»Solche Vorfälle gab es in Westdeutschland nicht.«
Wie reagierten die staatlichen Behörden der DDR damals auf die Geschehnisse in Merseburg?
Was die Reaktion der SED und der Stasi angeht, entschied man sich, Morde aus politischen Gründen, also aus Rassismus, zu vertuschen und zu verdrängen. Die Tötung von Vertragsarbeitern aus Mosambik, Angola oder Kuba berührte den Anspruch deutscher Kommunisten nach proletarischer Internationalität und internationalen Verbindungen. Aus diesen Gründen vertuschte die oberste Partei- und Staatsführung grundsätzlich politische Tötungen.
Und kamen die Übergriffe in irgendeiner anderen Form in der DDR zur Sprache, zum Beispiel in der Literatur?
Nein, es gibt kein Blatt Papier, das öffentlich wurde, weder publizistisch noch wissenschaftlich. Lore Niederländer vom Kriminalsoziologischen Institut der Humboldt-Universität in Ostberlin hat 1989 begonnen, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen. Aber es gelang ihr nicht mehr, im gleichen Jahr zu publizieren. Im Frühjahr 1990 hat sie in der DDR-Zeitschrift Neue Justiz einen kleinen Aufsatz über Neonazis und Skinheads veröffentlicht. Und dann gab es noch einen Artikel, auf den ich mich anfangs gestützt hatte: In der Zeitung Kontext hat 1988 Konrad Weiß, ein Filmemacher, einen Text über Skinheads publiziert. Das war in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche. Ansonsten gab es nichts.
Ist der Vorfall von Merseburg eine Ausnahme in der DDR oder gehörte so etwas zur Normalität?
Der Fall von Merseburg reiht sich in eine ganze Reihe ähnlicher Vorfälle ein. Es gab über 200 Pogrome und pogromartige Angriffe in der DDR, bei denen tausende Personen aus über 30 Ländern verletzt und mehr als zehn Personen getötet wurden. Diese pogromartigen Angriffe sind ein spezieller Ausdruck des Rassismus in der DDR.
Gab es solche Vorfälle auch in der alten Bundesrepublik?
Nein, ich habe dazu auch geforscht und im Buch Rassisten in Deutschland meine Forschungsergebnisse vorgestellt. Der Rassismus in der Bundesrepublik und der DDR zeigte sich in unterschiedlichen Erscheinungen. Solche Vorfälle wie in Merseburg gab es in Westdeutschland nicht. Im Westen gab es Neonazi-Gruppierungen, die zum Teil im Untergrund operierten. Eine solche Gruppe tötete durch einen Brandbombenanschlag auf eine Wohnung zwei Vietnamesen, das war 1980 in Hamburg. Dieser Anschlag, und das ist das Erstaunliche dabei, kam aus dem Untergrund. In Merseburg hingegen hat ein fremdenfeindlicher Mob die beiden Kubaner getötet. Die Verbindung zwischen handelnden Neonazis und einem Publikum, das mit ihnen d’accord ging, gab es – wenn auch ohne Tötung – in Westdeutschland zum ersten Mal 1992 in Mannheim-Schönau. Hier trat erstmals auch in diesem Teil Deutschlands ein rassistischer Mob auf. Das gab es vorher nicht.
Auch die Vorfälle von Rostock-Lichtenhagen in den 1990er Jahren fanden im Osten statt. Ein gängiges Erklärungsmuster besagt, dass diese Pogromstimmung mit den Umbrüchen der Wendezeit in Verbindung steht. War das tatsächlich etwas Neues?
Nein. Die elementaren Veränderungen in Ostdeutschland, also der Einzug des westdeutschen Bürokratie- und Politiksystems und der private Kapitalismus, der dann abrupt einbrach, spielen natürlich eine Rolle. Aber die Vorkommnisse in Hoyerswerda 1991 und Rostock-Lichtenhagen 1992 haben eine Kontinuität, die von Mitte der siebziger Jahre reicht und sich bis in die Gegenwart fortsetzt. Fremdenfeindliche Lynchmobs, die durch die Straßen ziehen und auch bereit sind, unter Umständen zu töten und zu verletzen, sind eine ostdeutsche Besonderheit. In Zahlen ausgedrückt: Bis in die Gegenwart gibt es, gemessen an der Einwohnerzahl, zwei bis drei Mal mehr rassistische Übergriffe in den neuen als in den alten Bundesländern.
Der MDR-Beitrag der Sendung Exakt übergeht die Vorgeschichte des Abends in Merseburg. Es wird lediglich von einer Kneipenschlägerei gesprochen. Können Sie sich vorstellen, warum das der MDR in dem Beitrag auslässt?
Ich habe keine Vorstellung davon und kann diese Frage leider nicht beantworten.
Möglicherweise befürchtete der MDR, sein Publikum würde die Tat als gewöhnliche Schlägerei zwischen rivalisierenden Gruppen abtun, sobald man die Vorgeschichte erwähnt.
Dieser Gewaltexzess in Merseburg 1979 hatte aber auch eine Vorgeschichte dahingehend, dass es von den 1960er Jahren bis zum Ende der DDR in der Stadt und im Kreis Merseburg immer wieder rassistische Angriffe gegen Soldaten der GSSD oder gegen Studenten und Arbeiter aus Afrika, Kuba, Vietnam oder Polen gab. Dieser gewalttätige Rassismus in Merseburg war ein Teil des Rassismus, der im Bezirk Halle und in der DDR insgesamt stattgefunden hat.
Dennoch erbrachten die Recherchen des MDR, gerade auch durch Interviews mit Zeugen des Geschehens, wichtige neue Erkenntnisse über die Abläufe am 12. August 1979 in Merseburg. Dass wegen der Ermordung der beiden Kubaner Raul Garcia Paret und Delfin Guerra und der Vertuschung der Tat durch die oberste Staatsführung, Mielke, Honecker usw. gegenwärtig juristisch ermittelt wird, geht im Wesentlichen auf den Bericht des MDR zurück. Das Gleiche gilt für die Ermittlung der Umstände der Ermordung von Carlos Conceição, einem 18-jährigen Lehrling aus Mosambik, der 1987 in Staßfurt (Bezirk Magdeburg) von Neonazis zusammengeschlagen und von einer Brücke gestoßen wurde. Auch in diesem Fall wird, von der Staatsanwaltschaft Magdeburg, die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens geprüft.
[…] ihre Verfolger*innen waren und mit welcher Motivation sie zu Tode getrieben oder ermordet wurden. Bisherige Recherchen lassen auf eine rassistisch motivierte Tat schließen. Nun fordert eine Initiative einen Gedenkort […]
[…] ihre Verfolger*innen waren und mit welcher Motivation sie zu Tode getrieben oder ermordet wurden. Bisherige Recherchen lassen auf eine rassistisch motivierte Tat schließen. Nun fordert eine Initiative einen Gedenkort […]