Provinz goes Provinz: Wir dokumentieren hiermit das Flugblatt der AG no tears for krauts Halle, das am 13. Dezember in Hamburg verteilt wurde:
Wenn Antisemiten in Hamburg ihren Wahn in die Praxis übersetzen, dann demonstriert das linke Deutschland nicht gegen Antisemitismus, sondern gegen Filmzensur. Anstatt den Judenfeinden entschlossen entgegenzutreten, setzt man den Zionismus in Anführungszeichen und verhält sich kritisch zu Israel.
„Begrabt Euer Hirn an der Mündung der Elbe!“
Ernst Thälmann an Walter Benjamin, 12. August 1931
Bis vor kurzem dachte man noch, der Rote Sturm würde nur in Magdeburg aufziehen, um vermeintliche zionistische Propagandaveranstaltungen zu verhindern. Seit dem 25. Oktober 2009 ist bekannt, dass so etwas auch in Hamburg möglich ist: Die Hansestadt stellt sich als ein etwas zu groß geratenes Magdeburg dar. Hier wie dort gibt es jenes unappetitliche Zusammenwirken von gesellschaftlicher Mehrheit und linker Avantgarde: Während sich der ostzonale Modernisierungsverlierer in Magdeburg mit seinem links- oder rechtsautonomen Sohn in der Feindschaft gegen Besserwessis, imperialistische Fremdherrschaft und soziale Kälte einig ist, stimmt der Zeit-Leser in Hamburg seiner Kettcar- und Tocotronic-hörenden Tochter zu, wenn diese Bildungsraub, Kriegstreiber und „differentialistischen Rassismus“ verdammt. Hier wie dort können antisemitische Schläger munter zur Tat schreiten, ohne dass jemand – weder der grüne Lokalpolitiker noch der Alternativbibliothekar – mehr zu beanstanden hätte als die Anwendung von Gewalt und Zensur.
Tatsächlich haben die Schläger vom 25. Oktober nichts anderes getan, als die Konsequenzen, die in der Israelkritik sowohl der Bundesregierung als auch der Klientel der Schanzenbuchhandlung angelegt sind, zu ziehen. Darüber hinaus hat die Hamburger Hamas-Jugend zu ihrer und aller Schande auch noch die Sprachcodes der „kritischen Solidarität mit Israel“ (Joschka Fischer) verletzt: Wo Heiner Geißler, Hermann Gremliza und der Häuptling der Roten Flora verdruckst vom „anderen Israel“ sprechen, redet der AK Antisemitismus in der B5 ganz unverblümt von einem „rassistischen Projekt“, der „künstlichen Wahrung“ des jüdischen Charakters sowie der „Kolonialkultur“ Israels.
Um das Betriebsgeheimnis des geläuterten Deutschland zu wahren, wird von der bundesweiten Einheitsfront für die „Programmfreiheit Hamburger Kulturschaffender“ (Aufruf „Es darf keine antisemitische Filmzensur in Hamburg geben!“) suggeriert: Die Kellerkinder aus der Brigittenstraße sind – abgesehen von den notorischen Neonazis – die einzigen Antisemiten im Land von Ökostrom und interkulturellem Dialog. Und so trifft sich das Milieu der Antisemitismusexperten mit dem antinationalen Unterschriftenkartell, die Lumpen-Intelligenzia vom Millerntor mit dem antisexistischen Tofuliebhaber und der Restbestand des Kommunistischen Bundes mit dem Parteinachwuchs der einstigen Sozialfaschisten kurz vor Weihnachten zur Familienzusammenführung – Micha Brumlik koaliert mit der Frankfurter Gruppe Morgenthau, die den Professor aufgrund seines Avraham-Burg-Fimmels kurz zuvor noch zu Recht bloßgestellt hatte, Thomas Schmidinger mit der Antispeziesistischen Offensive Göttingen, die Antideutsche Gruppe Hamburg mit Petra Pau und Cem Özdemir mit der anarchistischen FAU.
Bei so viel guter Stimmung wollten die B5, die Sozialistische Linke Hamburg (SoL) und die adornierenden Tierentführer von der Tierrechtsaktion Nord (TAN) offenbar nicht abseits stehen. Aus diesem Grund verfassten sie mehrere Stellungnahmen, die als Anträge gelesen werden können, die heutige Demonstration – heimliches Motto: „Abweichler unmöglich machen, gerade von links!“ – auch unterstützen zu dürfen:
● Auch sie „als bewusste Linke“ haben selbstverständlich etwas gegen Antisemitismus.
● Auch sie wollen Claude Lanzmanns Film Warum Israel „kritisch gewürdigt“ wissen – den Film also letztlich als Film „zu“ Israel und nicht als Film „für“ Israel zeigen.
● Auch sie sprechen sich, ähnlich wie Kloke, Korte, Küntzel et al., gegen „Kulturzensur jüdischer Werke“ aus.
● Und auch sie würdigen Lanzmanns Kampf in der Résistance und wissen ihn nicht zuletzt als Regisseur des „immens wichtigen Beitrags zur Erinnerung“, „dem Monumentalwerk ‚Shoah’“ (O-Ton Gruppe Kritikmaximierung), zu schätzen.
Über alles andere scheint man in Hamburg offensichtlich reden zu können.
Aber obwohl sich die linken Schmuddelkinder so viel Mühe gegeben haben, hat es doch nicht zu einer konzertierten Aktion gereicht. Herausgekommen ist nur eine Arbeitsteilung: Die Gemeinschaft der Guten demonstriert für die Freiheit der Kunst – „in Hamburg“! –; der antisemitische Kleinkunstklüngel liefert dazu das entsprechende Straßentheater.
Zur Ehrenrettung von Magdeburg sei gesagt: Dort gab es im Unterschied zu Hamburg noch einige Leute, die es nach den Überfällen auf eine proisraelische Veranstaltung im Juli 2007 nicht beim linken Selbstgespräch belassen wollten; dort gab es Leute, die ernsthafte Konsequenzen zogen. 200 Kilometer flussabwärts hingegen gaben sogar klügere Köpfe das von sich, was bisher nur von kleinstädtischen Linkspartei-Bürgermeistern in Ostdeutschland zu hören war, deren Orte wieder mal durch das obligatorische Volksfest-Pogrom aufgefallen waren: Wer nicht ortsansässig ist, habe höchstens ein Anrecht auf „konstruktive Kritik“ – insbesondere dann, wenn sie, wie man in Magdeburg zu sagen pflegt, von „Metropolenspastis“ aus der Hauptstadt kommt.
In diesem Sinn: Magdeburg unmöglich machen – auch in Hamburg!
ag no tears for krauts Halle, 12/2009