Unter den gegenwärtigen Verhältnissen gleicht das Leben einer Zeitschleife. Während die Kritik am Immergleichen im Weltmaßstab, auf der Ebene der Nationalstaaten und selbst in den Metropolen immer wieder auf den neuesten Stand gebracht werden muss, sind solche Aktualisierungen in der Provinz nur selten nötig. Hier kommen bestimmte Entwicklungen in der Regel erst mit einer enormen Verspätung an. Andere machen von vornherein einen großen Bogen um das flache Land und seine wenigen Zentren. Diese Situation hat weitreichende Folgen für eine Zeitschrift, die sich nicht nur die Beschreibung und Begleitung, sondern vor allem die Analyse und Denunziation des provinziellen Elends auf ihre Fahnen geschrieben hat. Ganz einfach: Nach einigen Ausgaben ist alles gesagt. Was von nun an passiert, folgt in der Regel einem Muster, das zuvor schon dutzendfach in Artikeln seziert wurde. Statt einen neuen Text zu schreiben, würde es genügen, einen älteren Aufsatz neu abzudrucken. Lediglich Zeit, Ort und Namen müssten verändert werden. An diesem Punkt ist die „Bonjour Tristesse“ mit dieser Ausgabe angekommen. Zwar spricht grundsätzlich nichts gegen Wiederholungen. Solange sich die Verhältnisse nicht ändern, muss die Kritik an ihnen immer und immer wieder formuliert werden. Diese Wiederholungen sind der Kritik allerdings oft nicht besonders zuträglich. Was in Zeiten verstellter Praxis tendenziell für jede Kritik gilt, ist auf dem flachen Land in besonderem Maß zu beobachten: Sie wird routiniert und abgeklärt. Da das Leben in der Provinz mehr als irgendwo anders einem ewigen Kreislauf gleicht, wird mit zunehmender Wiederholung auch die Kritik daran provinziell: insbesondere dann, wenn sie nicht mehr – wie es bei Flugblättern, Vorträgen und anderen Interventionen der Fall ist – einem speziellen Anlass, sondern dem Redaktionsschluss und einem vorgegebenen Heftumfang verpflichtet ist.
Da sich die Autoren und Redaktionsmitglieder der „Bonjour Tristesse“ nicht permanent selbst kopieren wollen, bleiben ihr nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie erarbeiten ein neues Zeitschriftenkonzept. Oder sie stellen das Heft ein. Da die „Antworten aus der Provinz“ nicht um ihrer selbst willen produziert wurden – kein Redakteur wird die Arbeit an der „Bonjour Tristesse“ in einem Bewerbungsschreiben als Beleg dafür ausgeben, dass er schon mal „irgendwas“ mit Medien gemacht hat –, fiel diese Möglichkeit aus. Was mit Zeitschriften passiert, die nicht um einer Sache sondern um des Erscheinens willen produziert werden, zeigt das Leipziger Jungakademikerblättchen „Phase 2“: Dort wird, wie die AG „No Tears for Krauts“ in diesem Heft aufdeckt, selbst die hanebüchenste Suffidee abgedruckt, wenn sie nur in einem bestimmten Jargon formuliert ist.
Die Redaktion stellt die „Bonjour Tristesse“ darum mit dieser Ausgabe, nach ziemlich genau fünf Jahren, ein. Die Freunde des Blattes, die – glaubt man der Auflagenhöhe, den Klickzahlen der Internetausgabe und den Rückmeldungen in Gesprächen – immer mehr geworden sind, müssen ab jetzt wieder allein denken. (Viel Gutes scheint dabei leider nicht zu erwarten zu sein: Das legt zumindest ein jüngst in Halle vollgeschriebenes Weltschmerz-Fanzine eines geltungssüchtigen Alleinunterhalters nahe.) Für unsere Gegner besteht hingegen kein Grund zur Erleichterung. Zum einen werden sich die Redaktionsmitglieder und Autoren der „Bonjour Tristesse“ auch in Zukunft weiter einmischen: sei es mit Vorträgen, Flugblättern oder kleineren Texten auf der Homepage der AG „No Tears for Krauts“, die von nun an wieder regelmäßig aktualisiert werden wird. Zum anderen sei ihnen versichert: Wenn die Sauereien der regionalen linken oder alternativen Szene, denen ein nicht unerheblicher Teil des Heftes gewidmet war, wieder zunehmen oder sich die regionalen Verhältnisse in einem Maß verändern sollten, dass ihre Analyse und Denunziation nicht mehr auf einem Flugblatt Platz finden kann, dann gilt für die „Bonjour Tristesse“ Arnold Schwarzeneggers Parole aus dem „Terminator“: „I’ll be back!“
„Nach einigen Ausgaben ist alles gesagt. Was von nun an passiert, folgt in der Regel einem Muster, das zuvor schon dutzendfach in Artikeln seziert wurde.“
Ein Wahrnehmungsfehler, typisch für Dogmatiker.