Leicht hat es der Innenminister des Landes Sachsen-Anhalt wirklich nicht. Die Landtagswahl 2016 rückt immer näher, und das Image von Holger Stahlknecht bekommt Kratzer. Grund ist sein Mitwirken bei der Enttarnung des V-Manns »Corelli« alias Thomas Richter, der 2014 in seiner Wohnung tot aufgefunden wurde. Der Hallenser Neonazi arbeitete fast 20 Jahre für den Verfassungsschutz und wurde im September 2012 aufgrund einer möglichen Enttarnung zur eigenen Sicherheit und mit neuer Identität nach Großbritannien ausgeflogen. Am gleichen Tag lud Stahlknecht die Journaille zum Kaffeekränzchen ein und polterte aufgeregt heraus, dass Richter und »Corelli« ein und dieselbe Person seien. Natürlich wies er darauf hin, dass diese Information diskret zu behandeln sei, um den V-Mann zu schützen. Während des Gesprächs mit den Journalisten plauderte der stählerne Knecht nicht nur geheime Informationen aus, sondern zeigte mit dem Finger auf Petra Pau von der Linkspartei, die seiner Meinung nach Geheimnisverrat begangen und so zur möglichen Enttarnung Richters maßgeblich beigetragen habe. Es zeugt schon von einem hohen Maß an Dummdreistigkeit, Geheimnisse zu verraten und dabei jemand anderem Geheimnisverrat zu unterstellen. Die Anschuldigungen gegen Pau erwiesen sich in Folge einer Untersuchung als haltlos und aus der Luft gegriffen. Geheimnisverrat und Amtsmissbrauch heißen die Vorwürfe gegen Stahlknecht, die jetzt in mehreren Sondersitzungen des Landtages diskutiert werden. Der Minister räumte inzwischen ein, Fehler gemacht zu haben. Trotz des zaghaften Einlenkens seinerseits landete das Kind im Brunnen und das kantige Antlitz des Oberleutnants der Reserve abermals in den Medien. Vor seiner Wählerschaft als Plaudertasche und Lügenkobold dazustehen, gehörte wohl nicht zu seiner Wahlkampfstrategie.
Auch das Predigen einer Willkommenskultur für Flüchtlinge ist nicht gerade ein Stimmenmagnet für die wahlberechtigte Klientel seiner Politscholle. So musste sich Stahlhelm-Holger beim zweiten Asylgipfel des Landes im Juli dieses Jahres vermutlich überwinden, höhere Kapazitäten zur Unterbringung von »Asylbewerbern ohne Bleibeperspektive« (Mitteldeutsche Zeitung) zuzusichern. Dass es sich dabei um Container handelt und nicht um Luxusvillen, mag ein kleiner Trost für ihn sein. Auch die Erhöhung der Anzahl von Psychologen im Land, die sich um traumatisierte Flüchtlinge kümmern, musste er abnicken. Die Kritik an seiner Person und sein Gerede von Vielfalt und Toleranz passen hinsichtlich seiner Wählerschaft nicht zu einem erfolgreichen Wahlkampf Holger Stahlknechts. Deshalb musste er dem Wahlvolk zeigen wie seine Vorstellungen einer gelungenen Willkommenskultur tatsächlich aussehen. Einen Tag nach dem Asylgipfel ordnete er die bisher größte Sammelabschiebung des Landes Sachsen-Anhalt an und ließ 59 Flüchtlinge aus dem Kosovo in ein Flugzeug verfrachten und nach Pristina ausfliegen. Nach einigen erfolgreich verhinderten Abschiebungen in Magdeburg und Merseburg, die den Innenminister offensichtlich persönlich gekränkt hatten, erfolgte diese ohne weitere Ankündigung in einer Nacht- und Nebelaktion. Wenigstens blieb den sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen sechs Uhr morgens noch Zeit, ihre Kinder zu wecken und die Koffer zu packen, bevor sie von einem Sondereinsatzkommando der Polizei zum Flughafen gebracht wurden. Vielleicht ist ja die neue Abschiebepraxis der Grund für die Erhöhung der Anzahl von Psychologen zur Betreuung von traumatisierten Flüchtlingen. »Damit wird ein deutliches Zeichen gesetzt«, so Stahlknecht. In Zeiten brennender Flüchtlingsunterkünfte ist so ein Zeichen wahrscheinlich unbedingt nötig, um sich die Gunst seiner Wähler von Tröglitz bis in den hallischen Stadtteil Silberhöhe zu sichern. Wen kümmern dann noch Bagatellen wie Geheimnisverrat und falsche Anschuldigungen oder Äußerungen wie in Stahlknechts Rede zur Willkommenskultur im Mai, die bei jedem regionalen CDU-Wähler Herzrasen verursacht haben muss: »Ich habe schon in anderem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die Probleme, die wir bisweilen im Umgang miteinander haben, nicht zwingend daher rühren, dass wir zu viele sondern vermutlich eher zu wenige ausländische Mitbürger in Sachsen-Anhalt haben. Uns fehlt zum Teil die Selbstverständlichkeit im Umgang mit Anderen, um Vielfalt als Bereicherung zu begreifen, in sozialer, kultureller und auch in ökonomischer Hinsicht.«
Den abgeschobenen Flüchtlingen, die scheinbar weder ökonomisch noch kulturell eine Bereicherung fürs Land gewesen sind, ist jedenfalls zu wünschen, dass sie sich vom nächtlichen Stahlgewitter im Land der Frühaufsteher erholen. Für die hier lebenden Flüchtlinge bleibt nur zu hoffen, dass der Innenminister über kurz oder lang an seinem Dilettantismus scheitert und sie von weiteren »deutlichen Zeichen« verschont bleiben. Im Angesicht der potentiellen Wählerschaft in Sachsen-Anhalt ist diese Hoffnung jedoch gering. Bekanntlich bekommt jeder Bauer den Knecht, den er gewählt hat. [flp]
Holgers Stahlkampf in SA
19. Oktober 2015 von bonjour tristesse
Immer noch aktuell!
http://hallespektrum.de/meldungen/polizeimeldungen/sammelabschiebung-77-personen-aus-dem-kosovo-zurueckgefuehrt/184699/