In einem beliebten hallischen Naherholungsgebiet liegt das Peißnitzhaus, das in seiner wenig aufregenden Vergangenheit sowohl Hitlerjugend als auch Jungpioniere beherbergte. Seit einigen Jahren versucht eine Initiative, das marode Anwesen zu sanieren. Für das nötige Kleingeld setzt der Peißnitzhaus e.V. unter anderem auf einen Biergarten. Dort wird vor allem versucht, deutsche Ideologie an den Mann zu bringen. Jedes Produkt vom Gastro- bis zum Hygieneartikel ist ökologisch, trägt das Fair-Trade-Siegel, stammt aus regionalem Anbau oder ist hausgemacht. Das verspricht ein laminierter Ausdruck mit dem Titel »Mit gutem Gewissen im Peißnitzhaus genießen«, der auf den Biertischen ausliegt.
In besagtem Ausdruck liest man darüber hinaus etwas von »fairen Löhnen für faire Arbeit«. Was an Lohnarbeit fair sein soll, lässt das laminierte Papier zwar offen. Dafür konnte ein Smalltalk mit dem Personal am Ausschank klären, was der Verein für einen »fairen Lohn« hält. Gönnerhafte 8,50 Euro zahlt der nämlich seinen Studenten, keinen Cent mehr also als den gesetzlich garantierten Mindestlohn. Natürlich fielen die Gehälter vor dessen Einführung noch erbärmlicher aus. Denn selbst der lumpige Mindestlohn ist dem Verein noch zu hoch. Darum schaltet er regelmäßig Gesuche nach ehrenamtlichen – also unbezahlten – Helfern. Sogar Bauleiter für die Restaurierungsarbeiten wurden auf diesem Wege bereits gesucht. Die Freiwilligen müssen sich damit begnügen, dass alle zwei Monate einer von ihnen zum »Mitarbeiter der Stunde« gekürt wird. Aus vernünftigen Gründen in den sauren Apfel zu beißen und schlicht des schnöden Mammons wegen seine Arbeitskraft auf den Markt zu werfen, ist hierzulande ohnehin verpönt. Stattdessen muss vom Dienst an einer höheren Sache die Rede sein. Dementsprechend versteht sich der Peißnitzhaus e.V. als ein »gemeinwohlorientiertes Unternehmen«. Solche Phrasen liefern in Zeiten verschärfter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen gleich die Rechtfertigung für den zunehmenden Abbau von Arbeitnehmerrechten mit. Von »fairen Löhnen« ist immer dann die Rede, wenn die guten Löhne einbehalten werden. Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass dabei ausgerechnet jene Kreise die Vorreiterrolle übernehmen, die sich selbst als Avantgarde der Gesellschaft bezeichnen – im Kulturbetrieb sind Hungerlöhne längst Usus. Weil auch beim Peißnitzhaus e.V. die Einnahmen aus Gastrobetrieb, Fördertöpfen und Spendengeldern nicht ausreichen, um die Sanierung der alten Villa zu finanzieren und gleichzeitig den erforderlichen Angestellten ein ordentliches Gehalt auszuzahlen, wird vorgerechnet, man hätte etwas Besseres zu bieten: Einen Arbeitsplatz, der »Freude macht« und – kein Witz! – »gesund hält«. Zudem handele es sich um ein »inklusionsorientiertes Unternehmen«, dass »Sozialräume, Generation & Kulturen« am Arbeitsplatz verbinde. Übersetzt heißt das erstens: Ausgenutzt wird jeder. Neben Studenten sind das Flüchtlinge, die vor der Langeweile im Heim zu fliehen versuchen oder Schulabgänger, die ihren Lebenslauf mit einem Freiwilligendienst füttern müssen. Und zweitens: Als Ersatz für die verdienten Penunzen wird ausgerechnet der Umgang mit jenen Menschen angepriesen, denen man normalerweise aus dem Weg gehen möchte – den Arbeitskollegen.
Natürlich möchte ein Arbeitgeber jeden Angestellten halten, der einen solchen Schwachsinn anstelle einer vernünftigen Vergütung akzeptiert, und verspricht ihnen deshalb einen »sicheren Arbeitsplatz«. Wir würden es dagegen begrüßen, wenn sie der unterbezahlten Plackerei möglichst bald den Rücken kehren. Sollten dem Peißnitzhaus e.V. einmal die Arbeitskräfte zur Verwirklichung seiner Pläne ausgehen, kann er immer noch einen Kredit zur Finanzierung besserer Löhne aufnehmen. Schließlich steht dem fertiggestellten Peißnitzhaus eine goldene Zukunft bevor. Seine Verkaufsstrategie beschert dem Verein bislang nicht nur billige Arbeitskräfte, sondern auch ein volles Haus. Bei der kulturellen Elite von Halle gehört es längst zum guten Ton, sich mit Kind und Kegel auf den hippsten Bierbänken der Stadt niederzulassen. [uci]
Hausgemachtes Elend
16. Mai 2016 von bonjour tristesse
„Für das nötige Kleingeld setzt der Peißnitzhaus e.V. unter anderem auf einen Biergarten. Dort wird vor allem versucht, deutsche Ideologie an den Mann zu bringen.“
Beweisstück A: https://www.facebook.com/peissnitzhausfestival/videos/1025601170853779/