Der Linken alte Kleider?
Anmerkungen zum Palästinensertuch.
Mark Liber über das linkeste aller linken Kleidungsstücke.
Kein Kleidungsstück war über viele Jahre hinweg so ikonisch für deutsche Linke wie das Palästinensertuch. Im Gegensatz zu seinem wohl berühmtesten Träger, Jassir Arafat, der es zeitlebens um seinen Kopf wickelte, trug man den Lappen mit seinem schwarz-weißen Würfelmuster am liebsten um den Hals. Es waren Mitglieder der aus dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) hervorgegangenen Palästina-Komitees, die den Stofffetzen in den 1970er Jahren von ihren Besuchen bei der PLO nach Deutschland mitbrachten, um so ihre Solidarität mit den Feinden des jüdischen Staates zum Ausdruck zu bringen, die sie als natürliche Verbündete in ihrem Kampf gegen den verhassten »US-Imperialismus« – dessen »Brückenkopf« Israel in ihren Augen war – betrachteten. Dass sich radikale Linke, die sich ernsthaft als Kämpfer für eine gerechtere Welt begriffen, mit dem PLO-Chef Arafat einen Judenhasser und autoritären Kleptokraten als Idol wählten, sagt viel über den damaligen Zustand eben dieser Linken aus.
In den Folgejahren wurde der Arafat-Schal das beliebteste Kleidungsstück unter deutschen Linken. Schmissen sich in den 1980er Jahren vor allem Hausbesetzter und andere Antiimperialisten den Feudel als Ausdruck ihres Israelhasses um den Hals, wurde das Stoffstück in den 1990er Jahren zunehmend – nicht nur, aber vor allem im Osten der Republik – als Ausdruck einer allgemeinen und diffusen Zugehörigkeit zur Linken getragen. Es galt als allgemeines Symbol der Solidarität mit dem Kampf der Unterdrückten, war Ausweis einer Gesinnung, die für sich reklamierte, zu den Guten zu gehören und für eine bessere Welt einzustehen. In einer Zeit, in der die Nazis im Osten die dominante Jugendkultur darstellten, war es auch ein nach außen getragenes Zeichen dafür, dass man »nicht zu den Rechten gehören« wollte.
Niedergang und Toleranz
Dies sollte sich im neuen Jahrtausend grundlegend ändern. Zum einen entdeckten Neonazis die Verwandtschaft ihrer eigenen mit der palästinensischen Sache, weshalb man in den Nullerjahren nicht selten in den Reihen der demonstrierenden Kameraden das Schachbretthalstuch erblicken konnte. Zum anderen fanden im Nachgang von 9/11 und im Zuge des Irakkriegs 2003 innerlinke Auseinandersetzungen mit linkem Antisemitismus statt, zu denen auch regelmäßige Interventionen und Kampagnen gegen das Palästinensertuch seitens antideutscher Antifa-Gruppen gehörten. Wiglaf Drostes auch heute noch gern zitiertes Bonmot aus den späten 1990er Jahren, dass »dieses Tuch […] sofort die Frage: Antisemitismus oder Abwaschdienst in der autonomen WG?« evoziere, ist selbst schon ein Vorschein dieser Auseinandersetzung.
Die linke Szene verbannte das Tuch in den folgenden Jahren aus ihren Lokalitäten und Kleiderschränken. Es verlor zunehmend seine Bedeutung als politisches Erkennungszeichen und konnte fortan als modisches Accessoire bei der Modekette H&M erstanden werden. Selbst die beinhartesten und unverbesserlichsten Antiimperialisten tragen heutzutage lieber amerikanische Sneaker und schicke Sportjacken und überlassen das Palästinensertuch lieber ihren Genossen aus dem migrantischen Milieu. Zwar gehört es in Szeneclubs seit einigen Jahren zum guten Ton, die meist sehr jungen und nur noch vereinzelt auftretenden Palituchträger aufzufordern, ihr Tuch am Eingang abzugeben. Meist gibt’s den Flyer Coole Kids tragen kein Palituch gleich noch gratis dazu. Wenn der Gast aber offensichtlich selbst aus der Region des Terrorlappens kommt, übt man sich im ambivalenten Differenzieren und legt, so (anti)rassistisch ist man allemal, eine Toleranz an den Tag, die man einem deutschen Palituchträger nie angedeihen lassen würde. Selbst ausgemachte Freunde Israels sind sich dann nicht zu blöde, zu betonen, dass das Tuch im arabischen Raum als Schutz vor Sonne, Staub oder Kälte benutzt wird und man es, wenn es beispielsweise von einem syrischen Flüchtling getragen wird, keineswegs automatisch als politisches Statement bewerten dürfe. Dabei genügt ein kurzer Blick auf die Geschichte des Palästinensertuches jenseits der Bundesrepublik, um festzustellen, dass genau das Gegenteil der Fall ist.
Zur Ursprungsgeschichte eines Terrorschals
Einst tatsächlich als Schutz vor Wind und Wetter in den wüstenähnlichen Regionen der arabischen Halbinsel eingeführt und vor allem von der ärmlichen Landbevölkerung getragen, mutierte die sogenannte Kufiya während der britischen Besetzung Palästinas, das vormals zum untergegangen Osmanischen Reich gehörte, zum Symbol gegen den Westen im Allgemeinen sowie die Juden und später den jüdischen Staat im Speziellen. Seine politische Bedeutung erhielt das Tuch in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, als es von religiösen Fanatikern – wie dem Großonkel Jassir Arafats und Nazi-Kollaborateur Amin al-Husseini – zum Symbol des profaschistischen arabischen Aufstands von 1936 bis 1939 im britischen Mandatsgebiet erkoren wurde, dem zahlreiche jüdische und britische Zivilisten zum Opfer fielen.
Die vor allem aus ländlichen Gegenden stammenden Aufständischen »verlangten von den Arabern in den Städten, den türkischen Fez und die europäischen Hüte gegen die Kafiya einzutauschen. Wer der Aufforderung nicht nachkam, wurde aufgegriffen und verprügelt«, schreibt Danny Rubinstein in seiner Arafat-Biografie. Die britische Kolonialpolizei bezeichnete die Übergriffe als »Fez bashing«. Es verwundert nicht, dass die gewaltsame Durchsetzung des traditionellen Kleidungsstücks die volle Anerkennung der Nationalsozialisten fand. In einem 1943 in Berlin erschienenem Buch mit dem Titel Großmufti von Palästina findet man folgende, mit den mitunter auch mordenden Banden sympathisierende Beschreibung eine dieser Gewalttaten: »In der Altstadt von Jerusalem findet sie die Polizei: zwei Araber […] offenbar durch Schüsse in den Rücken niedergestreckt, die Einschußstelle aber sorgfältig mit jener bekannten Kopfbedeckung verdeckt, die man in Europa ›Fez‹, im Orient jedoch ›Tarbusch‹ nennt. Sie hatten das Verbrechen begangen, die letzten Anweisungen des Generals der Freischaren unbeachtet zu lassen, die zuvor an allen Ecken Jerusalems zu lesen waren«. Diese »Anweisungen«, die mit »Der Führer der revolutionären Araber« gezeichnet waren, lauteten folgendermaßen: »Im Namen Gottes, das Hauptquartier der arabischen Revolution erinnert alle Araber daran, daß der Tarbusch nicht die wahre nationale Kopfbedeckung des Arabers ist. Die Araber Palästinas müssen […] die nationale Kafiya tragen. Diejenigen, die […] darauf beharren, den Tarbusch zu tragen, werden wir als unsere Feinde betrachten«. Im gleichen Buch erfährt man, dass ein ähnlicher Befehl »den Frauen des Landes die europäischen Damenhüte« verbot. »Die harte Faust der aufständischen Bauern und Hirten sorgte«, so der Naziautor begeistert, »für die Durchführung der Verordnung über die nationale Kopfbedeckung«.
Nicht zuletzt richteten sich die Repressalien gegen Frauen, die es mit der traditionellen Kleiderordnung nicht so genau nahmen. So heißt es in einer Erklärung eines Befehlshabers der Aufstände vom Oktober 1938: »Dem Zentralen Kommandorat ist zu Ohren gekommen, […] daß einige Frauen, eifrig darauf bedacht, westliche Kleidung nachzuahmen, den Befehl mißachten sich zu verschleiern. An all diese Personen richten wir unsere Warnung und erinnern sie an die Strafen, die sie erwarten, wenn sie in ihrem verwegenen Leichtsinn beharren«. Trugen die Frauen in den ländlichen Gebieten meist ein Kopf, Schultern und gegebenenfalls auch Oberkörper bedeckendes weites Tuch, das das Gesicht frei ließ, galt es für die Frauen der mittleren und oberen Stände, vor allem in den Städten, als »Zeichen weiblicher Sittsamkeit und familiärer Ehre«, sich mit einem Gesichtsschleier zu verhüllen. Mit Beginn der britischen Kolonialzeit, so die Historikerin Gudrun Krämer, »zeigten sich die Frauen der Jerusalemer Aristokratie bei bestimmten Anlässen auch gern als Damen der Gesellschaft: europäisch gewandet und das Gesicht frei«. Auch in anderen Städten wie Jaffa oder Haifa »gingen einige Frauen der arabischen Ober- und Mittelschicht dazu über, den Schleier abzulegen«. Vor allem die jüdischen Pionierfrauen, so der erboste Aufschrei der arabischen Tugendwächter damals, würden sich in der Öffentlichkeit »halb nackt« zeigen. »Gegen diese Zeichen der Verwestlichung, gegen den Verfall der Sitten, für Moral und Anstand« und selbstverständlich »für den Schleier sprachen sich islamische Gelehrte und Aktivisten« aus. »Deren sozial-konservative Gesinnung«, so Krämer weiter, »teilten die bäuerlichen Rebellen, die die neu gewonnene Macht nutzten, ihre Vorstellung von Sitte und Anstand im öffentlichen Raum durchzusetzen.« Dass sich auch sechzig Jahre nach dem arabischen Aufstand im britischen Mandatsgebiet die Gemüter noch an westlicher Kleidung erhitzen konnten, zeigt eine Begebenheit aus den frühen 1990er Jahren: »Als der Vorsitzende der palästinensischen Abordnung, Haider Abdel Shafi, zu Delegationsgesprächen in Washington mit einem europäischen Hut erschien«, so der Arafat-Biograf Rubinstein, »zog er sich die Kritik der palästinensischen Öffentlichkeit zu, die ihn aufforderte, die fremdländische Kopfbedeckung abzunehmen«.
Vom Pali- zum Kopftuch
Das Verschwinden des Palituches von den Hälsen deutscher Linker heißt jedoch nicht, dass die Linke durch antideutsche Agitation wesentlich schlauer geworden ist. In ihrer Mehrheit ist sie immer noch antiwestlich und dem jüdischen Staat spinnefeind, nur ist sie dies nicht mehr im Namen eines marxistisch-leninistischen Antiimperialismus sondern unter dem Banner eines postmodernen Antirassismus. Mit dem ideologischen Wandel geht auch die Begeisterung auf ein anderes Stück Stoff über. Längst hat das islamische Kopftuch das Palästinensertuch als symbolisches Kleidungsstück abgelöst. Auch wenn die heutigen linken Befürworter von Hijab und Co. sich selbige nie um den Kopf binden würden, wie es ihre geistigen Vorgänger noch mit dem Palästinenserschal taten: Hinsichtlich ihrer Bedeutung nehmen sich beide Kleidungsstücke nur wenig. Sowohl Pali- als auch Kopftuch sind Ausdruck einer Renaissance reaktionärer Wertvorstellungen. Beide stehen bei ihren Trägern für die Rückbesinnung auf die »eigene Kultur« und damit für die Ablehnung der Idee eines von Blut, Boden und Sippe befreiten Individuums und dessen Ausdrucksformen. Beides sind Gesinnungstextilien, die den Hass auf die Moderne, den Westen, die Juden und ihren Staat nach außen hin zur Schau tragen.
Mit anderen Worten: Wenn die in Halle als Beispiel für gelungene Integration gefeierte Syrerin Razan Afifi am 16.12.2017 auf einer Demonstration gegen den Beschluss der US-Regierung, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, beim Einpeitschen des »Kindermörder Israel« rufenden Mobs ein Palästinensertuch trägt, dann ist das weder Zufall noch ihrem privaten Spleen für Trachtenkleidung aus der alten Heimat geschuldet. Es waren auch nicht die winterlichen Temperaturen, die zahlreiche arabische Mitdemonstranten dazu brachten, die gleiche Kleiderwahl zu treffen wie Afifi. Der Gedanke, dass sich ein besonders eifriger Demonstrant den Terrorlappen nur deshalb um den Kopf gewickelt hatte, weil er befürchtete, mitten im Dezember einen Sonnenstich zu bekommen, ist genauso abwegig, wie anzunehmen, die Demonstrationsteilnehmer wüssten nicht, wofür das Stückchen Stoff steht, das sie an diesem Nachmittag trugen, weshalb sie darüber erst aufgeklärt werden müssten. Vor dem Hintergrund, dass das Tuch politisch überall das gleiche bedeutet steht, müsste jeder einzelne, dem die Bekämpfung des Antisemitismus nicht bloß Lippenbekenntnis ist und ganz gleich auf welcher Party er gerade tanzt, gegen das Palästinensertuch Einspruch erheben. Und das völlig unabhängig davon, welche Herkunft dessen Träger hat.
Mark Liber
Verwendete und weiterführende Literatur
Gudrun Krämer: Geschichte Palästinas. Von der osmanischen Eroberung bis zur Gründung des Staates Israel, München 2002.
Danny Rubinstein: Yassir Arafat. Vom Guerillakämpfer zum Staatsmann, Heidelberg 1996.
Karl Selent: Ein Gläschen Yarden-Wein auf den israelischen Golan. Polemik, Häresie und Historisches zum endlosen Krieg gegen Israel, Freiburg 2003.
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