Anlässlich des 110. Geburtstags des hallischen Bergzoos initiierte das hallische Bürgerradio „Radio Corax“ im Oktober eine einwöchige Ausstellung mit dem Titel „Kunst für Tiere“. Dahinter steckte jedoch nicht die Kritik am Kunst- und Kulturbetrieb, sondern vielmehr der Versuch, Mensch und Tier auf eine gemeinsame Stufe zu stellen. So wurde in der Ausstellungsankündigung gefragt, „ob Tiere Kunst als solche wahrnehmen können“. Eine Ahnung davon, was genau es für die Wahrnehmung von Kunst eigentlich bedarf, scheinen die Radiomacher nicht zu haben. Daher hielten sie es zumindest für „spekulativ“ – sogar „hochgradig“ – „ob etwas wie ästhetisches Empfinden bei Tieren vorkommt“. Diese zur Redlichkeit eines jeden Künstlers gehörenden Zweifel wurden jedoch spätestens beseitigt, als von „denselben Gesetzmäßigkeiten“ angesichts „unserer eigenen Wahrnehmung von Kunst“ und der des Tieres fabuliert wurde. In einer älteren Fassung dieser Ankündigung wurde noch besonders scharfsinnig gefachsimpelt: „Ein Außerirdischer würde vermutlich das menschliche Wahrnehmen [von Kunst] ähnlich betrachten, wie wir die Formulierung Kunst für Tiere.“ Und natürlich wäre das Projekt kein linkes, wenn es nicht die bisherige diskriminierende „einseitige menschliche Wahrnehmung der Tierwelt“ anprangern würde, um daraufhin endlich dem Tier sein verwehrtes Recht zurückzugeben, ein „Subjekt der Kunstwahrnehmung“ zu sein.
Beauftragt mit der Umsetzung dieser haarsträubenden Vorgaben wurden acht Personen aus den Weiten des Kunstbetriebs. Unter den Exponaten befand sich ein unter dem Antisemiten und sogenannten „Turnvater“ Friedrich Ludwig Jahn populär gewordenes „Turnpferd“, das, neben anderen Sportgeräten, die der Malträtierung ganzer Schülergenerationen dienen, in ein leerstehendes Gehege gestellt wurde. Neben derlei vor sich hin dümpelnden Arbeiten, die irgendwie irgendwas mit dem Thema Tier zu tun hatten, gab es auch die angedrohten engagierten Versuche antispeziesistischer Provenienz. Hagen Bäcker stellte „von beiden Seiten betrachtbare Glasbilder an die Gehege“. Von jeder Erfahrung verlassen, hoffte er unter anderem, dass beide Seiten beobachten „wie der andere auf Kunst reagiert“. Entgegen seiner Erwartungen entwickelten die angesprochenen Tiere jedoch weder Interesse für die uninspirierten Werke, noch für die wahnsinnig aufgeregten Kunststudenten, die erfolglos auf eine tierische Würdigung ihrer Unkonventionalität hofften. Etwa die gleiche Aufmerksamkeit erweckten aufgestellte Sofas, die den „artspezifisch menschlichen Lebensraum“ einer gelangweilten Künstlerin zeigen sollten.
Im Rahmen des Korrespondenzprojektes „Jungtierbeute“ widmete sich eine Studentin mit dem besonders kreativen Pseudonym Caro Sell einer besonders kreativen Idee mit Ziegen. Wissenschaftler hätten nämlich herausgefunden, dass die gehörnten Vierbeiner Caro in nichts nachstehen und „sehr intelligent“ seien und „sogar zählen“ könnten. Also – so denkt es im deutschen Kunstnachwuchs – sollen sie nicht nur irgendeinen Schund vorgesetzt bekommen. Den Ziegen sollte etwas vorgelesen werden. Und es musste Adorno sein. Caro hatte gehört, dass dieser sehr schlau war. Da sie aber nicht den ganzen Tag im Streichelgehege mit dem Vorlesen der „Negativen Dialektik“ verbringen wollte, wählte sie den kurzen Aufsatz „Reflexionen zur Klassentheorie“. Um diesem interspeziesistischen Lesekreis einen Sinn anzudichten, schüttelte die Dame aus der örtlichen Kaderschmiede für Kartoffeldrucke eine knappe Erläuterung aus dem Ärmel, an deren Ende sie die beiden Elemente ihrer bedeutenden Arbeit – „Adorno und die Ziegen“ – gewaltsam zusammenzubiegen suchte: „vielleicht sind wir ja genauso, wie auch die Ziegen, von Natur aus auf Hierarchien angewiesen“. Angesichts solch intellektueller Höhenflüge war die gemeinsame Lektüre offensichtlich weder für die desinteressierten Ziegen, noch für die interessierte Caro von Nutzen.
Vor dem Hintergrund solcher Beiträge begannen zufällig in die Ausstellung geratene Zoobesucher schon bald Neid zu empfinden. Neid für die Unfähigkeit des Getiers, die Machwerke hiesiger Kulturschaffender wahrzunehmen. Wie allerdings die Aussteller auf das Desinteresse ihres Zielpublikums reagierten, konnte nicht ermittelt werden. Es bleibt die Hoffnung, dass die Erkenntnisse des Projektes „Kunst für Tiere“ die Macher von „Radio Corax“ zu der Maßnahme anspornt, ihr Programm zukünftig nur noch in den Gehegen des Zoos abzuspielen oder, besser noch, den einen oder anderen Moderator durch deren Bewohner zu ersetzen.
(uci)
Plunder vor die Säue
18. Februar 2012 von bonjour tristesse
Betrachtet man das Dargebotene, wie es immer so schleimig devot-großkotzig heißt, „unvoreingenommen“, könnte man tatsächlich auf die Idee kommen daß die an der Aktion teilnehmenden Tiere Kunstverständnis haben, da sie sich für die Werke der ähem.. Künstler nicht mal ansatzweise interessierten, während die mündigen, gebildeten und natürlich ganz außergewöhnlich freakig-rebellischen Menschendarsteller mittlerweile jeden Misthaufen zur Kunst deklarieren.
Wie man begann, so endet man – was wäre diese Blogpostille ohne einen Radio Corax-Diss!
Nun wissen wir nicht nur alle, dass die Aktion „Kunst für Tiere“ eine antiaufklärerische und antispeziesistische Untat übelster Sorte war, dank der äußerst selektiven Zitierweise und der Fokussierung auf irgendein sinnloses Kulturbetriebsoberflächlichkeitsgeschwurbelprojekt werden uns die interessanten und witzigen Seiten der ganzen Sache zudem vorenthalten. Nicht, dass wir noch auf die Idee kommen könnten, das Ganze sei durchaus etwas komplexer begründet und auch gar nicht immer so ernst gemeint gewesen. Denn dann würden wir ja zwangsläufig bemerken, dass hier mal wieder irgendetwas zum kritikwürdigen Skandälchen hochstilisiert wurde, um den Kommentar erst zu rechtfertigen.
Eigentlich ging es in der Hauptsache um eine Reflektion auf den künstlich geschaffenen Raum „Zoo“ und seine Geschichte, in dem einzelne Tiere dem Menschen als Artvertreter vorgeführt werden. Die Installationen, die „Kunst“, zielten dabei selbstverständlich auf den Menschen und wollten ihn zum Nachdenken nicht nur über Struktur und Geschichte von Zoos, sondern auch über das Verständnis und die Rezeption von Kunstwerken anregen.
Nun kann man einen Teil der Installationen und auch „Performances“ für die unkritische Gülle eines gesättigten, oberflächlichen Kulturbetriebs halten, die sie ist. Ein „Versuch, Mensch und Tier auf eine gemeinsame Stufe zu stellen“, war das Ganze mit Sicherheit aber nicht. Man hätte es sich als witzige Aktion angucken können, oder eben nicht – die Vogelstimmenimitation hatte für den gepflegten Hobbyornithologen durchaus ihren Reiz… Die Aufbauschung der Sache ist sinnlos – aber würde man das anerkennen, hätte man weder diese Spalten, noch je eine bonjour tristesse füllen können.
Ein Turnpferd in ein Gehege zu stellen grenzt an Antisemitismus, weil der Erfinder des Turnpferds Antisemit war. Haarscharf kombiniert, Dr. Watson! Dass ich da nicht von selbst drauf gekommen bin …
Das ist deine Interpretation!
Lieber Prof. Dr. Sinnlos,
na Sie sind ja leicht zu beeindrucken.
Nicht nur, dass sie diesen kurzweiligen Kommentar auf eine weitere schlicht dumpfe Kunstaktion schon als Versuch betrachten, „irgendetwas zum kritikwürdigen Skandälchen“ hochzustilisieren. Auch der Ankündigungstext der Ausstellung, mit dessen Auszügen Sie einen ganzen Absatz füllen, scheint Ihnen derart imponiert zu haben, dass Sie an dieser Stelle eine Lanze für das von der BT so geschundene Bürgerradio Corax brechen möchten.
„Man hätte es sich als witzige Aktion angucken können, …“
Ohne den geringsten Anspruch an das künstlerische Schaffen wie das Rezeptionsverhalten des Menschen („die Vogelstimmenimitation hatte für den gepflegten Hobbyornithologen durchaus ihren Reiz“) scheint dies möglich.
Und in der Tat war es auch ein bisschen „witzig“, mit anzusehen, wie die Menschenherde vor den Gehegen außer sich geriet, weil die Tiere doch tatsächlich auf vom Band (Achtung! künstlich, also Kunst) abgespielte Laute von Artgenossen reagierten (um nur ein weiteres „Filetstückchen“ zu nennen, welches uns, der „selektiven Zitierweise“ des Autors geschuldet, fast verborgen blieb).
Wenn „… es […] auch gar nicht immer so ernst gemeint …“ war, dann dürfte diese Mitteilung, die sich auf gar unterhaltsame Weise über die Aktion lustig macht, doch auch in Ihrem Sinne die einzig angemessene Antwort sein.
Vielen Dank dennoch, für den Versuch, uns „die interessanten und witzigen Seiten der ganzen Sache“ näher zu bringen.
Nach der Lektüre Ihrer Zeilen verbleibt man in etwa so neidisch wie der Autor es am Ende seines Artikels beschreibt.
Sehr hoffe ich, Sie können sich ihren unkritischen Enthusiasmus bewahren, dann werden Sie bei Corax bestimmt Karriere machen.
und nun zur dir, lieber Anonymous,
„die Ausstellung „Kunst für Tiere“ wird eröffnet am 159. Todestags des Turnvaters“.
Kombiniert mit den ganzen anderen Jubiläen, die der Künstler in der Beschreibung seines Projektes anführt, kann man verstehen, dass er nicht umhin konnte, diese Schicksalsfäden zu einer richtig miesen Installation zu verweben.
Die Intervention im Zoo grenzt nicht an Antisemitismus (das wird im Artikel auch nicht behauptet übrigens), sondern ist einfach nur Ausdruck des verzweifelten Ringens eines uninspirierten Künstlers nach irgendeiner noch so fadenscheinigen Legitimation des eigenen Schaffens.
Und dass du darauf nicht von selbst gekommen bist, wundert bei deiner Kombinationsgabe echt niemanden.
Thomas Rabisch wusste vermutlich nicht mal, dass der Turnvater ein Antisemit war, aber das ist ja auch nebensächlich, denn mit solchen Details sollte sich ein Künstler gar nicht erst belasten, das beschränkt schließlich nur die Kreativität. Da bist du aber bestimmt schon draufgekommen.
“die Vogelstimmenimitation hatte für den gepflegten Hobbyornithologen durchaus ihren Reiz”
IrOnIe…bzw. ist banal. ist keine große kunst und eben auch nicht einen großen „ideologiekritischen“ artikel wert…
ach, ihr helden..
Ich halte den Artikel für überheblich und unwissenschaftlich.
Es entzieht sich meinem Verständnis, warum Caro Sell als engagierte Nachwuchswissenschaftlerin in ein so schlechtes Licht gerückt wird. An ihrem Ansatz lässt sich höchstens kritisieren, dass sie dem Begriff Ziege Gewalt antut, wenn sie identitäre Separationen mit dem Gattungsbegriff ZIEGE glatt bügelt. Trotz aller Gemeinsamkeiten zwischen Mensch und Ziege besteht doch ein wesentlicher Unterschied. Ziegen und Ziegenböcke weigern sich bis zum letzten Horn, ihr heteronormatives Weltbild abzulegen.
Dieses regressive Bedürfnis gilt es, deutlicher heraus zu arbeiten.
http://www.transcript-verlag.de/ts1824/ts1824.php
Wo hier schon Literaturtipps gegeben werden:
Detlev Claußen(Adorno. Ein letztes Genie… Das gleich zitierte ist auf Seite 308/309 zu finden) fand im Adorno- Archiv die Mitschrift eines Protokolls aus dem Jahr 1956. Hier diskutierten Horkheimer und Adorno die Idee einer Publikation – „eines neuen kommunistischen Manifestes, das dem gerecht wird, wie es heute ist“(Adorno) – die bekanntlich nie gedruckt wurde. Und während Sie ueber die Möglichkeiten eines neuen kommunistischen Manifestes sprechen, kommen sie zur Vorstellung von Glück.
Horkheimer: „Glück wäre ein Zustand des Tieres, gesehen von der Perspektive dessen, was nicht mehr Tier ist.“
Adorno darauf: „Am Tier könnte man lernen, was Glück ist“.
Horkheimer vollendet: „Den Zustand des Tieres erreichen auf der Ebene der Reflexion, das ist Freiheit. Freiheit bedeutet, daß man nicht arbeiten muss.“
Just for the record…
„Rien faire comme une bête“
„Mit sichtlichem Behagen marschieren in den Bergen die Kühe auf den breiten Wegen, welche die Menschen angelegt haben, ohne viel Rücksicht auf diese. Modell dafür, wie die Zivilisation, die Natur unterdrückte, der Unterdrückten beistehen könnte.“ (Adorno, nach einer Bergwanderung in Sils Maria)
Adorno wollte Bambi nicht töten:
„In die Tiere vermummt sich die Utopie. Das macht sie den Kindern lieb und ihre Betrachtung selig.“
„Ein Hotelbesitzer, der Adam hieß, schlug vor den Augen des Kindes, das ihn gern hatte, mit einem Knüppel Ratten tot (…); nach seinem Bilde hat das Kind sich das des ersten Menschen geschaffen. Daß das vergessen wird; daß man nicht mehr versteht, was man einmal vorm Wagen des Hundefängers empfand, ist der Triumph der Kultur und deren Mißlingen.“
Na gucke, Adorno hat was über Tiere gesagt. Nur dass sie Kunst erkennen oder auch nur ein einziges Wort seiner Werke verstehen würden, hat er nicht geglaubt. Vielmehr leben sie wohl ganz und gar „ohne viel Rücksicht auf diese.“
Was du damit sagen willst, versteht auch kein Schwein.
Noch eine Ergänzung:
Clemens Nachtmann betrachtet das folgende lesenswerte SZ-Interview mit der Kuratorin der documenta als irre Intention des Poststrukturalismus, worin jede Unterscheidung zwischen sich selbst (als engagierte Psychotikerin) und der Außenwelt geleugnet wird.
Die Kuratorin Carolyn Christov-Bakargiev: „Meiner Meinung nach dürfen sich in einer wahren Demokratie alle äußern. Die Frage ist nicht, ob wir Hunden oder Erdbeeren die Erlaubnis zum Wählen erteilen, sondern wie eine Erdbeere ihre politische Intention vorbringen kann. Ich will Tiere und Pflanzen nicht schützen, sondern emanzipieren. Früher hieß es, wir haben allgemeines Wahlrecht, aber die Frauen wählten nicht. Warum sah keiner den Widerspruch? Wenn man das Subjekt des Bürgers nur als männlich konstituierte, gab es ja tatsächlich allgemeines Wahlrecht.“
http://www.sueddeutsche.de/kultur/documenta-leiterin-carolyn-christov-bakargiev-ueber-die-politische-intention-der-erdbeere-1.1370514