Halle hat einen neuen Preisträger. Ein lokales Friseurunternehmen gewann den Wettbewerb »Beste Arbeitgeber in Sachsen-Anhalt«. Ausgerichtet wurde der Landeswettbewerb vom Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration in Zusammenarbeit mit »Great Place to Work«, einem Unternehmen, das Arbeitgeber bei der Gestaltung eines attraktiven Arbeitsplatzes berät. Zur Auszeichnung gratulierte herzlichst Thomas Keindorf, seines Zeichens Landtagsabgeordneter der CDU und Präsident der Handwerkskammer Halle. Er freute sich: »Neben Innovation, Loyalität, Wertschöpfung und Offenheit zeichnet sich das Unternehmen dadurch aus, dass die Bedürfnisse der Mitarbeiter und Auszubildenden in den Mittelpunkt gestellt werden«.
Heißt das etwa, dass man bei diesem Friseur einen Lohn erhält, von dem es sich leben lässt? Vielleicht sogar schon während der Ausbildung? Bekanntermaßen hat man in dieser Zeit trotz Vollzeitjob oft kaum Geld zur Verfügung. In Westdeutschland lag das Durchschnittsgehalt von Friseurlehrlingen 2017 bei gerademal 522 Euro – im Osten fällt es häufig noch deutlich geringer aus, mancher Azubi arbeitet für weniger als 200 Euro monatlich. Dem Azubiflüsterer Keindorf ging es allerdings gar nicht darum, wie viel das ausgezeichnete Unternehmen zahlt. Ihm gilt es nicht als »Bedürfnis der Auszubildenden«, mehr als nur ein Taschengeld für die tägliche Schinderei zu bekommen. Denn er fuhr fort: »Die Persönlichkeit eines Unternehmers fällt auch bei der Entscheidung junger Menschen für eine Berufsausbildung stärker ins Gewicht, als es die politischen Debatten über einen staatlich verordneten Ausbildungs-Mindestlohn suggerieren.« Ein attraktives Arbeitsumfeld dient dem Handwerkslobbyisten dazu, die Kritik an der gemeinhin schlechten Bezahlung von Lehrlingen wegzufrisieren – natürlich ganz in deren Interesse. Wenn es um Ausbeutung und ihre Rechtfertigung geht, hält man in der Provinz überraschend gut mit dem Zeitgeist mit.
Rundum nachvollziehbar ist es, dass junge Menschen ihre Ausbildung in einem Betrieb absolvieren möchten, in dem ein angenehmes Klima herrscht, sie ernst genommen werden und wirklich etwas lernen. Wir sind uns aber sicher, dass sich die Auszubildenden nicht nur für die Persönlichkeit ihres Chefs interessieren, sondern wesentlich für ihr Gehalt. Gegen eine Ausweitung des Mindestlohnes auf die Ausbildungszeit hätten sie gewiss nichts einzuwenden. Deshalb, lieber Herr Keindorf, achten Sie beim nächsten Friseurbesuch besser darauf, nicht an einen Lehrling zu geraten, der Ihnen aus Loyalität zu seinen Azubikollegen die Haare besonders schön schneidet. [pse]
Der Azubiflüsterer
24. August 2018 von bonjour tristesse
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