Punk starb irgendwann im Sommer 1978. Nachdem die „Sex Pistols“ bei EMI unterschrieben hatten, erhoben die Puristen den Zeigefinger, machten aus ihrer Geschäftsuntüchtigkeit eine Tugend und warfen den großen Punkbands vor, „die Sache“, die es tatsächlich nie gegeben hatte, verraten zu haben. In Fanzines, Liedern und Booklets diskutierte die Szene darüber, wie sich Punk der Integration in die Kulturindustrie entziehen könne. Die Bewegung, deren Markenzeichen „No Future“ hieß, machte sich also plötzlich Gedanken um ihre Zukunft. Seither ist Punk eine Mischung aus Folklore und alternativem Pfadfinderverein. Jeder Sozialkundelehrer dürfte sich über den jungen und engagierten Punk freuen, der durch Punkrockmagazine für die gleichen Probleme sensibilisiert ist wie der Lehrer durch die Lindenstraße, mit Hilfe der Punk-Ikonen „But Alive“ und „Anti-Flag“ nachdenklich, differenziert und sensibel argumentieren kann und durch Michael Moore bestens über die amerikanische Sozialpolitik informiert ist. Zurzeit gibt es nur wenige Punkbands, die sich dem Marsch ins Landschuljugendheim verweigern. Eine davon ist „Amen 81“ aus Nürnberg, die eigentlich zum diesjährigen Sommerfest der „Ludwigstraße“ spielen sollten, aber leider absagen mussten. „Bonjour Tristesse“ sprach mit der Band.
Eure Lieder „Das Palituch“ und „Races High“ sind zwar inzwischen auch schon zwei, drei Jahre alt, sie sorgen in der Punkszene trotzdem immer mal wieder für Aufregung. Worum geht’s?
Im Lied „Das Palituch“ geht es um den antisemitischen Kern, der viele so genannte „Antizionisten“ eint. Am augenscheinlichsten zeigt sich das im gleichen Dresscode. Die Tatsache, dass sich Menschen, die sich als links verstehen, ebenso wie Neonazis Palitücher tragen, ist bezeichnend, auch wenn bei beiden Fraktionen wahrscheinlich die Mode im Vordergrund steht. (Hüstel) Ich habe den Text geschrieben, und ich fand Palitücher schon immer scheiße, früher aus ästhetischen Gründen (für mich war das schlicht Hippiescheiße), heute zusätzlich aus ideologischen.
Der Song „Races High“ ist als Reaktion auf den revisionistischen Taumel entstanden, der im Sommer 2003 in Deutschland wütete. Hier wurden zum ersten Mal in einer ungeschminkten Form die Täter zu Opfern erklärt. Die NPD nannte das Bombardement auf deutsche Städte „Völkermord“ und sprach vom „Bombenholocaust“. Die Medienwelt schwenkte etwas gemäßigter auf den Kurs ein und plötzlich waren die Deutschen die Leidtragenden des Zweiten Weltkrieges. Der Titel für das Lied ist übrigens einer Verneigung vor dem tollen Song „Aces High“ der tollen Band „Iron Maiden“ geschuldet. In diesem Lied wird sehr unterhaltsam der Luftkampf der siegreichen englischen Luftflotte gegen die deutsche Luftwaffe beschrieben.
Als Punkband singt man normalerweise gegen Bullen, Nazis, „das System“ und die USA. Von Zeit zu Zeit gibt’s auch das obligatorische Trinklied („Ich sauf allein“ usw.). Warum habt ihr ausgerechnet ein Lied über das Palituch und Arthur Harris gemacht?
Diese Frage kann ich sehr knapp beantworten: Es gibt uns jetzt fast 15 Jahre und unsere ersten Platten sind voller extrem toller Texte und Lieder gegen Nazis, Bullen und Konsorten. Yeah.
Wie waren die Reaktionen auf „Das Palituch“ und „Races High“? Ich habe von Auftrittsverboten in einigen besetzten Häusern oder Clubs gehört.
Die Reaktionen haben uns teilweise amüsiert, teilweise geschockt und manches Mal abgestoßen. Andererseits war es auch nicht wirklich anders zu erwarten. Wenn man wie wir seit etwa 20 Jahren in der politischen Punk/Hardcore-Szene und ihren sie umgebenden Politgruppen zuhause ist, wundert man sich eh nur noch über wenige Dinge. Schließlich waren wir früher als Kiddiepunks und Jungantifas auch nicht gerade überkritisch gegenüber der „eigenen Szene“, das darf man auch nicht vergessen.
Auch wenn es etwas komisch klingen mag: Es ist schön zu merken, wenn man nach so einer langen Zeit immer noch für einen Diskussionsanstoß gut ist. Dafür nimmt man Auftrittsverbote in irgendwelchen rückwärtsgewandten Vereinsräumen gerne hin.
Meine erste Frage an euch lautete, was ist Punk heute für euch: in einer Zeit, in der sich auch in Nürnberg niemand mehr über bunte Haare empört, H&M Nietengürtel verkauft und die Respektlosigkeit und Rotzigkeit, für die Punk einmal stand, Voraussetzungen sind, um bei „Viva“ als Moderator anfangen zu können? Ihr konntet euch nicht auf eine Antwort einigen und wolltet lieber mit der zweiten Frage beginnen. Liegen eure Schwierigkeiten vielleicht darin begründet, dass euch beim Überlegen bewusst geworden ist, dass eure Vorstellung von Punk nur noch wenig mit der heutigen Punkszene zu tun hat? Ein Beispiel: Ein Autor des „Plastic Bomb“, das immerhin zu den größten Punkrockfanzines in Deutschland gehört, hat sich vor längerer Zeit über euren Arthur-Harris-Song aufgeregt und ihn als „menschenfeindlich“ und „zynisch“ bezeichnet. Und keiner seiner Kollegen, die doch alle eine Platte der begnadet zynischen „Sex Pistols“ im Plattenschrank haben dürften, keiner der mindestens 8.000 Leser ist aufgestanden, hat ihn ausgelacht und gesagt: Du klingst wie ein Hippie oder ein Mitarbeiter der Bundeszentrale für politische Bildung.
Ich muss zugeben, dass mich die Wortwahl „menschenfeindlich“ und „zynisch“ auch ziemlich überrascht hat, da ja gerade die „Punkpostille No. 1“ selber gerne mit „Beat the Bastards“-Parolen hausieren geht und so die eigenen Kunden lockt. Anscheinend kitzelt aber eine so himmelschreiende Ungerechtigkeit, wie sie an den armen Dresdnern, Nürnbergern, Hamburgern und Konsorten begangen wurde, in manch einem sich als Punker verstehenden Schreiberling doch die völkische Solidarität hervor, zumal, wenn er, wie in diesem Fall, ein Student der Sozialpädagogik ist.
In Halle hat vor kurzem die britische Punkband „Oi Polloi“ gespielt. Die Band ist dafür bekannt, dass sie in Interviews gern mal die israelische Politik mit der Politik der Nazis vergleicht. Achtet ihr darauf, mit wem Konzertveranstalter euch zusammen auftreten lassen? Oder würde sich die Anzahl eurer Auftritte sonst halbieren?
Wenn wir die Veranstalter nicht kennen, sagen wir vorsichtshalber immer, dass wir weder mit Oi!- noch anderen Stumpfpunkbands zusammen spielen wollen. Ein Zusammenspielen mit Bands wie Oink Polloi oder ähnlichen, klassisch „antiimperialistisch“ ausgerichteten Bands kommt auch nicht in Frage. Wenn sich die Anzahl der Anfragen deswegen halbiert – umso besser. Wir haben eh kaum noch Zeit, öfter als etwa einmal im Monat zu spielen.
In verschiedenen Punkmagazinen wird immer wieder versucht, euch in die antideutsche Ecke zu stellen. Ihr wehrt euch in der Regel dagegen. Zumindest habt ihr in einem Interview mit dem „Plastic Bomb“ darauf hingewiesen, dass ihr auch ein Anti-Antideutschen-Lied im Repertoire habt. Welche Probleme habt ihr mit Antideutschen?
Vor ein paar Jahren lebte unser Bassist in einer ziemlichen Hardline-antideutsch-WG, die, wie man so schön sagt, öfter mal über das Ziel hinausgeschossen ist. Wie die meisten Texte von Rene und Heiko hat auch dieses Lied einen eher persönlichen als politischen Hintergrund.
Die letzte Frage: Ich habe gehört, dass ihr euch weigert, in eurer Heimatstadt Nürnberg zu spielen. Warum?
Wir spielen schon länger nicht mehr in Nürnberg, weil wir, wenn wir endlich einmal wieder alle drei Zeit haben, überhaupt mal wieder aufzutreten, lieber da spielen, wo wir überhaupt noch nicht waren, oder da, wo wir alte Freunde wiedersehen können. Mal wieder raus zu kommen ist doch einfach schöner…
[…] zum Glück auch immer wieder klar gemacht. In der neu erschienenen bonjour tristesse #5 gibt es ein lesenswertes Interview über Auftrittsverbote, Plastic-Bomb Autoren, die das Songwriting der Band über Arthur Harris […]