Wenn die Grenzen für Flüchtlinge dicht gemacht werden, die AfD bei den Wahlen in Sachsen-Anhalt ordentlich abräumt, sich die Hetze gegen die Neuankömmlinge viral im Internet austobt und der Nazi-Alkoholiker-Selbsthilfeverein Brigade Halle am 25. Juni zum Aufmarsch in das Plattenbauviertel Silberhöhe lädt, fühlt sich der gemeine hallische Antifaschist mehr als hilflos. Wirksame Aktivitäten sind kaum möglich. Die Silberhöhe ist zivilisatorisches Brachland, der Internetmeinungsmob unbeeindruckbar. Gerade aufgrund der eigenen Bedeutungslosigkeit – Polizei und Justiz schaden in weiten Teilen der Republik den Nazis weit mehr als die örtlichen Antifa-Gruppen, und Nazis finden sowieso alle doof – juckt es der Antifa in den Fingern. Einfach nur Zuhause zu sitzen oder zum Badesee zu fahren, kommt nicht infrage. So einfallsreich wie Halle gegen Rechts und No Halgida – die bei jedem Naziaufmarsch zur immer gleichen Fahrraddemo aufrufen und nach jedem Naziübergriff eine Spontandemonstration organisieren, auf der auch mal Regierungsparteivertreter sprechen und man sich via Lautsprecher auf die nächste Spontandemonstration freut – ist man nämlich allemal. Wohl die Aufforderung »Tu was!« des autonomen Selbstbespiegelungsbarden Quetschenpaua im Hinterkopf, sagt man sich, dass man schließlich irgendetwas machen muss. Irgendwas muss doch gehen, um die eigene Ohnmacht zu überwinden. Da einem nichts Gescheites einfällt, werden also kurzerhand zwei Häuser in Halle besetzt. Das läuft dann so: Man verschafft sich Zutritt zu unbewohnten Häusern, hängt ein paar Transparente aus den Fenstern und verzieht sich wieder. Da dies allein die Gesellschaft noch nicht zu Fall bringen dürfte, wird gleich noch ein ungewöhnlich umfangreiches Bekennerschreiben hinterhergeschoben. Genauso beliebig wie die Aktionsform selber ist die Erklärung der sich verantwortlich zeichnenden Gruppe gegen die deutsche Normalität: Ein Rundumschlag gegen Nazis, kommunale Sachbearbeiter, Fremdenfeinde und – natürlich – gegen Staat und Kapital. Drunter macht man es nämlich nicht. Arg bemüht wirkt es dann, wie alle »Symptom[e] eines gesellschaftlichen Mit- oder vielmehr Gegeneinanders« miteinander in Beziehung gesetzt werden. So seien »Nazis die konsequenteste Ausprägung von Ideologien, die von der staatlich und kapitalistisch verfassten Gesellschaft notwendig immer wieder hervorgebracht werden« – ganz so, als wäre die Existenz der Brigade Halle ein Naturgesetz. Und ganz so, als passte zwischen den Nazis und der deutschen Mehrheitsbevölkerung kein Blatt. Dass sich gerade Deutschland im letzten Jahr als Willkommensweltmeister inszenierte und eben nicht das gleiche tat wie die Nazis oder andere besorgte Bürger, ist den hallischen Hausscheinbesetzern offenbar entgangen. Beziehungsweise musste es von ihnen ignoriert werden, da die eigene Legitimationsgrundlage flöten ginge, würde man sich eingestehen, dass die deutsche Regierung zumindest eine Zeit lang effektiver auf Antira machte als man selbst. Auch das Abarbeiten am »Kapital« oder der »kapitalistischen Verwertungslogik« hat gerade im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise wenig mit der Realität zu tun, waren es doch weite Teile der deutschen Wirtschaft, die dem massenhaften Zuzug von möglichen – oft jungen – Arbeitskräften freudig entgegen sahen. Ein besseres Verständnis wiederum hat man von den Sorgen und Nöten der Nazis. Diese haben anscheinend keine andere Wahl, als gegen alles Fremde zu hetzen. Schließlich seien es die Rassisten, die »an ihren Opfern all jene Gewalt und jene psychischen Verstümmelungen ausüben (wollen), die ihnen jeden Tag in dieser Gesellschaft angetan werden und die sie sich in vorauseilender Disziplinierung selbst tagtäglich antun.« Da man aber den Flüchtlingen zu Recht nicht zumuten will, in der Silberhöhe untergebracht zu werden, fordert die Gruppe gegen die deutsche Normalität eine freie Wohnungswahl für die Neu-Hallenser. Es spricht absolut nichts dagegen, richtige Forderungen aufzustellen, von denen man weiß, dass sie sowieso nicht erfüllt werden. Die Beliebigkeit der Begründung für die Scheinbesetzung wirkt allerdings, als ginge es vor allem darum, sich vorzugaukeln, man hätte auch nur ein bisschen Einfluss auf irgendetwas in der Saalestadt.
Tu was, tu was, tu was!
9. Dezember 2016 von bonjour tristesse
Veröffentlicht in Zeitung | 3 Kommentare
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Fasse zusammen: Wenn die Grenzen für Flüchtlinge dicht gemacht werden macht die deutsche Regierung Antira.
@Do: Diese Kausalität haut so nicht hin.
In dieser Vortragsankündigung werden die Probleme des Antirassismus als Ideologie der feinen Gesellschaft umrissen:
„Antirassismus, früher ein Steckenpferd linker Kleingruppen, ist längst deutsche Staatsraison geworden: moralische Empörung gegen vermeintliche Rassisten und die Solidarisierung mit Flüchtlingen gehören zum guten Ton der Berliner Republik. Die dieser Haltung zugrundeliegende Vorstellung von „Rassismus“ hat mit Einsicht in geschweige denn Analyse von Fremdenhaß selbstverständlich rein gar nichts zu tun: „Rassismus“ ist vielmehr ein ideologisches Stichwort eines anti-rassistischen Rackets, das jeglichen Realitätsbezugs entbehrt, das seine Mitglieder vielmehr nur als Ausweis von Gesinnungsfestigkeit und Ehrbarkeit vor sich hertragen und das ihnen als probates Mittel dient, um nach Willkür und freiem Ermessen festzulegen, wer gerade als „Rassist“ zu gelten hat. „Antirassismus“ ist die Ideologie der feinen Gesellschaft, die mit dem politischen Islam kollaboriert und schon deswegen eine flexibel einsetzbare und über jeden Verdacht erhabene, d.h. „antifaschistische“ Feinderklärung gegen all jene benötigt, die diese Kollaboration beim Namen nennen. Flüchtlinge sind Träger einer Kultur, die „uns“ bereichert, andere Kulturen, gerade der Islam, sind unbedingt zu respektieren und zu achten – und wer dies anders sieht, ist ein Rassist, Fremdenfeind oder gar ein Nazi. Die als „Willkommenskultur“ vermarktete Massenmobilisierung von 2015/16 war in dieser Perspektive eine Mischung aus islamophilem Kindergeburtstag und antirassistischem Volkssturm, bei der es natürlich nicht um Flüchtlinge ging, sondern um die Selbstdarstellung der guten Deutschen und um einen weiteren Anlauf im endlosen Bemühen, die postnazistische Gesellschaft zum multikulturellen Stammesverband umzurüsten.
Der Vortrag zeichnet die Grundlinien dieses Prozesses nach, unter besonderer Berücksichtigung des Sozialcharakters, der sich darin ausspricht und mit besonderem Augenmerk auf alle jene Kapitulanten des Intellekts, die sich bis in antideutsche Kreise hinein als Schönredner dieser dieser kommunitären Regression und der darin einbegriffenen Islamisierung betätigen.“
(Ankündigung eines Vortrags mit Clemens Nachtmann: http://belleviehannover.org/events/antirassismus-als-ideologie-der-feinen-gesellschaft)
Das Selbstverständnis nahezu aller zivilgesellschaftlicher Organisationen, die aus staatlichen Mitteln finanziert werden ist antirassistisch. Dass dieser zur Staatsraison gewordene Antirassismus ein falsch verstandener, da kulturrelativistischer Antirassismus ist, lässt sich am Bsp. der Anfeindungen gegen Deutschlands bekannteste Feministin zeigen:
Weiterhin lesenswert: „Wir waren alle naiv“
http://www.aliceschwarzer.de/artikel/wir-waren-alle-naiv-333351
Alice Schwarzer über den politischen Islam, Rassismusvorwürfe und die Widersprüche der Linken.