Zu Lebzeiten eine internationale Berühmtheit, heute lediglich für hallische Lokalpatrioten und Regionalhistoriker von Interesse: Felix Graf von Luckner (1881–1966). Luckner, der sich selbst „der Seeteufel“ nannte, hatte sich während des Ersten Weltkriegs als Pirat der Kaiserlichen Marine einen Ruf gemacht, den er durch das Spinnen von Seemannsgarn in Büchern und Vorträgen in der Folgezeit ausbaute und international zum Teil erfolgreich vermarktete. Eine nicht kleinzukriegende, vom Wahlhallenser Luckner selbst ins Leben gerufene Legende besagt, dass er die Stadt am Ende des Zweiten Weltkrieges vor der Zerstörung durch amerikanische Truppen bewahrte. Knut Germar über den sogenannten „Retter Halles“.
Gäbe es in Halle nicht die FDP-Stadtratsfraktion und mit ihr ein paar hartnäckige, ins gleiche Schiffshorn blasende Lokalpatrioten, vermutlich würde kaum mehr ein Hahn nach ihm krähen: Felix Graf von Luckner. Der letzte Versuch der Liberalen, dem Grafen ein Denkmal zu setzen, liegt noch nicht allzu lange zurück. Nachdem die Fraktion, meist im Bündnis mit der hallischen CDU, in den Jahren 1995, 2001 und 2005 mit ihren Anträgen zur Ehrung Luckners im Stadtrat an den Mehrheitsverhältnissen gescheitert war, versuchte sie es Ende Mai letzten Jahres noch einmal. Für ihren vierten Versuch hatten sich die Liberalen etwas Neues überlegt: Nicht mehr Luckner allein sollte für seine vermeintlichen Verdienste um die Rettung der Stadt vor der Zerstörung durch amerikanische Streitkräfte am Ende des Zweiten Weltkrieges geehrt werden; vielmehr sollten nun auch andere an den Geschehnissen beteiligte Personen Erwähnung finden. Die Idee: Eine Gedenktafel mit den Namen der wichtigsten, an der Verhinderung der Bombardierung Beteiligten sollte am Uniring 13, dem ehemaligen Wohnhaus Luckners, angebracht werden. Wie in den Jahren zuvor scheiterte die Fraktion. Trotz des pathetischen Appells des FDP-Stadtrats Hans-Dieter Wöllenweber (O-Ton: „65 Jahre nach Kriegsende muss an die schrecklichen Ereignisse von damals erinnert werden.“) wurde der Antrag nicht abgestimmt, sondern an den Kulturausschuss verwiesen. Der sprach sich gute zwei Monate später gegen eine Namensnennung Luckners aus und gab stattdessen einem Änderungsantrag von Linken, Grünen und Sozialdemokraten statt, die Luckners Rolle im Nationalsozialismus beanstandeten und außerdem auf die gegen Luckner erhobenen Vorwürfe wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger verwiesen. Ihr Änderungsantrag sah deshalb vor, durch eine anonymisierte Gedenktafel an die Retter der Stadt zu erinnern. Die FDP-Fraktion schmollte und zog ihren Antrag im Oktober 2010 „schweren Herzens“ mit der Begründung zurück, man wolle „Schaden an der Person Luckners […] vermeiden“.
„Ein Käppten wie er sein soll“
Der Grund für das permanente Scheitern der hallischen Liberalen liegt auf der Hand: Spätestens seit den späten 1990er Jahren ist die Rolle, die Luckner im nationalsozialistischem Deutschland spielte, keine unbekannte mehr. Die 2005 beantragte Straßenbenennung scheiterte nicht zuletzt aufgrund eines vom Stadtrat in Auftrag gegebenen Gutachtens, das Luckners Zusammenarbeit mit den Nazis in dankenswerter Deutlichkeit herausarbeitete. Wöllenweber blieb deshalb bei der letztjährigen Debatte auch gar nichts anderes übrig, als der trotzige, aber von vornherein zum Scheitern verurteilte Versuch, Luckners Tätigkeiten für die Nationalsozialisten aus der Debatte herauszuhalten: „Wir ehren nicht die Biografie, sondern die Tat.“
Den Grundstein für seine anhaltende Verehrung hatte Luckner während des Ersten Weltkrieges gelegt. Im kaiserlichen Auftrag als Kaperfahrer unterwegs, durchbrach er die englische Seeblockade und zerstörte zahlreiche Schiffe. Die extrem niedrigen Verluste an Menschenleben auf der gegnerischen Seite sowie die Tatsache, dass Luckner vor der Versenkung der Schiffe Bordbesatzung und Passagiere gefangen nahm und vergleichsweise human behandelte, brachte ihm den Ruf eines Ritters und Helden ein. Seine große Popularität steht in einem engen Zusammenhang mit der deutschen Kriegsschuld. Luckner war der Richtige, um die deutsche Kriegsführung nach dem Ersten Weltkrieg reinzuwaschen. Ihn konnte man international als guten Deutschen, der angesichts des unmenschlichen Krieges menschlich geblieben war, präsentieren. Er fungierte als positives Gegenbild zum deutschen U-Bootkrieg und wurde in dieser Funktion auch von der öffentlichen Meinung der einstigen Kriegsgegner England und USA in den Zeiten politischer Entspannung akzeptiert.
Anfang der 1930er Jahren, nach einer zunächst durchaus einträchtigen Zeit, war Luckner mit seinen Geschäften in den USA jedoch weitgehend gescheitert. Kaum einer wollte mehr die ewig gleichen Vorträge über seine Zeit im Ersten Weltkrieg hören, die er mit dem Zerreißen von Telefonbüchern und dem Verbiegen von Geldstücken aufzupeppen pflegte. Auch seine Abenteuerkreuzfahrten für Jugendliche aus gut situierten Elternhäusern verliefen alles andere als gewinnbringend. Als sein von „Vaterland“ in „Mopelia“ umgetauftes Schiff kurz vor Antritt der geplanten Heimfahrt wegen zahlreicher unbezahlter Steuern, Rechnungen und Liegegebühren von der New Yorker Hafenbehörde im Frühjahr 1933 an der Weiterfahrt gehindert und gepfändet wurde, brach Luckner unverzüglich nach Berlin auf, um die nötigen Gelder aufzutreiben. Sein erster Weg führte ihn Ende Juni direkt zu Joseph Goebbels, der daraufhin voller Sympathie in seinem Tagebuch vermerkte: „Besuche: Graf Luckner. Ein großes Kind. Ein toller Seemann.“ Kurz darauf übergab Luckner der Reichskanzlei ein eigenhändig verfasstes Pamphlet mit dem vielsagenden Titel: „Denkschrift über die Verwendung des Grafen Felix v. Luckner und seines […] Schiffes ‚Vaterland‘ für die Aufklärung des gesamten Auslandes über den Neuaufbau des deutschen Reiches, über die Führer der deutschen Nation, über die gesamte Innen-, Außen-, Wirtschaftspolitik des deutschen Reiches, gegen Gräuel- und Lügenpropaganda, insbesondere auch gegen die Boykottbewegungen usw.“ Das Angebot einer internationalen Werbetour wurde gern aufgegriffen, das mittlerweile wieder in „Vaterland“ zurückgetaufte, mit Geldern des Dritten Reichs ausgelöste Schiff befand sich bereits im Dezember 1933 wieder auf dem Weg in deutsche Gewässer. Der Graf schwamm wieder oben.
Angesichts der finanziellen Unterstützung durch die Nazis werden die Anhänger Luckners nicht müde, zu behaupten, er hätte zum Nationalsozialismus ein rein instrumentelles Verhältnis unterhalten, oder gar – wie von Mitgliedern der hallischen „Felix Graf von Luckner Gesellschaft“ gern verbreitet –, er hätte die Nazis an der Nase herumgeführt und ausgenutzt. Es stimmt durchaus, dass Luckner, wie das von der Stadt in Auftrag gegebene Gutachten feststellt, in allererster Linie durch „Opportunismus, Eitelkeit, Profilierungssucht, den Hang zur Selbstdarstellung und Geltungsbedürfnis“ getrieben und daher zuvorderst sich selbst verpflichtet war. Dass Luckner allerdings, wie häufig behauptet, das Geld der Nazis einstrich und dabei lediglich vorgab, für sie Propaganda zu machen, entbehrt jeder Realität. Nach seiner Rückkehr aus den Vereinigten Staaten betrieb der Graf eine rege Vortragstätigkeit. Er sprach dabei nicht nur, wie später von ihm selbst und heute von seinen Fans behauptet, „über seine Reiseerlebnisse und Abenteuer im Kriege“, sondern er betrieb ausführlich die den Nazis zugesicherte Propaganda, von ihm selbst in seiner Denkschrift als „Aufklärung über das neue Deutschland“ bezeichnet. Um nur ein paar Beispiele aus der Region zu nennen: Bereits im Juni 1933 vermeldete die hallische „Saale-Zeitung“, dass er „wegen der Judenfrage mit der Reichsregierung konferieren“ werde, „um nach seiner Rückkehr nach Amerika dort die Wahrheit zu verbreiten“. In Halle hielt Luckner im Oktober 1933 auf einer NSDAP-Veranstaltung im Stadtschützenhaus eine Rede, bei der er forderte, Deutschland müsse nun, wo es endlich nur noch einen Kapitän habe, „jetzt auch für alle Zeiten ‚besenrein‘ bis in die letzten Ecken gehalten“ werden. Einen Monat zuvor äußerte Luckner in einer Veranstaltung in Dresden, dass der „drohende Kommunismus in Amerika nur durch den Nationalsozialismus wirksam bekämpft werden“ könne. Im gleichen Vortrag lobte er Hitler als „Dynamitnatur“, dessen „heroischer Kampf“ zum „Sieg seiner Bewegung“ geführt hätte. Im Dezember gleichen Jahres erschien eine Neuauflage seines Buches „Seeteufel erobert Amerika“, in dessen Nachwort er klarmachte, wem seine politische Sympathie galt: „Und ich sah das neue Deutschland, sah mit frohem Herzen in leuchtende Augen – überall und an allen Orten – und ich sah den Führer unseres Volkes und wusste: Hier steht ein Käppten wie er sein soll, ein Mann hält wieder das Ruder des Schiffes in fester starker Hand, ein Mann, der einen guten Kurs steuert!“
In den Folgejahren intensivierte Luckner die Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten. Neben deutschlandweiten Vortragsreisen bis 1935 flog Luckner im September gleichen Jahres nach London, eine Propagandareise nach Skandinavien folgte Anfang 1936. In diesen Jahren knüpfte der Graf eifrig Kontakte zur NS-Prominenz. Neben Reichsbauernführer Walther Darré, der in Halle studiert hatte, und dem gebürtigen Hallenser Reinhard Heydrich zählte auch Heinrich Himmler zu seinen näheren Bekannten. Nach mehreren Treffen mit Hitler bekam Luckner ein neues Schiff finanziert und brach 1937 auf eine Vortragsweltreise auf. In dieser Reise liegt auch der Grund für den hartnäckigen Mythos vom heimlichen Anti-Nazi begründet. Zum einen überwarf sich Luckner – er wurde zunehmend nachlässig beim Betreiben der Propaganda, da er die nach außen als private Urlaubsfahrt getarnte Reise auch als solche betrieb – mit einem mitreisenden NSDAP-Mitglied, das ihn daraufhin in Berlin anschwärzte. Zum anderen kamen nach seiner Rückkehr im Jahr 1939 weitere Probleme auf Luckner zu. Neben Vorwürfen wegen Pädophilie tauchten während seiner Abwesenheit Beweise für eine verschwiegene Mitgliedschaft in einer Freimaurerloge auf. Die Nazis legten Luckner daraufhin nahe, sich ins Privatleben zurückzuziehen, verboten ihm jegliche Pressekontakte und verhängten ein Publikationsverbot über ihn. Luckner zog sich daraufhin, zur Untätigkeit verdammt, nach Halle zurück und verbreitete dort das Gerücht, er sei bei Hitler in Ungnade gefallen, weil er sich nicht nur standhaft geweigert hätte, seine Ehrenbürgerschaft von San Francisco zurückzugeben, sondern auch, weil er seine, Hitler bei einem Treffen angeblich gezeigten Zaubertricks nicht preisgeben wollte.
„Die Seuche, welche alles Edles zerstört“
Dass Luckner alles andere als ein Antifaschist war, dürfte jedem klar sein, der nur einen einzigen Blick in seine Biografie geworfen hat. Er war nicht nur Mitglied des „Deutschen Reichskriegerbundes ‚Kyffhäuser‘“, der sich bereits Anfang Mai 1933 geschlossen hinter Hitler stellte. Auch im „Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten“ – bewaffneter Arm der DNVP und mit über 500.000 Mitgliedern der zweitstärkste paramilitärische Verband in der Weimarer Republik – war der Graf als Mitglied aktiv. Der Verband kämpfte für die Errichtung eines „völkisch großdeutschen Reiches“ und schrieb sich die Vernichtung der Sozialdemokratie und des „Händlergeistes des Judentums“ auf die Fahnen. Bereits bei seiner Gründung im Jahr 1918 verwehrte er jüdischen Frontsoldaten die Mitgliedschaft. Mindestens in einer zentralen Sache wusste sich Luckner mit den Nazis einig – im Hass auf die Juden. In einem Brief vom 18. November 1933 an seine Mutter und Tante spann er wüste Verschwörungstheorien und glaubte, dass all seine Briefe „von der Judenbande abgefangen“ worden seien, weil die Juden hofften, „daraus wichtiges Material für ihre Gegenpropaganda zu finden“. Auch die Pfändung der „Mopelia“ im Hafen New Yorks schrieb Luckner nicht seinem eigenen Unvermögen in finanziellen Angelegenheiten zu, sondern bezeichnete sie in einem Brief an die Mutter als „eine jüdische Rache“.
Als sich Luckners Propagandatour 1937/38 Australien und Neuseeland näherte, schlug ihm zunehmend ein rauer Wind entgegen. Vor allem eine Anti-Luckner-Kampagne der „New Zealand Federation of Labour“ und der ihr angeschlossenen Gewerkschaftsgruppe „Movement against War and Fascism“, die mit zahlreichen Flugblättern, einer 32-seitigen Luckner-Broschüre und großangelegten Plakataktionen gegen seine Vorträge mobilisierte, machte ihm zu schaffen. Zwar scheiterte die Kampagne mit dem Ziel eines Einreiseverbotes für Luckner in Neuseeland, aber zunehmend mehrten sich kritische Stimmen im Vortragspublikum und der Presse, und in Wellington kam es im April 1938 zu einem kleinen Eklat, bei dem am deutschen Konsulat die deutsche Fahne heruntergerissen wurde. Nach aufkommenden Diskussionen in neuseeländischen Zeitungen, die die Frage nach einer möglichen Spionagetätigkeit Luckners stellten, brach er bereits nach sechs Wochen seine Neuseelandtour ab und setzte Kurs in Richtung Bali. Vor Wut schäumend schrieb er im September und November 1938 erneut der Mutter: „Wenn ich Juden habe gelernt zu hassen, so war das hier. Es ist die Seuche, welche alles Edles zerstört. Das Misstrauen gegen uns in der Welt ist um der Judentätigkeit. Wir sind viel zu milde, gegen diese Giftbande. […] Mancher in Deutschland mag noch Mitleid haben für die Juden, aber diese sollten heraus kommen in die Welt, dann werden sie weinen und werden der Bewegung auf den Knien danken für die Bekämpfung dieser Pest.“
Konfrontiert man die Freunde des Grafen mit dessen antisemitischen Äußerungen, dann zaubern sie gerne folgende Geschichte aus dem Ärmel: Luckner habe in Berlin am Ende des Zweiten Weltkrieges einer seit Jahren im Untergrund lebenden Jüdin das Leben gerettet, indem er ihr einen kurz zuvor gefundenen deutschen Pass eines Bombenopfers aushändigte und sie als Haushaltshilfe in der Pension einer Bekannten unterbrachte. Doch auch diese Geschichte, die Luckner 1955 unter die Leute brachte, ist mit Vorsicht zu genießen. Zwar erwähnt Rosalie Janson ihre Rettung durch Luckner in mehreren Briefen an ihn selbst, nachdem sie ihn laut eigener Aussage 1951 bei einem Vortrag in New York wiedererkannt hatte. Welchen Anteil Luckner an der Rettung der Frau tatsächlich hatte, blieb bisher jedoch ungeklärt. Der Nachlassverwalter Luckners jedenfalls scheiterte mit seinen seit 1998 vorangetriebenen Bestrebungen, dem Grafen posthum die Auszeichnung „Gerechter unter den Völkern“ verleihen zu lassen, da die Prüfungskommission von Yad Vashem den Antrag wegen ungenügender Beweislage zurückwies.
Der Retter von Halle?
Zum reißfestesten Seemannsgarn, das Luckner je gesponnen hat, gehört die Geschichte seiner Heldentat zur Rettung der Stadt. Als die Bombardierung durch die US-Streitkräfte unmittelbar bevorstand, seien Tausende Frauen und Kinder Halles vor sein Wohnhaus getreten und hätten ihn angefleht, „den deutschen General zu beeinflussen, den Kampf einzustellen oder als Ehrenbürger der USA zu versuchen, den amerikanischen General […] um Schonung der Stadt zu bitten“. Nachdem er die Bombardierung Halles in harten Verhandlungen den Amerikanern ausreden konnte, kehrte er nach eigenen Angaben in die Stadt zurück, wo sich die Menschen zu ihm drängten und weinend ihren Dank aussprachen. Die Wahrheit gestaltete sich allerdings etwas anders: Als die vorrückenden amerikanischen Truppen am 15. April 1945 auf erbitterten Widerstand durch die Wehrmacht stießen und zahlreiche Verluste durch deutsche Heckenschützen erlitten hatten, stellten sie der Stadt am Vormittag des 16. April ein auf abgeworfenen Flugblättern unterbreitetes Ultimatum. Würde die Stadt nicht übergeben, drohe ihr die Zerstörung durch US-Luftverbände. In der Nacht zum 17. April 1945 folgte der Rückzug der Wehrmachtstruppen in die Südstadt. Halle war damit für die vorrückenden Amerikaner geöffnet, eine Bombardierung war nicht mehr notwendig.
Was hatte nun Luckner mit dem Rückzug der deutschen Truppen zu tun? Luckner war kurz vor Beginn des Ultimatums zum Chef eines neu entstandenen städtischen Sicherheitsdienstes ernannt worden, der sich aus Volkssturmverbändlern zusammensetzen sollte. In dieser Funktion arbeitete Luckner eng mit dem NSDAP-Oberbürgermeister Weidemann zusammen. Nachdem der verantwortliche Wehrmachtskommandeur nach Druck von außen eine teilweise Räumung der Stadt erwogen hatte – ranghohe Nazis hatten die Stadt bereits verlassen oder Selbstmord begangen –, wurde Luckner beauftragt, die Nachricht über den geplanten Rückzug den Amerikanern zu überbringen. Da er durch seine Vortragsreisen in den USA kein Unbekannter war, erhoffte man sich von seiner Person ein schnelleres Durchdringen zu den Entscheidungsträgern der 104. Infanteriedivision, General Allen und Oberst Kelleher. Da niemand so recht den Fähigkeiten und der Zuverlässigkeit des Grafen traute, begleitete ihn der Ex-Luftwaffenmajor Huhold, der dann auch die taktischen Gespräche mit Kelleher und Allen führte. Luckner hatte seine Funktion als Türöffner zu diesem Zeitpunkt bereits erledigt und betrank sich mit amerikanischem Whiskey, der ihm von den Soldaten aufgrund seiner Berühmtheit als „Seeteufel“ reichlich angeboten wurde. Zudem gehörten Luckner und Huhold nicht zu den einzigen Personen, die Verhandlungen mit den US-Streitkräften führten. Bereits vor Luckners Fahrt fanden Gespräche statt, die Amerikaner hatten bereits mit zwei hallischen Unterhändlern vereinbart, dass sie bis zum Morgen des 17. April die Meldung erwarten, ob Halle weiter verteidigt wird. Laut Aussage eines an den damaligen Geschehnissen direkt Beteiligten wurde Luckners Fahrt von den Verantwortlichen als „nicht unbedingt nötig“ betrachtet, sondern mehr als „eine doppelte Sicherung“ angesehen. Auch die Luckner zugewiesene Aufgabe, am Morgen des 17. April die Nachricht vom vollzogenen Rückzug der Wehrmachtstruppen an Kelleher zu überbringen, erledigte letztendlich jemand anders, da Luckner aufgrund des Whiskey-Genusses weder zum Sprechen, geschweige denn zum Gehen fähig war.
Dies alles ist keineswegs neu, sondern bereits seit den 1990er Jahren bekannt. Der Luckner-Verehrung in Halle tut dies jedoch ebenso wenig Abbruch, wie den Versuchen der hiesigen FDP, dem Grafen ein Denkmal zu bauen. Statt einen weiteren Versuch im Stadtparlament zu wagen, starteten die Liberalen nach ihrer letzten parlamentarischen Niederlage einen Spendenaufruf an die Bürger, um die geplante Gedenkplatte im April 2012, zur 67. Jahresfeier des Kriegsendes, an einem Privatgrundstück auf dem Marktplatz anzubringen und einzuweihen. Wie es aussieht, könnten die Erfolgsaussichten der hallischen FDP außerhalb des Stadtrats deutlich höher sein: Von den benötigten 2.500 Euro waren im Frühjahr 2011 bereits über 1.000 Euro gesammelt worden.
Knut Germar
Verwendete Literatur:
Ernst Ludwig Bock: Übergabe oder Vernichtung. Eine Dokumentation zur Befreiung der Stadt Halle im April 1945, Halle 1993.
Norbert von Frankenstein: „Seeteufel“ Felix Graf Luckner. Wahrheit und Legende, Hamburg 1997.
Alexander Sperk, Daniel Bohse: Gutachten zur Einschätzung der Person Felix Graf von Luckner (1881–1966) hinsichtlich Straßenbenennung in der Stadt Halle (Saale), erweiterte und überarbeitete Fassung, Halle 2007.
Happy End für die FDP-Stadtratsfraktion
Wie das hallische Käseblatt AHA in ihrer Ausgabe 4/2012 berichtet, wird am 5. April 2012 eine Gedenktafel zu Ehren des Grafen in Höhe des Wöhrl-Kaufhauses befestigt. Damit soll sein Anteil an der Rettung der Stadt >>Halle vor der Zerstörung durch amerikanische Bomben bewahrt<< werden.
Es stellt sich nun die Frage, wie gut die Tafel befestigt sein wird.