Keine Frage: Wir leben in gruseligen Zeiten. Die epidemische Tendenz, dass sich niemand mehr selbst ernst nehmen will, berechtigt zur Sorge. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür war eine »antifaschistische Kostüm-Demo«, die am 31. Oktober 2017 in Leipzig stattfand. Unter dem Namen »Welcome to Helloween – Faschist*innen das Fürchten lehren!« mobilisierte die dortige Gruppe Antifaschistische Herzigkeit – ihr Name ist selbst Ausdruck der zunehmenden Verkitschung von Antifa – »alle kleinen und großen Geister, alle Spukgeplagten und alle Mutigen« zur »bunte[n] Bambule«. Nicht ganz zufällig dürfte der Name des lustigen Umzugs an den der Anti-G20-Demonstration »Welcome to Hell« angelehnt sein. Die Szene-Selbstreferenz demonstriert die eigene Nähe zu Kulturindustrie und PR-Agenturen, die weit über das Verwursten des Halloween-Festes hinausgeht. Gegenüber diesem Marketingvorteil offensichtlich nachrangig war die Frage, ob man für eine als »kinderfreundlich« betitelte Veranstaltung wirklich Anleihen bei einem militanten Exzess nehmen sollte. Ihre große Sorge um das Wohl der Sprösslinge bewiesen die Organisatoren allerdings durch die Bitte an alle Teilnehmer, die »kleinen Geisterlein« durch »schaurige Kostüme und Gruselschminke […] nicht allzu sehr zu erschrecken.« Auf die Idee, dass es für Kinder möglicherweise viel erschreckender sein könnte, nachts inmitten eines im Gleichklang stumpfe Parolen grölenden Mobs unterwegs zu sein, kamen sie hingegen nicht. Schließlich können die Kleinen nicht früh genug lernen, wie sich aus jedem Anlass für eine private Feier auch ein politisches Happening machen lässt. Neben dem Spaß unter Freunden bietet es nämlich obendrein ein gutes Gewissen.
Doch nicht nur für Kinder drohte der Abend ein schlimmer zu werden. Der Aufruf zum antifaschistischen Gespensterjagen eignete sich weniger, »völkische[n] Geister[n] das Fürchten [zu] lehren« als vielmehr seinen Lesern. Einerseits kann das Anliegen der Gruppe, die »höllischen Zustände hier auf Erden« zu ändern, ja doch nicht so wichtig sein, wenn man den Text auf Facebook mit zahlreichen witzigen Geister- und Teufel-Emojis versieht. Andererseits ergeben die Icons mehr Sinn als das Leipziger Antifa-Allerlei. So wollte man »gruseln und spuken und menschenfeindliche Ideologien in das Geisterreich verbannen, in das sie gehören.« Ideologien sollen also nicht mehr, wie bei fast jeder Antifa-Demonstration gefordert wird, nur »raus aus den Köpfen«, sondern gleich ins Jenseits befördert werden. Währenddessen dürfen ihre realen Bedingungen, um die es im Text natürlich mit keinem Wort ging, wie immer gerne bestehen bleiben. Das ist nur zu verstehen, wenn man bedenkt, dass »faschistische Einstellungsmuster mit den Ketten rasseln« – man kennt sie, die mit schweren Stahlketten rasselnden Einstellungsmuster. Zu klären wäre indes, ob es heute auch noch Einstellungen gibt, die ohne Muster zu Rande kommen dürfen.
Weiterhin wollten die Verfasser nicht zu konkret werden und »kein Standardbild der Hölle zeichnen, denn was uns Angst bereitet, ist genauso verschieden wie wir selber« – nur um dann doch einige abgedroschene Beispiele à la Naziaufmarsch und Abschiebung aneinanderzureihen. So schön lässt sich der Unwille verpacken, ein wenig den eigenen Kopf anzustrengen, um die Verhältnisse auf den Begriff zu bringen. Obwohl die Autoren nichts von ihnen verstehen, nahmen sie »diese realen Gefahren ernst«. Gleichzeitig stellten sie fest: »Eine Hölle gibt es aber, die wollen wir nicht ernst nehmen.« Welche? »Alte und neue Faschist*innen spinnen sie herbei.« In Leipzig ist es scheinbar Usus, dass Dinge anfangen zu existieren, wenn sie sich nur genug Leute einbilden – die Welt als Wille und Vorstellung.
Unter diesen Umständen wäre den Organisatoren in erster Linie zu empfehlen, sich selbst als vernunftbegabte Individuen vorzustellen, statt mit »Bäuchen voller Süßigkeiten […] unseren heiß geliebten kleinen Geist der Albernheit [zu] pflegen.« Dann hätten sie bemerkt, dass diese Formulierung nicht nur ein niedliches Spukgespenst, das gerne rumalbert und einen liebenswürdigen, zur Albernheit neigenden Teil der Psyche beschreiben kann, sondern noch etwas Drittes: alberne, kleingeistige Verfasser. Glücklicherweise interessierte geistiges Vermögen keinen der Demonstrationsteilnehmer. Die meisten von ihnen waren wohl gekommen, um einige der angekündigten Bonbons abzugreifen. Vielleicht überzeugten sie aber auch die zahlreichen Optionen, was man alles zur Schau stellen konnte: »Bringt eure gruseligsten Kostüme mit, funkelnde Laternen und gruselige Schilder. Sagt euren Freund*innen Bescheid und stimmt in schaurig-mutige Parolen ein.« Daran, dass die Schilder gruselig und die Parolen schaurig werden würden, konnte schon vor der Demonstration niemand zweifeln. [pse]
Kleingeisterei
24. August 2018 von bonjour tristesse
Es ist sicher, ich berufe mich auf Erfahrung, mehr Unvermögen als Unwille bei diesen Personen, das sie zu solchen Ergüssen veranlasst.