»Der verstorbene H. G. Wells erzählt in seiner ›Zeitmaschine‹ von einem Endzustand der Menschheit, bei welchem eine Hälfte der Erdbewohner zu unterirdisch lebenden, rattenartigen Kloakengeschöpfen verkümmert sind, Bedienstete einer seit Jahrtausenden in ihren Handgriffen immer wieder vollzogenen Technik. Wells nennt sie die Morlocken. Ob sie nicht in einer Übergangszeit auf einen komfortableren, einschmeichelnderen Namen gehört haben – etwa Kulturschaffende?«
Wilhelm E. Süskind
Im Jahr 1845 beschrieb Karl Marx das Bürgertum seines Herkunftslandes mit folgenden Worten: »Der hohle, windige, sentimentale Idealismus des deutschen Bürgers, hinter dem der kleinlichste, schmutzigste Krämergeist verborgen liegt, die feigste Seele sich versteckt, ist zur Epoche gekommen, wo er notwendig sein Geheimnis verraten muss. Aber er verrät es wieder in echt deutscher, überschwänglicher Weise. Er verrät es mit idealistischchristlicher Scham. Er verleugnet den Reichtum, indem er ihn erstrebt. Er verkleidet sich ganz idealistisch den geistlosen Materialismus, und dann erst wagt er, nach ihm zu haschen.« Marx’ Kritik der »Heuchelei des nach Herrschaft strebenden deutschen Bourgeois« kann auch mehr als anderthalb Jahrhunderte nach ihrer Niederschrift ein hohes Maß an Aktualität für sich beanspruchen, auch wenn sich längst nicht mehr von einer deutschen Bourgeoisie sprechen lässt. Deutlich wird das, wenn man sein Urteil über die Klasse der emporstrebenden Fabrikbesitzer betrachtet: »Der deutsche Bürger […] scheut sich, von Konkurrenz zu sprechen, und spricht von einer nationalen Konföderation der nationalen Produktivkräfte, er scheut sich, von seinem Privatinteresse zu sprechen, und spricht vom Nationalinteresse.« Zwar ist der Typus des deutschen Stahl-, Eisenbahn- oder Maschinenfabrikanten – über den Marx spottete, er würde »die angestammten Herrscherhäuser um Erlaubnis« bitten, »die ›Industrie‹ mit ›Gesetzeskraft‹ einzuführen« – längst verschwunden. Geblieben ist jedoch das, was Marx als »Heuchelei des […] deutschen Bourgeois« bezeichnete: die Verschleierung des Eigeninteresses durch eine »hohle idealistische Phraseologie«, die Verteufelung des Eigennutzes bei dessen gleichzeitiger und rücksichtsloser Verfolgung sowie das Palavern über die Zukunft der Nation, wenn man in Wahrheit die eigene, individuelle Zukunft meint. Diese »Heuchelei« ist längst nicht mehr bloß Eigenschaft einer einzelnen Bevölkerungsschicht. Vielmehr lässt sich heute mit ihr ein großer Teil der Deutschen charakterisieren. Zu spüren ist dies besonders in Krisenzeiten, wenn die Rede gegen Gier, Egoismus, Eigennutz und sogenannte Gemeinschaftsschädlinge Legion wird und reflexhaft hochschwappt wie Magensäure bei chronischem Sodbrennen.
WES BROT ICH ESS, DES LIED ICH SING
Im Osten, wo die Krise dauerhaft und die Verteufelung des individuellen Strebens nach Reichtum bei gleichzeitig vorhandener, hemmungsloser Abgreifmentalität am stärksten ist, gehört die von Marx beschriebene Scheinheiligkeit zum Rüstzeug eines jeden, der es zu gesellschaftlicher Anerkennung bringen möchte. Kein Wunder also, wenn sie hier besonders stark bei Menschen ausgeprägt ist, die von Berufs wegen auf gesellschaftliche Achtung, auf Fans und Bewunderer angewiesen sind: die Protagonisten des Kulturbetriebs. Ein besonders sprechendes Beispiel hierfür liefert Ralf Schmidt, ein in Halle geborener Musiker, der im Sommer 2011 aus der Hauptstadt in seinen Geburtsort zurückkehrte und von der hiesigen Szene mit offenen Armen empfangen wurde. Für Leser, die ihr 40. Lebensjahr noch nicht hinter sich gelassen beziehungsweise wenig Interesse am musikalischen Output des Realexistierenden Sozialismus haben: Ralf Schmidt war der bekannteste und erfolgreichste Popstar der DDR, langjähriger Frontmann, Texter und Komponist der Ostrockband Stern Meißen und startete unter dem Künstlernamen IC (später IC Falkenberg, heute Falkenberg) eine staatlich hofierte Solokarriere.
Auch Falkenberg hat ein paar Geheimnisse. Auch er verrät sie in »echt deutscher, überschwänglicher Weise«. Sein erstes, leicht zu enthüllendes, betrifft den wahren Grund seiner Rückkehr in die ostdeutsche Provinz. Um zu verhindern, dass ihm jemand auf die Schliche kommt, erzählt Falkenberg bei jeder sich bietenden Gelegenheit, dass es eine freie und zwanglose Entscheidung gewesen sei, an den Ort seiner Kindheit zurückzukehren. So behauptete er in der Mitteldeutschen Zeitung (MZ), seiner Haus- und Hofpostille, bei der er mit dem Naziversteher Steffen Könau seinen größten Fan gefunden hat: »Ich hätte wirklich überall wohnen können in Deutschland.« Der Wegzug aus Berlin habe vielmehr mit seinem »Lebenskonzept« zu tun, das »Freiheit durch Veränderung« laute. Wie frei seine Entscheidung zur Veränderung wirklich war, verriet er unfreiwillig selbst, als er der Berliner Zeitung seine mit der Rückkehr verbundenen Gefühle offenbarte: »Berlin ist die Geliebte, und Halle ist die Mutter.« Es kann nicht allzu gut um jemanden bestellt sein, der seine Koffer packt, bei seiner langjährigen Geliebten auszieht und wieder bei Mutti Unterschlupf sucht. Und in der Tat, wirklich gut lief es für Falkenberg im Jahr des Umzugs nicht. Nach seiner Glanzzeit in der DDR, wo er in den 1980er Jahren, ob mit Band oder solo, die staatlichen Hitparaden anführte, wurde es in der Nachwendezeit, wie bei vielen seiner Kollegen, erst einmal ruhig um ihn. Seine Landsleute wollten lieber die Kelly Family, die Scorpions oder die Rolling Stones auf der Bühne sehen. Auf den Tanzflächen des ehemaligen Ostblockstaates hielten mit MC Hammer, Snap! und New Kids on the Block Hip Hop, Eurodance und Boygroup-Pop Einzug. Die »sozialistische Jugendtanzmusik« à la Schmidt lockte einfach niemanden mehr hinter dem Ofen vor. So richtig begann man erst wieder von ihm zu hören, als die Ostbands im Zuge des in den späten 1990er Jahren einsetzenden DDR-Retro-Booms wie Zombies aus ihren Gräbern stiegen und den Soundtrack zur neuen Sehnsucht nach Ampelmännchen, Knusperflocken, FKK-Stränden und Jugendwerkhöfen lieferten. Die Ostalgiewelle spülte auch Falkenberg wieder etwas Geld in die klamme Haushaltskasse. Im Jahr 2002 gab es erstmals wieder Auftritte vor größerem Publikum, als er mit seinem Kollegen Dirk Zöllner unter dem Projektnamen »Ostende« durch die ehemalige DDR tourte. Zwei Jahre später feierte auch seine alte Band Stern Meißen, die sich 1989 aufgelöst hatte, ihre Wiedervereinigung in alter Besetzung und gab regelmäßige Konzerte, die gut besucht waren. Damit war es für Falkenberg jedoch ab 2009 vorbei. Er wurde aus der Band geworfen, und eine erfolgreich begonnene Akustik-Tour mit ein paar alten Bandkollegen wurde ihm vom Bandchef untersagt. Hinzu kam, dass auch die Ostalgiewelle ihren Zenit überschritten hatte. Die Zeiten waren für Falkenberg wieder deutlich schlechter geworden, und auch die Hauptstadt war, wie er im volkstümelnden Heimatblatt Hallesche Störung (vgl. Bonjour Tristesse # 14) beklagte, einfach »persönlich nicht mehr das«, was er »so viele Jahre übermäßig und kritiklos geliebt« hatte. Er »musste da raus«. Mit anderen Worten: Die wenigen Fans in Weißensee und Hohenschönhausen reichten einfach nicht mehr aus, um einem abgehalfterten Ost-Star über die Runden zu helfen. In der boomenden Partymetropole krähte einfach kein Hahn mehr nach ihm. Klar also, dass es ihn dorthin zog, wo ihn die Leute mit ausgebreiteten Armen empfingen: in die Provinz nach Halle.
Für die freundliche Aufnahme und dafür, dass sein offenes Geheimnis nicht laut ausgeplaudert wurde, bedankte sich Falkenberg auf seinem 2012 erschienenen Studioalbum mit einem Halle-Song, der auf seinen Konzerten in der Saalestadt seitdem nicht mehr wegzudenken ist. In der »Stadt, die keiner kennt« gibt er jenen vermeintlich gefühllosen Nörglern Bescheid, bei denen sich angesichts der in Halle grassierenden Dummheit, Bräsigkeit und Hässlichkeit keine rechte Heimatliebe einstellen will: »Du fragst nach dem Stolz und nach den Oasen / Nach Schätzen und Schönheit nach Wissen und Licht / Das alles ist sorgsam im Herzen verborgen / Doch wenn du keins hast, dann siehst du es nicht«. Falkenberg hingegen hat ein Herz, und zwar nicht nur eins, mit dem er gut sehen kann, sondern eins, »das brennt und brennt / für die Stadt die keiner kennt« – daran soll ja niemand zweifeln. Und damit daran niemand zweifelt, singt er in schlimmster Pennäler-Lyrik, die seine Fans für große Poesie halten, von der »Liebe«, die »groß« sei »in den engen Straßen«. Und er schwadroniert von der »Sehnsucht der Seele«, die an den Ufern der Saale einen Platz habe.
PROTEST UND POPULISMUS
Doch Falkenberg schreibt nicht nur lokalpatriotische Ranwanz-Hymnen. Er ist auch ein Mann der politischen Tat. Bereits Ende Juni 2013 hatte er sich zum Sprachrohr der hallischen Kulturmafia aufgeschwungen, als er sich in der MZ im besten Wutbürgerjargon darüber empörte, dass in Sachsen-Anhalt »in unglaublichen Ausmaßen missgewirtschaftet« und »Steuerzahlers Geld« auch »in unserer Region für Megaprojekte wie den Flughafen Cochstedt und den Hafen Halle ausgegeben« werde. Die »Milliarden, die zur Bankenrettung verschleudert wurden«, fehlten »bei der Finanzierung gesellschaftlicher Grundnahrungsmittel wie Kultur und Bildung«, weshalb nun Barbarei und das Aussterben ganzer Landstriche drohten: »Ohne Kultur verroht die Gesellschaft zwangsläufig. Der Abbau von Kultur wird in den betroffenen Regionen am Ende immer zu Entvölkerung führen.« Um den schleichenden Nationaltod durch die Abwanderung von Theaterliebhabern zu stoppen, fordert er von den Bürgern der Saalestadt, ihre »demokratische Pflicht« zu erfüllen und für ihre »Rechte« wie »Kultur und Bildung« zu kämpfen: »Wir dürfen dieses Land und diese Stadt nicht verrotten lassen.« Am 10. Dezember vergangenen Jahres reihte er sich zusammen mit Oberbürgermeister Wiegand und circa 1.000 anderen Hallensern in eine Menschenkette um das Neue Theater ein und gab ein kostenloses, mitternächtliches Konzert, um gegen anstehende Kürzungen des Landesetats für die Theaterförderung zu protestieren.
Falkenbergs alarmistisches Getöse, mit dem er die nationale Karte spielt, sobald ein Provinztheater von der Schließung bedroht ist, verbirgt ein weiteres seiner Geheimnisse. Es kommt umso deutlicher zum Vorschein, je lauter er den Untergang der Nation herbeiredet. Marx hatte den Typus des deutschen Fabrikbesitzers vor Augen, als er schrieb, »er scheut sich, von seinem Privatinteresse zu sprechen, und spricht vom Nationalinteresse«. Heute klingt der Satz jedoch, als wäre er direkt auf Gestalten wie Falkenberg gemünzt. Falkenbergs Deutschland-stirbt-Rhetorik verschleiert in allererster Linie ein nicht zu leugnendes und durchaus nachvollziehbares Interesse, das er am Erhalt des bestehenden ostdeutschen Kulturbetriebes hat. Denn: Diejenigen, die neben den festangestellten Mitarbeitern von den Schließungen ostdeutscher Provinzbühnen betroffen wären, sind auch die Freien Künstler. Als Angehörige einer prekär lebenden Schicht laufen sie durch die geplanten Streichungen Gefahr, potentielle Brötchengeber zu verlieren, auf die sie besonders in schlechten Zeiten angewiesen sind. Ein kurzer Blick in Falkenbergs Vita genügt, um festzustellen, dass auch ihm die Theaterszene in Zeiten des Misserfolgs immer wieder ein Einkommen bescherte.1 Kein Wunder also, dass er in der aktuellen kulturpolitischen Kürzungsdebatte den lautesten Brüllaffen gibt. Es ist schließlich nicht sein überragendes Talent als Komponist, Musiker und Sänger, sondern sein Name, der ihm jene Gastengagements einbringt, von denen sich die Intendanten angesichts der geringen Zahl an Theaterbesuchern den einen oder anderen Zuschauer mehr erhoffen. Mit drastischen Budgetkürzungen und eventuellen Schließungen, die aktuell vor allem im Osten der Republik auf der Tagesordnung stehen, würden auch gutbezahlte Gastverträge immer unwahrscheinlicher werden. Ein erneutes Kofferpacken hilft da auch nicht weiter: Mit einem Ost-Promi-Bonus lässt sich im Westen bekanntlich nicht allzu viel anfangen.
AUS DEM WÖRTERBUCH DES UNMENSCHEN
Falkenbergs Populismus kaschiert jedoch nicht nur sein Eigeninteresse. Er gibt vielmehr Auskunft über die geistige Verfassung eines Berufsstandes, dessen Angehörige sich selbst gern als Kulturschaffende bezeichnen. Der Begriff »Kulturschaffende« tauchte zwar vereinzelt bereits in den 1920er Jahren auf. Populär wurde er aber erst mit Gründung der Reichskulturkammer im Jahr 1933 und dem 1934 im Völkischen Beobachter veröffentlichten »Aufruf der Kulturschaffenden«, in dem Künstler wie Emil Nolde, Ernst Barlach, Wilhelm Furtwängler und Richard Strauss bekundeten, »zu des Führers Gefolgschaft« zu gehören und in »Vertrauen und Treue zu ihm zu stehen«. In der DDR wurde das Wort nahtlos weiterverwendet. Nicht von ungefähr hat der Begriff seinen festen Platz im »Wörterbuch des Unmenschen« gefunden. »Den modernen Unmenschen«, so Wilhelm E. Süskind in seinem dortigen Beitrag, »dürfen wir zwischen dem Barbaren und dem Ungeheuer placieren, denn über das bloß Ungeschlachte und Fremde des Barbaren (des homo incultus) ist er in Richtung aufs Ungeheuerliche weit hinausgelangt vermöge seiner übersteigerten Gebräuche, vom Nationalismus bis zum mechanischen Kulturvollzug. Denn ungleich dem naiveren Barbaren legt er nicht nur die Merkmale und Amuletts der Kultur äußerlich an, sondern er übt Kultur aus, er macht in Kultur, er hält sie mit immer größerer Selbstverständlichkeit für einen Gegenstand, eine Sparte innerhalb der Lebensorganisation, mit dem und dem Etat auszustatten, der und der Betreuung zu unterwerfen.« Wenn sich Kultur in einen staatlich organisierten Teilbereich verwandelt, braucht es auch blinde Funktionsträger, die für ihn zuständig sind – die Kulturschaffenden. Dabei ist der für diese Aufgabe nötige »Übergang von der Selbständigkeit zur Unterordnung, vom Aktiven zum Passiven« bereits im Wort selbst angelegt, schreibt Süskind: »So wird auch der Reisende mehr dahingetragen als der Wanderer, und der Schaffende sieht sich eingeteilt in Verrichtungen, die zwar von ihm getan, aber wie von unsichtbaren Fließbändern der ›Fachschaft‹ an ihn herangetragen werden.« Dass im »mechanischen Kulturvollzug« die Inhalte aller schöpferischen Tätigkeiten, die Inhalte dessen, was allgemein als Kultur bezeichnet wird, völlig austauschbar, beliebig und damit bedeutungslos sind, liegt auf der Hand.
Falkenbergs Verständnis von Kultur ist in allererster Linie ein spezifisch deutsches. Kultur gilt hierzulande als etwas Essentielles, als ein Träger ewiger Werte, die es unabhängig vom spezifischen Inhalt um jeden Preis zu bewahren gilt. Über sie wird nicht gestritten. Über sie wird kein Urteil gefällt. Über sie wird mit heiligem Ernst gewacht. Sie wird angebetet, ehrfürchtig konserviert und sorgsam verwaltet. Die deutsche Kulturvergötzung, die auch Falkenberg betreibt, hat ihre Wurzeln zwar im 19. Jahrhundert, zementiert wurde sie jedoch später. »Der Nationalsozialismus«, schrieb Theodor W. Adorno fünf Jahre nach dessen Zerschlagung, »verherrlichte die einmal anerkannten Kulturprodukte der Vergangenheit ohne Ansehen des Gehalts; sie wurden lediglich um ihres eigenen Prestiges willen unablässig ausgestellt, sofern sie nicht gar zu offen mit der Diktatur und dem Rassewahn zusammenstießen. Solange Hitler herrschte, gelang es ihm nicht, dem Volk die Produkte seiner Kulturvögte anders als auf dem Wege des Zwangskonsums zuzuleiten. Heute aber, da kein solcher Zwang mehr ausgeübt wird, übernimmt man freiwillig ein ganzes Lager von Begriffen und Bildern aus dem autoritären Bereich.« Dazu gehört auch das Wort Kulturschaffende.
Es ist keinesfalls Zufall, dass auch Falkenberg den Nazi-Begriff ungeniert verwendet, bringt er doch sein und seinesgleichen berufliches Selbstverständnis mit aller Deutlichkeit auf den Punkt. Der Kulturschaffende begreift sich als Gralshüter eines Heiligtums, das er gleichzeitig bewahrt und neu hervorbringt. Er sieht sich im Dienst einer höheren Sache. Größenwahnsinnig bläht er sich und sein Geschäft zum Motor der Gesellschaft auf. Panisch sieht er Anarchie und Apokalypse heraufziehen, wenn von Kürzungen bei Bildung und Kultur die Rede ist. Seine Panik und sein Größenwahn entspringen jedoch weniger seiner realen Sorge um die Nation als dem insgeheimen Wissen um seine reale gesellschaftliche Überflüssigkeit. Theaterbesuche sind eben nicht, wie Falkenberg behauptet, ein »gesellschaftliches Grundbedürfnis« oder »Grundnahrungsmittel«, wogegen schon die niedrigen und stetig sinkenden Besucherzahlen sprechen. Als Protagonist einer Veranstaltung, die ausschließlich von öffentlichen Geldern lebt, ist der Kulturschaffende genau so staatlich alimentiert wie ein Empfänger von ALG II und damit in Krisenzeiten noch leichter ersetzbar als ein Sachbearbeiter bei einem Versicherungsunternehmen. Weit davon entfernt, sich dies einfach einzugestehen und offen für sein berechtigtes Eigeninteresse einzutreten, weil der Kühlschrank gefüllt werden muss und er dummerweise nichts Besseres gelernt hat, versucht der Kulturschaffende mit der Überhöhung seiner Tätigkeit und dem Ausmalen von Untergangsszenarien den Staat von seiner Unverzichtbarkeit zu überzeugen. Sein traditionelles Kulturverständnis, sein Wunsch, mit seiner beruflichen Tätigkeit der Allgemeinheit zu dienen, seine daraus resultierende Nähe zum und seine hysterischen Appelle an den Staat bringen vor allem eines zum Ausdruck: das tiefe Einverständnis mit den herrschenden Verhältnissen. (Vgl. hierzu auch: Bonjour Tristesse # 9.)
NONKONFORMER KONFORMISMUS
Dieses Einverständnis ist ein insgeheim geahntes, weshalb es zum unverzichtbaren Gebaren Falkenbergs gehört, ständig und einem autosuggestiven Mantra gleich zu behaupten, dass von Anfang an ein tief verwurzelter Nonkonformismus die eigentliche Triebfeder seines künstlerischen Schaffens sei. »Ich habe es immer, so gut es ging, vermieden, mich einzufügen, mitzulaufen, hinterherzurennen”, verriet er beispielsweise in der Halleschen Störung einem seiner Groupies. Und in der MZ konstatierte er im Jahr seiner Rückkehr: »Ich hab schon als Kind gemerkt, dass ich mit Autoritäten nicht umgehen kann. Mir war schnell klar: Ich muss etwas finden, das mich von autoritären Strukturen fernhält.« Wie gut ihm das tatsächlich gelungen ist, zeigen die Stationen seines beruflichen Werdegangs. 1984 wurde er vom SED-Staat zum »Sänger des Jahres« gekürt. Ein Jahr später ehrte man ihn mit der »Goldenen Amiga«, dem höchsten staatlichen Schallplattenpreis. Hinzu kamen zahlreiche Auftritte in sozialistischen Bruderländern, regelmäßige Platzierungen in den DDR-Hitparaden und positive Besprechungen in staatsoffiziellen Jugendmedien wie der Frösi, dem Mitgliedermagazin der Pionierorganisation Ernst Thälmann. Selbst eine Reise ins kapitalistische Ausland war drin: Er griff 1988 bei einem internationalen Musikfestival im österreichischen Bregenz einen Preis für den besten Song ab. Den für diese Bilderbuchkarriere notwendigen Opportunismus versuchte er damals durch ein selbstgewähltes Paradiesvogel-Image zu kaschieren. Seine Fassade aus hochtoupierten Haaren, Makeup und schrillen Outfits sollte verbergen, wie nahe er den »autoritären Strukturen« tatsächlich stand, von denen er sich heute so vehement abzugrenzen versucht.
Offensichtlich ist es ihm gelungen, das Rebellen-Image aus der DDR über die Wendezeit hinaus in die Gegenwart zu retten. Nur so ist es zu erklären, dass heute niemandem angesichts seiner biografischen Selbstdarstellung der Jahre bis 1989/90 vor Lachen die Tränen kommen. Nimmt man Falkenberg beim Wort, war der größte Popstar des Arbeiter- und Bauernstaates gleichzeitig auch ein Punkrocker. So behauptet er auf seiner Homepage, zu Beginn der 1980er Jahre »durch die aufkommende Punkbewegung und deren unangepasste Attitüde« beeinflusst gewesen zu sein und macht aus seiner damaligen Band Joker – einer Unterhaltungskapelle, die Coversongs durch kleinkünstlerische Inszenierungen aufpeppte – eine waschechte Punkercrew. Und den Heimatschützern der Halleschen Störung erzählte er: »Wir haben uns kleine Widerstände aus alten Radios ins Ohr gehängt. Ich wollte nach dem DDR-Gesetz ein Asozialer sein.” Da seine Bewunderer offensichtlich glauben, dass jeder, der in den 1980er Jahren hochtoupierte Haare hatte, automatisch ein Punk gewesen sei, verwundert es nicht, dass sie auch Falkenbergs Selbstdarstellung als Dissident und Oppositioneller geschluckt haben. Vermutlich halten seine Fans auch den Palast der Republik und den Friedrichstadtpalast für die größten Alternativclubs der DDR. Der reale Hintergrund für Falkenbergs behauptete Opposition zum DDR-Regime ist seine immer wieder vorgebrachte Mitunterzeichnung der »Resolution der Rockmusiker und Liedermacher« im September 1989. Dort hatten Solomusiker wie Gerhard Schöne und Frank Schöbel sowie zahlreiche Mitglieder etablierter Bands wie City, Karat, Silly und Falkenbergs Stern Meißen Kritik am Umgang der SED-Führung mit der Reformbewegung Neues Forum geübt und einen politischen Kurswechsel in Richtung Dialog und Demokratisierung gefordert. Das Dumme dabei: Eine Unterzeichnung der Resolution macht noch lange keinen Dissidenten aus Falkenberg. Denn zum einen waren die Unterzeichner keine Systemgegner, sie wollten Reformen, um den Fortbestand der DDR als sozialistischen Staat zu sichern. Zum anderen wurde der Text von so ziemlich jedem unterschrieben, der im DDR-Musikbetrieb Rang und Namen hatte. Und das zu einem Zeitpunkt, als keiner der Unterzeichner noch groß etwas zu verlieren hatte. In einer Zeit, in der wohl niemand mehr so recht an einen Fortbestand des »Sozialismus in den Farben der DDR« (Erich Honecker) glaubte, und auch unter vielen SED-Mitgliedern der Wunsch nach weitgehenden Reformen laut wurde, wollten die Unterzeichner vor allem ihre Schäfchen ins Trockene bringen. Angesichts der allgemeinen Aufbruchsstimmung und der politischen Unsicherheit erweist sich die Resolution als Versuch, den Anschluss an die allgemeine Entwicklung nicht zu verpassen. Genutzt hat es Falkenberg wenig. Weniger als zwei Monate später fiel die Mauer, und mit dem Realexistierenden Sozialismus verlosch sein Stern nicht nur in Meißen.
IT’S NOT A TRICK – IT’S A ZONI
Wie viele Wendeverlierer ist Falkenberg vor allem eines: ein bekennender Ostdeutscher, der die Verantwortung stets bei anderen sucht und jeden in Schutz nimmt, der sich im eigenen Elend häuslich eingerichtet hat. Kurz nach seiner Rückkehr und einem plumpen Umarmungsversuch der Einheimischen – »die Leute hier sprechen meine Sprache« – wurde er im MZ-Interview darauf hingewiesen, dass die hiesigen Umgangsformen »manchmal ein bisschen ruppig« seien. Seine Antwort darauf: »Ach, sehen Sie: Halle ist so oft verarscht worden. Die Stalinisten haben alles zerfallen lassen. Und es gab immer wieder kleine oder größere Stiche. Halle ist eben nicht Landeshauptstadt geworden. Darum wirken die Hallenser vielleicht manchmal so grummelig.«
Wie bei jedem Jammerossi paart sich auch bei Falkenberg die Weinerlichkeit mit einem ausgeprägten Verfolgungseifer gegen alle, die den Betriebsfrieden aus seiner Sicht stören. Das sind weniger die Westdeutschen, die 25 Jahre nach dem Mauerfall zum gemeinschaftsstiftenden kollektiven Feindbild nicht mehr so recht taugen wollen, sondern jene, die das gesunde Volksempfinden nicht erst seit der aktuellen Krise für die Übel der Welt verantwortlich macht.2 »Warum hält die Politik ihren Stall nicht sauber?«, fragt er in NPD-Manier in einem Interview mit dem Internetportal Deutschmugge, um im verschwörungstheoretischen Stammtischdreiklang gegen das »Finanzsystem«, das »die Politik entmachtet« habe, gegen die »moralisch aus allen Fugen geratenen Medien«, die das Volk »mit ›Brot und Spielen‹ […] befrieden« würden und gegen die »Parteienpolitik«, die »nicht mehr die demokratischen Interessen der Menschen« vertrete, zu wutbürgern. Wie die von ihm gestellte »System-Frage« zu lösen sei, und wem dabei die Führungsrolle zufallen soll, weiß Falkenberg genau: »Auch wenn es im Moment vielleicht nur wenige sind, […] die auf die Straße gehen und aufbegehren, aus den Wenigen können Viele werden. Wir im Osten wissen das.« In seinem Song »Vor den Kathedralen« gibt der bekennende Occupy-Sympathisant einen Vorgeschmack darauf, wie der Volksaufstand gegen Bonzen (»Ihr zündet euch grinsend mit unserer Freiheit / die Siegeszigarren an«) und korrupte Politiker (»die Marionetten in den Scheinparlamenten«) aussehen soll. Das von ihm geforderte Großreinemachen stellt er sich weder als friedliche noch als poetische Revolution vor: »Vor den Barrikaden brennt morgen das Papier / das niemals mehr wert war als eure Gier«. Ginge es nach dem Reimkönig, wird es vor der Errichtung des von ihm ersehnten Volksstaates nicht nur ein reinigendes Feuer geben, das dem abstrakten Tauschverhältnis endgültig den Garaus macht. In der von ihm immer wieder geforderten »Alternative zum herrschenden Parteiensystem« geht es auch den vermeintlichen Volksschädlingen selbst an den Kragen: »Ihr habt uns bis zum Abgrund geschleift / Es wird Zeit, dass ihr jetzt springt«.
Mit seiner nazikompatiblen Pogromhymne beweist der Musiker vor allem, dass er sich selbst treu geblieben ist. Zu seinem Pech war der Wind, in den er diesmal sein Fähnchen halten wollte, wieder nur ein laues Lüftchen: Das Interesse an Occupy, das in allererster Linie ein mediales war, ist wieder abgeflaut, die »bunten Zelte«, die Falkenberg zufolge »vor den Kathedralen der unbegrenzten Macht« wie »Sonnen in der Nacht« leuchteten, sind längst verschwunden. Aber das sollte ihn nicht grämen. Wenn der Gesinnungsbarde weiter so fleißig durch Orte wie Weißenfels, Döbeln, Plauen und Tharandt tourt, wird ihm demnächst vielleicht ein Ehrentitel verliehen, der seit der Pensionierung Peter Sodanns wieder auf einen Träger wartet: der Titel »Stimme des Ostens«. In Halle scheint ihm das bereits gelungen zu sein.
Knut Germar
Literaturhinweise:
Theodor W. Adorno: Auferstehung der Kultur in Deutschland? [1950], in: Ders.: Kritik. Kleine Schriften zur Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1971.
Karl Marx: Über F. Lists Buch »Das nationale System der politischen Ökonomie« [1845], in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Heft 3, Berlin 1972.
Dolf Sternberger, Gerhard Storz, Wilhelm E. Süskind: Aus dem Wörterbuch des Unmenschen, neue erweiterte Ausgabe, Hamburg 1970.
Anmerkungen:
1 Neben kleineren Gastrollen als Schauspieler und Sänger übernahm er nach der Wiedervereinigung immer wieder musikalische Gesamtleitungen oder komponierte an ostdeutschen Bühnen. Sein letztes Engagement liegt noch nicht allzu lange zurück. 2012 übernahm er eine Mini-Rolle im Musical »Rocky Horror Show« an der Staatsoperette Dresden.
2 Das heißt allerdings nicht, dass Schmidt keine Ressentiments gegen Westdeutsche hegt. Auf die ihm angesichts seines bescheuerten Künstlernamens gestellte Frage, ob die Leute nicht dächten, das IC stehe für den gleichnamigen Schnellzug, antwortete er vor einigen Jahren in der MZ: »Nee, höchstens ein paar Uninformierte aus dem Westen.«
Den Trick mit dem „Punk-Rocker“ gibt es auch im Westen. Unzählige überflüssige sterbenslangweilige Biographien von abgewrackten Gestalten, die mal in den 80ern und 90ern in einen Alternativ-Club gestolpert sind und gerne Bier trinken, sind die letzten Jahre auf den Markt geschwemmt worden, bei dem keine vergisst auf der Rückseite zu betonen daß der Schreiberling Punk-Rocker war. Natürlich sind sie auch alle im Herzen „noch“ Punk-Rocker. Punk, im Gegensatz zu Punk-Rocker, will aber keiner gewesen sein. Alles ziemlich lächerlich.
Viel Geschwurbel um ein Nichts
…aber ein ziemlich nerviges Nichts!
IC Falkenberg war definitiv nicht der „größte Pop-Musiker der ehemaligen DDR“. Wer sowas schreibt hat anscheinend keine Ahnung von der Musik-und Popszene der DDR … und wer „Ostband“ schreibt (schreibt eigentlich auch jemand „Westband“ wenn der z.B. die Scorpions meint) hat anscheinend nicht mal mitbekommen daß es mittlerweile eine Wiedervereinigung gab. Das obige dümmliche Geschreibsel kann meiner Meinung nach nur aus einer Ecke kommen … also: Schnauze, Wessi!
Wer war denn dann der „größte Pop-Musiker der DDR“? Die hier? http://www.youtube.com/watch?v=AP7yKT_gmE4? Was am Artikel „dümmlich“ ist, interessiert mich ebenfalls brennend.
Sie trauen einem Ossi tatsächlich Reflexion zu? Kompliment.
Werte/r Anonym, eine fremdenfeindliche Grundhaltung gegen Wessis lässt darauf schließen, dass Sie ein Wendeverlierer sind. Das tut mir Leid. Kleiner Tipp: Mit Ihrer Wortwahl „anscheinend“ lassen Sie den Eindruck entstehen, dass das, was Sie schreiben, gar nicht so sit, sondern nur so zu sein scheint.
Werter Tobias Künzel, anscheinend ist „anscheinend“ für Sie dasselbe wie „scheinbar“. Das tut mir Leid.
Ein Niemand sollte nicht Jemand verurteilen der etwas Ewiges geschaffen hat. Durch literarisches zitieren wird Er dem Genie eines Falkenbergs niemals gerecht werden.
Sehr oberflächlich/gar nicht rechariert.Anscheinen hat unser „journalistischer Möchtegerne“ einen sehr geringen musikalischen Anspruch. Wo es auf keinerlei textliche Inhalte ankommt. Seine Hand scheint eine Faust sein und er scheint auf Wolke sieben zu schweben.
Schon lustig, dass jemand, der noch nicht einmal das Wort recherchieren orthografisch korrekt in seine Tastatur tippen kann, dem Autor Nachhilfe in Sachen Journalismus geben will. Neugierig bin ich jetzt aber schon: An welcher Stelle wurde denn oberflächlich bzw. gar nicht „rechariert“?
Wir unterscheiden uns grundlegend in der Wahrheitstreue, welche mir sehr wichtig ist. Ihnen anscheinend nicht. Ich bin der Rechtschreibung nicht so mächtig, bei Ihnen stimmt es vielleicht mit Rechtschreibung, aber der Inhalt ist absolut mangelhaft (→ Wahrheitstreue), denn sonst wüssten Sie, dass Hr. Falkenberg nach dem Mauerfall weiterhin Konzerte gegeben hat und das bis zur heutigen Zeit.
Zum Thema Recherche, hätten Sie sich ordentlich mit dem Thema beschäftigt, wüssten sie, dass Hr. Falkenberg eher linksorientiert ist und nicht mit dem rechten Lager sympathisiert.
Inhaltlich ist ihr „journalistischer“ Beitrag falsch oder mit Absicht falsch dargestellt, um gegen Herrn Falkenberg vorzugehen.
Hut ab vor C.Foe. Sie/Er hat mehr Ahnung von der Materie als mancher Journalist.
Auwaja, was ist denn das für eine journalistische Arbeit? Hier will sich doch jemand bei Sat1, Rtl etc.bewerben. Mit dieser Arbeit klappt es dort auf jeden Fall, aber leider bei keinem freien Presseorgan. Alles Gute für Sie.
hey cora, seh ich auch so. aber was ich nich versteh, warum rtl und sat1 deiner meinung nach keine freie presse sind. bitte um aufklärung.
Hey Emilie… ich habe nicht behauptet das RTL, Sat1… keine freie Presse ist.
Sie gehören eher zur Klatsch /Boulevardpresse die sich auf Skandalgeschichten und Negativberichterstattung konzentriert. Aber Emilie ich glaube jeder weiß was gemeint ist. Wir weichen gerade vom eigentlichen Thema ab.
Falkenberg hat wohl die Alte vom Autor gevögelt? Klingt wie eine persönliche Abrechnung und hätte besser in den „Stürmer“ gepaßt. Das ist keine kritische Auseinandersetzung, sondern klingt mehr wie persönliche Hetze. Nein, ich stehe nicht auf Falkenberg.
Auf wen stehst Du dann? Und seit wann hetzt denn der Stürmer gegen Nazis?