An der Kunsthochschule Burg Giebichenstein gibt es zwar keine ordinären Rassisten, hierfür jedoch eine unstillbare Nachfrage nach gruppentherapeutischen Sitzungen, in denen es vorrangig um die eigenen Gefühle und Befindlichkeiten geht. Längst gibt es an der Burg ein breites Programm an Seminaren, das ausreichend Raum für die Ich-Pflege bietet. Nebenher fällt massenhaft Zeit bei den regulären Lehrveranstaltungen ab, um sich losgelöst von objektiven Zumutungen – Tatsachen, Wahrheit, Logik etc. – gemeinsam mit den Kommilitonen und Dozenten der Seeleninventur zu widmen. Aber niemals könnte das Angebot den Bedarf decken. Alle Bemühungen zur Abhilfe nehmen sich aus wie die Wasserpistole vor dem Waldbrand. So überrascht das breite Interesse nicht, auf welches das Anti-Rassismus-Training stieß, das jüngst an der Hochschule durch Phoenix e.V. angeboten wurde. Bereits im Vorfeld versprach das Trainingskonzept des Vereins für alle Familienangehörigen der Burg – Mitarbeiter, Studenten und Absolventen – ein ungestörtes Workout für die eigenen Befindlichkeiten. »Das Anti-Rassismus-Training hilft, die Eingebundenheit der eigenen Persönlichkeit in rassistische Denk- und Gefühlsmuster zu erkennen und einen Bogen zu schlagen zu der rassistischen Prägung in der Sozialisation«, so der Verein, der mit seinem Seminar vor allem »den Kontakt zum eigenen Ich verstärken« will. So wird der Selbstbespiegelung der Vorzug gegenüber lähmender Begriffsklärung gegeben. Ein Trainingskonzept, welches hervorragend zu den Wünschen und Fähigkeiten der Hochschulangehörigen passt.
Das Therapieangebot des Vereins richtet sich ohnehin weniger an gestandene Rassisten. Vielmehr soll eine andere Bevölkerungsgruppe therapiert werden: »Wir halten die Teilnehmer dazu an, sich nach dem Konzept der Critical Whiteness, des kritischen Weißseins, mit ihrer Rolle im System des Rassismus auseinander-zusetzen. Hierbei geht es uns darum, die Teilnehmenden aufzubauen. Gesellschaftlich können wir auf Dauer nur etwas verändern, wenn viele Menschen anfangen, das kleine und das große Geflecht des Rassismus zu erkennen, und bereit sind, sich zu fragen: Wer bin ich als Weiße? Wer bin ich als Weißer?« Dem tragenden Konzept nach, scheint Rassismus zuvorderst eine Frage der Hautfarbe zu sein. Dass die Mitarbeiter des Vereins das Sozialverhalten über die Abstammung erklären, dürfte die Teilnehmer an der Burg nicht gestört haben. Sie schätzen Critical Whiteness vor allem als ein Mittel zur Identitätsversicherung. Solange es noch Kommilitonen gibt, bei denen man sich nach dem Training die neuerworbene Sensibilität bestätigen lassen kann, haben sie auch mit Rassismus kein ernsthaftes Problem. Das selbstgerechte Gestöber nach ausgrenzenden Gefühls- und Denkmustern, diskriminierenden Strukturen und geburtsbedingten Privilegien findet aber eben darin seinen letzten Grund. Bei der Kontaktaufnahme mit dem eigenen Ich geht es natürlich nicht darum, irgendwelche Ressentiments auszutreiben. Solch eine kritische Auseinandersetzung ist nie aufbauend, sondern ein zäher und schmerzhafter Prozess, bei dem die ersten Reaktionen bekanntermaßen Fremdbezichtigung und Selbstrechtfertigung lauten. Stattdessen ist es vielmehr das Ziel, ein psychologisches Ticket in Besitz zu nehmen, mit dem eigene Unzulänglichkeiten und fremde Vorzüge erklärt werden können. Der großgewachsene, eloquente Kommilitone erscheint nach dem Empowerment irgendwie als Nutznießer kolonialistischer Privilegien. Die gutaussehende, talentierte Bekannte wirkt mit einmal wie eine oberflächliche Pute, die von ihrem latenten Rassismus nichts wissen will. So gewinnt das eigene Innenleben vorübergehend an Attraktivität und Tiefe, wo vorher nur Selbstzweifel vorherrschten. Die beständige Beschäftigung mit Diskriminierung und Vorurteilen trägt auch dazu bei, den Selbsthass zumindest für den Moment in Opferstolz zu verkehren. Nach dem Seminar fühlen sich die Teilnehmer nicht nur liebenswerter, sondern insgeheim natürlich auch als unverstandene Leidtragende fremder Vorurteile. Anstelle von Selbstvorwürfen tritt die Gewissheit, dass vor allem die Gemeinheiten der Anderen das eigene Glück verhindern. Somit braucht es keinen Rassismus, um den Antirassismus zu neuen Blüten zu treiben. Es reichen Menschen auf der Suche nach ihrem Ich, wie sie innerhalb der Burgmauern haufenweise zu finden sind.
Seelenkur Antirassismus
9. Dezember 2016 von bonjour tristesse
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