Am 6. Dezember war es wieder so weit: In Halle fand die fünfte Kampfsportveranstaltung mit dem unglaublich bescheuerten Titel „Die Nacht, die kracht“ statt. Angesichts der rassistischen Pöbeleien bei einer der letzten Veranstaltungen (siehe Bonjour Tristesse 1/2008) sprachen wir mit Jesse-Björn Buckler über Sport, Gewalt und Freefight im Osten. Der Berliner war 2006 ostdeutscher Meister im Freefight und zählt nach Angaben des Freefight-Magazins „Ground and Pound“ zu den „German Top Five“ in seiner Gewichtsklasse. Jesse-Björn Buckler ist Mitherausgeber der linken Wochenzeitschrift „Jungle World“.
Für unsere Leser, die nicht ganz so sportiv sind: Was ist Freefight überhaupt?
Mein Trainer hat es einmal treffend mit den Worten: „Treten, Schlagen, Werfen und am Boden geht’s weiter“ zusammengefasst. Entstanden ist das Ganze an der uralten Streitfrage, wer denn nun der beste Kämpfer und was der beste Kampfstil sei. Also trafen Kampfkunstspezialisten verschiedener Stile in einem sehr wenig reglementierten Wettkampf aufeinander. In den Auseinandersetzungen zwischen Ringern, Boxern, Jiu-Jutsu-Kämpfern, Karatekas und Thai-Boxern entwickelte sich eine neue hybride Kampfsportart. Die brauchbarsten Techniken aus allen Kampfkünsten werden ohne Respekt vor irgendeiner Traditions- oder Verbandslinie adaptiert und den jeweiligen Stärken und Schwächen des einzelnen Sportlers angepasst. Das Ergebnis ist ein bunter Mix aus den effektivsten Techniken – die „Mixed Martial Arts“ (MMA) oder der Freefight, wie es in Deutschland genannt wird.
Anders als beim Boxen oder Thai-Boxen wird beim MMA nicht mit dicken Handschuhen gekämpft, sondern mit dünnen Faustschützern, die vor allem die eigenen Hände beim Schlagen schützen sollen und nicht den Gegner. Wie beim Thai-Boxen darf geschlagen, getreten und mit Knien und Ellbogen angegriffen werden. Darüber hinaus kann man seinen Gegner, wie z. B. beim Ringen oder wie beim Judo, zu Boden werfen und ihn dort weiter schlagen und treten. Man gewinnt, indem man den Gegner innerhalb der üblichen 15 Minuten Kampfzeit durch Hebeltechniken oder Würgegriffe zur Aufgabe zwingt oder ihn wie beim Boxen K.O. schlägt.
Du hast mal irgendwo gesagt, dass Kampfsport und Gewalt Deiner persönlichen Sozialisierung zuwider laufen. Warum machst Du trotzdem Freefight, was fasziniert Dich daran?
Mich begeistert die versteckte, technische Raffinesse des Sports. Jede Woche lerne ich eine neue Technik, einen anderen Weg, wie ich eine schon bekannte Technik anwenden oder kontern kann. Jeder Kampf und jeder Gegner erfordert sorgfältige strategische Planung und Vorbereitung. Das Ganze ähnelt eher einem Schachspiel als einer wilden Schlägerei.
Ich unterschiede übrigens sehr genau zwischen Kampfsport und Gewalt. Auch wenn es auf den ersten Blick ähnlich aussieht, so ist ein verbissener und manchmal auch blutiger Kampf im Ring etwas anderes als eine Schlägerei auf der Straße. Gewalt ist etwas, das einem aufgezwungen wird, dem man sich nicht entziehen kann. Beim Kampfsport treffen sich hingegen zwei motivierte Freiwillige nach wochenlanger körperlicher und mentaler Vorbereitung zum zuweilen annehmbar bezahlten Wettkampf im Ring.
Es ist kein Geheimnis, dass Du Dich als Linker verstehst. Wer Deinen Namen googelt, erfährt, dass Du Mitherausgeber der linken Wochenzeitschrift „Jungle World“ bist und die Interventionsversuche der Antifa in die Anti-Globalisierungsbewegung teuer bezahlen musstest: Während des EU-Gipfels 2001 wurdest Du wegen angeblicher Beteiligung an den Riots festgenommen und vor Gericht gestellt. Beim Gang in den Ring trägst Du außerdem regelmäßig ein T-Shirt mit der Aufschrift „Refugees welcome“. Wie reagiert das Publikum auf Deinen linken Background und Dein T-Shirt?
Es ist meiner Karriere nicht förderlich gewesen, auch wenn mir nie größere Steine in den Weg gelegt worden sind. Direkte Anfeindungen gibt es aber selten. Im Sport zählen Teamfähigkeit, Fairness und vor allem Leistung. Fans und Veranstaltern ist es ziemlich egal, was für ein Wertesystem bzw. was für politische Positionen ein Sportler vertritt, solange er im Ring eine gute, unterhaltsame Performance abliefert und nicht versucht, den Sport zu instrumentalisieren.
Vor ein paar Jahren waren Freefight bzw. „Mixed Martial Arts“ noch weitgehend unbekannt. Inzwischen findet an jedem zweiten Wochenende in irgendeiner ostdeutschen Dorfscheune eine so genannte Freefight-Veranstaltung statt, bei der fies aussehende, schlecht tätowierte Hundert-Kilo-Männer aufeinander eindreschen. Wie erklärst Du Dir den derzeitigen Boom solcher Veranstaltungen? Interesse an guten Moves, Hebeln und Kombinationen?
Es scheint tatsächlich so, als ob ein Teil der ehemaligen DDR-Bevölkerung und ihre Kinder ein besonderes Interesse daran haben. Auch der Durchbruch des Boxsports in den Mainstream vollzog sich zuerst im Osten und schwappte dann in den Westen. Vor allem spielt die historische und in der DDR geförderte Affinität zwischen dem alten Arbeitermilieu und dem Boxen und Ringen eine große Rolle beim Erfolg. Analog dazu sind im Westen der Ruhrpott und bestimmte Teile der migrantischen Community eher dem Kampfsport zugeneigt als z. B. dem Radsport, der rhythmischen Sportgymnastik oder dem Tennis. Mit Sicherheit spielt in beiden Milieus die Identifikation mit der im Sport nötigen Durchsetzungsfähigkeit eine große Rolle.
Bei den Freefight-Veranstaltungen, die ich kenne (Halle, Leipzig, Dresden usw.), besteht das Publikum zum überwiegenden Teil aus rechten Hooligans, klassischen Prügelnazis und Zuhältern. Die „Berliner Zeitung“ spricht von jungen Männern, die einen „unverkrampften Umgang mit Nazi-Symbolik pflegen“. Rassistische Pöbeleien sind dementsprechend integraler Bestandteil solcher Events. Ist das ein Ost-Phänomen, oder ist im Westen Ähnliches zu beobachten?
Ich möchte nichts beschönigen oder verharmlosen, aber die Behauptung, dass der überwiegende Teil des Publikums aus „rechten Hooligans, klassischen Prügelnazis und Zuhältern“ bestehe, halte ich für arg überzogen. Und dass rassistische Pöbeleien gar ein „integraler Bestandteil“ – also ein festes und wesentliches Moment – solcher Events sind, ist schlicht falsch.
Richtig ist aber, dass solche Events eine besondere Attraktivität für – insbesondere – Männer aus Milieus mit hoher Gewaltakzeptanz haben. In bestimmten Gegenden der Ex-DDR hat sich nun noch ein besonderes Sozialmilieu herausgebildet, in dem eine rechte Hegemonie existiert und eine weitgehende Akzeptanz von solchen Positionen vorhanden ist. Es ist also kein sportspezifisches, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem.
Bei der ostdeutschen Freefight-Meisterschaft im Mai 2006 in Dresden wurde Mbo Ndundu mit Flaschen beworfen. Der Organisator der Veranstaltung hat das Ganze verharmlost und trotz lauter „Nigger“-Rufe aus dem Publikum einen rassistischen Hintergrund abgestritten. Gibt es da für Dich als Sportler Möglichkeiten der Intervention?
Die Möglichkeiten der persönlichen Intervention sind stark an die eigene Leistung gekoppelt. In der Kampfsportszene läuft sehr viel über Beziehungen. Namhafte Sportler können sich eher erlauben, einen Veranstalter offensiv zu boykottieren, wenn er z. B. seine Veranstaltung von „Thor Steinar“ sponsoren lässt.
Umgekehrt kann und muss man die Veranstalter unterstützen, die ernsthaft versuchen, das Problem mit Rechtsextremisten im Publikum anzugehen. Ein großer Erfolg war die öffentliche Positionierung gegen Nazis durch den größten deutschen MMA-Amateurverband, die „Free Fight Association“ (FFA). Auf Intervention von aktiven Sportlern erklärte der Verband, dass er es als selbstverständlich ansehe, rassistisches, antisemitisches und anderes Gedankengut, das die fundamentale Gleichwertigkeit aller Menschen verneint, zu missbilligen und keine Vereine oder Veranstaltungen zu unterstützen, die ein solches Gedankengut nicht zurückweisen.
Der recht bekannte Freefighter Jeff „Snowball“ Monson vom „American Top Team“ betritt den Ring regelmäßig zu den Klängen von John Lennons „Imagine“ („Imagine, there’s no heaven, Imagine, there’s no countries …“). Gibt es außer ihm und Dir noch andere Leute in der Freefight- und Mixed-Martial-Arts-Szene, die sich vorstellen wollen, dass es „no countries“ und „no heaven“ gibt? Oder seid Ihr die Ausnahme, die die Regel vom thumben, konformistischen oder überaffirmativen Kloppsportler bestätigt?
Es gibt viel zu wenige davon – wie überall. Trotzdem sind es aber mehr als man vielleicht annehmen mag.
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