Seit Wochen reist das deutsche Feuilleton in die sachsen-anhaltische Provinz, denn in den Redaktionsräumen der Republik hält sich hartnäckig das Gerücht, dass unweit von Halle das Mastermind der Neuen Rechten lebt. Im kleinen Dorf Schnellroda empfängt Götz Kubitschek die erregten Medienvertreter in seinem Institut für Staatspolitik. Abwechselnd blicken die Journalisten auf lange Bücherwände und den Ziegenhalter mit Kot am Gummistiefel, der in Schnellroda seinen Traum vom einfachen Leben verwirklicht hat. Mit aufgerissenen Augen lesen sie die Heideggerpoesie des Klein-Verlegers und sind völlig besoffen vor lauter Bewunderung für den intellektuellen Leithammel der Neuen Rechten. Doch nicht nur die Journaille ist schwer beeindruckt. Zwar halten sie mit ihrer heimlichen Faszination für das bodennahe Brot-und-Butter-Leben Kubitscheks noch hinter dem Berg, doch auch zahlreiche Linke zieht es nach Schnellroda. So beteiligte sich beispielsweise die hallische Gruppe No Halgida im Februar an einer Demonstration vor dem Institut für Staatspolitik, das sie für eine Art Rassismusfabrik hält.
Vor diesem Hintergrund geht Frank Kucharsky der weitverbreiteten Faszination deutscher Journalisten für den Bauern Kubitschek nach. Florian Pätzold zeigt, warum es Presse und Bewegungslinke so magisch zum Institut für Staatspolitik zieht. Die Texte basieren auf zwei Vorträgen, die unsere Autoren am 1. Juni auf einer Diskussionsveranstaltung der AG Antifa gehalten haben.
Teil 1: Alle wollen die Ziege streicheln (Frank Kucharsky)
Teil 2: Popanz Neue Rechte (Florian Pätzold)
Popanz Neue Rechte
Der Spindoctor
Anfang dieses Jahres kam das Theater Magdeburg auf eine ganz besonders pfiffige Idee. Ein neues Veranstaltungsformat namens »politischer Salon« sollte den neuen Akteuren auf den Zahn fühlen. Gemeint waren Vertreter der AfD, die bei der letzten Landtagswahl Einzug ins sachsen-anhaltische Parlament hielten, und deren Unterstützer. Nachdem in der ersten Veranstaltung bereits der AfD-Landtagsabgeordnete Gottfried Backhaus seine Sicht auf die Welt verkünden durfte, sollte im Januar ein Biobauer aus dem Saalekreis zu Wort kommen. Der sogenannte »Vordenker der Neuen Rechten« und Carl-Schmitt-Groupie Götz Kubitschek, dessen intellektuelles Verhältnis zu Carl Schmitt mit dem einer Ziege zu ihrem Ziegenwirt vergleichbar ist, wurde unter dem Motto »falsch abgebogen« eingeladen.1 Um der oft zitierten messerscharfen Rhetorik des Leiters der sogenannten Denkfabrik in Schnellroda etwas entgegenzusetzen, wurde das Eloquenteste, das die Landesregierung zu bieten hat, als Pendant zu ihm eingeladen: Holger Stahlknecht. Selbstverständlich sagte der Innenminister zum kleinen Stelldichein zu. Erst durch die Empörung von Vertretern anderer Parteien und das Einschreiten von Ministerpräsident Reiner Haseloff, der Stahlknecht untersagte, teilzunehmen, wurde die Veranstaltung vom städtischen Theater abgesagt.
Stellvertretend für den Shitstorm, der nicht zu Unrecht über Stahlknecht hereinbrach, kann Burkhardt Lischka, der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, herausgepickt werden. Zitat Lischka: »Kubitschek ist der intellektuelle Kopf der Neuen Rechten, der Spindoctor des rechten Flügels der AfD. […] Wer glaubt, man könne Leute wie Kubitschek und Co. in einer öffentlichen Diskussion stellen, ist ihnen bereits auf den Leim gegangen«. Die Angst davor, in die Fänge des Mannes hinter den Kulissen, des ideologischen Senseis der AfD, zu geraten, scheint bei Lischka manifest zu sein. Als eingefleischter Sozialdemokrat ist es auch bedeutend bequemer, einem einfachen Erklärungsmodell zu folgen, als sich mit den eigentlichen Gründen für den Wahlerfolg der AfD auseinanderzusetzen.
Seit Jahren rätseln Ökonomen, warum Menschen überhaupt den Gang zur Wahlurne auf sich nehmen. Letztendlich ist es doch erwiesen, dass selbst das knappste Ergebnis bei einer großen Wahl nicht durch die Stimme eines Einzelnen entschieden wird. Die Wahrscheinlichkeit, auf dem Weg zum Wahllokal vom Blitz getroffen zu werden, ist höher als die, mit seiner Stimme Einfluss auf den Ausgang einer Bundes- oder Landtagswahl zu haben. Diese geringe Wahrscheinlichkeit bedeutet in der einfachen Kosten-Nutzen-Analyse der Ökonomen, dass es sich für den einzelnen Wähler gar nicht lohnt, wählen zu gehen. Dennoch suchen Menschen aus den verschiedensten Gründen die Wahllokale auf: Um ihren Beitrag zu leisten, sich besser zu fühlen oder weil sie wirklich denken, dass ihre Stimme zählt und sie etwas verändern können. Das trifft auch auf Leute zu, die es eigentlich besser wissen müssten. So machten sich zur letzten Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im Jahr 2016 eine Menge Antifas aus Halle auf den Weg zur Wahlurne und gaben – auch wenn sie sonst bei jeder Gelegenheit betonen, gegen Staat und Kapital zu sein – ihre Stimme irgendeiner anderen Scheißpartei wie der Linken oder den Grünen. Ihre Begründung: Sie wollten den drohenden Erfolg der AfD verhindern. Dabei war bereits im Vorfeld klar, dass es ein unsäglich gutes Wahlergebnis für Poggenburg und Co. geben wird.
Warum sich eine Vielzahl von Wählern für die AfD entschieden hat, kann nicht allein mit den Umtrieben eines verwirrten Milchbauern aus der Pampa erklärt werden. Genau so wenig trifft die besonders in der Linken beliebte und ebenso einfache Formel: »Alles Faschisten!« zu. Es ist Zeit, einige dieser Gründe einmal genauer zu betrachten.
Das hat nichts mit dem Islam zu tun!
Der erste Grund für den Wahlerfolg der AfD spielt eine kleine, aber dennoch nicht unwichtige Rolle. Keine andere Partei widmet sich dem Islam so intensiv, wie es die Petrys, Gaulands und Poggenburgs tun. Nun sollte man das Islambashing der AfD keineswegs mit Islamkritik verwechseln. Dennoch muss man kein Prophet sein, um zu erkennen, dass der Zuzug von Hunderttausenden, die in islamischen Ländern sozialisiert wurden und die ihre ideologischen Prägungen nicht beim Grenzübertritt abgelegt haben, auf eine planlose deutsche Flüchtlings- und Integrationspolitik traf. Statt die Frage zu stellen, wie eine sinnvolle Integration auch von Leuten möglich ist, denen schon beim Anblick von Miniröcken oder zwei sich küssender Männer das Messer in der Tasche aufgeht, wird die Zuwanderung als große Chance zur Rundumerneuerung zurechtgelogen. In jeder Talkshow erklären Vertreter von Linkspartei bis CDU, dass die Bluttaten im Namen des Propheten nichts mit dem Islam zu tun haben. Wird darauf hingewiesen, dass alle Attentäter von Paris bis Berlin, von Tel Aviv bis Djerba, bekennende Anhänger dieser Religion waren und offensichtlich eine Affinität zur Gewalt aufweisen, die nicht selten tödlich ist, reagiert man reflexhaft, dass es »den Islam« nicht gäbe und zwischen Islam und Islamismus differenziert werden müsse. Gerade so, als gäbe es zwischen Alkohol und Alkoholismus keinerlei Verbindung. Tatsächlich geht es eben nicht nur um »den Islamismus«, wie gern suggeriert wird, sondern um die Entwicklung des Alltagsislam, der die Situation auch für jene Muslime immer unerträglicher macht, die zu ihrer Religion ein ähnlich privatistisches Verhältnis haben, wie die meisten europäischen Christen oder andere Religionsgemeinschaften. Des Weiteren wird eine krampfhafte Suche nach dem moderaten Euro-Islam betrieben, der bereits von seinem Begriffsschöpfer Bassam Tibi für gescheitert erklärt wurde. Anstatt sich mit den Gründen für dieses Scheitern auseinanderzusetzen, wird jedwede Kritik an so manchem islamischen Brauch als Ausländerhass oder Rassismus diffamiert. Dies führt dazu, dass Leute, die für gewöhnlich keine ordinären Ausländerhasser (ergo »Faschisten!«) sind, sich verschaukelt fühlen und ihr Kreuz rechts von der CDU setzen. So führte beispielsweise der Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg zusammen mit der Justus-Liebig-Universität in Gießen und der Universität Wien eine Umfrage durch. Homosexuelle und transsexuelle Menschen wurden gefragt, wen sie wählen würden. 2.200 Personen nahmen an der Umfrage teil, etwa die Hälfte davon aus Berlin. Die meisten von ihnen waren homosexuelle Männer ohne Religionszugehörigkeit, jeder Zweite hatte einen Hochschulabschluss. Das Ergebnis zeigte, dass die Partei mit dem heteronormativen Leitbild der deutschen Familie auch bei homosexuellen Menschen erfolgreich ist.2 Laut Tagesspiegel sagten die Initiatoren der Studie, dass nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die homosexuelle Community gespalten sei. Die eine Seite fordere, Flüchtlinge zu schützen, während die andere den Islam und zugewanderte Muslime für Homofeindlichkeit mitverantwortlich mache.
Ähnliche Tendenzen zeigten sich auch in Frankreich bei den jüdischen Wählern. Eine nicht zu vernachlässigende Anzahl französischer Juden wählt den Front National. Genaue Zahlen gibt es nicht, da die Einordnung in die Kategorie »jüdische Wähler« auf freiwilliger Selbstauskunft beruht. Die letzte seriöse Studie aus dem Jahr 2012 belegt jedoch, dass die Sympathien für den Front National wachsen: So erhielt die Kandidatin und Parteivorsitzende Marine Le Pen damals bei der Präsidentschaftswahl rund 13 Prozent der Stimmen jüdischer Wähler. Zum Vergleich: Ihr Vater Jean-Marie Le Pen, der für seine antisemitischen Äußerungen bekannt ist, erhielt 2007 nur rund vier Prozent der jüdischen Stimmen. Auch hier zeigt sich, dass Menschen, die von Antisemitismus und insbesondere vom islamischen Antisemitismus bedroht sind, lieber ihr Kreuz einer Partei geben, die dem Islam mehr entgegenzusetzen scheint, als es von Macron und Anderen zu erwarten ist. Diese Stimmen machen natürlich nicht das Gros der Front-National- bzw. AfD-Wählerschaft aus, sollten aber keineswegs marginalisiert werden.
Feindschaft durch Ähnlichkeit
Ein weiterer Grund für den hohen Zulauf der AfD ist das Ausspielen der Antiislamkarte. Dadurch erreichte sie nicht nur den kleinen Teil derer, von denen ich eben sprach, sondern insbesondere die Personen, die dem Islam sämtliche regressiven Tendenzen neiden und deren Feindschaft gegen Salafisten durch eine bestechende Ähnlichkeit gekennzeichnet ist. Seit Pegida kann man den großen Kampf der Patrioten aus Sachsen gegen die Islamisierung des Abendlandes als Chiffre für ordinären Ausländerhass ausmachen. Warum sollte eben dieses Spektrum, wenn es doch nur aus Faschisten und Nazis besteht, den Islam als Religion angreifen? Müssten sie nicht qua Nazi-Ideologie alles Raumfremde und Nichtarische bekämpfen? Als ob ein christlicher Syrer bei Bachmann, Kubitscheck, Höcke und Co. einen Platz am Biertresen hätte. Dennoch ist die Abwehr des Islam sowohl bei Pegida, bei der AfD als auch beim Ziegenwirt aus Schnellroda kein Zufall. Nicht das Aufeinandertreffen zweier unterschiedlicher Kulturen führt zur Ablehnung des Islam, sondern die Konkurrenz um die Bestellung desselben Ackers. Vergleichen könnte man es mit dem ambitionierten Buhlen zweier Emporkömmlinge eines Unternehmens um den Managerposten. Nur selten wird der eine vom anderen voller Bewunderung sprechen und seinen Chef davon überzeugen, dass sein Konkurrent die richtige Wahl ist, besonders wenn er alles, was man selbst zu bieten hat, schon sehr erfolgreich praktiziert. Nur so lässt sich erklären, warum der bierbäuchige HfC-Papa, der gerne von seiner »Ahlen« spricht, die ihm sein Essen pünktlich und vor allem reichlich zubereiten soll, plötzlich sein Interesse an der AfD in Abgrenzung zum Islam mit dem Kampf für die Selbstbestimmung der Frau begründet.
Warum Vertreter von Corpsgeist, Männlichkeitsgestus und der Verteidigung der eigenen Scholle gegen eine Religion ins Feld ziehen, die genau für diese Werte eintritt und mehr noch, sie erfolgreich und rigoros umsetzt, kann so auf den Punkt gebracht werden: Die Debatte um den Islam ist auch eine Neiddebatte. Die Vorstellung eines autoritären Ultrakonservatismus, wie ihn der politische Islam darstellt, entspricht der Denkweise der AfD-Anhänger eher, als die Werte der westlichen Zivilisation. Während etablierte Parteien, das Feuilleton und linke Kritiker der AfD und der Neuen Rechten am liebsten gar nicht über den Islam sprechen wollen, wird bei der AfD und in Schnellroda sehr wohl darüber diskutiert. Wenn Björn Höcke im Mai 2016 bei einer Rede äußerte, dass nicht der Islam das Problem sei, sondern »unsere Dekadenz« und Karl Heinz Weißmann, der politische Ziehvater von Götz Kubitschek und Stammautor der Jungen Freiheit, erklärt, dass der Islam nicht sein Feind sei, sondern der Liberalismus, wird deutlich, dass man hier getrennt in den Farben an der gleichen Sache tüftelt und lediglich die territoriale Nähe ein Problem darstellt. Nachlesen kann man die geistigen Ergüsse Weißmanns in der im März erschienenen Publikation Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes von Volker Weiß. Auch wenn Weiß, der auch für die Jungle World schreibt, sich im Verteilen von Attributen wie »eloquent« oder »scharfsinnig« bezüglich Weißmann und Kubitscheck in die Reihe der heimlichen Bewunderer einordnet, so hat er in seinem Buch doch einige gute Erkenntnisse hinsichtlich der Neidthese. Die AfD, so schreibt er, »weist panisch anhand demografischer Daten auf die angebliche Gefahr einer muslimischen Überzahl hin und […] möchte, was sie den Muslimen als ,Geburten-Dschihad’ unterstellt, gern selbst praktizieren.« Das Beispiel der Frau als Gebärmaschine, um Nachschub zum Kampf für den Ausweg aus der Krise zu produzieren, zeigt die Gemeinsamkeiten der beiden konkurrierenden Modelle ein und derselben autoritären Ausrichtung. So wäre im Endeffekt ein bärtiger Imam Höcke genauso denkbar wie sein HJ-frisiertes Pendant. Oder ist hier noch niemand stutzig geworden, warum der selbsternannte Islamkritiker und regionale Irre Sven Liebich ständig mit Mullahbart als Imam verkleidet durch die Straßen rennt? Autoritäre Charaktere zeigen eine große Begeisterung für den Islam, was sie keineswegs davon abhalten muss, AfD zu wählen.
Die soziale Frage
Den dritten und bedeutendsten Grund für den enormen Zulauf zur AfD hat, wie bereits den ersten Punkt, die Berliner Republik selbst zu verantworten. Im Zuge der Hartz-IV-Reformen und dem damit verbundenem Zeichen, wohin die Reise gehen kann, wurde der ohnehin schon ängstliche Mittelstand in eine Art Panikzustand versetzt. Man kann deutlich sehen, dass die Triebfedern potentieller AfD-Wähler bei Pegida und anderen Montagsdemonstrationen, neben der Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Merkel, auch immer wieder soziale Angst und das übersteigerte Gefühl, von der Presse belogen und betrogen zu werden, sind. Zumindest die sozialen Ängste darf man nicht unter dem Label des besorgten Bürgers, der nur einen vorgeschobenen Grund benötigt, um sein faschistisches Gedankengut wieder salonfähig zu machen, abtun. Diese sozialen Ängste sind keine diffusen Spinnereien, sondern bittere Wirklichkeit.
In den letzten zwanzig Jahren wurde deutlich, dass der Staat nicht länger Interesse daran hat, den Wohlfahrtsstaat unter der Prämisse Gleichheit und Volksfürsorge aufrechtzuerhalten. Er ist immer weniger dazu bereit, für Menschen zu sorgen, für die es keine Verwendung auf dem Arbeitsmarkt gibt. Sein eigentlicher Fokus liegt auf der internationalen Konkurrenzfähigkeit, wie die Privatisierungswelle größerer staatlicher Betriebe zu Beginn der 2000er Jahre zeigt. Die Sozialhilfe wurde drastisch gekürzt und der Kündigungsschutz aufgeweicht. Konnte man vor Hartz IV auch mal eine längere Zeit arbeitslos sein ohne gleich in Existenzängste gestürzt zu werden, so ist mit den Hartz-Gesetzen ein sozialer Abstieg vorprogrammiert. Infolge dieser Politik stieg der Druck in der Gesellschaft. Im Mittelstand, vom selbstständigen Handwerksbetrieb bis zum gewöhnlichen Angestellten, wuchs die Angst, bald selbst Darsteller des besonders von RTL 2 betriebenen Elendsvoyeurismus zu sein. Die jüngeren Vertreter des Mittelstands versuchen dieser Entwicklung durch ein schon penetrant wirkendes Herunterbeten ihrer Flexibilität und ihrer Anpassungsfähigkeit Herr zu werden, während die Älteren unter ihnen aufgrund ihrer fehlenden Skills bei Fremdsprachen und im IT-Bereich befürchten, nicht mehr mithalten zu können. Die Nachfrage nach qualifizierten Kräften aus dem Ausland ist hoch, und kein Bericht über die Flüchtlinge kommt ohne den Hinweis aus, welche Bereicherung doch ihre einzelnen Qualifikationen für den Arbeitsmarkt seien.
Gleichzeitig wird sich über Ansichten und Verhaltensweisen der abgehängten Menschen lustig gemacht. Keine Comedy-Show und kein deutscher Comedian kommt ohne Witze über die Ronnys und Mandys aus den einschlägigen Plattenbausiedlungen aus. So beschreibt David Schneider in der Bahamas völlig richtig, dass »wer sich heute über sozial Abgehängte lustig macht, keinen Rüffel für seine Überheblichkeit« bekommt, sondern jede Menge Applaus. Und Schneider weiter: »Das Hervorheben ästhetischer Makel politisch unliebsamer Personen passt als Amüsement gut in eine Zeit, in der Unterhaltungsprogramme besonders beliebt sind, in denen es ausschließlich um die Freude an der Erniedrigung ohnehin schon Degradierter geht.« Die einfache Tatsache, dass auch Prominente einen sozialen Abstieg erfahren können, der sie nötigt, sich im Dschungelcamp sadistisch drangsalieren zu lassen, zeigt dem Zuschauer, wie schnell es abwärts gehen kann. Das Lachen über abgehalfterte Promis und abgehängte Plattenbaubewohner dient in erster Linie der Abgrenzung und verbirgt tatsächlich die Angst davor, selbst bald in Halle-Neustadt, Leipzig-Grünau, Berlin-Marzahn oder im Dschungel leben zu müssen.
Deshalb kann man bei den Forderungen derer, die sich wegen der ausgeführten Gründe für ein Kreuz rechts von der CDU entschieden haben, vielmehr die Sehnsucht nach der goldenen Ära des Postfaschismus unter Ludwig Erhard und dem damit verbundenen Sozialstaat erkennen, als den Wunsch nach einer nationalsozialistischen Ordnung oder der Wiederherstellung des Abendlandes zu Zeiten von Richard Löwenherz.
Die Ablehnung des Islam offenbart sich hier eben nicht nur als Chiffre für den Hass auf Ausländer, sondern auch als Chiffre für die wachsende soziale Unzufriedenheit. Auch hier ist die Projektion auf den Islam kein Zufall. Im Rahmen der Umgestaltung des Sozialstaats werden zahlreiche Aufgaben an private Initiativen delegiert. Beispielsweise wurden während der sogenannten Flüchtlingskrise ehemals staatliche Sicherungs- und Versorgungsaufgaben an Bürgervereine, Caritasverbände und Privatunternehmen abgegeben. 2015 zeigte die AG Antifa in ihren Pegida-Thesen, dass auch die Familie im Zuge des Abbaus des Sozialstaates eine neue Bedeutung als sicherheitsstiftende Bedarfseinheit erfuhr. (Vgl. Bonjour Tristesse #17/18.) Islamische Communities übernehmen tendenziell das Brachland, das der Staat auf seinem Rückzug hinterließ. So konnte beobachtet werden, dass besonders in Vierteln, die dem AfD-Wähler als Vorhof zur Hölle erscheinen, wie in Kreuzberg oder in weiten Teilen des Ruhrpotts, der Islam die praktischen Mittel und das ideologische Rüstzeug bereitstellt, um das Elend und die Not zu verwalten, für die sich der Staat nicht mehr verantwortlich fühlt. Krankenversicherung, Arbeitslosenunterstützung und Altersvorsorge gewährt die Sippe, wobei religiöse Vorschriften, patriarchale Strukturen und Zwangsbindungen die Haftung der einzelnen Mitglieder füreinander verbürgen. Statt auf kodifizierten Gesetzen beruht die Sozialordnung auf Ehre und Schande. Familiengerichte und Brüderverbände übernehmen die Aufgaben von Justiz und Polizei. Auch wenn hierzulande noch gezögert wird, islamischen Communities auch offiziell staatliche Funktionen zu übertragen, so zeichnet sich doch ab, was in britischen Großstädten längst klare Konturen gewonnen hat: Um Kosten bei der Integration und der Verwaltung zu sparen, nimmt der Staat die vermeintlich integrierende Kraft islamischer Institutionen in Beschlag. So vollzog sich der Aufstieg des Islam zur Ideologie der Entrechteten und Geknechteten europaweit nicht nur parallel zum Niedergang des Sozialstaates, sondern zwischen beiden Entwicklungen gibt es einen unmittelbaren Zusammenhang. Der von sozialer Armut bedrohte Mittelstand bekommt eine Preview auf das, was ihn selbst ereilen könnte.
Die Verschwörungstheorie
Von diesen Gründen wollen diejenigen, die vom großen Strippenzieher aus Schnellroda sprechen und sich dadurch den Erfolg der AfD erklären, aber nichts wissen. Ihr Erklärungsmodell ist einfach und gleichermaßen befriedigend. Über den Islam soll möglichst differenziert oder am besten gar nicht gesprochen werden, ebenso wenig über den Abbau des Sozialstaats und die damit verbundenen Schweinereien wie Hartz IV. Denn solange ein vorzeigbares Wahlergebnis einer rechten Partei einem »scharfsinnigen«, »hochintelligenten« und »eloquenten« Spindoctor vom Lande zugeschrieben werden kann, muss man nicht an den Säulen der Berliner Republik rütteln. So verwundert es kaum, dass bei keiner etablierten Partei das Bedürfnis vorhanden ist, Hartz IV wieder abzuschaffen. Vermeintliche Ausnahme ist die Linkspartei, bei der sich die beiden Spitzenkandidaten Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch zumindest in einem Punkt einig sind: Man müsse auch versuchen die AfD-Wähler anzusprechen. Die Linke geht 2017 mit den erklärten Zielen in den Wahlkampf, Hartz IV abschaffen und eine »Mindestsicherung von 1050 Euro« ohne Sanktionen und Kürzungsmöglichkeiten einführen zu wollen. Das klingt jedoch eher nach Satire, bedenkt man, dass die Linkspartei, obwohl sie gegen Hartz IV polemisiert, in den Ländern, in denen sie mitregiert, den Gesetzesverschärfungen zugestimmt hat. Sowohl in Brandenburg als auch in Thüringen stimmten die Abgeordneten für die von Bundesarbeitsministerin Nahles eingeforderten Rechtsverschärfungen von Hartz IV. Hier zeigt sich, dass es der Linken nicht um die Abschaffung des Elends geht, sondern stattdessen darum, ihre potentiellen Wähler nicht an die AfD zu verlieren.
Auch die Antifa und die unzähligen zivilen Bündnisse gegen Rechts glauben fest an die Bedrohung vom Ziegenhof und pendeln deshalb regelmäßig nach Schnellroda, um dem Götz mal richtig die Meinung zu geigen. Dabei gibt sich das hiesige Bündnis Nohalgida immer betont kämpferisch und verlautbart: Solange die »Menschenfeinde vom IfS ihre gesellschaftliche Wirkmächtigkeit entfalten können«, ist davon auszugehen, dass die lokalen Bündnisse und Antifaschisten weiter in die Pampa reisen. Wie nervig die ständigen Auftritte vorm Scheunentor für Kubitscheck wirklich sind, bleibt fraglich, bekommt er doch so endlich die Aufmerksamkeit, um die er schon lange buhlt. Offensichtlich kann er sich momentan vor Fame kaum retten. Von der Taz bis zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung, von Kulturzeit bis Fakt ist, von Linkspartei bis CDU und von Antifa bis SDS sind sich alle einig: Die Ideengeber und Drahtzieher des Wahlerfolgs der AfD sitzen in Schnellroda. Das Herunterbrechen gesellschaftlicher Verhältnisse auf einfache Formeln ist eben bedeutend bequemer, als ihre Analyse. Deshalb nimmt man den Weg ins Kaff gerne auf sich, um den hofierten Spindoctor beim Melken seiner Ziege zu beobachten. Letztendlich macht es aber nur deutlich, dass die Mär vom Einfluss der Neuen Rechten auf den Erfolg der AfD eine staatstragende Verschwörungstheorie ist, um sich mit den eigentlichen Gründen des Wahlerfolgs nicht auseinandersetzen zu müssen. Erstaunlicherweise hängen ihr auch Leute an, die sich sonst über Aluhüte lustig machen.
Florian Pätzold
Anmerkungen:
1 Während Carl Schmitt seine Theorien immer auf Höhe der Zeit entwickelte und seine Kritik an der Weimarer Verfassung formulierte, so übernehmen Kubitschek und Co. diese Theorien und wenden sie auf die Verfassung der Bundesrepublik an. Eigene Theorien werden in der »Denkfabrik« Schnellroda nicht entwickelt und so bleibt Kubitschek nur ein Rindvieh, das gern Bauer sein möchte.
2 Jedenfalls schnitt die AfD (7%) besser ab als die CDU (4%). Sieben Prozent wirkt auf den ersten Blick nicht viel, bei nur 2.000 Befragten dennoch ein überraschend großer Teil. Hinzu kommt, dass auch viele ihr Kreuz aus Prinzip nicht bei der AfD machen, den Islam dennoch als Bedrohung für die Freiheit ihrer sexuellen Ausrichtung wahrnehmen.
Teil 1: Alle wollen die Ziege streicheln (Frank Kucharsky)
Teil 2: Popanz Neue Rechte (Florian Pätzold)
[…] Popanz Neue Rechte Wer schweigt, stimmt zu! […]
In der aktuellen Bahamas kommt Mario Möller bezüglich der Identitäten Bewegung zu einer ähnlichen Einschätzung: http://www.redaktion-bahamas.org
Haben die mal wieder von der BT abgeschrieben? 😉
Dass im Zuge der ,,Flüchtlingskrise“ der Staat eigene Aufgaben an Caritasverbände, Religionsgemeinschaften usw. abwälzte ist nicht ganz korrekt. In der BRD als korporatistischem Staat ist das als normale Verfahrensweise dem Subsidiaritätsgedanken geschuldet. Es lässt sich dabei diskutieren, inwiefern in dieser Staatsauffassung schon das Racket als quasi wohlfahrtlicher Funktionsträger angelegt ist.