Das Brachland zwischen Thüringer Rostbratwurst und sächsischer Willkommenskultur mit einem Innenminister, dessen Name Programm ist, entdeckt erneut seine Liebe zur Neuen Deutschen Härte. Nicht nur wegen Holger Stahlknechts Abschiebemethoden für Flüchtlinge, deren Anwesenheit keine kulturelle Bereicherung für Sachsen Anhalt darstellt (siehe Bonjour Tristesse #19), sondern insbesondere durch deutsche Identitätsmusik, die unter dem Sammelbegriff »Neue Deutsche Härte« ein Musikgenre beschreibt. Zur NDH gehört unter anderem der deutsche Exportschlager Rammstein, eine Band, die offensichtlich als kulturelle Bereicherung gilt und somit wieder Einzug in die hiesigen Theater und Varietés hält. So konnte im März 2015 im Anhaltinischen Theater in Dessau die letzte Aufführung von Goethes »Götz von Berlichingen« um »Freiheitslieder« von Rammstein erweitert werden. So verschmolz Neue Deutsche Härte problemlos mit klassischer deutscher Härte. Pathetisch durch den Opernchor vorgetragen, hallten die sinnfreien Textzeilen von Rammsteinsänger Till Lindemann durch die provinzielle Kulturlandschaft Dessaus. In Russland nutzt man Rammsteintexte um Deutsch zu lernen. Das Buch »Rammstein, Lieder für den Deutschunterricht« ist für Anfänger besonders gut geeignet, weil schon ein Wortschatz von fünfhundert Wörtern ausreicht, um die Lieder zu verstehen. Die Aufführung in Dessau diente somit hauptsächlich der Wortschatzerweiterung sachsen-anhaltischer Einsilbigkeit.
Aktuell gibt es gefühlt tausend Rammstein-Coverbands. Eine durfte Anfang des Jahres in Weißenfels zum Schlossfest aufspielen. Die Begründung des ansässigen Veranstaltungsmanagers der Stadt, Christian Endt, verdeutlicht die Intention der Einladung: »Wir wollen (…) wieder stärker hin zum Volksfestcharakter« (Mitteldeutsche Zeitung). Wie soll das Volk in festliche Stimmung versetzt werden, wenn nicht mit Musikern in Leni-Riefenstahl-Ästhetik, die martialisch ins Mikro brüllen: »Ein Mensch brennt!« (Rammstein 1995). Dass das Konzept auch in Halle aufgeht, zeigte sich im Februar dieses Jahres. Die angeblich beste Rammstein-Coverband war Gast zur großen Tribute-Show im Steintor-Varieté. Die sechs Jungs der Band wirken wie von Stahlknecht persönlich aus feinstem Riefenstahl geschmiedet und hören auf den sanften Namen »Stahlzeit«. Die Band zeichnet sich abgesehen vom Namen durch ihre martialische Pyroshow aus, die sie eins zu eins vom Original übernommen hat. Es werden ausschließlich »Hits« gespielt und Frontmann Heli Reissenweber könnte der eineiige Zwilling von Lindemann sein.
Wer nicht miterleben wollte, wie oberkörperfreie Männerhorden pyrotechnischen Erzeugnissen der Neuen Deutschen Härte frönten und in Volksfeststimmung versetzt wurden, umging an diesem Tag das Steintor weitläufig. Ein abschließender Satz an die Kulturkenner von Halle bis Dessau: Wenn Rammstein und seine stahlharten Nachmacher zur kulturellen Bereicherung gehören, ist das ein guter Grund Kulturbanause zu sein! [flp]
Stahlinismus sells!
16. Mai 2016 von bonjour tristesse
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