Peter Hacks attestierte ihm bereits 1967 ein »enormes Geltungsbedürfnis« und ein damit einhergehendes mittelmäßiges Talent. In den Jahren nach Wolf Biermanns Ausbürgerung aus der DDR legte Hacks nach, was ihm einen jahrelangen Boykott westdeutscher Theater einbrachte. Biermanns Geltungsdrang aber führte den Günstling Margot Honeckers und Liebling westdeutscher Medien komfortabel durch die Bundesrepublik und das neue Deutschland. In der Hallenser Ausgabe der Mitteldeutschen Zeitung gab Biermann nun zusammen mit den notorischen Leserbriefclaqueuren vor kurzem den Wutbürger, nachdem der Stadtrat beschlossen hatte, dass das »Künstlerhaus 188« einem Straßenneubau weichen muss. Die Bonjour Tristesse wollte wissen, was hinter Biermanns Engagement steckt.
Der Wutbürger ist fast ausschließlich in der Lokalpolitik zuhause – sie ist sein angestammtes Milieu, hier gehört er hin. Und Lokalpolitik ist bekanntermaßen eine der sieben Vorhöllen – bestimmt nicht die schmutzigste, aber mit Sicherheit die hirnerweichendste. Wer den Morast aus Ausschüssen, Beschlussvorlagen, Bürgerversammlungen, Anhörungen und Unterschriftensammlungen, aus Stadtteilgruppen und Protestkundgebungen durchquert hat, ist in der Regel nicht unbeschadet geblieben. Die Stadträte ostdeutscher Provinzstädte, die eifernden Mitglieder lokaler Kulturvereine, Ortsgruppen und Bürgerinitiativen, die Projektleichen aller Lager sind beredtes Zeugnis für die Verwüstungen, die Lokalpolitik im Verstand ihrer Protagonisten hinterlässt. Verhärmte Zweckoptimisten: männlich, wertkonservativ und in den besten Jahren, die Cordhosen und knisternde Nylonhemden tragen, ungefragt mit ihrer langweiligen Meinung nerven und mit einem erstaunlichem Maß an Selbstbewusstsein ausgestattet sind, bilden das hässliche Gesicht der Lokalpolitik wie auch des sich mittlerweile reflektiert gebenden Lokalstolzes. Engagement, Ehrenamt, Empörung und Larmoyanz sind die vier Säulen, die die Zivilgesellschaft – wie sich der Klüngel selbst nennt – stützen. Deren neues Lieblingsthema ist Kultur, die, nachdem die Modewelle Antifaschismus gerade etwas abebbt, wieder die Führung im good men ranking übernommen hat. Hier kann der Aktivist zeigen, dass es ihm um eine höhere Sache geht, hier lässt es sich am ahnungslosesten dahinplappern und -moralisieren, und vor allem findet man bei solchen Wohlfühlthemen die berühmten »Vertreter aus Politik, Kultur und Gesellschaft«, eine Verlegenheitsformel für Medienschmeißfliegen aller Couleur, die bei derlei Ereignissen gerne mit von der Partie sind.
Mitte der 2000er Jahre gab Udo Lindenberg – damals am Tiefpunkt seiner Karriere – sein Gesicht und seinen Namen her, um die überflüssigste aller Leipziger Kultureinrichtungen, die Connewitzer »Halle 5« vor der Schließung zu bewahren. Dieses Beispiel verrät neben dem Offenkundigen, dass dieser Sorte Mensch jede Aufmerksamkeit recht ist, selbst wenn es um die unbedeutendste Töpferkursbude der Stadt geht, auch, dass Protestunterschriftautomaten wie Lindenberg nur allzu gut nachvollziehen können, was es heißt, eine prekäre Existenz im Kulturbetrieb zu führen, das heißt, sich permanent verkaufen zu müssen, ohne die Notwendigkeit der eigenen Arbeit wirklich begründen zu können.
Einer dieser Kretins ist auch Wolf Biermann. Ein Aufstehmännchen und Mitmacher wie er im Buche steht, ein gesamtdeutscher Günter Grass, stets in eigener Sache unterwegs und »politisch in der Nähe jeder Fernsehkamera stehend« (Wiglaf Droste), ein Intrigant des Feuilletons (dessen Nerv er stets genauso präzise wie eben auch Grass traf), Leserbriefschreiber und Talkshowexistenz, ein mittelmäßiger Schlagersänger bzw. »Liedermacher« und lausiger Dichter.
In den 1950er Jahren aus Hamburg in die DDR übersiedelt, führte Wolf Biermann hier ein angenehmes Leben, hofiert von Margot Honecker (mit der er sich nach seiner Ausbürgerung brüstete, eine Liaison gehabt zu haben), Sportwagen und Immobilien und guten Beziehungen. Danach Konzerte und Dissidenz und die so dringend von Biermann ersehnte Aufmerksamkeit – in Ost und West. Oder, um es mit Hacks zu formulieren: »Als ein fehlerhafter Ehrgeiz ihn trieb, sich an Heines Philosophie und Villons Weltgeist zu messen, als er sich von den Alltagssachen weg und den Weltsachen zuwandte, verstieß er gegen die seiner Begabung angemessene Gattung und sank vom Volkssänger zum Kabarettisten.«
Dass die folgende Ausbürgerung eine abgekartete Sache war, also auf Absprachen mit der Staatsführung der DDR beruhte, ist mittlerweile ein offenes Geheimnis. Zu sehr aber ist Biermanns Person an das Ende der DDR, die Wende und mithin die offizielle deutsche Geschichtsschreibung geknüpft, als dass die deutsche Öffentlichkeit dies thematisieren würde, und eine vernünftige Geschichte der DDR und der Wende wird wohl erst dann geschrieben werden können, wenn Biermann irgendwann mal abtritt (siehe Bonjour Tristesse #15). Denn die Ausbürgerung wird hier gerne als der Anfang vom Ende der DDR bezeichnet, eine These die klingt, als hätte Biermann sie selbst erfunden und verbreitet. Sie passt perfekt zu jemandem, der von sich selbst gern in der dritten Person spricht. Biermanns große Zeit kam mit den 1990ern, den Jahren nach der »Wende«. Biermann konnte nur laut, drosch wie wild auf am Boden Liegende wie Sascha Anderson ein, gebärdete sich als Salonnationalbolschewist, machte mit Bob Dylan das, was Gunther Gabriel mit Johnny Cash tat, und traf damit den Nerv der Zeit: In den 1990ern und beginnenden 2000er Jahren wurde Biermann fast jeder deutsche Literaturpreis hinterhergeworfen. Sieht man sich Aufnahmen aus jener Zeit an – Biermann ließ kaum eine Talkshow aus und sprach in jedes Mikrophon, das sich in Rufweite befand –, wundert man sich, dass ein solch mediokres Talent wie er, dass solch ein Lautsprecher und Dünnbrettbohrer, der das Kunststück vollbrachte, den intellektuellen Radar der deutschen Journaille zu unterfliegen, es soweit brachte. Aber Biermann mimte gerne den Kommunistenschreck, wurde gegen PDS und Co. in Stellung gebracht und sonnte sich im Selbstbewusstsein, ein ganz unkonventioneller Geist zu sein.
In den letzten Jahren ist es etwas ruhiger um Biermann geworden. Sein Output ließ nach, seine Verbündeten im Feuilleton wurden an vielen Stellen abgelöst durch eine neue Generation von Journalisten, denen Biermann zu altbacken daher kam und die eine neue Form von Stumpfsinn in die deutsche Presselandschaft einführten. Biermanns Geröhre kam aus der Mode. Die Zeit seiner medialen Dauerpräsenz war vorbei. Wie alle erfolglosen Kunstbetriebsspeckmaden verlegte sich Biermann auf Innerlichkeit, log und lügt sich seine zunehmende Bedeutungslosigkeit schön und schmiss sich vor allem an allerlei »zivilgesellschaftliche« Initiativen ran, die sich nicht wehren konnten oder wollten. Hier gibt er nun – wie Udo Lindenberg Mitte der 2000er Jahre – den elder statesmen, das schlechte Gewissen und den generösen Unterstützer.
So verwunderte es kaum, dass sich Biermann im Herbst letzten Jahres in Halle zu Wort meldete und für das weltberühmte »Künstlerhaus 188« Partei ergriff. Dessen geplanter Abriss hatte bescheidene Wellen geschlagen. In der Social-Media-Hölle rumorte es etwas, eine Online-Petition dümpelte vor sich hin, und in einigen Foren fanden sich zuhauf Kommentare – das übliche Lamento über unfähige Verwaltungen, verfehlte Stadtplanung und, da der unansehnliche, an Bitterfelds Innenstadt erinnernde Backsteinbau irgendwann mal eine Schule war, darf die »unverantwortliche Bildungspolitik« nicht fehlen. Das alles liest sich somit wie einer der gefürchteten offenen Briefe Wolf Biermanns, der sich dann auch tatsächlich nicht lumpen lies, prompt zur Stelle war und folgendes nachlegte: »Dieser Abriss der denkmalgeschützten Weingärten-Schule aus der Gründerzeit, eines schönen und stabilen und brauchbaren Klinker-Baus, wäre die Vollendung der Verwüstungen aus den finsteren Zeiten der Diktatur – nun allerdings mit demokratischen Mitteln. Wer kann sich solch eine Schildbürgerei ausdenken, und wer hat die Kühnheit, solch eine faul-feige Lösung der Verkehrsprobleme durchzusetzen? Ich vermute: es ist asoziales Bürokratenpack mit privilegiertem Beamtenstatus!« Schreibt der bedeutende Dichter und Heinrich Heine des 20. Jahrhunderts, Wolf Biermann. Dass Biermann nicht der Typ ist, dessen Blick auf die Welt von Selbstzweifeln und Selbsterkenntnis getrübt ist, muss an dieser Stelle nicht weiter erwähnt werden. Es vereint ihn aber mit den Lokalpolitikchargen, den Wutbürgern, den angry old men, deren Geltungsdrang dem Biermanns in seiner Blutarmut und Versteinerung gleicht und die am liebsten eine Diktatur des gesunden Menschenverstandes errichten würden. Wie unangenehm Biermann auch als Mensch war und ist, ruft der letzte Satz seines offenen Briefes in Erinnerung: »Wie bequem für mich, dass ich nicht in diesem Halle lebe, sondern im schönen Hamburg, denn hier werden solche Nachkriegsdummheiten schon lange nicht mehr geduldet, weder von den selbstbewussten Bürgern, noch vom Senat unserer Hansestadt, egal, ob SPD oder CDU den Bürgermeister stellt. Ich finde: der Westen pumpt genügend Geld in den ›Aufbau Ost‹, und es gibt genügend Geist und Tatkraft in der Ex-DDR, so dass bessere Lösungen für den Bau einer notwendigen Straßenbahntrasse gefunden und verwirklicht werden können.«
Hier spreizt sich ein Herrenmensch, ein Gewinnertyp, eine »Kuckt-mal-hier-bin-ich«-Nervensäge, die Sorte Mensch, die gegen Peter Hacks’ Diktum, dass »schlechte Kunst nur durch gute widerlegt werden kann«, völlig resistent ist. Auch wenn Biermann hierin erstaunlich Günther Grass gleicht: sein kleines Geheimnis um die abgesprochene, angebliche Ausweisung aus der DDR wird er nicht – wie Grass seine SS-Mitgliedschaft – in bare Münze verwandeln, sondern sehr wahrscheinlich mit ins Grab nehmen. Er war und ist halt nicht der Hellste.
Jörg Folta
Sehr guter Kommentar. Gibt es irgendwelche Primär- oder Sekundärquellen zu der abgesprochenen Ausbürgerung Biermanns?
Wie man gesehen hat ist Biermann doch weitaus besser drauf als der Zeit seines Lebens verblödete Hacks. Naja, konkret-Niveau, kennt man ja.
Erstklassig! Labsal für den von der berechnenden Lobhudelei des bürgerlichen Feuilletons auf den Berufsantikommunisten Biermann angewiderten Verstand.