Nachtrag zu einigen Demonstrationsparolen.
Am 1. Mai führte ein antifaschistisches Bündnis aus Halle eine Demonstration in Tröglitz durch, einem Nest im Süden Sachsen-Anhalts. Zum einen richtete sie sich gegen die widerlichen Zustände vor Ort, wo Aggression und Hass zum Kulturerbe gehören und im konkreten Fall sich in der Auflehnung gegen den Beschluss des Bundeslandes Sachsen-Anhalt äußerte, Flüchtlinge in diesem Dorf unterzubringen. Zugleich wandte sich die Demonstration gegen jene, die Flüchtlinge in derart verwahrlosten Gegenden unterbringen wollen. Dem Aufruf folgten circa 240 Personen. Doch manche Demoparole ließ vermuten, dass dieser gar nicht von allen Teilnehmern zur Kenntnis genommen wurde.
Die Sprechchöre, von denen hier die Rede ist, gehören landesweit zum Inventar von Antifa- und Antirademos. Bereits diese Tatsache legt eine gewisse Beliebigkeit nahe. Kaum jemand schert sich darum, ob deren Aussage überhaupt dem Gegenstand der Demonstration angemessen ist. Wichtigstes Kriterium der Parolen scheint vielmehr zu sein, dass der ganze Demonstrationszug lauthals mitschallern kann.
Exemplarisch hierfür steht der Schlachtruf »Nationalismus raus aus den Köpfen«. Zur Kritik der Verhältnisse in Tröglitz ist er nur wenig geeignet. Denn was in diesem Dorf vor sich geht, ist mit dem Begriff Nationalismus nur unzutreffend beschrieben. Bezugspunkt des gegenwärtigen Zusammenrückens ist nicht die Nation, sondern allenfalls die Dorfgemeinschaft. Und auch deren Klammer ist allein der Hass auf den gemeinsamen Feind: die fremden Neuankömmlinge. Aus diesem Grund besitzt die aufblitzende Gemeinschaft nur eine geringe Halbwertzeit. Spätestens wenn das verbindende Thema aus dem Fokus gerät, werden die Dörfler wieder übereinander herfallen, um sich beim nächsten Fußballspiel gegen das Nachbardorf, anlässlich des Mobbings gegen den Dorftrottel oder bei der nächsten Kneipenschlägerei in neuer Konstellation zusammenzurotten. Solchen Zusammenschlüssen fehlt die Konstanz und sie fliegen so schnell wieder auseinander, wie sie entstanden sind. Dazwischen werden die Nachbarn mit Feindseligkeit und Missgunst übersäht. Betrachten klassische Nationalisten zumindest die Angehörigen einer Nation als Gleiche unter Gleichen, heißt es in Tröglitz alle gegen alle. Wie schon im Redebeitrag der AG »No Tears For Krauts« erläutert, ist der Grund dafür gerade in der Ferne staatlicher Institutionen zu finden. Sie sind vermittelnde Instanz zwischen den Einzelnen und halten deren ungehemmte Triebe im Zaum. Dem gemeinen Tröglitzer jedoch ist die Vermittlung ebenso fremd wie unliebsam. Anstatt eines Hoheliedes auf die Nation hört man aus Tröglitz das tägliche Wettern gegen die Institutionen und die Verfassung der Bundesrepublik. Zusammengefasst: In Tröglitz ist weniger ein klassischer Nationalismus zu beobachten, sondern vielmehr dessen Verfallsprodukt.
Wenn nun einige Demonstrationsteilnehmer nicht imstande sind, den Geschehnissen in Tröglitz einen brauchbaren Namen zu geben, so liegt das nicht allein in der allgemeinen Unzulänglichkeit von Demoschlachtrufen begründet. Sie geht einher mit der Unfähigkeit, die Verhältnisse auf einen Begriff zu bringen. Tatsächlich haben große Teile der Linken nur eine äußerst vage Vorstellung von Nation und Nationalismus. Den Spruch »Nationalismus raus aus den Köpfen« bekommen die Tröglitzer darum ebenso zu hören, wie klassische Neonazis oder die Anhänger des Zionismus. Die skizzierte Begriffsstutzigkeit gipfelt in einer skandalösen Parole, die eine Analogie zwischen den Todeszügen nach Auschwitz und den Abschiebungen von Flüchtlingen zieht: »Mord, Folter, Deportation – Das ist deutsche Tradition«. Vor lauter Unwillen, zwischen Nationalsozialismus und postfaschistischer Bundesrepublik zu unterscheiden, merken die grölenden Antifaschistischen anscheinend gar nicht, wie sie nebenbei und dennoch unverblümt den Holocaust verharmlosen.
Bezeichnend ist in dem Zusammenhang auch der Mobilisierungserfolg bei der Demonstration in Tröglitz. Folgten dem Aufruf trotz widriger Anreisebedingungen – in Tröglitz gibt es keinen Bahnhof – an einem 1.Mai immerhin 240 Demonstranten, kamen zu einer ähnlichen Demonstration in Insel vor etwa 3 Jahren, die ebenfalls von einem antifaschistischen Bündnis aus Halle organisiert wurde, kaum 100 Leute. Dabei war die Situation durchaus vergleichbar: In beiden Dörfern formierte sich der Dorfmob gegen ein paar Neuankömmlinge, denen nachgesagt wurde, den Dorffrieden zu stören. Doch während es sich bei den Neuankömmlingen in Tröglitz um Flüchtlinge handelt, wurden in Insel zwei ehemalige Sexualstraftäter als Störenfriede ausgemacht. In letzterem Falle wäre man mit den klassischen linken Erklärungsversuchen und Parolen nicht weitergekommen. Der Vorwurf des Nationalismus hätte sich in Insel ganz offenkundig selbst blamiert. Die üblichen Verdächtigen aus Antira- und Antifakreisen ließen sich deshalb gar nicht erst blicken.
AG »No Tears for Krauts«
Danke.
Trotzdem sind die Tröglitzer ja wohl enttäuschte Nationalisten, mit einem Ideal von einer Nation. Kausal gesprochen: Ohne Nation und eine solche Stellung zu Ihr, würde so ein Bewusstsein nicht zustande kommen. Die enttäuschten Nationalisten meinen halt, wenn jeder in dieser den richtigen Platz hätte und sich alle moralisch integer verhalten würden, dann hätten wir hier eine ganz tolle Zeit. Die Missstände kämen nur von einer Regierung, die Ausländer reinlässt und Deutsche verarmen.
Findet Ihr es ernsthaft ausreichend als KommunistenINNen nicht mal vom Eigentumsverhältnis, von Verhältnis Staat-Kapital-Nation zu sprechen, wo die Leute überhaupt erst vor materielle Nöte gesetzt werden und sich dazu auch noch ein falsches Bewusstsein bilden?
Gerade zu deinem ersten Punkt wird hier doch Stellung bezogen. Im Text heißt es dazu:
„Bezugspunkt des gegenwärtigen Zusammenrückens ist nicht die Nation, sondern allenfalls die Dorfgemeinschaft. Und auch deren Klammer ist allein der Hass auf den gemeinsamen Feind“. Und weiter: „In Tröglitz ist weniger ein klassischer Nationalismus zu beobachten, sondern vielmehr dessen Verfallsprodukt.“
Das „Ideal einer Nation“ wird hier ja gerade in Abrede gestellt. Von einer gemeinsamen „ganz tollen Zeit“ ist doch bei den fremdenfeindlichen Tröglitzern nie die Rede. Bei der nächsten Gelegenheit wird gegen „Wessis“ gehetzt und daraufhin gegen die Einwohner des Nachbardorfes. Du müsstest schon etwas deutlicher werden, wenn du erläutern möchtest, was dir genau fehlt und warum in diesem Fall am Begriff des Nationalismus festgehalten werden müsste. Und mit deiner zweiten Anmerkung beschäftigt sich der Redebeitrag der NTFK, auf den auch in der Nachbetrachtung verwiesen wurde:
Aha, der Nationalismus und seine Mission civilisatrice erfährt bei euch Renaissance. Spannend.
Der Text ging darauf ein, dass erstens in Tröglitz noch schlimmeres vorzufinden ist & zweitens aus diesem Grund hier das Mantra vom „Nationalismus“ in die Irre führt. Das solltest du schon zur Kenntnis nehmen, bevor du dein Bauchgefühl an die Tastatur lässt.
Leider – und es tut weh, das sagen zu müssen – ist das Gewaltmonopol des Staates nicht in alle Regionen vorgedrungen. Es ist das Gefühl, vom Staat im Stich gelassen worden zu sein, das die Tröglitzer_innen einerseits dazu veranlasst, die eingeborene Gemeinschaft – die im Gegensatz zur anonymen Nation als reale „Familie“ imaginiert wird – gegen Eindringlinge zu verteidigen. Andererseits ist die Sehnsucht nach einer Mauer um das Staatsgebiet – so wie früher, als die Welt noch in Ordnung zu sein schien – in den Köpfen präsent. Die Sehnsucht nach einem starken Staat, der sich vor 25 Jahren aufgelöst hat, hat sich verlagert auf das kleine Kaff, in das man hineingeboren wurde.
Ich kenne die Szene in Halle nicht und eure Zeitung erst seit neulich. Ich weiß also nicht, ob ihr ein Forum für Diskurs seid (mal ab von den Kommentarspalten) bzw. wo es ein solches Forum für HAL und Umgebung gibt. Ich habe meine Kritik jetzt trotzdem in einer Art formuliert, dass sie vielleicht außerhalb der Kommentarspalten aufgehängt werden kann, wenn ihr so was macht. Das Thema jedenfalls ist ja nicht unerheblich.
Kritik zum Artikel „Schlachtrufe Tröglitz“ der AG „No Tears for Krauts“ in Bonjour Tristesse #19
„Tatsächlich haben große Teile der Linken nur eine äußerst vage Vorstellung von Nation und Nationalismus“. [AG „No Tears for Krauts“]
Die AG kritisiert die auf einer Demo in Tröglitz verwendete Parole „Nationalismus raus aus den Köpfen“. In Tröglitz würde nämlich gar kein Nationalismus zugange sein: „Bezugspunkt des gegenwärtigen Zusammenrückens ist nicht die Nation, sondern allenfalls die Dorfgemeinschaft“, die rein zufällig ihre „Klammer“ in den „fremden Neuankömmlingen“ gefunden hat. Beim „nächsten Fußballspiel gegen das Nachbardorf“ würden die Dörfler sich wieder in völlig „neuer Konstellationen zusammenrotten“. Es handelt sich hierbei also laut AG nicht um den Nationalismus, der sich Bahn bricht, weil die FREMDEN nicht zu UNS DEUTSCHEN gehören. Sondern schlicht um den täglich neu vom Himmel fallenden Hass auf irgendwen, der den Dörfler halt so umtreibt. „Der Grund dafür [wäre] gerade in der Ferne staatlicher Institutionen zu finden.“ folgert die AG. Beweis: Richtige Nationalisten haben angeblich gegen ihresgleichen und ihren Staat nichts einzuwenden: „Betrachten klassische Nationalisten zumindest die Angehörigen einer Nation als Gleiche unter Gleichen, heißt es in Tröglitz alle gegen alle […] Anstatt eines Hoheliedes auf die Nation hört man aus Tröglitz das tägliche Wettern gegen die Institutionen und die Verfassung der Bundesrepublik. Zusammengefasst: In Tröglitz ist weniger ein klassischer Nationalismus zu beobachten, sondern vielmehr dessen Verfallsprodukt.“
Es gibt zunächst eine Differenz zwischen den „Institutionen und [der] Verfassung der Bundesrepublik“ und der „Nation“. Die AG schmeißt glatt beides in einen Topf als wäre es dasselbe. Nation ist aber nicht einfach der Staat samt Inventar, auf den der Tröglitzer wettert. Nation ist die Ideologie der Einheit von Staat und Volk begründet auf einer behaupteten quasinatürlichen vorstaatlichen Gemeinschaft der Menschen, die in der Gründung des Nationalstaats überhaupt erst ihre höhere Weihe erhält.
Tatsächlich unterwirft sich ein bürgerlicher Staat beständig seine Gesellschaft per Gewalt, verpflichtet sie auf die Anerkennung von Freiheit, Gleichheit und damit des Privateigentums und richtet sie so als Klassengesellschaft her. Diese gewaltsame Herstellung der nationalen „Gemeinschaft“ wird vom unterworfenen Volk (wie auch von denen, die die Staatsgewalt ausüben) umgedeutet in eine höhere Sache, die Nation eben, der der Staat und auch das Volk DIENT. Ein Nationalist hält die gewaltsame staatliche Rekrutierung seiner werten Person aber für seine völlig selbstverständliche natürliche Zugehörigkeit zu einem exklusiven Kollektiv, das auch schon ganz ohne Staatsmacht vorhanden wäre. Aus dem ihm per Pass verordneten Deutschsein strickt er sich dann ohne weitere Betrachtung der Sache eine Parteilichkeit für die Nation, für das große WIR. Dieses WIR wird zum Quell seines Rassismus, denn „die anderen“ haben eine solch exquisite „Menschennatur“ eben nicht.
Der Bürger ist aber noch mehr als Nationalist. Er ist auch Bourgeois: Selbstverständlich sind die Insassen eines Staates nämlich auch noch Privatmaterialisten. Sie wollen schlicht auch ein Stück vom guten Leben und geraten dabei fortwährend aneinander. In einer Gesellschaft, in der die Verfolgung persönlicher Interessen aber unausweichlich mit der Schädigung anderer einhergeht, weil sich Privateigentümer wechselseitig in ihrer Bedürfnisbefriedigung einschränken, reißen deshalb bald rohe Sitten ein und die Eigentümer (selbst die, die nichts außer ihrer Arbeitskraft ihr Eigen nennen) versuchen sich gegenseitig Freiheit und Eigentum zu beschränken. In Tröglitz herrscht also tatsächlich, wie übrigens überall anders auch, der demokratische Kapitalismus, das „alle gegen alle“, die bürgerliche Konkurrenzgesellschaft nämlich! Und jeder weiß, dass dort die Rollen, die Gewinner und Verlierer, denkbar ungleich verteilt sind, also keinesfalls „Gleiche unter Gleichen“ zuhause sind. Die abstrakte Gleichbehandlung aller in einer solchen Gesellschaft führt notwendig zu konkreten Ungleichheiten. Und trotzdem sind Gewinner und Verlierer meist gleichermaßen Nationalisten.
Wegen den Auswirkungen, die das „alle gegen alle“ so mit sich bringt, sind die Bürger neben ihrem Dasein als Privatmaterialisten auch noch Anhänger der staatlichen Gewalt, Citoyens also. Der Staat verursacht zwar mit seinem Wirken die ständigen Konflikte seiner Bürger, er setzt ja die Bedingungen unter denen sie sich zu bewähren haben. Er ist aber gleichzeitig auch ein verlässlicher Betreuer dieser Konflikte mit Gesetzgebung, Justiz und Polizei, freilich nur, um sie in für IHN vorteilhafte Bahnen zu lenken. Ein Schauder läuft dem Bürger über den Rücken, wenn er sich das alles hier ohne Polizei und Recht vorstellt. Der scheinbare Widerspruch löst sich also wie folgt auf: Der Privatmaterialist, der sich beim Verfolgen seiner Interessen ständig an den Schranken stört, die ihm andere setzen bzw. von Staats wegen setzen dürfen, will gleichzeitig seine eigene Beschränkung durch die höhere Gewalt. Er wird Fan vom Staat. Aber auch das ist etwas anderes als Nationalismus.
In Wirklichkeit betrachten sich „die Angehörigen einer Nation als Gleiche unter Gleichen“ höchstens unter dem Gesichtspunkt der Zugehörigkeit zur Nation. Doch selbst da sind sie kritisch: Im Namen der Nation kann das Volk nämlich prima kritisiert werden („deutsche Frauen sind gebärfaul“… „die deutsche Jugend will sich die Hände nicht mehr schmutzig machen“… „Die Geiz ist geil Mentalität der Deutschen!“ etc.). Die Staatskritik des Tröglitzers („Volksverräter“, „Quasselbude Parlament“ etc.) ist auch alles andere als ein mangelnder Nationalismus. Das wäre ja zu schön, wenn Staatskritiker fürs nationale nichts mehr übrig hätten. Ist dem Tröglitzer plötzlich „DEUTSCHLAND“ egal, nur weil er seinen Bürgermeister hasst? In dem Fall werden umgekehrt gerade IM NAMEN DER NATION der Staat und seine Repräsentanten dafür kritisiert, dass sie „Volksschädlinge“ ins Land lassen. Die „Ferne staatlicher Institutionen“ ist für den Tröglitzer nur ein weiteres Symptom der Beschädigung der Nation durch diesen Staat. Denn wo kein Bus, kein Arzt mehr für UNS da ist, aber tausend Flüchtlinge kommen … . Dass man in einem schwachen Waschlappenstaat lebt, der weg gehört, das ist für ein paar ausgewählt kritische Nationalisten eine wohlbekannte Tatsache, genau wie die, dass so ein Volk auch ab und an gereinigt werden muss. Weniger kritische Nationalisten sorgen sich bei Bildern aus Tröglitz um Deutschlands Ansehen im Ausland und gehen fleißig wählen. Die sehen also nicht im Staat das Problem, sondern finden in der geschickten Auswahl seines aktuellen Personals ihre Aufgabe. Ein paar wünschen sich vielleicht auch den Zuzug von Ausländern, aber eben nur, wenn die für die Nation nützlich und aus Sicht IHRER Zwecke zu verkraften sind. Man muss ja realistisch bleiben!
Warum sich jetzt Tröglitzer und Nachbarn sonst noch gegenseitig das Leben schwer machen (genauso wie das Leute in den Städten eben auch tun) muss man halt am konkreten Beispiel betrachten. Für die Einquartierung exklusiv deutscher „fremder[r] Neuankömmlinge“, z. B. Flutopfer von der Oder, hätte der Tröglitzer aber sicherlich Decken und Essen abgeliefert. Und wenn endlich wieder echte (fremde) Deutsche in die Gegend ziehen, wird er sich auch freuen, denn „das braucht die schwachen Region“. Aber diese speziellen „fremden Neuankömmlinge“ die da gerade ankommen, sind eben anders fremd als die Leute aus dem Nachbardorf.
Den Verharmlosungsvorwurf muss man der AG zurückgeben, wenn sie das, was sich in Tröglitz seine Bahnen bricht, einfach in das vom Himmel fallenden Konfliktpotential einer dörflichen Unterschicht verschiebt, die selbst zum Nationalismus zu doof ist. Insofern ist die Parole „Nationalismus raus aus den Köpfen“ gerechtfertigt. Bewirken wird sie halt nichts, weil den Nationalisten der Nationalismusvorwurf nicht schockt.
Argumente zu Nation und Nationalismus finden sich hier: http://renatedillmann.de/nation/
Die Behauptung, dass die Dörfler „deutsche“ Flüchtlinge freundlich willkommen geheißen hätten, spricht für eine vollkommene Unkenntnis der Situation in den ostdeutschen Wastelands. Nur weil der GSP denkt, dass die Leute so denken, heißt es nicht, dass sie wirklich so denken. Wer es nicht glaubt, möge die „Resultate der Arbeitskonferenz“ und ihre Abarten mal in die Ecke stellen und seinen Wohnsitz für eine Zeit irgendwo im Burgenlandkreis, im Saalekreis usw. nehmen und sehen, wie freundlich die Leute dort zu ihm sind. Die Rede von der Nation und Deutschland ist dort vor allem eine Rationalisierung des Bedürfnisses andere plattzumachen. im 19. Jahrhundert, der Hochzeit des Nationalismus, war die Nation mal etwas, was den Leuten das Herz hat höher schlagen lassen: Man bekam ehrfürchtig weiche Knie, wenn vom Vaterland die Rede war, die Nationalhymne gesungen wurde, hat auch als Unterschichtler frisch-fromm-fröhlich freiwillig Schiller auswendig gelernt, und war natürlich bereit, fürs Vaterland zu sterben. Für die Nation hat man sich (diehe WWI) verschuldet und das letzte Hemd hergegeben. Alles ziemlich eklig, ohne Zweifel. Aber davon gibt es kaum noch was. Welcher Dörfler oder Städter würde seine letzten Ersparnisse hergeben, wer kriegt vor Freude weiche Knie, wenn er die Nationalhymne singt (die er kaum noch kann), wer zieht voller Stolz in den Tod wie die Trottel von langemarck? Zum Nationalismus muss man fähig sein, libidinöse Bindungen über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten, was kaum noch jemand kann. (Selbst die meisten Ehen gehen nach kürzester Zeit kaputt.) Insofern ist das, was in Tröglitz zu sehen ist, höchstens die Zerfallsform des Nationalismus.
Und hier Argumente dafür, was die Leute vor Ort wirklich umtreibt.
(aus: http://jungle-world.com/artikel/2013/15/47522.html,
Ag Antifa, Ag NTFK
»Rassismus tötet«
Im Sommer 2006 erklärte Alexander Horn, der die Soko »Bosporus« als Profiler beriet, dass der Mörder der neun Kleinunternehmer vermutlich ein Serienkiller sei. Er habe seine Opfer nur zufällig nach ihrem türkischen Erscheinungsbild ausgewählt. Für einen politischen Hintergrund gebe es keinen Anhaltspunkt: »Neonazis können kein politisches Kapital aus den Morden schlagen.« Diese Vorstellung – Neonazis morden, weil sie politischen Gewinn aus ihren Taten ziehen – lag auch der späteren Verwunderung darüber zugrunde, dass der NSU bis zum November 2011 auf Bekennerschreiben verzichtet hatte. Sowohl die Rede vom »politischen« oder »rechten Hintergrund« neonazistischer Gewalttaten als auch der Glaube, dass Nazis um einer Sache willen morden, basiert auf einem Missverständnis. Denn anders als nach dem Auffliegen von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe suggeriert wurde, sind es nicht »Weltbilder« oder politische Programme, die ursprünglich nette und umgängliche Jugendliche zu Mördern werden lassen. Böhnhardt und Mundlos hatten lange vor ihrem Anschluss an die Naziszene und der Ausbildung des »gefestigten nationalsozialistischen Weltbildes«, von dem der Verfassungsschutz so gern spricht, eine starke Affinität zu Gewalt.
Wer überhaupt eine Kausalitätskette bemühen will, hätte entgegengesetzt zu argumentieren: Das nationalsozialistische Weltbild verwandelt nicht Klosterschüler in Gewalttäter, sondern potentielle Gewalttäter, Gangster und Größenwahnsinnige werden von der Naziideologie und der rechten Szene angezogen, weil diese der eigenen, mal eingestandenen, mal uneingestandenen Sehnsucht nach Verfolgung und Vernichtung eine höhere Weihe verleihen. Sie werden Nazis, weil ihnen die Bewegung die Möglichkeit bietet, den eigenen Drang, jemanden einzuschüchtern, fertigzumachen oder umzubringen, als Dienst an einer höheren Sache auszugeben. In dieser Sehnsucht nach dem Gewaltausbruch verschaffen sich die unterdrückten Triebe, die täglich hingenommenen Demütigungen, Quälereien und Verletzungen kompensatorisch Geltung. Nicht anders als die Astrologie, die Homöopathie und der Liberalismus ist das nationalsozialistische Weltbild ein »ungeglaubter Glaube« (Adorno), der von seinen Anhängern halb ernst genommen und halb durchschaut wird. Deshalb sind den nazistischen Mördern und ihren Vordenkern die inneren Widersprüche ihrer Bewegung und ihrer sogenannten Weltanschauung letztlich gleichgültig. Welchen nationalsozialistischen Runen-Freak hat je interessiert, dass Hitler weniger Ähnlichkeiten mit Hermann dem Cherusker als mit Charlie Chaplin hatte? Welches SA- oder FAP-Mitglied fand es übermäßig schlimm, dass SA-Chef Ernst Röhm und der heimliche FAP-Boss Michael Kühnen schwul waren? Und welcher Rassekundler stört sich ernsthaft am Widersinn der Behauptung, dass die Juden eine »minderwertige Rasse« seien, aber die halbe Welt kontrollieren würden?
Auch das »Weltbild« selbst, in dessen Namen sie zu prügeln und morden vorgeben, ist den Nazis in letzter Konsequenz egal: Beate Zschäpe war in den Zwickauer Jahren, als der NSU acht Türken und einen Griechen ermordete, regelmäßiger Gast in einem türkischen und einem griechischen Lokal, lachte viel mit den Besitzern und brachte ihrem griechischen Nachbarn zu Weihnachten, zum Geburtstag und zu Ostern kleine Geschenke. Dem herkömmlichen Nazimörder, dem SA-Mann von heute, geht es weniger um Konsequenz, Konsistenz und Logik als um eine Rechtfertigung für das eigene Bedürfnis, andere zu quälen und zu töten. So ist es zwar kein Zufall, dass sich der Drang nach Verfolgung in erster Linie gegen Migranten, Juden, Homosexuelle, Obdachlose, Behinderte richtet: Immerhin sind sie die traditionellen Projektionsflächen all jener Triebe, Wünsche, Sehnsüchte und Ängste, die der herkömmliche Nazi in einem langen Prozess zu unterdrücken, zu verdrängen und von sich abzuspalten gelernt hat oder gezwungen wurde. Aber wenn niemand anders zur Verfügung steht, wird das Verfolgungsbedürfnis auch am Bewohner des Nachbardorfs, dem, wie es in den neunziger Jahren unter mecklenburgischen Zeltplatznazis beliebt war, Touristen oder dem Kameraden von nebenan, ohne weltanschauliche Rechtfertigung, ausgelebt. Uwe Böhnhardt, der wegen seiner Gewaltausbrüche auch unter seinen Kameraden gefürchtet war, soll bei einer Schlägerei 1996 nur knapp davon abgehalten worden sein, einen anderen Nazi zu erstechen.
In den Morden und den Bombenanschlägen des NSU sowie im mehr als zehnjährigen Verzicht auf Bekennerschreiben und öffentliche Rechtfertigungen findet die Naziideologie zu sich selbst. Zwar konnten Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe nicht ganz auf weltanschauliche Rationalisierungen verzichten: Zumindest ein paar Kameraden, die die drei auch anderweitig unterstützten, wussten bekanntlich davon. Dennoch war ihr Drang, die Verbrechen im großen Rahmen zu rechtfertigen und als Fanal, Dienst an einer Sache oder als Mittel zur Verbreitung von Angst und Schrecken darzustellen, nur schwach ausgeprägt. Das Morden war sich letztlich selbst genug. Sowohl ihre Obsession, Fotos von ihren Opfern zu machen, als auch ihr Vorgehen an den diversen Tatorten sprechen dafür, dass ihnen das Töten vor allem eines verschaffte: Lustgewinn. Die beiden Profiler des FBI, die schon früh von Neonazis als Tätern sprachen – und deren Analyse die Soko »Bosporus« nie erreichte –, waren sich sicher, dass sich keine Auftragskiller hinter den Morden verbergen, weil die Hinrichtungen stets tagsüber, also unter allzu risikoreichen Rahmenbedingungen, erfolgt seien. Im Unterschied zu Berufskillern, die aus finanziellem Interesse handeln, töteten, so hieß es, die Mörder der Kleinunternehmer wegen des Nervenkitzels und hätten ein persönliches Motiv. Insofern lag der Profiler der Soko »Bosporus« mit seiner Serienkillerthese wiederum nicht gänzlich falsch: Wie der Nazimörder seinen Sadismus weltanschaulich begründet, ist der neonazistische Massenmörder ein Serientäter, der das Ausleben seines Vernichtungsdrangs als Dienst an der guten Sache auszugeben gelernt hat: der eine mehr, der andere weniger.
Ich mach mal ein paar Vorbemerkung zu den Ostdeutsche „Wastelands“.
Weiter bin ich noch nicht gekommen.
In einer Vielzahl von Artikeln der NTFK geht es um die ostdeutschen Wastelands. Einige Kenner der Landschaft scheinen sich ja in der AG umzutreiben. Es ist zwar klar und unbestritten, dass sich im Osten Elendsgestalten akkumulieren. Ich sehe aber dennoch auf den ostdeutschen Dörfern kein besonderes Hauen und Stechen untereinander, das sich WESENTLICH vom Rest der Republik unterscheiden würde. Ich kenne Landfrauentreffen, Feuerwehrübungen, Bastelnachmittage der Volkssolidarität, Rentnertanztage, dörfliches Schnitzelessen, Maibaumsetzen und den ganzen Scheißdreck auch noch gemeindeübergreifend. Ich erlebe, wie es völlig normal ist, dass Handwerker in Nachbarschaftshilfe schwarz überall herumwerkeln, wie Nachbarn gemeinsam unter Missachtung gesetzlicher Verordnungen Hausschlachtungen an Großtieren durchführen und wie ganze Dörfer als Kollektiv gewisse Regeln aushebeln, um einen illegalen Umbau am Feuerwehrhaus hinzubekommen. Und genau wie überall anders auch hauen sich die Fußballfans dort auf die Fresse, werden Ehemänner vergiftet, beste Freunde angezeigt, kloppt man sich im Suff und schaut Fremde schief an. Es gibt Leute, die keinen Ton mehr miteinander reden, sich hassen und verachten und vielleicht vergräbt auch der eine oder andere ein Neugeborenes im Garten. Die Leute kennen ihre Vollassis, die Alkis, die Drogennehmer und -geber, die Eheschläger und die, die sich nicht mehr waschen. Solche Leute werden verachtet und gemieden wie überall. Man suhlt sich in der erlebten Solidarität anlässlich diverser Hochwässer und schimpft gemeinsam in der Kneipe auf die Politiker („alle an die Wand!“ ). Noch weiter im Osten geht man gemeinsam Patrouille, damit „der Pole“ nicht einbrechen kommt und streitet sich Tags darauf über den Heckenschnitt.
Pflegt man da nicht ein gewisses Cowboyimage von sich selbst, wenn man inmitten dieser Normalitäten der bürgerlichen Gesellschaft, wo Menschen die verschiedensten Gründe haben, ihr gegenüber zu hassen und dabei gleichzeitig mit ihm auf eine Art kooperieren zu müssen oder zu wollen oder eben nicht, die gefährlichen Wastelands hochhält? BUH! Ich komme aus dem Osten! Die Dynamos nutzen das „Weist du wo ich wohne!“ ja auch gerne zum erschrecken der Auswärtsgegner. Es ist immer schick, wenn man in der großen (vielleicht sogar West-) Stadt damit glänzen kann, dass man aus den düsteren Dörfern kommt, die ein wenig nach dem gesetzlosen Weiten und Bukowski riechen. Wenn man die krassen Nazigeschichten aus den 90ern erzählen kann, wenn man die unzähligen gescheiterten Kreaturen, die Wismut, Kraftwerke, Maschinenschmieden und LPGs ausgespuckt haben, und ihre Macken bebildert und herzlich über die aktuellen Meerschweinfrisuren herziehen kann, über das dörflich Zurückgebliebene … Schaum und Scherben und so! Mach ich auch manchmal.
Verhält es sich (gerade in Sachen körperlicher Gewalt gegeneinander) nicht heute im dörflichen Osten ganz ähnlich wie in eurem Artikel „Terror-Wahn-Gesellschaft“ beschrieben? Dieser „Terror“ gibt doch eigentlich auch nur noch Rückzugsgefechte. Sind doch eh fast nur noch Rentner da. Und weil die ganzen ausgewanderten Ostkinder jetzt mit ihren Westfamilien in den Ferien bei Opa und Oma hocken und die Handwerker ihr Geld im Westen verdienen, hat sich selbst der West Hass verringert. In die Dörfern zogen „deutsche Fremde“ ein, schlicht, weil sie Eigenheime dort gebaut haben und eine Menge Erben, die auswärts wohnen und nicht zurück wollen, verkaufen Haus und Hof an Fremde. Beliebt sind Resthöfe mit Weiden bei westdeutschen Pferdehaltern. Und diese Fremden mischen dort mit und werden nicht mit Heugabeln vertrieben. Ich kenne bayrische Kreisbauernchefs, Dorffeuerwehrmitglieder vom Rhein und Ahnenforscher aus Baden, die sich munter in den Wastelands tummeln. Klar sind das „die Wessis“ und man merkt denen an, dass die anders sind, aber das ist heute halt eher ne geographische Beschreibung als gleich ein Anlass zur Feindschaft.
Aber gut. Das ist subjektiv und daher wohl ohne Belang. Also habe ich geschaut, ob sich das Treiben der Barbaren, die in einem neuen Naturzustand sind, wo alle gegen alle kämpfen (Artikel: „Was heißt: „Raus aus der Scheiße?“), die ihren Kindern, Lebensgefährten und vermeintlichen Freunden mit ungefilterter Feindseligkeit begegnen (Artikel: „Aber hier leben, nein danke!“) bzw. da hausen, wo Aggression und Hass zum Kulturerbe gehören (Artikel: „Schlachtrufe Tröglitz“) in irgendeiner Form von Gewalthäufung ausdrückt. In so einem archaischen Naturzustand, wo alle alle hassen (und eben laut NTFK nicht alle nur explizit ausländische Fremde hassen!) müsste sich das doch in irgendeiner Kriminalitätsstatistik niederschlagen. Wenn man sich jetzt die Statistik für 2014 anschaut (Häufigkeitsziffern pro 100.000 EW, BKA) liegen Sachsen (vorletzer Platz!), Brandenburg und McPomm bei Körperverletzungen unter dem Bundesdurchschnitt. Sachsen Anhalt ist zwar das Ostland mit den meisten Körperverletzungen, aber immer noch hinter dem unverdächtigen Saarland, Schleswig-Holstein und Rheinland Pfalz und logischerweise auch hinter Berlin und Bremen. Bei „Straftaten gegen das Leben“ ist Sachsen Anhalt knapp vor Bayern und hinter Hessen aber längst nicht spitze und in Sachen Erregung öffentlichen Ärgernisses sogar auf dem letzten Platz. Wenigstens quält man dort gerne Tiere (1. Platz)! Zumindest durch eine besondere Häufung an Straftaten fällt der Osten, außer vielleicht bei Umweltdelikten (!), also erst einmal nicht auf.
In Sachen Delikte von Rechts ist der Osten natürlich unbestritten vorne und das ist eben das Spezifikum, das sich gerade nicht aus einer „allgemeinen Verrohung“ ergibt sondern aus dem Idealismus der Leute, es müsse in Deutschland doch um sie gehen. Und wenn in Deutschland ihr Wohlergehen nicht rauskommt, dann müssen sich Schädlinge in Volk und Regierung breitgemacht haben. Wenigstens welche, die „unser Geld“ verfressen. So denken halt enttäuschte Nationalisten (Dazu später).
Bei Straftaten liegen auch in der Regel nicht dörfliche Gegenden vorn, sondern Großstädte. Also da, wo, wie es anderswo bei der AG hieß, ja im Vergleich zu den Dörfern staatliche Strukturen im Übermaß vorhanden sind! Die Statistiker der Bullerei sagen, das sei aber problematisch zu sehen, weil in den Dörfern oft mehr angezeigt werde („geringer Toleranz gegen Normverletzungen“), während man sich in den Städten an die Kriminalität eher gewöhnt habe. Die schätzen also die Differenzen noch deutlicher ein, sagen aber auch, dass es in den Städten natürlich viel mehr durchreisende Fremde gibt (mit diesem ekelhaften Unterton der „Zigeuner und so“ meint), die die Statistik versauen. Aber sei es drum: In den größeren Städten werden also die Leute totgetreten und nicht auf dem Dorf. Dort sind auch alle anderen Formen von „Gewalt und Verbrechen“ viel verbreiteter, wenn man die mal so abstrakt zusammenzählt. Ich habe mir jetzt nicht die Mühe gemacht, Ostdeutsche dörflich geprägte Landkreise mit westdeutschen zu vergleichen, weil mir das in Sachen „verschmähte Feldforschungen“ eigentlich reicht so. Es scheint mir(!) eher so, dass die Polizei auf dem Dorf zugunsten größerer Präsenz in der Stadt ausgedünnt wurde, weil es da sicher zugeht, während sich die Probleme dort häufen. Die Dörfler erklären sich natürlich die Kriminalität in Frankfurt, Bremen, Stuttgart und Berlin damit, dass dort so viele Ausländer wohnen, und freuen sich, dass es bei ihnen eher gesittet zugeht. Wer mal nach Berlin fährt, steckt das Geld sicherheitshalber in den Brustbeutel. Im Westen wie im Osten ist es beschissen langweilig auf dem Dorf und abenteuerlich und „gefährlich“ in der Stadt. Jede Stadt hat Gegenden, in denen man nachts besser nicht herumläuft und auf Dorffesten im Hessischen geht es auch bloß hakelig zu, wenn die Leut besoffen sind.
Dass aber im Osten Nazimeinungen offen und überall geteilt und vertreten werden, wie ihr im Abschnitt „Der NSU als Ostphänomen“ schreibt, dass Freundschaften zwischen dem bürgerlichen und dem eindeutig faschistischem Millieu bestehen, dass ist die große Besonderheit des Ostens, gerade auf den Dörfern. Aber die „verschmähte Feldforschung“ deutet nicht auf eine allgemeine Verrohung der ostdeutschen Dorfbewohner untereinander hin, die das nach eurem Muster erklären könnte.
Einen Kommentar zu euren sonstigen Erklärungen der Zusammenrottung der Leute im Osten gegen Ausländer und dazu, die Taten der Leute vom verwendeten Mittel her zu betrachten und dann alles Treiben unter Gewalt zu subsummieren und sich über die vermeintliche irrationale Häufung der selben zu wundern, schreibe ich noch. Bald.
Wenn Dinge „ohne Bedeutung“ sind, dann vielleicht einfach weglassen? Sonst wirds zu lang und man kann es – wie ich grad – aus Zeitgründen nur überfliegen. Auch darum nur drei, vier kurze Sachen:
1. Du haust relativ oft die Ebenen und die jeweiligen Texte durcheinander. So sind z.B. die Wastelands nicht unbedingt identisch mit Dörfern. Außerdem wird der Unterschied Stadt-Land (wie auch ostdt. Wastelands-besser situierte Gegenden) nirgends als absoluter, sondern als tendenzieller dargestellt.
2. Die Verrohung muss sich nicht notwendigerweise in Straftatstatistiken (die ich nicht kenne) widerspiegeln.
3. Wenn Du schreibst, dass bei rechten Straftaten „in der Regel“ die Städte vornliegen, dann ist das zum einen recht schwammig („in der Regel“) und wird zum anderen nicht mehr ins Verhältnis zur Einwohnerzahl und dem sog. Ausländeranteil gesetzt. Es muss nicht sein, aber es ist möglich, dass dann etwas ganz anderes rauskommt.
4. Dass es sich bei den Nazischlägern um Idealisten handelt, die eigentlich nur das Beste für Deutschland wollen, bleibt zu bezweifeln. Es steht weiterhin das Ausleben von Gewaltbedürfnissen im Zentrum, das sich – und hier kommt die Nation in ihren Restbeständen wieder hinein – natürlich nicht zufällig zuvörderst an Asylbewerbern, Obdachlosen usw. austobt.Wenn es denen um eine große solidarische In-Group gehen würde, dann würde in deren Kreisen ja Friede, Freude Eierkuchen herrschen. Dass das nicht so ist, sondern, dass es dort enorm verroht zugeht (ohne dass es sich in Anzeigen niederschlägt), zeigen inzwischen etliche Studien.
5. Schön, dass es in den Dörfern, die Du kennst, so schön ist.
6. Schön, dass jemand die NTFK-Texte genau liest.
Demnächst vielleicht mehr – sorry, die Zeit.
1. Es war bei euch von üblen Stadteilen (Haneu, SiHö) und von Dörfern im Osten die Rede. Beide laufen bei euch unter „Wastelands“ (oder irre ich mich da?). Die Datenstruktur beim BKA macht den Ost- West Vergleich über die Länder und über die größten Städte einfach. Weil Tröglitz besprochen war, hab ich nochmal Stadt und Land angesehen ohne Ostdorf und Westdorf zu vergleichen. Das geht z.B. über die Häufigkeitszahlen für die Gemeindeklassen oder man guckt sich die Kreisdaten an, wenn man weiß, was dörflich geprägt ist oder man denkt sich sonst eine Abfragelogik aus. Es sind also verschiedene Ebenen der polizeilichen Statistik die ich vermische, aber ich weiß schon, dass die Behauptung war, dass sich der Osten in Dorf bzw. Stadt(-teilen) wesentlich vom Westen unterscheiden soll. Wenn du Muße hast, kannste mal nachsehen, was der Staat so alles an Statistik bereithält. Es ist so viel, dass es sich lohnt eine kleine Routine zu basteln, die die visuelle Darstellung automatisieren kann: https://www.bka.de/DE/Publikationen/PolizeilicheKriminalstatistik/pks__node.html?__nnn=true
Man kann jetzt den Stadt-Land Unterschied schon „tendenzieller“ darstellen. Die Bullen machen das an Einwohnerzahlen pro politischer Einheit fest und das find ich für einen schnellen Überblick ok. Um jetzt die Dörfer um Ballungszentren herum statistisch anders funktionieren lassen zu können, braucht man etwas ausgefallenere räumliche Statistik, wo man die Distanz zu Häufungen der Menschenhäufungen als Kovariable betrachtet. Aber ich wollte nur mal schnell und oberflächlich gucken, ob es ein allgemeines Hauen und Stechen gibt. Und ehrlich: Das gibt’s in Köln, FFM, Berlin, Bremen, Düsseldorf … Der Saalkreis ist nicht die Bronx der 80er. Aber bestimmt findet man irgendwas wo der Osten ganz vorne ist. Und ich such dann was raus, wo Schleswig Holstein führt!
2. Na wenn man abstrakt „Verrohung“ sagt, muss man sich aber auch solche abstrakten Statistiken gefallen lassen, denke ich. Alles und nichts kann unter Verrohung zusammengefasst werden. Mieter finden es „roh“, wenn die Vermieter mit allen Mitteln die Miete hochtreiben, Vermieter sagen, das ist ihr Recht. Friedensaktivisten finden es „roh“, wenn junge (Ost-) Männer so gerne in Afghanistan Zeit verbringen, die Männer sagen, sie verdienen nur ihr Geld. Ich denke eben man muss sich die jeweiligen Akteure, deren Erklärungen und Zwecke ansehen („das Motiv“) und nicht bloß deren Mittel „Körperverletzung“ oder „Mord“, auf das ich mich beim Datenwühlen kapriziert habe. Du hast gesagt: Schau doch mal in den Saalkreis, wie die Leute da drauf sind. Andere Kollegen haben gesagt, ich müsste doch nur mal in der Silberhöhe in die Haltestelle gucken. Das hat mich überhaupt erst auf die Idee mit diesem statistischen Vergleich gebracht. Denn: Was kann man denn im Saalkreis oder in der Halte sonst noch objektiv sehen?
3. Stimmt. “in der Regel” ist schwammig. Das sollte heißen, bei Verstößen gegen das Tierschutz- und Jagdgesetz ist natürlich das Dorf spitze, in der Regel liegt aber die Stadt bei Verbrechen vorne. Die Statistik vom BKA lässt sich übrigens gar nicht nach Rechten Taten („Staatsschutzdelikte“) durchsuchen, weil die seit 2001 nicht mehr dort aufgeführt werden. Das war also wirklich eine Darstellung von den Taten der Leute „untereinander“ ohne die „fremden Fremden“. Die rechte Statistik gibt’s beim Verfassungsschutz. Die Aussage über den Rechten Osten habe ich nur von einschlägigen Presseschlagzeilen.
Die Angaben beziehen sich immer auf Fälle pro 100.000 Einwohner (Sonst gäbe es keinen Bundesdurchschnitt). Die Täter sind (handelt es sich doch um ein ordentliches deutsches Amt) nach deutsch und nichtdeutsch aufgeschlüsselt, aber die „Opfer“ werden meines Wissens nach nur nach Alter und Geschlecht eingeteilt (was wunderbar der nationalen Logik der Leute im Lande entspricht!).
4. Man kann überhaupt nur als Nationalist auf den Trichter kommen, sich genau diese Gestalten auszusuchen! Zu dem „die“ MUSS nämlich rein logisch ein „wir“ gehören! Die BRD, ihre Fahne, Hymne usw. ist dabei nicht gleich der Nation! Und man darf nicht die „Demokraten“, die Realisten im Sinne der Nation, und die Nazis, die Idealisten im Sinne der Nation gleichsetzen. Aber dazu eben später.
5. „Schön“ heißt: „dass Freundschaften zwischen dem bürgerlichen und dem eindeutig faschistischem Millieu bestehen“. Über den erweiterten Bekanntenkreis Verkehr mit Nazi-Kadern haben zu müssen ist nicht schön!
6. Ich habe gestern auch euren Kulla Text gelesen. Ich könnte mir vorstellen, die etwas undiplomatische Art, die mir hier in der Diskussion auch schon um die Ohren geflogen ist, trägt was dazu bei, das die Schwelle zum schriftlichen/mündlichen Kontakt über Inhalte vielleicht etwas höher ausfällt als normalerweise. Aber das ist Geschmackssache.
Worum es mir bei der Besprechung der diversen Redebeiträge der NTFK auch geht, ist die dort angebotene Erklärung der Zusammenrottung eines Kollektivs, dass sich gemeinsam gegen Ausländer stellt. NTFK behaupten, solche Leute würden schlicht (bedingt durch eine Art allgemeine Verwahrlosung und Staatsferne) einem inneren Drang, jemanden fertig zu machen, nachgeben. Dieser Drang könne sich überall entladen, tut es aber nun gerade an Flüchtlingen, weil eben welche da sind, sonst machen die sich halt gegenseitig das Leben zur Hölle. Der zur näheren Erklärung des Sachverhalts empfohlene Artikel aus der Jungle World befasst sich aber mit dem NSU, dessen Treiben man vielleicht gesondert betrachten müsste. Weil der aber eben empfohlen wurde, und hie und da die dort genannten „Campingplatznazis“ als Stellvertreter für Ostdeutsche (Dorf-) Verrohung benutzt werden, nehme ich an, dass die hier gebrachte Gewaltaffinitätserklärung auch für das gelten soll, was der Mob in Tröglitz und der Silberhöhe treibt.
„Gewalt“
Es gibt ja eine Menge Gründe, aus denen sich Leute in der bürgerlichen Gesellschaft an den Hals gehen. Es gibt den Beziehungskrach, der nichts mit der „Unfähigkeit zur Ausbildung langfristiger libidinöser Beziehungen“ zu tun hat, sondern mit der Kompensationsfunktion, die das Private für den harten Alltag der Lohnarbeit hat und mit dem Anspruch „du sollst mein GLÜCK sein“. Die Verrechtlichung des Liebesverhältnisses in der Ehe sorgt dann dafür, dass man auch über das Ende der Liebe hinaus an den Ex gebunden ist, woraus sich dann die besten Mordmotive ergeben. Es gibt auch das oben genannte Verhältnis der Menschen als Privateigentümer, deren Bedürfnisbefriedigung stets die Schädigung des anderen zur Folge hat, was unweigerlich zu Konflikten führt. Da haben sich Mieter und Vermieter am Wickel und Arbeitskollegen versuchen sich von Posten zu verdrängen etc. Es gibt räuberische Gewalt als Mittel, die herrschende Eigentumsordnung gewaltsam zu umgehen, weil man etwas haben will. Und es gibt Gewalt als Mittel um sich Anerkennung in der Gruppe zu verschaffen, sich andere unterzuordnen und so zu. Das alles geht euch beim Besprechen der ostdeutschen Wastelands durcheinander. Man kann sich zwar empirisch mit Hinweisen für oder gegen „allgemeine Verrohung“ beschäftigen (siehe oben). Doch wenn man all die Sachen, für die es im Einzelnen jeweils spezielle Gründe gibt, in einen Topf wirft hat man Inhalt und Zweck aller Tätigkeiten getilgt und nur noch das Mittel am Wickel. Das ist ungefähr so, als würde man alles, was Leute sagen zum Vorgang des Sprechens erklären und damit alles Gesagte durchstreichen.
Ein Nazi, der den Kassierer im Laden um schubst, der seine Freundin verdrischt, der einen Saufbruder absticht, der kleine Jungs auf dem Zeltplatz demütigt und einen Ausländer tot prügelt, übt Gewalt aus. Ihr wollt hier aber keine Gründe sondern nur eine Häufung von Gewalttätigkeiten feststellen, zu der ihr dann „irrational“ sagt, weil ihr sie unlogisch findet. Ihr unterstellt, dass so ein „Zeltplatznazi“ gar kein nachvollziehbares Motiv erkennen lassen würde, wenn er nicht Ausländer oder Schwule verprügelt, wie er es als Nazi (!) eigentlich tun müsste! Also übt er eben erstens Gewalt um der Gewalt willen aus. Und wenn er das schon dort macht, dann schließt ihr zweitens, dass er es eigentlich auch bei Ausländern und Schwulen genauso machen müsste und es nur ggf. hinterher rationalisiert. Wenn so ein Nazi nun aber abgebrannt war und beim Kippenklauen im Laden erwischt wurde und deswegen geschubst hat? Wenn seine Freundin ihn betrogen hat? Wenn sein Saufbruder ihm den gewünschten Respekt verwehrt und ihn hart beleidigt hat? Wenn das verdreschen von Jugendlichen auf dem Zeltplatz vor einer Clique klarstellen sollte, wer hier die Hosen anhat? Da gibt es jede Menge VERSCHIEDENE Zwecke, zu deren Verfolgung der Nazi die SELBE Gewalt als Mittel einsetzt. Er verdrischt seine Freundin weil er Liebeskummer hat und den Ausländer, weil der nicht hierher gehört. Leute haben viele Zwecke, und durchaus die Fähigkeit, die Welt aus verschiedenen Perspektiven zu sehen: „Es kann doch nicht sein, dass ich hier einfach einen Molli reinwerfe und die Polizei macht nichts!“, den Satz sagte ein Nazi dem Spiegel in Rostock, der Ausländerhasser und Begutachter der Effizienz der Durchsetzung staatlicher Ordnung in einer Person vereinigt war. Soll schon vorkommen.
Das Abstraktum Gewalt (ohne Berücksichtigung ihres Zweckes) fällt euch nur auf, weil in dieser Gesellschaft (private) Gewalt als Mittel so geächtet ist. Hätte der Zeltplatznazi in allen Situationen mit verbalen Unflätigkeiten reagiert, hätte man dann die Gemeinsamkeit in der Mittelwahl in einen inneren Beleidigungstrieb verschoben? Das Beispiel mag erstmal banal wirken, weil man als Gegenüber des Nazis ja dessen Gewaltanwendung zu spüren bekommt und man nicht unbedingt davon ausgehen kann, mit dem über die konfliktträchtige bürgerliche Gesellschaft reden zu können. Was es aber am Ende heißt ist: Man kritisiert nicht dessen Stellung zu den Menschen, die „nicht hierher gehören“ oder dessen Besitzanspruch auf eine Frau etc. sondern eigentlich, dass er das mit den falschen Mitteln exekutiert.
„Gewaltaffinität und Rationalisierung“
Die Latenztheorie: Was jetzt passiert, passiert nur, weil es vorher schon da war, nur eben latent. So haben wir einen Gewaltaffininen, einen „potentiellen Gewalttäter“, der durch Kontakt zur rechten Szene dann zum tatsächlichen Gewalttäter wird und dort ein geschlossenes NS-Weltbild ausprägt, dass ihm hilft, seine Gewalttaten hinterher zu rationalisieren. Ist die rechte Szene eigentlich auch durch ihre Gewaltaffinität so gewalttätig geworden und wer hat der denn dann das nötige Klima dazu verschafft? Oder ist die „ursprüngliche Szene“ gar nicht von Gewaltaffinen geprägt und zieht nur wundersamerweise Gewaltaffine an, die dann endlich praktisch werden können? Hat Böhnhardt das versuchte Abstechen des Kumpels auch mit der Nation rationalisiert („ich stech‘ Dich ab für Deutschland“)? Woher weiß man eigentlich, dass die Leute das hinterher erst „rationalisieren“ und nicht vorher schon gute Gründe hatten? Der NSU ist also letztlich Opfer seiner unbeherrschbaren Triebe geworden?
Was weiß man denn eigentlich von dem inneren Trieb, der Neigung, der „Affinität zur Gewalt“ außer ihrer Wirkung, nämlich, dass sie (natürlich nur im richtigen Umfeld) Gewalt hervorbringen? Man verdoppelt hier also bloß den Erklärungsgegenstand der Gewalt in „Gewalt“, die man beobachtet und in „die Neigung zu ihr“, die irgendwo im Inneren des Menschen verborgen sein soll und zu ihr führt. Man erklärt also letztlich Gewalt mit ihr selbst: Gewaltbereitschaft ist dem Menschen grundsätzlich zu eigen, wir sehen ja, wie sie dauernd gewalttätig sind! Bei euch kommt natürlich noch der passende äußere Faktor dazu, der Auslöser, der den Trieben zu ihrem Recht verhilft: Die rechte Szene etwa, oder das schlechte Umfeld, von denen man ja weiß, dass sie “Gewalttäter ausbrüten“. Aber um deren Erklärungswert ist es ähnlich gut bestellt, wie um den der „Affinität“.
Ist der Breivic auch nur gewaltaffin gewesen? Hat er seine Taten nur in einer „übertriebenen Neigung“ zum Pflichtbewusstsein schon vor den Morden auf 300 Seiten „rationalisiert“? In so einem Fall ist es vielleicht besser, den gleich ganz zum Irren zu erklären, wie das vor Gericht auch getan wurde! Auffällig ist, dass die Gewaltaffinitätsdenker, gerade die Gewaltanwendung, die sie für richtig halten, nicht in das Triebleben der Leute verschieben, sondern aus Wille und Bewusstsein handelnder Subjekte erklären. Meist ist das die Gewaltausübung staatlicher Organe, weil die ohnehin erlaubt ist.
„Nationalismus“
Nun zurück zu Tröglitz et al,. Es hätte mal einer sagen müssen, was das Zerfallsprodukt eines Nationalismus vom Nationalismus unterscheidet. Sind die Leute jetzt nur noch „ein bisschen“ Nationalisten da? Ich nehme aber mal an, dass damit gemeint ist, dass die Leute ihre gewaltaffine Gewalt, die sich im Zusammenrotten zur gemeinsamen Ausländerbekämpfung manifestiert, „als einen Dienst an einer höheren Sache rechtfertigen“, die sie aber im Moment der Gewaltausübung gar nicht im Sinn hatten (Rationalisierung). Es stellt sich nur die Frage, woher diese Leute wissen, dass ihre bevorzugten Opfer Schwule, Migranten, Behinderte etc. sind., und wieso es ihnen so schwer einleuchtet, ihre Taten so nationalistisch rationalisieren, wie sie es eben tun. Haben diese Leute nicht beim Staat Menschensortieren gelernt in „wir“ und die „anderen“, in produktive und unproduktive, in Leistungsträger und in welche, die uns nur Geld kosten, die wir aber aus moralischen Gründen durchfüttern müssen? Hören die nicht die ganze Zeit, dass Migranten eine einzige Last sind, weil die sich so schlecht integrieren und so viel kosten? Sind nicht Schwule, die sich hedonistisch die Finger in den Po stecken anstatt zu zeugen unsere Feinde, wenn der Staat sich auf allen Kanälen um die (deutschen) Geburtenziffern sorgt? Ist die vermeintliche nachträgliche Rationalisierung nicht vielleicht doch ein vorher schon geteiltes negatives Urteil über Leute, das bei entsprechender Gelegenheit praktisch gemacht wird?
Zu Patriotismus ist im oben geposteten Link genug gesagt. Ich habe das Gefühl, ihr denkt aber dabei nur an Hymne singen und das Staatswohl im Auge haben. Aber Staat und Nation sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Am extremsten erkennt man diese Trennung gerade bei den Reichsbürgern mit ihrer BRD GmbH, die diesen Staat als eine einzige Zumutung für ihre deutsche Nation betrachten. Ein deutscher Nationalist ist nichts anderes als einer, der sein deutsch sein als seine natürliche Eigenschaft empfindet. Von diesem Standpunkt aus glaubt er, es gut getroffen zu haben und eine Gemeinsamkeit mit den anderen Deutschen zu besitzen. Dabei ist er meistens ignorant dagegen, dass die Rollenverteilung in der Klassengesellschaft, zwischen arm und reich und oben und unten denkbar ungleich ist und dass ihm alle ständig ans Leder wollen, wegen gerade genannter Gründe. Ein kritischer Nationalist kommt angesichts solcher Feststellungen nur auf die Idee, das Volk müsste mal wieder ordentlich „hergerichtet“ werden und manch einer macht es auch praktisch, weil dieser Weicheistaat das nicht hinkriegt. Ein Nationalist wundert sich nicht über die ganzen Widersprüche, die in der Nation zuhause sind und dass Sprache, Kultur und Geschichte niemals irgendeine urwüchsige Gemeinschaft herstellen. Nationalismus ist eben eine Ideologie und deren immanente Widersprüche jucken den Nationalisten nicht.
Leute kommen von der Nation so schwer weg wie von der Familie, deshalb vergleiche (nicht gleichsetze!) ich die hier mal, um das zu illustrieren. Die Familie ist eine vom Staat geschaffene rechtliche Einheit, in der durch Gesetze genau geregelt wird, wer dazu gehören darf und wer nicht. Man kann nicht einfach so raus aus der Familie, man darf nicht mehrere Männer heiraten, Kinder sind ein Leben lang Kinder ihrer Eltern und haben deswegen Pflichten und Rechte gegenüber denen und umgekehrt etc.pp. Die Leute glauben aber, dass das „Blut“ die feste Verbindung schafft und stören sich überhaupt nicht an dem fundamentalen Loch in ihrer Logik, dass die Gründer einer Familie aber praktisch nie Geschwister gleichen „Blutes“ sind. Selbst wenn das Blut dicker als Wasser wäre, passieren in der Familie die meisten Morde und Vergewaltigungen (…) überhaupt. Nähme man Gewaltprävention ernst, müsste man Familien verbieten. Trotzdem lässt kaum jemand etwas auf die Einrichtung der Famile kommen, im Höchstfall ist man enttäuscht, weil andere Familienmitglieder mit ihrem Egoismus die schöne Familie kaputtgemacht haben und ruft sie auch schon mal gewalttätig zur Raison. Vergleichbar, nicht gleich, verhält es sich mit der Nation und der Stellung zu ihr.
Vom Standpunkt des Nationalisten aus gesehen, verändert sich nun die Betrachtung der Welt. Ein Sport wird interessant, wenn die Nation dort gut abschneidet (Tennis Boom nach Boris Becker). Die Abstraktion von Sport schlechthin, die bloße Medaillensammelei hinter der kleinen Flagge auf dem Bildschirm zu Olympia, wird begierig verfolgt. Wenn Deutschland spielt, ist allen klar, dass es um Fußball geht und wenn man zur WM den Dritten macht, dann sagen die Leute, das ist genau richtig, wir sind nämlich bescheiden! Der Erste wird aber auch gern gefeiert. Die Leute hier haben kein Pfützchen mehr im Schlüpfer, wenn sie die Hymne hören, denn sie pflegen einen verantwortungsvollen Nationalstolz, keinen Hurrah-Patriotismus, sie sind kritisch mit ihrem Staat und seiner Regierung. Manche Nationalisten tun das sogar, weil sie irgendetwas aus der Geschichte gelernt haben wollen. Ein Nationalist fragt natürlich nicht jeden Morgen, „was kann ich heute gutes für Deutschland tun?“. Aber er fragt sich andauernd, wo es mit diesem Land noch hingehen soll. „Was wollen wir denn in Afghanistan?“, „Was wollen denn die Flüchtlinge bei uns?“ oder „Was haben wir vom neuen amerikanischen Präsidenten zu erwarten?“. Was im hinterletzten Winkel Afrikas passiert interessiert die Leute plötzlich, weil sie die deutsche Brille aufhaben. Es interessiert sie, weil es Deutschland interessiert und es interessiert sie in einer höchst parteilichen Art, weil sie wissen, dass ihr Wohlergehen eine Bedingungen hat: Dass es Deutschland gutgeht. Dass man umgekehrt aus einem starken Deutschland kein persönliches Wohlergehen ableiten kann, ärgert tatsächlich viele Leute, darunter viele Ossis. Die leben nämlich da, wo ein Staat in der Vergangenheit seinen Erfolg hin und wieder in kleineren Wohltaten für die Leute zelebriert hat und sich gelegentlich selbst an „sozialen Errungenschaften“ gemessen hat. Damit ist es natürlich heute beim Exportweltmeister vorbei. Manch ein enttäuschter Nationalist ist da aber ganz Idealist und glaubt, dem Staat in Sachen Asylpolitik etwas auf die Sprünge helfen zu müssen, damit die Rechnung endlich zu seinen Gunsten aufgeht, weil der Staat hier offenbar die Interessen der Nation verrät. Die meisten anderen Nationalisten sind Realisten und gehen eben wählen, weil ihnen das erlaubt ist.
Ps.: Weil die Nation gerade nicht in Stahlgewittern gegen die Franzosen steht, verlangt sie auch keine Helden, die sich für sie opfern. Es ist also banal zu sagen, das würde eh keiner mehr machen, wenn es gar nicht erwünscht ist, weil es gerade nicht zu den Vorhaben des Staates passt. Aber mal sehen, wie es in Sachen IS mit der Opferbereitschaft des Volkes fürs Vaterland so weiter geht. Da sehen sich jetzt schon viele im Schützengraben liegen um „unsere Lebensweise“ zu verteidigen.
Es darf auch nicht mehr um Gold für Eisen gebeten werden, deswegen kommt ein moderner Staat auch gar nicht auf diese Idee. Heute werden Kriege in ordentlichen Staaten lässig mit Kredit und Steueraufkommen geführt. Sonst würde man sich auch auf dem Finanzmarkt sofort unglaubwürdig machen, wenn man die Bevölkerung für die Kriegskasse anbetteln müsste.
Ähm, wie war das doch gleich mit dem Kurzfassen?
Text und Kommentare hier sind eine erfreuliche Abwechslung zur frustrierenden Diskussionskultur in den Leitmedien.
Zur „Verrohung“ des dörflichen Mobs.. der Begriff ist nicht recht fassbar. Verroht im Vergleich wozu? Ist diese Verrohung nur als ein Prozess der Auflösung bzw. des Verfalls zu begreifen, oder nicht doch auch in die andere Richtung zu deuten, als Radikalisierung eines Potentials. Das zielt auf die Rede vom „Extremismus der Mitte“ ab, was der Text auch andeutet. Verbreitete Menschenfeindliche Einstellungen, die zu menschenfeindlichen Handlungen werden. Der Zusammenhang ist ja nun leider immer eine theoretische Blackbox, doch ich wage mal die These, dass in einer Gegend wo im Schnitt 5 bis 6% der Stimmen an die NPD gehen und im Gemeinderat Elsteraue ein Vertreter sitzt, entsprechende Mentalitäten auf organisatorische Strukturen treffen, die den „Protest“ auf die Beine stellen, laut machen und eskalieren lassen. Die Frage ist, ob Tröglitz für alle Ostdörfer symptomatisch ist, dass also unter gleichen Bedingungen überall der Mob losbricht, oder eher für ein Dorf in einer Region mit starker und anhaltender Präsenz parteigebundener und ungebundener Rechtradikaler. Also Pest und Cholera hier aufeinander treffen.
Ich finde das Auseinanderdividieren von „Nationalismus“ in Staatstreue und völkisches Denken plausibel. Rechte denken beides zusammen, im Sinne ihrer „wahren Demokratie“, der (Willens-)Einheit des ethnisch homogenen Pöbels und seiner charismatischen Führer, nicht der Demokratie der Mehrheitsentscheidungen von Unterschiedlichen. Immer zählt die Doktrin „Handeln statt Reden“, also „Volk statt Parlament“ – erzeugt das Gefühl größerer Authenzität, oder überhaupt ein Gefühl.
[…] habe ja lange überlegt, ob ich zum neuesten Erguss der AG no tears for krauts wirklich schon wieder was schreiben soll; ich konnte mich nicht entscheiden, ob der Text gegen die […]
[…] habe ja lange überlegt, ob ich zum neuesten Erguss der AG no tears for krauts wirklich schon wieder was schreiben soll; ich konnte mich nicht entscheiden, ob der Text gegen die […]