Als vor kurzem die Vorsitzende der „Bürgerinitiative Paulusviertel e. V.“, die Sozialdemokratin Hanna Haupt, unter dem schon verräterischen Motto „Weg mit dem Dreck!“ zum Frühjahrsputz rief, konnte man schon anhand der im Kasernenhofton formulierten Einladung und den in ihr verwandten 16 Ausrufezeichen erkennen, dass es da jemand überaus ernst meint. Auf den in transparente Klarsichthüllen gesteckten und fein säuberlich an kräftigen Bäumen des Viertels befestigten Zetteln war für die Bewohner (wobei die wichtigsten Passagen mit einem orangefarbenen Marker hervorgehoben wurden) u. a. folgendes zu lesen: „Gehwege sind keine Parkplätze und Baumscheiben keine Müllsammelplätze, und auch Gehwege lassen sich fegen.“ Die gelungene Mischung aus Passiv- und in ihnen versteckten Imperativkonstruktionen kam auch im Weiteren zur Anwendung: „Vorgärten lassen sich schon mit wenig Mühe zum Blühen bringen oder wenigstens begrünen! Und selbst ein neuer Zaun, der dem Paulusviertel angemessen ist, kostet ja kein Vermögen!“ Wer so schreibt, betrauert offenbar den Verlust von Autoritarismus, DDR und direkten Anordnungen; er betrauert eine Zeit, in der „dem Paulusviertel angemessene“ Zäune vom verantwortlichen Staatsratsekretär verordnet und Zuwiderhandlungen als gemeinschaftsschädigendes Verhalten geahndet wurden. Diese Zeiten sind glücklicherweise vorbei. Weil auch Hanna Haupt das weiß, setzt sie statt auf Strafandrohung auf billige Anbiederung. So postuliert sie, dass „stolze Autobesitzer ihr Fahrzeug nicht auf einen Müllhaufen stellen“ und deshalb „auch mal zu Besen und Schaufel“ greifen würden. Denn: Dort liege oft „noch das Laub vergangener Jahre!“. Wehe dem, der ungeniert auf Blättern parkt! Auch „Nachbarschaftshilfe ist nicht verboten – deshalb kann man auch den Dreck wegmachen, den ‚Unbekannte’ hinterlassen haben.“ In den Worten stecken die Verbitterung und der Groll von über 20 Jahren nutz- und vor allem weitgehend folgenlosen Vorsitzes einer Bürgerinitiative, deren üblicher Output ein jährlicher Flohmarkt ist, bei dem die beliebteste Attraktion das Angebot des „Friedenskreises Halle“ darstellt, sich mit einer Fahrrad-Rikscha „eine Runde für den Weltfrieden“ um eine Kirche kutschieren zu lassen. Doch aus Groll und Verbitterung erwächst noch keine Obsession für Hundescheiße und Straßendreck. Der zwanghafte Charakter des Sauberkeitsfimmels Hanna Haupts und ihrer hemdsärmeligen Helfer, den zu konstatieren angesichts der im Paulusviertel üblicherweise anzutreffenden blitzblanken Zustände sicherlich keine Schwierigkeiten bereitet, ist der sichtbare Teil eines Geisteszustands. Das Eintreten für Sauberkeit ist dabei nur der sozial akzeptierte Ausdruck eines ganz anderen Spleens. Was Freunde, Bekannte, Ehemänner und -frauen der Mitglieder der „Bürgerinitiative Paulusviertel“ zu dieser seltsamen Freizeitbeschäftigung zu sagen haben, wissen wir nicht. Was jedoch die Freud’sche Psychoanalyse zur Hingezogenheit zu Schmutz, Abfall und Kot vermutete, ist derweil überliefert: die Angstabwehr alles Sexuellen. Das Wühlen im Dreck dient dabei als Ausgleich für als verboten und schmutzig wahrgenommene (sexuelle) Wünsche und Fantasien. Die Überbetonung gegenteiliger Intentionen („Der Dreck muss weg!“) dient der Kontrolle von Vorstellungen, die angstbesetzt sind. Allein der Lustgewinn, den die genussvolle Verwendung des Wortes „Dreck“ im Aufruf zum Frühjahrsputz zu bringen scheint, ist dabei offensichtlich. Dankenswerterweise blieb an diesem sonnigen Samstag die Mehrheit der ansonsten ebenso unangenehmen wie langweiligen Einwohnerschaft dem bemitleidenswerten Treiben fern und beantwortete die von Hanna Haupts Putztruppe gestellte Frage „Wer, wenn nicht wir?“, dann auch folgerichtig mit: „Die Stadtwirtschaft“. (meh)
Hauptsache Dreck
28. Juni 2010 von bonjour tristesse
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Liebe Spötter, vielen Dank für diese schöne ironische Kommentierung unserer Bemühungen um ein sauberes Paulusviertel. Leider wird den „Witz“ wohl niemand so recht verstanden haben – auch nicht den Sinn des nachfolgenden Zettels an verschiedenen Bäumen der ufo-universität „Der Dreck zieht weg!“
Auch fehlt leider ein Impressum bzw. eine Anschrift, an wen von Euch die Stadtwirtschaft denn die Rechnungen schicken soll – denn leider arbeiten selbst Hartz-IV- Empfäner nicht kostenlos!
Im übrigen freue ich mich über Eure zu erwartende tolle Unterstützung bei der Vorbereitung des nächsten BÜRGERFESTES RUND UM DIE PAULUSKIRCHE (voraussichtlich am letzten Maisonntag 2011) – oder findet Ihr , daß das Fest auch lieber das Kulturbüro der Stadt Halle vorbereiten soll?
Aber auch darauf werdet Ihr ja wieder in üblicher weise mit viel Witz reagieren.
Eure Hann a Haupt
Hallo Hanna,
ich kenne Sie nicht und komme (zum Glück) auch nicht aus Halle. Aber Ihren Namen finde ich echt endgeil.
Ich bin gespannt ob Sie erhobenen Hauptes aus dieser Nummer wiedr raus kommen, schöne Grüße!