Wir haben einen Fehler gemacht. In der vergangenen Ausgabe ließen wir uns dazu hinreißen, einen „Leserbrief“ zu veröffentlichen (vgl.: „Das Imperium schlägt zurück“; Bonjour Tristesse Nr. 12/2011). Zwar halten wir den Brief nach wie vor für ein Dokument von allgemeinem Interesse. Hätten wir jedoch geahnt, dass wir mit der Veröffentlichung die Büchse der Pandora öffnen, er wäre vorerst in unserem Archiv verschwunden. Dort hätte er für bessere Zeiten über Jahrhunderte aufbewahrt werden können, um dann – in einer Vitrine eines Museums für „Vor- und Frühgeschichte“ – neben ausgestopften Mammuts die Menschen an die Abgründe des menschlichen Geistes zur jener trüben „Vorzeit“ zu erinnern. Diese von uns vorgenommene verfrühte Veröffentlichung verstand eine Mutter aus einem nichtssagenden Kaff in der Nähe der ebenso unbedeutenden Ansiedlung Sangerhausen nun leider nicht als Mahnung, sondern als Aufforderung, uns mit weiteren Dokumenten dieser Art zu behelligen.
Manche Leser mögen sich noch erinnern, dass wir vor vier Ausgaben eine Kurzmitteilung zu einem Kind veröffentlichten, dessen Leben mit der Namensgebung schon nachhaltig versaut wurde (vgl. „Heil Fiedler!“; Bonjour Tristesse Nr. 9; 1/2010). Der Verfasser beschrieb damals die restliche Lebenszeit von Adolf Thor Fiedler – vom Kindergarten über die Hauptschule bis zum professionellen „Führerimitator“ – als kontinuierliche Mimesis an seinen berühmten Namensvetter. Durch die „voyeuristische Faszination und das Schamgefühl“ seiner deutschen Mitbürger für ihren toten Führer erschien sein Leben als Einbahnstraße. Als einzige Hoffnung eine baldige Namensänderung. Die Mutter des armen Kindes schrieb uns nun den besagten Leserbrief. „Wir die Eltern von Adolf Thor Fiedler sind gebildete Bürger dieses Landes. Den Namen unseres Sohnes haben wir wohl gewählt.“ Im guten Willen hätte man den Eltern bisher noch unterstellen können, eine verlorene Wette beim akademischen Stammtisch in Sangerhausen habe zu dem Namen geführt. Auch wurden die Eltern bis hierhin weder als ungebildet, noch als „rechts“ bezeichnet, die sich diesen Vorwurf offensichtlich selber machen, ihn daher umso vehementer abstreiten. Für beide Vorwürfe gab es höchstens ein vages Verdachtsmoment. Sicher ließ sich aufgrund der Namensgebung nur auf eine eklatante Kurzsichtigkeit der Erzeuger schließen. Nach dem folgenden Satz muss jedoch auch davon ausgegangen werden, dass die Eltern entgegen ihrer Selbstbezichtigung zum intellektuellen Bodensatz dieses Landes gehören: „Der Name Adolf Thor ist in den skandinawischen (!) Ländern sehr beliebt, was Ihnen sicher entgangen ist, da Ihnen nichts besseres einfällt, als den Namen alleinig mit Adolf Hitler in Verbindung zu bringen.“ Zur Unterstreichung ihrer Dummheit empfahl die Mutter dem Verfasser noch „etwas mehr Bildung und den Kauf von Büchern über die Geschichte“.
Nun ist die lautmalerische Analogie der Namen Adolf Hitler mit Adolf Fiedler nicht unser, auch kein kreativer, eigentlich überhaupt gar kein Einfall. Für die Allgemeingültigkeit unserer Assoziation gibt es sogar zahlreiche statistische Beweise. Die Mutter schrieb in ihrem Brief: „In Deutschland leben über 79.000 Jungen und Männner (!) mit dem Namen Adolf.“ Damit bezieht sie sich auf eine bekannte Website. Die Seite verzeichnet die geographische Verteilung von Vornamen in Deutschland, die Häufigkeit ihrer Vergabe über die letzten hundert Jahre, und die bestehenden Assoziationen mittels eines sogenannten „Onogramms“. Für die belehrungsrenitenten Bildungsphilister aus dem Südharz und zur Betonierung der Allgemeingültigkeit „unserer“ Assoziation nun etwas Handfestes zum Nachschlagen.
Erstens: Seit dem die Mutter die Häufigkeit des Namens recherchiert hat, gibt es bereits mehr als viertausend Adolfs weniger in Deutschland, was vor allem etwas über das Alter der Namensträger aussagt. Und: 2006 zählte eine Babynamensstatistik von 27.700 benannten Babys nur ein Kleinkind, das den Namen jedoch auch nur als zweiten Vornamen erhielt. Zweitens: Schon im Jahr des Überfalls auf die Sowjetunion und des Kriegseintritts der USA kam es zu einem unerklärlichen Einbruch bei der Vergabe des beliebten „skandinawischen“ Vornamens. Zehn Jahre später bricht die Statistik bereits aus Ermangelung an Namensneugebungen ab. Drittens: Nach einem sogenannten „Onogramm“ assoziiert die überragende Mehrheit mit dem Namen einen „hohen Bekanntheitsgrad“, hält ihn für überhaupt nicht „wohlklingend“, verbindet zudem mit ihm eine äußerst „unsportliche“, „unattraktive“ und „ernste“ Person. Selbst die militärische Niederschlagung der deutschen Mordgemeinschaft durch die Alliierten wird dem toten Führer und seinen heutigen Namensvettern gemeinerweise angerechnet: Adolfs gelten seither als eher „unzuverlässig“ und wenig „intelligent“. Viertens sei noch eine Person zitiert, die auf der Internetseite über die Auswirkung ihres ebenfalls nur zweiten Vornamens aussagt: „Ihr könnt Euch vorstellen, wie die Menschen reagieren, wo immer ich damit auftauche? Entweder belustigt oder peinlich berührt, aber jeder, ja jeder bemerkt es sofort und fragt, was sich meine Eltern dabei gedacht haben, mich so zu benennen. Adolf, dieser Name ist irgendwie immer schlimm für mich gewesen …“ Trotz dieser harten Fakten und dem angeführten qualitativen Material behaupten die Eltern: „können Sie auch beruhigen, wass (!) die Integration in der Kindertagesstätte angeht. Die Kinder, Eltern und Mitarbeiter haben keinerlei Probleme mit dem Namen unseres Kindes.“ Möchte man diese Erfahrung der Mutter in unser Bild einfügen, muss man davon ausgehen, dass die Integration in die Dorfgemeinschaft vermutlich nicht trotz, sondern wegen des Namens gelungen ist. Vielleicht profitiert der Kleine im Kindesalter noch ein paar Jahre von der heimlichen Liebe der örtlichen Bevölkerung für den ehemaligen Führer. Die Namenszuschreibungen „Unzuverlässigkeit“ und „Unattraktivität“ werden wohl vermutlich erst dem Adoleszenten-Adolf zum Verhängnis werden. Adolf Thor Fiedler ist damit womöglich das letzte Opfer Hitlers.
Unseren eingangs benannten Fehler wollten wir indes nicht noch einmal wiederholen. Daher haben wir beschlossen, diesen Brief nicht im Ganzen zu veröffentlichen. Er soll eines Tages neben gerafften Ausschnitten aus „Beckmann“ und „Exclusiv“ ein Zeugnis für die Bildung des Menschen zur Zeit der „Vor- und Frühgeschichte“ sein.
(haj)
Hitlers letztes Opfer
18. Februar 2012 von bonjour tristesse
Tststs, immer dieser Rassimus gegen Skandinawier.