auch wenig Lust, inhaltlich etwas beizutragen, und verwies lieber auf einen Zeitungsartikel, den die Zuhörer lesen sollten. Nach den obligatorischen Jubelarien ging der Rundgang weiter und endete eine Dreiviertelstunde später am Campus der Universität.
Wer an diesem Tag nicht gesehen wurde, waren die Organisatoren vom Radikalen Flinta+ Kollektiv Ost. Es liegt auch nahe, dass sie bei ihrer eigenen Demonstration gar nicht anwesend waren, denn sie bedankten sich bei Instagram für eine „erfolgreiche erste Aktion“.
[axel]
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