Das Imponiergestammel der sachsen-anhaltischen Zivilgesellschaft.
In Anlehnung an Viktor Klemperers bekannte Studie über die „Lingua Tertii Imperii“ (LTI), die „Sprache des Dritten Reiches“, untersucht Jörg Folta anhand des sachsen-anhaltischen Zivilgesellschaftsgestammels die LQI: die „Lingua Quartii Imperii“.
„Die Aussagen eines Menschen mögen verlogen sein – im Stil seiner Sprache liegt sein Wesen hüllenlos offen.“
Viktor Klemperer in „LTI“
Anfang der 1990er Jahre war Björn Engholm die Nummer eins der deutschen Sozialdemokratie. Er hatte nicht das Format eines Gerhard Schröder, sondern war eher ein Rudolf Scharping in clever. Dennoch stand vor der Wahl 1994 fest, dass mit einem Kanzlerkandidaten Engholm Helmut Kohls Stündlein als Kanzler der Bundesrepublik geschlagen hätte. Dass daraus nichts wurde und dass die sogenannte Barschelaffäre bzw. ihr Nachspiel 1993 die Absichten des imagemäßig zwischen Frauenliebling und Aphorismenonkel changierenden Sozialdemokraten zunichte machten, ist allgemein bekannt. Nicht jedoch, dass Engholm seinerzeit als begnadeter Dampfplauderer bekannt und gefürchtet war. Das konservative Feuilleton wie auch die linke Kampfpresse machten sich gleichermaßen über seine angeber- und pfaffenhafte Sprache lustig. Die Engholmsche Formulierung „ein Stück weit“ inspirierte nicht nur das Satiremagazin „Titanic“ zur Miniserie „Ein Stück weit Björn“, sondern fand auf der anderen Seite Nachplapperer im alternativen Milieu, auf Kirchentagen, in Chefetagen, bei Sozialarbeiterfachtagungen und in der Werbebranche: bei einem Menschenschlag also, der sich durch besondere charakterliche Niedertracht auszeichnet. Das ist heute kaum anders. Dennoch wird diese Wohlfühlfloskel gelegentlich auch von Menschen verwendet, von denen man denkt, dass sie eigentlich noch alle beisammen haben. Dieser Umstand zeigt, dass Sprache mitunter sprunghaften Entwicklungen unterliegt, manche Formulierungen zu Verlegenheits- oder Bequemlichkeitsfloskeln mutieren oder so im allgemeinen Sprachgebrauch aufgehen, dass ihr Ursprung – so idiotisch er auch sein mag – völlig in Vergessenheit gerät.
Rückblick
Doch von Anfang an: Bevor sie ihren Weg durch alle Bereiche der Gesellschaft antrat, war diese Art Schaumschlägersprache von den „Grünen“ und Alternativen gepachtet, von Lea Rosh, Matthias Horx und Antje Vollmer, von Pfarrern und Friedensaktivisten, esoterischen Wirtschaftsvertretern, Sozialarbeitern, von Werbefachleuten – also von „Querköpfen“, „Erinnerungsarbeitern“ und „Vordenkern“, die wahlweise „unbequem“, „visionär“ oder „betroffen“ daherfaselten. Natürlich jeweils nur „ein Stück weit“. Der richtige Zeitpunkt also für das von Gerhard Henschel und Klaus Bittermann 1994 herausgegebene und wegweisende „Wörterbuch des Gutmenschen“, in dem alles zum Thema gesagt wurde. Das oben genannte Milieu, dessen Sprachgewohnheiten die Autoren des Wörterbuches untersuchten, bildete Ende der 1990er Jahre die Ursuppe der sogenannten Zivilgesellschaft, die im Zuge des Antifasommers 2000 von Joseph Fischer und Gerhard Schröder erfunden wurde. Die Stunde der Antifaaktivisten hatte geschlagen, einer Untergruppe dieses Milieus („Lauti“, „Transpi“, „Vokü“), die nun ihrer Beschäftigung: Recherchieren, Vernetzen, Strategiepapiere verfassen und der Überführung des Gemeinschaftsschädlings „Nazi“ unter der schützenden Hand des Staates nachgehen konnten. Bei dieser Transformation entwickelten die nun als „zivilgesellschaftliche AkteurInnen“ firmierenden Antifas wie von selbst einen ganz eigenen neuen Slang, der die Veränderung der persönlichen Situation dokumentierte, der Abgrenzung gegenüber der eigenen Vergangenheit und der Konkurrenz diente, Selbstwertgefühl verlieh und es den Mitgliedern erlaubte, ihresgleichen unter Nichteingeweihten zu erkennen.
Vielfalt statt Kompetenz
Heute haben wir es mit einer Vielzahl von Anti-Nazi-Vereinen, -Initiativen, -Förderprogrammen, -Projektgruppen, -Aktionsprogrammen und Runden Tischen zu tun, allesamt Institutionen und „AkteurInnen“ der „Zivilgesellschaft“, die mit schillernden Namen wie „Kompetente Vielfalt“, „Zusammenhalt durch Teilhabe“, „Gelebte Demokratie“ oder „Kompetenzentwicklungszentrum bürgerschaftliches Engagement (KEZ)“ (Motto: „Mitreden statt Schweigen, Hinschauen statt Weggucken, Einmischen statt Weitergehen“) versehen sind.
Eine Broschüre des Ministeriums für Arbeit und Soziales bietet einen kleinen Überblick über die „vielfältige Trägerstruktur“ von „Fachkräften“, die sich auf „rechtsextreme Ereignislagen“ spezialisiert haben. Die „Arbeitsstelle Rechtsextremismus“ aus Halle setzt stark auf „inhaltliche und methodische Weiterentwicklung von Handlungskonzepten“ und erarbeitet weitere „Handlungsoptionen und Interventionsmöglichkeiten“. Die „Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus“ aus Dessau wendet sich mit Hilfe einer „prozesshaften“, „spezialisierten Gemeinwesenberatung“ gegen „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ und möchte „nachhaltig“ „zivilgesellschaftliche Strukturen“ aufbauen. Zudem wird betont, dass man „aufsuchend vor Ort“ und „gemäß anerkannter Qualitätsstandards“ tätig ist. Das „Regionale Beratungsteam Süd-West“ aus Halle sieht ebenfalls seine „Kompetenz“ in der „Beratung […] von Zivilgesellschaft bei rechtsextremen Problemlagen“ und entwickelt „Strategien und Konzepte“, um „menschenverachtenden Ideologien den Nährboden zu entziehen“. Das „Mobile Beratungsteam für Opfer rechter Gewalt (MOB Nord, Mitte und Süd)“1 will „intervenieren“ und „vor Ort […] lokale Initiativen unterstützen“, und die „Beratungsstelle für Opfer rechter Straf- und Gewalttaten“ aus Dessau will „neue Perspektiven“ aufzeigen. Auch das „Regionale Beratungsteam (RBT Nord, Mitte und RBT Süd)“ will „Handlungsstrategien“ entwickeln, „Aktionsnetzwerke“ bilden sowie „anlassorientiert“ eine „Problem-, Situations- und Ressourcenanalyse“ vornehmen. Das „Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus“ aus Dessau setzt auf „den Aufbau langfristig wirkender und lokal verankerter zivilgesellschaftlicher Strukturen, die zur stärkeren Partizipation im demokratischen Gemeinwesen anregen“, und (Achtung!) „orientiert sich stark an den tatsächlichen Wünschen und Ressourcen der Beratungsnehmer und Beratungsnehmerinnen“. Auch das „Regionale Beratungsteam Süd-West“ möchte natürlich „zivilgesellschaftliche Strukturen stärken“ und geht von der „Prämisse“ aus, dass „nur eine starke Zivilgesellschaft die Ausbreitung rechtsextremen und undemokratischen Gedankenguts verhindern kann“.
Ganz nebenbei verrät die Broschüre auch, dass durchaus kleine und große Machtkämpfe um Zuwendungen und Einflussgebiete unter den einzelnen Gruppen stattfinden. In kleinen Karten Sachsen-Anhalts, die die Broschüre illustrieren, ist penibel verzeichnet, welcher Verein für welche „rechtsextreme Ereignislage“ zuständig ist, und in den Selbstdarstellungen der Träger ist mehr als einmal zwischen den Zeilen zu lesen, wer sich jeweils als „zentrale Analyseinstanz“ oder besonders „kompetent“ bzw. „spezialisiert“ empfindet und wo „regionale Zuständigkeit“ trotz anvisierter „Vernetzung“2 eifersüchtig verteidigt wird. Diese Machtkämpfe der verschiedenen Vereine um „Deutungshoheit“ sind zum einen ein Relikt aus den Antifazeiten der 1990er Jahre, zum anderen wird hier um die saisonal schwankenden Fördergeldmengen gekämpft.
Dummdeutsch als Selbstvergewisserung
Wie man sieht, haben die „zivilgesellschaftlichen Strukturen“ Sachsen-Anhalts einen ausgeprägten Hang zur Fertigteilsprache. Etliche andere Flyer, Broschüren, „Imagetexte“ oben nicht genannter Initiativen palavern in exakt der gleichen verqueren Floskelsprache und „verbalen Hohlraumummantelung“ (Michael Rudolf) daher. Ihren Ursprung hat diese spezielle Form einer Gangsprache vor allem im Geisteswissenschaftler- und Sozialpädagogensprech, daneben aber auch in der Sprache der Antifa der 1990er Jahre (als Subgattung der von Bittermann und Henschel vorgeführten „Sprache des Gutmenschen“) sowie im bereits genannten Palaver der Jung-Dynamisch-Erfolgreich-Nervensägen. Nun ist zwar überhaupt nichts daran auszusetzen, wenn sich Sprache weiterentwickelt. Die Sprachbewahrer der verschiedenen Lager, denen die Dynamik der Sprachentwicklung, wie Gerhard Henschel schreibt, „gegen die eigene deformierte Natur“ geht, gehören ausgelacht. Auch Floskeln und Phrasen haben ihre Funktion: Sie erleichtern, so Michael Rudolf, „die Kommunikation, wo Unverbindlichkeit gewünscht ist, und sie helfen uns bei Abgrenzungen aus Gründen des ökonomischen Überlebens“. Anstrengend wird es nur, wenn sich einzig mit aufgeblasenen Schaumschlägervokabeln wie „Deutungsmächtigkeit“, „Handlungsbefähigung“ oder „Ressourcenanalyse“ verständigt wird. Denn mittlerweile wird im Milieu der kompetenten Vielfalt ausschließlich in einem Imponier- und Einschüchterungsgestammel geschrieben und gesprochen, das Nichteingeweihte fassungslos dastehen lässt. Dienten die neuen Vokabeln und Floskeln möglicherweise einmal dem Zweck, beim Kampf um Fördermittel den seriösesten Eindruck zu hinterlassen, den schönsten Projektantrag abzugeben, als klügster Kopf hervorzustechen und sicher auch, sich vom altbackenen Pfaffendeutsch der alternativen Vordenker abzuheben, hat sich diese Sprache inzwischen verselbstständigt. Sie fehlt in keiner öffentlichen Verlautbarung, wird in Seminaren und Gesprächsrunden gesprochen, im privaten Bereich und mittlerweile auch von besagten Pfaffen, sie wurde auf Tonnen von Papier gedruckt und ist in tausenden Spamordnern gelandet. Kurz: Sie ist zu einem Sektenslang, zum Betriebsausweis der Zivilgesellschaft geworden. Man tut es nicht aus persönlicher Überzeugung, sondern weil es alle tun. Dabei gerieren sich die Protagonisten dieses Jargons derart selbstbewusst, dass, wie Michael Rudolf einmal geschrieben hat, das eigentliche Sprechen zurücktreten muss hinter die stets unverlangte Versicherung, der Sprecher und das, was er tut, seien von immenser Bedeutung. Wie sonst kann man die Verwendung von Formulierungen wie „Handlungsoptionen“, „anlassorientierte Zielgruppenkompetenz“ oder „spezialisierte Kompetenzteams“, die den „AkteurInnen“ ohne Unterlass aus dem Gesicht fallen, erklären. Denn eines ist die Zivilgesellschaftsclique sicher nicht: eine Gruppe, die etwas zu sagen hat. Vielmehr deutet die Häufung der Plattitüden und Angebervokabeln auf das Gegenteil hin: die Ahnung der eigenen Bedeutungslosigkeit und der Bedeutungslosigkeit dessen, was im Milieu so vor sich geht. Mit anderen Worten: Hinter der Sprache der Zivilgesellschaft verbirgt sich das Bedürfnis nach ständiger Selbstvergewisserung. „Demokratie“ muss immer „lebendig“ sein, „Vielfalt“ selbstverständlich „kompetent“, „Beteiligung“ stets „ergebnisorientiert“, und „vor Ort“ werden natürlich „lokale Initiativen“ unterstützt. Hinter dieser Häufung von Tautologien, dem ständigen Doppelt-Gemoppelt, und hochtrabenden Phrasen scheint die Ahnung hervor, dass es mit dem ganzen Gestammel doch nicht so weit her ist oder jemand durchschauen könnte, was man selbst kaum versteht. Um die Bande bei Laune zu halten, haut man sich deswegen selbst die Hucke voll, schwadroniert von der eigenen „Kompetenz“, vom „Fachkräftepotential“, von einem „Expertenpool“, dem man selbst angehöre, von „Kontextanalysen“, die vorgenommen werden, von „anerkannten Qualitätsstandards“, von denen niemand weiß, was sich dahinter verbirgt, nach denen man trotzdem angeblich arbeite. Auch die unzähligen Dokumentationen der eigenen „Arbeit“, die einen Großteil der Fördergelder der letzten Jahre verschlangen, die Mediatheken, Archivseiten, Broschüren, der ganze Flugblattmüll, der in den letzten zehn Jahren produziert und weggeworfen wurde, sind Ausdruck der Angst, sich in einem Verwertungszusammenhang außerhalb der warmen Zivilgesellschaftshöhle erniedrigen zu müssen. Dazu passt auch sehr gut der Militärjargon aus Antifazeiten, der um einige Vokabeln aus dem „Managermagazin“ ergänzt wurde. Die mobilen Beratungsteams garantieren beim Kampf um „Deutungshoheit“ eine „passgenaue Intervention bei rechtsextremen Ereignislagen“, die von (natürlich jahrelang ausgebildeten) „mobilen Kriseninterventionsteams“ vorgenommen wird. Auf der Basis von „Handlungsstrategien“ versteht sich. Die so zusammengeschweißte Truppe und jeder, der dazu gehören und im besten Fall einen Job abfassen will, müssen mitmachen, sich den Unterwerfungsjargon aneignen. Dabei bietet die Gang durchaus Aufstiegsmöglichkeiten für anderswo zu kurz gekommene – auch wenn es sich nur um einen Posten in der Rechercheabteilung oder eine Halbtagsstelle am Kopierer handelt. Denn wenn von „Verantwortung“ die Rede ist, kann man sich sicher sein, dass Jobsuche und -verteilung gemeint sind.
Im „so tun als ob“ ist die Zivilgesellschaftsclique ganz groß, und dennoch ist die Kraft-, Farb- und Hilflosigkeit ihrer Sprache wie auch die rührende Unbeholfenheit ihrer von einer Postbotenaura umgebenen und mit ständiger Nabelschau befassten „AkteurInnen“ kaum zu übersehen. Das „Wörterbuch des Gutmenschen“ spricht, wenn von Engholm und Konsorten die Rede ist, von einer „dauererigierten Sprache“, eine Metapher, die im Falle der Sprache der Zivilgesellschaft angesichts dieses Umstandes niemals greifen würde.
Projekt Papiervernichtung
Aufgrund der Ahnung, nichts zu sagen zu haben, sowie der Tatsache, dass die Anziehungskraft der rechten Szene trotz aller frisierten Statistiken eher gering ist, wendet sich die Zivilgesellschaft seit ein paar Jahren verstärkt einem Thema zu, das bis dahin nur die Begleitmusik der einschlägigen Anti-Nazi-Auftriebe, Schulungen, Meetings, Hospitationen usw. bildete: der „Demokratieentwicklung“. Die meisten Slogans können hier problemlos übernommen werden. Ob von Nazis, Antisemitismus, Demokratieverteidigung oder dem Sack Reis, der in China umfällt, die Rede ist, spielt überhaupt keine Rolle. Die Anti-Nazi-Rhetorik ist so schaumig, dass damit auch Staubsauger verkauft werden könnten. Über Demokratie lässt sich darüber hinaus noch unverbindlicher reden, als über Rechtsextremismus. Und da die Maschine am Laufen gehalten werden muss, widmet eine ganze Reihe alter Projekte ihre „Handlungsstrategien“ um, ohne dass es irgendjemand zur Kenntnis nimmt. Die ergänzenden Unterzeilen – die sogenannten „Imagelines“ – der einzelnen Projekte kommen stets nur in einer Trinität vor und erinnern vor allem an Slogans von Werbe- und Eventagenturen, Krankenkassen, Erlebnisbädern und, wenn auch eher entfernt, an die Triple-Oppression-Theorie der späten 1980er Jahre. Beim Projekt „Kompetente Vielfalt“ ist es „Erproben. Beraten. Verändern“, beim „Projekt Gegenpart“ heißt es „Beraten. Sensibilisieren. Verändern“, das „AwoAktiv“-Projekt „Demokratie ist, was du draus machst“ kontert mit „Aktivieren. Motivieren. Bestärken“. Das Dessauer Projekt „Dasube“ geht noch einen Schritt weiter, indem es das ganze Geschwurbel bereits im Projektnamen unterbringt: „DASUBE – Demokratische Alltagskultur Stärken Und Beteiligung Ermöglichen“. Chakka!
Mit dem „breit angelegten“ Themenfeld „Demokratie“ hat man für die nächsten Jahre ausgesorgt. Weil man den Verständigungsschmus und das Vielfalt-Gerede in den letzten Jahren zu glauben gelernt hat, zeigt man auch keinerlei Berührungsängste mehr. Das Projekt „Engagiert für Heimat und Demokratie“ markiert diese Art Grenzüberschreitung, die auf der anderen Seite nur notdürftig durch die Aufnahme von „Israelfeindschaft“ in die Reihe der „Handlungsfelder“ kaschiert wird. „Engagiert für Heimat und Demokratie“ will diverse ländliche Brauchtumstruppen („Orts- und Heimatvereine“) unterstützen, zum Teil des „lebendigen Miteinanders“ machen und ehemaligen EK-I-Sammelvereinen und Pilzberatungsaktivisten bei der Vermittlung von „Handlungssicherheit“ im „Umgang mit demokratiegefährdenden Einflüssen“ helfen. Auch die sogenannten „Lokalen Aktionspläne (LAP)“, die Geldverteilstellen für all diejenigen, die in der Lage und selbstlos genug sind, im Zivilgesellschaftsjargon vierzigseitige Fördergeldanträge auszufüllen (eine besonders perfide Form, Unterwerfung von Begünstigten einzufordern), schießen sich auf das neue Themenfeld ein und wollen, wie der „LAP Saalekreis“, „lokale Handlungsstrategien zur nachhaltigen Entwicklung demokratischen Engagements vor Ort“ anschieben. „Demokratie“ sei jedoch „kein Selbstläufer“, sondern müsse „tagtäglich mit Leben gefüllt werden“, geht es hier weiter, als ob seit dem Jahr 2000 nicht genug unschuldiges Papier mit derlei geistfreiem Geschwätz vollgeschmiert wurde.
Das Dessauer „Netzwerk gelebte Demokratie“ widmet dem Thema Papiervernichtung gleich einen ganzen Kongress, der – was sonst – „unterschiedliche Perspektiven zulassen“ und „Debatten verstetigen“ will, denn „einen Masterplan für ergebnisorientierte Beteiligung gibt es nicht“. Auch hier verdeutlicht sich Wolfgang Pohrts Aussage, dass das „organisierte Palaver gerade einen Zustand verhindern“ soll, „in welchem der Einzelne was zu sagen hätte“. Wenn hier plötzlich wieder auf die Themen und die Sprache der Zivilgesellschafts-Altvorderen zurückgegriffen wird – „Bürgerbeteiligung“, „Bürger bewegen die Stadt“, „Mitmachläden für Kinder“, oder „Kinderparlamente“, „Transparenz“, „Stadtgesellschaft“, „Netzwerkbildung“ und ergo die „Vision“ eines „Bürgerhaushalts“ – und ein gruseliges Déjà-vu entsteht, wird aufgezeigt, wohin die Reise gehen könnte. War es in den 1980er und 1990er Jahren der Jargon der Gutmenschen, der alle Lebensbereiche durchdrang, scheint es inzwischen der Slang der Zivilgesellschaft zu sein, der in die allgemeinen Sprach- und Verkehrsformen einsickert. Es deutet sich an, dass die Sprache des „Regionalen Beratungsteams Süd-West“, des „Netzwerkes gelebte Demokratie“ oder des „Projekts GegenPart“ zu einer Art Common Speech werden wird. Es steht, mit anderen Worten, zu befürchten, dass die nette Verkäuferin vom Metzger nebenan ihre Kunden in ein paar Jahren bereits mit Vokabeln wie „Handlungsoptionen“ oder „Ereignislagen“ malträtieren wird, wenn sie unschlüssig vor der Fleischtheke stehen.
Weitaus schlimmer als die Verwüstungen, die der Zivilgesellschaftsjargon in der Sprache hinterlassen wird, ist jedoch die Entwicklung, die diese Zerstörungen vorantreibt und begleitet: die Herausbildung einer Beklopptendiktatur des von Abstiegsängsten geplagten Kleinbürgertums, das hier – wie Wolfgang Pohrt in einem ähnlichen Zusammenhang bemerkte –„von der Verantwortung spricht […], die es tragen müsste, wenn es die Macht und Posten meint, die es haben will“. Oder anders gesagt: „Demokratische Alltagskultur Stärken Und Beteiligung Ermöglichen.“
Jörg Folta
Alle nicht weiter gekennzeichneten Zitate stammen aus Flyern, Broschüren, „Handreichungen“ (die hätten wir beinahe vergessen) der im Text genannten Vereine und Initiativen bzw. ihrer Auftraggeber. Nachlesen kann man einige dieser Texte u. a. in der http://www.vielfalt-mediathek.de, weitere Quellen finden sich ebenfalls hier. Ansonsten lohnt es sich, das nächstgelegene Büro eines „Regionalen Beratungsteams“ oder irgendeiner „Demokratie-ist-was-du-draus-machst“-Initiative aufzusuchen, die oft einfach nur als Flugblattsammelstellen fungieren. Dort wird man auf jeden Fall fündig.
Anmerkungen:
1 Interessant, wie auch hier der Manöverjargon der Neunziger-Jahre-Antifa durchdrückt. Wer erinnert sich nicht an diese komischen geostrategischen Gruppennamen wie „Antifa Süd-Ost-Niedersachsen“, „Autonome Antifa Nord-Ost“ Berlin usw.
2 Der Vernetzungsfimmel der „zivilgesellschaftlichen Akteure“ ist ein Thema für sich. Auch er fügt sich hervorragend in die Sprache dieses Milieus aus (Ex)Antifas, Bürgerbewegten, Politikerdarstellern ein und hat seine Wurzeln zum einen in der Antifarechercheszene, vor allem aber im sich als interdisziplinär stilisierenden und missverstehenden Milieu aus Wirtschaftsvertretern, Stadtplanern, Projektmanagern usw. (wichtigen Vorbildern der Zivilgesellschaftsaktivisten), die ernsthaft denken, Vernetzung läge ihnen berufsbedingt im Blut und spiele somit die wesentliche Rolle in ihrem „Kompetenzhaushalt“.
Glossar
Sachsen-Anhalts Zivilgesellschaft spricht. Eine kleine Auswahl
anlassorientiert: beliebtes Füllwort, kann drei bis vier Mal im Satz verwendet werden / passt hervorragend zu → Interventionsstrategie, → Handlungskonzept, → Problemlagenanalyse.
Zivilgesellschaftliches Engagement: aufgepeppte Form des → bürgerschaftlichen Engagements / meint leider nicht Tischtennisspielen, Bierdeckelsammeln oder seinen Hund streicheln, sondern beim Naziaufmarsch gratis Nutellabrote verteilen – mit einem Schild um den Hals, auf dem steht: „Lieber braun auf der Schnitte, als braun auf der Straße“. (Gesehen 2008 in Dessau.)
Wording: Werbesprech, eigentlich „Okkupation von Begriffen“ und bereits hier unerträglich angeberhaft im Gebrauch / in → zivilgesellschaftlichen Zusammenhängen aber einfach wörtlich übersetzt, also „wörtern“ („Ein Schloss am Wording Sea“, „Hey, kannst Du bitte das Wording meines Kurzinputs zur Netzwerkkonferenz ‚Gelebte Demokratie‘ nochmal überprüfen?“) / schönes Beispiel für die unabsichtliche Neudefinition der Bedeutung eines Wortes.
Rechtsextreme Problemlagen oder noch schöner Rechtsextreme Ereignislagen: man sieht sie regelrecht grübeln: „Problem oder Ereignis?“ (Gibt es eigentlich auch rechtsextreme Erlebnislagen?)
Texte qualifizieren: rätselhaft, die wahre Bedeutung liegt tief in der Kryptologie der Zivilgesellschaftsgang verborgen, sie kennen nur Eingeweihte / möglicherweise einem Text Fahrradfahren oder Kopfsprung beizubringen.
spezialisierte Gemeinwesenberatung: „Bürgermeister, an der Bushaltestelle ihres Dorfes ist ein NPD-Aufkleber aufgetaucht. Mit warmem Wasser und einer Bürste geht das ganz leicht ab.“
BeratungsnehmerInnen: siehe auch → AkteurInnen aus Politik, Kultur und Gesellschaft.
Zusammenhalt durch Teilhabe: basiert auf altem Kirchentagsmotto, mittlerweile Name eines Landesprogramms / sprachlich auf dem üblichen Soziologieseminaristenmist gewachsen wie auch → Kurzinput, → Handlungsoptionen, → Ressourcenanalyse usw.
Handlungsoptionen: Schoko, Vanille oder Erdbeere / siehe auch → Handlungsstrategien, → Handlungskonzepte, → Handlungssicherheit.
gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit: Achtung! Ein original Heitmeyer / heiliger Gral der Neologismen und ein schönes Beispiel dafür, dass so was völlig unbekümmert um Logik und Verstand stattfinden kann – borniert alleine reicht offenbar nicht aus.
zivilgesellschaftliche Strukturen: eine Art Gerechtigkeitsliga, in der Regel bestehend aus einem Pfaffen, drei PDS-Rentnern, zwei in die Jahre gekommenen Punks, einer empörten Kindergärtnerin sowie fünf bis sechs Projektleichen.
Problem-, Situations- und Ressourcenanalyse: ebenfalls bekannt aus dem Einführungskurs im ersten Soziologiesemester, der wichtigsten Sprachquelle der Zivilgesellschaft (noch vor Antifadeutsch und esoterischem Trend- und Wirtschaftssprech).
Kompetente Vielfalt: gerne auch Vielfalt als Kompetenz oder Kompetenz als Vielfalt. Völlig unklar, was das sein soll. (Ernstgemeinte Hinweise bitte per E-Mail an die Bonjour Tristesse) / namensverwandte Förderprogramme: „Vielfalt tut gut“, „kompetent für Demokratie“.
ExpertInnenpool: kein Badespaß mit Geisteswissenschaftlern sondern eine Art Beirat → zivilgesellschaftlicher Strukturen.
ergebnisorientierte Beteiligung: Wortschöpfung (und Selbstvergewisserung) aus der Ahnung heraus, dass es wohl doch alles Quatsch sein könnte, was man da so tagein tagaus beim Verein „Dasube“, der „Freiwilligenagentur“ Halle oder dem „Kompetenzentwicklungszentrum bürgerschaftliches Engagement (KEZ)“ macht / also dieses Mal lieber ergebnisorientiert beteiligen / deutlicher Hang zur Tautologie wie auch hier → lokale Initiativen vor Ort.
Deutungshoheit oder auch Deutungsmächtigkeit: der Penis unter den Zivilgesellschaftsvokabeln, eindeutige Herkunft aus dem Antifamilieu, Abteilung „Strategie statt Theorie“.
–orientiert: kann an jedes beliebige Substantiv angefügt werden, probieren Sie es aus! Schon hört es sich an, als gehören Sie zum → ExpertInnenpool des Programms „Zusammenhalt durch Teilhabe“ (handlungsorientiert, → anlassorientiert, → ergebnisorientiert, → beteiligungsorientiert usw.)
niedrigschwelliger Zugang: das versteht nicht nur das → Kompetenzteam vom „Regionalen Beratungsteam Süd-West“, sondern auch die → Zielgruppen der → zivilgesellschaftlichen AkteurInnen.
„*gestammel (gleich 4 mal)
*Dampfplauderer
^Kampfpresse
°Menschenschlag
°Wohlfühlfloskel
^Dieser Umstand zeigt
^mutieren
°*Schaumschlägersprache
^in dem alles zum Thema gesagt wurde
^nebenbei verrät die Broschüre
^Relikt aus
*palavern
^geht noch einen Schritt weiter
°Sozialpädagogensprech
^°Schaumschlägervokabeln
^Dienten […] einmal dem Zweck
*Pfaffen
^Man tut es nicht […], sondern weil es alle tun
^Denn eines ist die […] sicher nicht
°Ahnung der eigenen Bedeutungslosigkeit
°scheint die Ahnung hervor
*Bande
^haut man sich deswegen selbst die Hucke voll
*schwadroniert
^wenn von […] die Rede ist, kann man sich sicher sein, dass[…] gemeint sind
°Aufgrund der Ahnung, nichts zu sagen zu haben
^Sack Reis, der in China umfällt
^spielt überhaupt keine Rolle
*Verständigungsschmus
^wohin die Reise gehen könnte
^Jargon der Gutmenschen“
Abgegriffene oder umgangssprachliche Redewendungen^,plumpe Schimpfwörter* und antideutsche Gangsprache°. Ergo Fertigteigsprache, eher Kraftkorn als Dinkel.
Hätte der Radaktion nicht die Ahnung kommen sollen (drei mal), dass es sich bei diesem Text um Gestammel (vier mal) handelt?
Huy, hat wohl gesessen, Daniel, oder?!
Die Zusammenstellung des Vokabulars ist eine Bereicherung für den professionellen Umgang mit rechtsextremen Ereignislagen. Endlich hat beispielsweise die Presse Zugang zu einem zwar kleinen aber dafür feinen Wörterbuch, um angemessen über Interventionsstrategien zur Mobilisierung zivilgesellschaftlicher Abwehr gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (wie zuletzt in Dessau und Dresden) zu berichten.
Eine kompetente Demokratieförderung beginnt in der Sprache. Eine anlassorientierter Aktionsplan für die Herstellung eines Wörterbuches zur Stärkung demokratischer Terminologien könnte m. E. von der Phase-2-Redaktion entworfen werden. Wer macht mit?
Hallo Oli,
folgendes „Werkstattbuch“ als solches begreifen!
Klicke, um auf Bringt_Demokratie_KBS-Werkstattbuch.pdf zuzugreifen
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