Vor einiger Zeit sorgte der Parteiwechsel des sachsen-anhaltischen Kommunalpolitikers Hans Püschel von der SPD zur NPD bundesweit für Aufsehen. Wilfried Bielski erinnert daran, dass dieser Übertritt in einer langen Tradition steht.
Im Zuge der Gemeindegebietsreform wurde das Dorf Krauschwitz im Januar 2011 in die Ortschaft Teuchern eingemeindet. Seit über 20 Jahren war Hans Püschel in Krauschwitz in der Kommunalpolitik als Bürgermeister, im Gemeinderat oder als Kreisvorsitzender für die SPD tätig. Als er sich zwei Monate vor der Eingemeindung nach Hohenmölsen zum Bundesparteitag der NPD aufmachte, auf dem die NPD die DVU schluckte, war sicherlich eine gehörige Portion Ärger und Frustration dabei. Schließlich birgt so eine Gebietsreform jede Menge Gefahren für Lokalpatrioten: Erstens droht der Identitätsverlust, zweitens wächst die Angst vor Fremdbestimmung, und drittens gedeiht ein Gefühl der Entwurzelung.
Erst im Nachhinein stellte sich heraus, dass Hans Püschel schon während des Bundesparteitages Teil einer NPD-Propaganda-Show gewesen war. Als nämlich im Februar 2011 über 60.000 Mails aus dem NPD-Postfach veröffentlicht wurden, zeigte sich, dass Püschel bereits vor dem NPD-Bundesparteitag mit dem damaligen sachsen-anhaltischen NPD-Spitzenkandidaten Matthias Heyder in E-Mail-Kontakt stand und sich beide über das NPD-Landtagswahlprogramm berieten. Indem er seine Eindrücke vom NPD-Bundesparteitag aus der Perspektive eines Sozialdemokraten in einem Leserbrief schilderte, wies er – zugegebenermaßen mehr schlecht als recht – darauf hin, dass die Nationaldemokraten alles in allem auch nur nach Wegen suchen würden, „um Deutschland aus seiner kranken Situation heraus zu führen“. Eine Welle der Empörung brach sich Bahn. Die Strategie der NPD schien aufzugehen. Bundesweit sorgte der Fall Püschel und Püschels sich abzeichnende Konversion von der SPD zur NPD für Schlagzeilen. Zu diesem Zeitpunkt war der Öffentlichkeit noch nichts von der Absprache zwischen Püschel und Heyder bekannt. Aus medienstrategischen Gründen, so Püschel an Heyder, sei „die Abgrenzung vorläufig gegenseitig das Beste, weil ich dann die Sache immer mal noch ein paar Tage befeuern und nachlegen kann. Als NPD-Mann wäre ich sofort raus aus den Medien – dann wär’s nichts Besonderes.“ Dies gelang Püschel: Immerhin berichteten „Focus“, „Spiegel“, „Süddeutsche Zeitung“ und andere Blätter.
Bizarr bleibt, dass dieser Vorfall bundesweit skandalisiert wurde. Es war nicht das erste Mal, dass ein Sozialdemokrat ins rechte Lager wechselte. Diese Praxis hat eine lange Tradition, die angesichts ideologischer Schnittmengen zwischen Sozialdemokraten und Nationalsozialisten das Ausmaß solcher Medienaufmerksamkeit kaum zu rechtfertigen vermag.
Sozialdemokratischer Idealismus
Das Ziel der Sozialdemokratie ist die Bändigung des Kapitalverhältnisses auf seiner eigenen Grundlage. Zwischen sozialer Gesinnung und kapitalem Sachzwang soll harmonisch vermittelt werden: ein in sich widersinniges Ziel. Die SPD ist die Partei derjenigen, die sich nach einem starken Staat sehnen und die korrupten Kapitalisten zähmen wollen, damit sie es sich selbst in der staatlichen Wohlfahrts- und Fürsorgeanstalt kuschelig einrichten können. Das sozialdemokratische Verständnis von Kapital und Lohnarbeit beruht notwendig auf einem falschen Idealismus. Dieser Idealismus erfordert es, die vielfache Vermittlung von Produktions-, Zirkulations- und Distributionsverhältnissen konsequent zu ignorieren. Die Sozialdemokratie kann laut Karl Marx „den notwendigen Unterschied zwischen der realen und der idealen Gestalt der bürgerlichen Gesellschaft nicht begreifen und übernimmt daher das überflüssige Geschäft, den idealen Ausdruck, das verklärte und von der Wirklichkeit selbst als solches aus sich geworfene Lichtbild, selbst wieder verwirklichen zu wollen“.
Das Selbstbestimmungsrecht der Völker
Vor diesem Hintergrund kann die Geschichte der Sozialdemokratie als Wiederkehr des Immergleichen begriffen werden. Das antikapitalistische Programm der Sozialdemokraten besteht darin, die Kapitalisten für den falschen Gebrauch des Geldes zu kritisieren, eine gerechtere Verteilung der Waren durch den Staat und die Sanktionierung der „Parasiten“ zu fordern. Mit anderen Worten: Im sozialdemokratischen Weltbild, das durchaus von der Linkspartei geteilt wird, werden die negativen Seiten des Kapitalismus vor allem auf charakterliche Defizite (Raffgier, Eigennutz, asoziales Verhalten etc.) derjenigen zurückgeführt, die an den kleinen und großen Schalthebeln der Wirtschaft sitzen.
Durch die Geschichte der SPD zieht sich ein roter Faden: Signifikant an ihrer Programmatik ist ihr deutschnationaler, gemeinschaftsideologischer und etatistischer Impetus. Auffallend ist die ideologische Übereinstimmung mit dem Nationalsozialismus in ihrer uneingeschränkten Glorifizierung des Selbstbestimmungsrechts der Völker, dem nicht umsonst der erste Punkt des 25-Punkte-Programms der NSDAP gewidmet war. Erich Ollenhauer, Willy Brandt und Herbert Wehner bekräftigten in ihrer Grußbotschaft an den Bund der Vertriebenen 1963 dieses Recht als kennzeichnend für die Sozialdemokratie: „100 Jahre SPD heißt vor allem 100 Jahre Kampf für das Selbstbestimmungsrecht der Völker.“
Nicht weniger bedeutsam war der sozialdemokratische Semi-Märtyrer Kurt Schumacher. Er hob auf dem ersten Parteitag der SPD 1946 ausdrücklich hervor, dass die Deutschen aufgrund ihrer jüngsten Vergangenheit außerordentliche moralische Qualitäten bewiesen hätten: „Wenn jemand von draußen nach Deutschland kommt, dann erlebt er sicher, wenn er fühlen kann und wenn er Fingerspitzengefühl hat, wenn er seelisch in den anderen eindringen kann, das eine große Wunder, dass nach zwölf Jahren Diktatur noch so viele Menschen anständig geblieben sind. Und er erlebt das andere Wunder, dass beim Kampf, anständig zu sein, auch Tapferkeit gezeigt wird. Im Letzten hat auch der kleinste Mann in seiner Lebenshaltung, in seiner persönlichen Moral, in seiner Lebensführung, in der Art, wie er für seine Familie sorgt, eine Leistung gezeigt, die so groß ist, dass wir für diesen Vorteil die Konkurrenz keines Landes zu fürchten brauchen.“ Mit der Idee des anderen, das heißt: besseren Deutschland, die in dieser Rede zum Ausdruck kam, werden Denkmuster reproduziert, die allgemein verbreitet sein müssen, damit Nazis Erfolg haben können: der Glaube an die Nation, Gemeinschaftsgefühl, kollektiver Geltungsdrang.
In Stahlgewittern
Am 2. August 1914 stimmten 78 SPD-Abgeordnete im Reichstag für die Bewilligung der Kriegskredite. Nur 14 Sozialdemokraten votierten dagegen. In den folgenden vier Jahren erreichten die staatliche Lenkung und Intervention in die Wirtschaft ein bis dahin unbekanntes Ausmaß. Die Ökonomie sollte vollständig für den modernen Materialkrieg nutzbar gemacht werden. Der Staat ge- und verbrauchte nahezu alle Industrieprodukte selbst. Er besaß das Getreidemonopol und teilte der Bevölkerung Lebensmittel zu. Der Arbeiter produzierte die Waffen und Kriegsmittel, die der Soldat verbrauchte. „Das ganze Transportwesen“, so analysierte der Rätekommunist Willy Huhn, „wird vom Staate unter Hintansetzung volkswirtschaftlicher Interessen in den Dienst des Krieges gestellt. Der Staat bestimmt Verbrauch und Verzehr des einzelnen Staatsbürgers. Er greift in die Lohnverhältnisse ein […], der Staat bestimmt weitgehend die Geldverhältnisse.” Der staatliche Zugriff auf alles und jeden war kennzeichnend für eine noch nie da gewesene Totalität des Staates.
Für diesen Vorschein einer Volksgemeinschaft zeigten weite Teile der Sozialdemokratie große Begeisterung. Sie wollten die staatliche Lenkung von Ökonomie und Gesellschaft zu Zwecken der Kriegsführung als „Kriegssozialismus“ begriffen wissen, an dessen Horizont der tatsächliche Sozialismus dämmerte. Der damals sehr bekannte Sozialdemokrat August Winning erklärte im Frühjahr 1915: „Das Schicksal Deutschlands ist auch das Schicksal der deutschen Arbeiterklasse.“ Im selben Jahr gründete sich im linken Flügel der SPD die Lensch-Cunow-Haenisch-Gruppe. Im Unterschied zu weiten Teilen der Partei interpretierten ihre Mitglieder den Weltkrieg nicht nur als Vorschein, sondern als Verwirklichung der sozialistischen Revolution. An einen deutschen Sieg knüpften sie die Hoffnung, eine sozialistische Gesellschaftsordnung in ganz Europa errichten zu können. Sowohl die Lensch-Cunow-Haenisch-Gruppe als auch die Mehrheit ihrer Parteigenossen reihten sich aus Überzeugung in die imperialistische Kriegsmaschinerie Deutschlands ein. Die sozialdemokratischen Massenorganisationen waren von nicht zu unterschätzender Bedeutung, um große Menschenmassen zu organisieren und politisch zu führen. Spätestens hier hatten die Arbeiter gelernt, zu marschieren und in Reihe und Glied zu denken. Zugleich entstand in dieser historischen Konstellation erstmalig die Vorstellung einer Wehr- und Produktionsgemeinschaft, welche den gedanklichen Bezugsrahmen für die Einheit der „Deutschen Arbeitsfront“ in Nazi-Deutschland bildete. Vom ursprünglich internationalistischen Geist der Sozialdemokratie blieb bis zur Gründung der „Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands“ (USPD) im Jahr 1917 nicht viel übrig. Die Opposition der USPD zu den Mehrheitssozialdemokraten begründete sich vor allem in der Gegnerschaft zur Burgfriedenspolitik. Die USPD war von 1917 bis 1922 politisch bedeutsam, vermochte es aber nicht, die Vorrangstellung innerhalb der Sozialdemokratie zu erlangen.
Nationaler Sozialismus versus Nationalsozialismus
Besonders stark ausgeprägt waren der Staatsfetischismus und die Vorstellung von einem originär deutschen Sozialismus im „Hofgeismarer Kreis“. Darin formierte sich von 1923 bis 1926 ein radikal deutschnationaler Flügel innerhalb der Sozialdemokratie. Auch die Monatszeitschrift „Neue Blätter für den Sozialismus“, die ab 1930 erschien, war ein breites Sammelbecken für jung-rechte intellektuelle Sozialdemokraten. Mit Vehemenz propagierten sie einen nationalen Sozialismus, der mit einigen Vorstellungen des Nationalsozialismus übereinstimmte: der Idee einer gegen das Individuum gerichteten Volksgemeinschaft, einer antikapitalistischen Sehnsucht und einem ethisch-religiösen Fatalismus. Damit leisteten sie – ohne es explizit zu wollen – ihren Beitrag dazu, das ohnehin wackelige Fundament der Weimarer Republik und letztlich auch der SPD zu unterhöhlen.
Den Höhepunkt der Groteske markierte die Reichstagssitzung am 17. Mai 1933. Es war die letztmalige Teilnahme der SPD an einer Reichstagssitzung. Einige Monate zuvor hatten die Nazis die politische Macht übernommen. Der Boykott jüdischer Geschäfte und die Bücherverbrennungen waren längst Realität in Deutschland. Beim letzten Auftritt im Reichstag verabschiedeten sich die Sozialdemokraten schmachvoll: Sie unterstützten die Forderung der Nationalsozialisten, den Versailler Vertrag für Deutschland außer Kraft zu setzen. Am Ende der Sitzung sangen die Abgeordneten gemeinsam das Deutschlandlied. Die meisten SPD-Mitglieder stimmten voller Rührung in die Hymne ein, ja „manchen liefen die Tränen über die Wangen“, wie das damalige Reichstagsmitglied Wilhelm Hoegner resümierte. Es war, so Hoegner weiter, „als hätte uns Sozialdemokraten, die man immer als die verlorenen Söhne des Vaterlandes beschimpfte, einen unsterblichen Augenblick lang die gemeinsame Mutter Deutschland ans Herz gedrückt“.
Die konsequente Sozialdemokratie
Die Geschehnisse, die diesem gemeinsamen nationalen Chorgesang folgten, stießen nicht bei allen Sozialdemokraten auf durchgängige Kritik. Der SPD-Altkanzler Helmut Schmidt, auf den sich auch Hans Püschel gern bezieht, bezeichnete die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik der Jahre 1933 bis 1936 in seinem Buch „Unser Jahrhundert“ als „ökonomisches Kunststück“, das „sonst niemandem in der ganzen Welt gelungen“ sei. Die deutsche Wirtschaftspolitik dieser Zeit sei „der erste Fall von gelungenem Keynesianismus“ gewesen.
Angesichts solcher Äußerungen, der Heuschreckenmetaphorik Franz Münteferings und der antisemitischen Stechmückenkarikaturen der SPD-nahen IG Metall war der Übertritt Hans Püschels zur NPD zwar einerseits konsequent, andererseits aber auch unnötig: Er hätte mit seinem Weltbild genauso gut bei der SPD bleiben können.
Wilfried Bielski
im link sind npd und spd vertauscht.
guter text
Die SPD-Fraktion in MäcPom will Günter Grass zum Festredner der diesjährigen Verleihung des Johannes-Stelling-Preis machen. Der Preis zeichnet Menschen für ihren Einsatz »gegen rechtsextremistische, fremdenfeindliche, antisemitische, rassistische und/oder in anderer Weise diskriminierende Tendenzen« aus. Vielleicht lässt sich ja eine Evelyn Hecht-Galinski oder ein(e) andere(r) Beknackte(r) für den Preis finden.
http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/12906
ein wenig Hintergrund:
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-40693632.html
Folgende historische Begebenheit gilt es hinzuzufügen:
Symptomatisch für die nachkriegsdeutsche SPD ist ihr Hang zur Neutralität. Ganz besonders neutral verhielt sich Willy Brandt. Zwar wusste er um die Besonderheit des israelischen Staates, was er wie ein Werbetexter in einen passenden Slogan zu übersetzen wusste: „Für uns Deutsche gibt es gegenüber Israel keine Neutralität des Herzens.“ Zugleich waren deutsche Interessen um ein Vielfaches wichtiger als die drohende Vernichtung Israels. Anders lässt sich nicht erklären, warum Willy Brandt himself deutsche Häfen (Bremerhaven) während des Jom-Kippur-Krieges 1973 für militärischen Nachschub der USA an Israel sperren ließ. Wohl wissend, dass das Weiterbestehen Israels durch den ägyptisch-syrischen Angriffskrieg – dessen Ausgang ungewiss war – am seidenen Faden hing. Historisch wahrheitsgemäß hätte es heißen müssen: „Für uns Deutsche gibt es gegenüber Israel keine Neutralität des Herzens, es sei denn wir müssen in einer Notsituation aktiv für die Zionisten Partei ergreifen.“
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41599777.html
Auch zu Helmut Schmidt ließe sich einiges nachtragen. Schmidt Verhältnis zu Israel ist – gelinde gesagt – äußerst ambivalent. Hierzu empfiehlt sich die Lektüre des Artikels von Shlomo Shafir „Helmut Schmidt: Seine Beziehungen zu Israel und den Juden“ (in: „Jahrbuch für Antisemitismusforschung“ (Band 17, Metropol Verlag, Berlin 2008).
Einen entgegengesetzten Lebenlauf – vom Nationalsozialisten zum Parteikommunisten zum Sozialdemokraten – weist Gustav Just auf, der als Landtagsabgeordneter der SPD in Brandenburg und Alterspräsident sein Amt aufgab, als 1992 bekannt geworden war, dass er während des 2. WK als Leutnant an Geiselerschießungen auf dem Gebiet der UdSSR beteiligt war.