Laut Wikipedia steht die Mitteldeutsche Zeitung (MZ) zu anderen regionalen Blättern in keinem Konkurrenzverhältnis. Dennoch fällt die Auflage des Provinzanzeigers jährlich und hat sich im Vergleich zum Jahr 1998 nahezu halbiert. Kein Wunder: Der landläufige Hallenser hat seine Liebe zu einem anderen Käseblatt entdeckt. In einer Statistik von Meedia, einem großen Onlinebranchendienst, belegt Halle unter den 20 Städten und Landkreisen mit den meisten Bildzeitungslesern die unangefochtene Spitzenposition. Das sagt weniger über die Qualität der Zeitung als über den geistigen Zustand der Einwohner in der Saalestadt aus. Mit einer Auflage von knapp 50.000 Exemplaren ist Bild Halle im Vergleich zur MZ zwar noch relativ klein, dafür umso beliebter beim einheimischen Publikum. Die Begründung dazu schaltete sie in einer Werbeanzeige bei mediaimpact. Dort heißt es: »Die unverwechselbare Aufmachung mit plakativen Headlines und hohem Bildanteil, der lebendige redaktionelle Stil, der attraktive Themen-Mix: Das alles macht BILD HALLE für die Leserschaft so einzigartig, dass sie sich täglich aufs Neue ganz bewusst zum Kauf entscheidet.«
Ganz offensichtlich ging diese Werbung auch nicht an den Redakteuren der MZ vorbei. Besonders beim Punkt der plakativen Headlines müssen sie hellhörig geworden sein. Anders lässt sich die stetige Annäherung an die Bild-Aufmacher nicht erklären. Um diese Behauptung zu untermauern hier einige Überschriften beider Zeitungen. Das Zuordnen wird dabei dem Leser überlassen: »Fall Yangjie Li – Erst ermordet, dann entehrt«, »Studentin umgebracht – Was passierte in der Wohnung des Pärchens?«, »Mutmaßliches Killer-Pärchen zog kurz vor Festnahme aus«, »Jagt die Kripo einen Serien-Sexmörder?«, »Polizisten nach Tod von Yangjie Li im Zwielicht«, »Mordfall Yangjie Li – Jetzt sprechen die Eltern des Tatverdächtigen«.
Die reißerischen Schlagzeilen beziehen sich dabei auf den Mord an der jungen Studentin Yangjie Li aus Dessau im Mai dieses Jahres. Auch die Berichterstattung war durchsetzt von Sensationsgeilheit und Triebabfuhr. So konnte sich der Leser hervorragend in die Tat hineinfühlen und seinen Obsessionen freien Lauf lassen. Natürlich wird dabei immer Abscheu vorgetäuscht, die meist in ein Bestrafungsbedürfnis fernab jeder Rechtsstaatlichkeit mündet. Dieser Hass geht nicht zuletzt darauf zurück, dass der sabbernde Leser Straftaten im Allgemeinen und Sexualstraftaten im Besonderen nur durch die Medien vermittelt erleben darf. Wer die Artikel der beiden genannten Zeitungen aufmerksam verfolgt hat, wusste am Ende genau, was die junge Frau während der Tat erlitt, wie es in den Köpfen des ausgemachten Täterpärchens aussah und wie die Eltern des Opfers mit ihrem Verlust umgingen. Dabei wurde selbstverständlich auch nicht vor Spekulationen haltgemacht. So konnte hemmungslos über den vermeintlichen Ablauf der Tat berichtet und der spannenden Frage nachgegangen werden, ob die mutmaßlichen Täter ihr Opfer nach dem »Sex-Spiel« (Bild) aus dem »Fenster in ein Gebüsch« (MZ) geworfen haben. Das Bedürfnis, den Leser die Tat nacherleben zu lassen, steht bei dieser Art von Berichterstattung stets im Vordergrund, weshalb die Taten so ausführlich geschildert werden. Ähnlich verhält es sich auch mit anderen Themen, die beide Redaktionen zu effekthascherischen Aufhängern motivieren. Der Unterschied zwischen beiden Blättern liegt einzig darin, dass sich die eine Redaktion bewusst ist, dass sie ihr Publikum mit plakativen Überschriften und sensationslüsternen Berichterstattungen begeistert, während die andere sich als seriös begreift und für sich den Anspruch auf Qualitätsjournalismus reklamiert. Voneinander zu unterscheiden sind beide kaum noch. Ob sich die Auflage des langsam krepierenden Revolverblatts erhöhen wird, bleibt abzuwarten. Dem gemeinen Hallenser wird das egal sein, so lange er weiterhin diese Art von Nachrichten, die ihn fesseln und überraschenderweise doch noch zum Lesen motivieren, erhält. Sollte der Leser dieser Zeilen jetzt enttäuscht sein, dass die Auflösung der Titelzeilen ausbleibt, so kann er gerne bei der Redaktion Bonjour Tristesse nachfragen, welche vier der sechs Schlagzeilen der MZ zuzuordnen sind.
Gleich und gleich kopiert sich gern!
9. Dezember 2016 von bonjour tristesse
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