Wie das rassistische ZDF die Jenaer Dorfgemeinschaft beleidigte.
Je weniger Nationalismus, die offene Artikulation von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus oder aber eine antisemitische Massenbewegung der Realität Deutschlands im 21. Jahrhundert entsprechen, desto vehementer behaupten die üblichen linken Verdächtigen das Gegenteil. Dabei wird übersehen, dass diese Essentials linker Kritik an Deutschland und deren Bekämpfung längst vom Schattendasein zum mehrheitsfähigen Mobilisierungspotenzial der so genannten Zivilgesellschaft – also der demokratisierten Volksgemeinschaft – avancierten. Denn spätestens seit dem Antifa-Sommer im Jahr 2000 ist die „Abwehr des offenen Faschismus durch dessen demokratische Entnazifizierung und Eingemeindung“ (Clemens Nachtmann) zur Geschäftsgrundlage der deutschen postnazistischen Gesellschaft geworden, was ebenso bedeutet, dass sich autonome Antifa-Gruppen an eben jener exponierten Stelle innerhalb einer Volksfront wieder finden, die sie der Sache nach schon immer angestrebt haben – ob sie das nun wahrhaben wollen oder nicht.
Dass dies nicht als Problem, sondern als „gerechter Lohn“ für die Mühen der Zusammenstellung prall gefüllter Aktenordner über unbedeutende Nazideppen wahrgenommen wird, ist Resultat einer Betriebsblindheit, die ihre Staatsunmittelbarkeit kaum mehr verbergen kann und die auf einem interessierten Missverständnis beruht, das wiederum seinen Ausgangspunkt in dem Bewegungsfetischismus jenes Interessenverbandes namens Antifa hat. Bereits im Sommer 2000 galt ihr der Aufstand der Anständigen gegen alte und neue Nazis als Aufbruch zu neuen Ufern: als Chance zur Erlangung gesellschaftlichen Einflusses und zur Vergrößerung der Bewegung. Dabei hätte Eines auffallen müssen: „Je antirassistischer und weltoffener sich die Deutschen aufführen, desto mehr ähneln sie wieder einer gegen ihre Todfeinde verschworenen Horde, die nicht mehr auf Exklusivität pocht, sondern die Anforderungen zum Mitmachen wieder flexibilisiert hat und sich ihr Jagdrevier mit anderen teilt, sofern sie sich bewähren“ (ders.) – Extremismusklausel hin oder her.
Elf Jahre später, in denen die totale Mobilmachung gegen Nazis sich auf wenige Großevents beschränkte und fast zum Erliegen kam – was aufgrund der zunehmenden gesellschaftlichen Irrelevanz jener als Anachronismus verfemten Volksfeinde einen Funken Rationalität zu enthalten scheint, denn außerhalb der ostdeutschen Brachländer kann dieser Bedeutungsverlust nicht mehr ernsthaft bestritten werden – ist das Bekanntwerden einer terroristischen Nazigruppe, die für mehrere Morde in ganz Deutschland verantwortlich gemacht wird, die Initialzündung für eine erneute kollektive Empörung.
In der „Jungle World“ flankierten zwei Vertreter des linken Antifaschismus die abermalige Konstitution einer Bewegung gegen Rechts mit altbekannten Formeln. Zunächst das Bewerbungsschreiben als alternativer Verfassungsschützer: „Wenn ich beispielsweise sehe, dass in Thüringen Neonazis Wirtschaftsfördergelder bekommen, weil der Verfassungsschutz nicht kapiert oder entsprechende Stellen nicht darüber informiert, um wen es sich da handelt, oder dass die Landesregierung ein Schloss an einen rechten Verein verkauft, in dem dann das nächste Neonazi-Zentrum in Thüringen entstehen kann – da kann man der Landesregierung nur sagen, die soll mal ihre Augen aufmachen! Und wenn sie keine Ahnung hat, soll sie die Antifa fragen“, so Katharina König, seit 2009 Abgeordnete der Linkspartei im Thüringer Landtag und antifapolitische Sprecherin der Partei. Weil das Pendant zum Staatsfetisch der Volksfetisch ist, darf Rapper Kutlu Yurtseven am selben Ort sekundieren und allen, die es noch nicht wissen, verkünden: „Jetzt sind viele Bürgerinnen und Bürger wütend und damit auch offen für eine Mobilisierung.“
In Thüringen und insbesondere in Jena, wo sich die Terrorgruppe in den 1990er Jahren aus dem Umkreis des damals sehr aktiven „Thüringer Heimatschutzes“ formell herauslöste, ist die Wut besonders groß und demnach auch das von Yurtseven erhoffte Mobilisierungspotenzial sehr hoch. Dabei entspricht das heutige Jena auf den ersten Blick so gar nicht der typischen ostdeutschen Braunzone. Nicht nur ist man hier „eingeübt […] in zivilgesellschaftlichem Engagement“, sondern kann mit „1400 Studenten aus 81 Ländern“ auf „eine schöne bunte Zahl“ verweisen, womit nebenbei bemerkt das Zahlensystem um eine bislang unbekannte Dimension bereichert wurde. Bunte Zahlen sind andernorts rar und dementsprechend groß sind die Verwirrung, die Empörung und das Gefühl, beleidigt zu werden, sobald man mit Fakten konfrontiert wird – eine ganz besondere Spezialität Jenaer Befindlichkeiten.
„Seit dem 4. November ist die Welt anders für uns. Wir sind betroffen durch die Morde, die geschehen sind in unserem Land.“ Dazu gesellt sich eine mächtige Portion Unsicherheit, denn „Angst geht um in unserem Lande, Angst vor dem Neofaschismus“. Gepaart ist diese Angst mit einem unbändigen Forscherdrang: „Woher kommt deren unbändiger, erbarmungsloser Hass? Wurden diese jungen Leute dazu getrieben und wenn ja, von wem?“ Die Antworten bieten sich jedoch gerade zu an: „Anfang der 90er waren zu viele von uns einfach nur mit Überleben beschäftigt, mit dem Schock, plötzlich ohne Arbeit und in einem völlig fremden Staat dazustehen, von dem man noch nicht einmal das Sozialversicherungssystem wirklich begriff. Wir hatten andere Sorgen als die Nazis. Wir mussten den größten Umbruch seit dem 2. Weltkrieg verdauen. Ja, da ist uns einiges durchgerutscht. Dafür kann man jetzt noch mal 20 Jahre auf uns einprügeln, ohne je über die Gründe zu reden.“ Oder auch: „Den Nährboden für die braune Entwicklung hat unsere Regierung zu verantworten. Die Kommunen sind verarmt. Viele Stadtteile und Dörfer verkommen, soziale Einrichtungen verfallen oder sind schon Ruinen, kein Geld für Jugendarbeit, hohe Arbeitslosigkeit unter den jungen Menschen. Dort ist der Wundherd, den unsere Regierung nicht beseitigt, dort sammelt sich auch besonders das rechte Gedankengut. Großzügig helfen wir mit viel Geld allen Ländern um uns herum, ihre Wunden zu heilen. Das ist ja auch gut so. In Deutschland aber werden die unheilbaren Löcher im Körper der Nation immer größer.“
Der Wundherd werde zu allem Überfluss von arroganten Wessis über die Maßen strapaziert. So strahlte das ZDF in seiner Sendung „Aspekte“ einen Beitrag mit dem Schriftsteller Steven Uhly aus, dessen aktueller Roman die eine oder andere Parallele zu den Ermittlungspannen nicht nur in Thüringen enthält. Mit besagtem Uhly wurde in Jena gedreht, um vor Ort der Frage nachzugehen, inwieweit seine Skepsis, Ostdeutschland zu bereisen, berechtigt ist. Verwiesen wurde seitens der „Aspekte“-Redaktion auf den Umstand, dass von den 156 Menschen, die seit 1990 bei rechtsextremistischen Übergriffen zu Tode kamen, die Hälfte im Osten ermordet worden ist. Wenn man diese Zahl ins Verhältnis zu den Einwohnerzahlen der alten und neuen Bundesländer setzt, dann lässt sich feststellen, dass die Zahl der Übergriffe in den neuen Bundesländern signifikant, nämlich fünfmal höher ist.
Die Reaktionen auf diesen Beitrag folgten auf dem Fuße: „Sehr geehrte ZDF Redaktion, wir erwarten eine öffentliche Entschuldigung bei den Bürgern Jenas, nicht nur bei denen mit Migrationshintergund.“ Mit dieser Forderung wurde eine Petition auf jenapolis.de gestartet, in deren Verlauf sich die User in einen unbändigen Empörungsrausch tippten: „Es tut mir weh, wenn meine Geburts- und Heimatstadt durch so einen sich selbst darstellenden Journalisten in den Dreck gezogen wird.“ Hinter dem Beitrag wird gar ein höheres Interesse vermutet: „Ich möchte vielmehr fragen, um was geht es hier eigentlich. Jena einen Imageschaden zu verpassen? Wird Jena zu mächtig, ist es zu bunt, zu vorbildlich? Und dann muss man sich mal vorstellen, da kommt einer einfach so daher um sein Buch auf Kosten der GEZ-Zahler vorzustellen, redet schlecht über eine ganze Region und verschwindet dann einfach so.“ Noch viel schlimmer: „Den Beitrag des ZDF finde ich auch schon fast rassistisch. So gegen die neuen Bundesländer zu hetzen ist unglaublich.“ Eine richtige Frage wurde dann doch gestellt: „Wie kommt es, dass zur letzten Bundestagswahl zur NPD-Wahlveranstaltung 20 Rechte kommen, aber 2000 Gegendemonstranten?“ Diese war jedoch lediglich rhetorischen Charakters, denn „ich kann gar nicht soviel Galle haben, wie ich kotzen möchte. […] Der Beitrag ist eine einzige Frechheit. Und ein Fausthieb in die Gesichter aller Bewohner der neuen Bundesländer, die der Westen immer noch würdelos ‚Ossis‘ nennt. Wessis, schämt Euch!“
Steven Uhly bekam daraufhin Angst vor der eigenen Courage und beeilte sich, eine ganzseitige Bittschrift an die Jenaer zu formulieren, die vor Anbiederung nur so strotzt: „Ich bin als Deutscher unter Deutschen in Köln geboren und aufgewachsen, und war dort während meiner gesamten Kindheit immer wieder rassistischen Anfeindungen ausgesetzt, weil ich anders aussah. Als ich größer wurde, zu groß, um gefahrlos diskriminiert zu werden, wurden die Reaktionen subtiler und es kam ein positiver Rassismus hinzu, der genau so unangenehm war. Dann fiel die Mauer, und im Januar 1990 fuhr ich mit einer Freundin in einem großen Audi 100 bei Helmstedt über die Grenze, um endlich die DDR kennen zu lernen. Unser Auto erregte Aufmerksamkeit, vermutlich auch unser Verhalten. Was uns aber besonders auffiel, war die Freundlichkeit der Menschen. Ich war damals ganz beseelt von dieser Freundlichkeit, denn es kam mir so vor, als hätten wir im Westen über all unserem Wohlstand etwas Wesentliches verloren“.
Etwas Wesentliches scheint Uhly in der Tat abhanden gekommen zu sein, nämlich die Empathie und Freundlichkeit eines Jenaer Antifaschisten neuen Typs: „Ich bin kein Nazi, ich möchte auch nicht in diese Ecke gesteckt werden. Man liest Berichte über die miese Praxis der NPD in irgendwelchen Oststädten, in denen nix los ist, Bürgerfeste zu veranstalten. Was ist so schlimm daran dass die das machen? […] Warum diskutiert keiner auf der Straße mit einem Nazi, wenn er ihn sieht? Warum versucht er ihm nicht mal zuzuhören?“ Da „Jenaer und Jenenser besseres verdient [haben] als sich in Schubladen stecken zu lassen“, wurde faktisch über Nacht ein Konzert u. a. mit Udo Lindenberg und Peter Maffay auf die Beine gestellt, das mit 50.000 Besuchern als der größte Aufmarsch bundesdeutscher Wutbürger gelten kann. Lindenberg: „Die Nazimörder haben eine Blutspur durch unser Land gezogen. […] Schade, dass euer wunderschönes Land derart diskreditiert wird“.
Selbst jene Stimmen, die bei aller Kritik am hausgemachten Naziproblem, ihr konstruktives Mitwirken als alternativer Verfassungsschutz bei der Herstellung einer nazifreien Volksgemeinschaft, wie eingangs gezeigt, angeboten haben, ziehen den Volkszorn der Jenaer Dorfgemeinschaft auf sich: „Katharina König von der JG Stadtmitte hat bestimmt Grund, den Oberbürgermeister und seinen Beigeordneten eins ‚auszuwischen‘, doch hier hat sie den Bogen überspannt und ‚die gesamte Stadt Jena‘ mit all ihren Bürgern in einem nicht verdienten Maß nicht nur an die großen Medien ‚verkauft‘, sondern Jena mit ihrem unreifen Auftreten unabdingbar auf Dauer geschädigt. Damit hat sie sich nicht nur zum Richter, sondern auch zum Henker Jenas gemacht!“
Mario Möller
Anmerkung:
Nicht extra ausgewiesene Zitate wurden der Zonengazette „Ostthüringer Zeitung“ und dem Ossiportal jenapolis.de entnommen und stammen von folgenden Personen: Arne Petrich (Redaktion Jenapolis), Andreas Mehlich (Quartiermanager Jena Winzerla und OB-Kandidat für die Stadt Jena 2012), Anja Siegesmund (Fraktionschefin der Grünen im Thüringer Landtag), Benjamin Schumann, Christine Lieberknecht (Ministerpräsidentin Thüringen), Christoph, Heike Seise, Karlheinz Gründel (Gera), Karsten, Marita Winkel, pirx, Reno, Simon Sachse.
Auch Airconda weiß, das Jena keine Nazistadt ist: