Im Internet sorgt seit einiger Zeit eine Erklärung der Gruppe No Tears for Krauts Halle für Diskussionen, dass die Zeitschrift Das grosse Thier eigentlich von ihr herausgegeben wurde, um das Publikum hinters Licht zu führen. Wir sprachen mit einem Vertreter der Gruppe.
Seit einiger Zeit kursiert im Internet die Erklärung, dass die Zeitschrift Das grosse Thier eigentlich ein Fake von Euch ist. Die Erklärung ist ein Witz, oder?
Es ist schon komisch: Wir haben mit dem Grossen Thier über zehn Ausgaben hinweg eine Zeitschrift gemacht, die aus nichts anderem bestand als aus aneinandergereihten schlechten Witzen – sowohl in theoretischer als auch in politischer und ästhetischer Hinsicht. Und jetzt erscheint der erste vernünftige Text im Zusammenhang mit dem Blatt, und alle glauben, dass nicht das Grosse Thier der Witz ist, sondern unsere Erklärung. Das ist tatsächlich komisch.
Aber es gibt doch Personen, die als Herausgeber auftreten, die das Grosse Thier bei Veranstaltungen präsentieren usw.
Ja, auch das ist ganz lustig. Der Genosse, der inzwischen als Herausgeber des Grossen Thiers wahrgenommen wird, ist vor ein paar Jahren nach Halle gezogen und hat uns geschrieben, dass er bei uns mitmachen will. Ein paar Leute von uns haben sich dann mit ihm auf einen Kaffee in der Kleinen Ullrichstraße [der »Kneipenmeile« von Halle, d. Red.] getroffen. Es hat sofort zwischen uns gefunkt, wir haben uns sofort gut mit ihm verstanden. Er hatte vorher in Süddeutschland eine kleine Zeitschrift gemacht, wir hatten gerade unseren Fake-Artikel in der Phase 2 untergebracht. Daraus ist dann die Idee entstanden, eine ganze Zeitschrift herauszugeben, mit der das linke Publikum vorgeführt wird. Und weil das am Besten funktioniert, wenn es auch jemanden gibt, der offen als Repräsentant dieser Zeitschrift auftritt, hat er gesagt: OK, ich mach’ das. Er hat ja ein gewisses Faible für subversive Aktionen.
Und die anderen Leute? Es gibt ja auch andere, die unter ihrem Klarnamen im Grossen Thier schreiben, oder von denen man weiß, dass sie Texte dort geschrieben haben.
Ja, das stimmt, das ist nicht mehr ganz so lustig, sondern eher tragisch. Wir waren am Anfang etwas besorgt, weil es gar nicht so leicht ist, ständig mit Absicht Stuss zusammenzuschreiben, mit dem das Grosse Thier dann gefüllt wird. Aber zu unserer Überraschung bekamen wir ziemlich schnell Artikelangebote von Lesern. Wir dachten zuerst, Mist, jetzt sind wir aufgeflogen, weil die meisten Texte so geklungen haben, als hätten wir kurz vorm Übergang ins Delirium versucht, die linke Legasthenie und die linke Unfähigkeit, einen klaren Gedanken zu formulieren, auf die Schippe zu nehmen: Komplett sinn- und syntaxfreie Meditationen übers Mikadospielen oder so. Aber sie waren ernst gemeint. Je mehr solcher unfreiwilligen Nonsens-Artikel wir abgedruckt haben, umso mehr Textangebote haben wir bekommen und umso sinnfreier wurden die Texte. Aber umso weniger Arbeit hatten wir dann auch mit dem Heft.
Das heißt, einige Autoren wussten gar nicht, dass sie Teil einer großen Verarschung gewesen sind?
Nein, wir und der »Herausgeber« hatten deshalb zeitweise auch ein schlechtes Gewissen. Bei ihm war es noch stärker ausgeprägt, weil er einige der Leute ja auch persönlich kennt. Das war, glaube ich, nicht immer ganz leicht für ihn. Allerdings darf man auch nicht vergessen, dass wir niemanden dazu gezwungen haben, einen Text zu schreiben. Das haben die Leute, die uns ihre Texte geschickt haben, schon ganz allein getan – so, wie es sich die Traditionslinke immer wieder als Forderung auf ihre Transparente malt: selbstbestimmt und autonom. Aber wie gesagt: Manchmal hatten wir trotzdem ein schlechtes Gewissen und ein bisschen Mitleid mit ihnen.
Und es ist wirklich niemandem aufgefallen, dass es sich beim Grossen Thier um einen Fake handelt?
Na ja, kurz nachdem die erste Ausgabe des Grossen Thiers erschienen war, haben wir als No Tears for Krauts eine kleine Stichelei gegen das Heft lanciert. Und auch im Grossen Thier haben wir immer mal wieder gegen die bösen, dummen, empiriefeindlichen, theoretisch ungebildeten Antideutschen, gegen die »Bahamas-Fraktion«, »Staats- und Rechtsfetischisten« usw. geschossen. Erst vor Kurzem haben wir ein kurze Auslassung auf den Thier-Blog gepackt, deren Autor eine Art Rassismusvorwurf gegen die No Tears for Krauts und einige befreundete Gruppen gebastelt und einen kaum verklausulierten Aufruf zur Gewalt formuliert hat: Wie mit uns umgegangen werden soll, ist keine Frage der Theorie mehr oder so. Das Artikelangebot hat uns dann schließlich auch in unserer Entscheidung bestärkt, die Bombe nach der zehnten Ausgabe platzen zu lassen: Wir wollten die Leserschaft des Grossen Thiers schließlich vor ihrer eigenen Denkfaulheit, ihrer eigenen Stereotypie und ihrem Ressentiment erschrecken lassen und keinen Lynchmob züchten.
Auf jeden Fall aber dürften solche verbalen Angriffe dazu beigetragen haben, dass niemand auf die Idee gekommen ist, dass das Grosse Thier ein großer Witz ist. Mit den entsprechenden Texten haben wir das enorme Abgrenzungsbedürfnis gegen die ewigen Stänkerer bedient. Es geht in der Linken ja weniger um den Inhalt als um den richtigen Stallgeruch. Oder anders: Es geht weniger um Reflexion als um Ressentiment. Wenn dieses Ressentiment dann auch noch von den gleichen sinnfreien Sprechblasen eingerahmt wird, die auch im Kopf der Leser blubbern, wächst die Fangemeinde.
Trotzdem hat es uns auch ein bisschen erschreckt, dass niemand das Ganze durchschaut hat. Selbst als wir in der letzten Ausgabe einen komplett aussagefreien Artikel unter dem Namen Julia Reiter veröffentlicht haben, mit dem wir damals den ALF-Text in der Phase 2 unterzeichnet haben, und das Ganze dann auch noch als Plakat gedruckt haben, hat sich niemand gewundert. Nur ein Genosse aus Freiburg hat uns dazu gratuliert, dass wir auch dem Grossen Thier einen Stuss-Artikel unterjubeln konnten. Er hat den Namen Julia Reiter gelesen, erkannt, dass der Text eigentlich gar kein richtiger Text, sondern eine Collage aus Dope-Gedanken ist, aber aus der Tatsache, dass er damit den anderen Artikeln der Zeitschrift wie ein Ei dem anderen gleicht, hat er keine Rückschlüsse gezogen. Das lag ganz einfach daran, dass man inzwischen einiges von linker Seite gewöhnt ist. Es gibt ja mittlerweile unzählige Zeitschriften, Blogs und Autoren die im vollen Ernst solche Artikel veröffentlichen wie wir im Grossen Thier aus Spaß.
Und wie soll es nun weitergehen? Werden wir demnächst erfahren, dass es auch Daniel Kulla nicht wirklich gibt und ihr hinter seinen Texten steckt?
Das ist eigentlich eine schöne Idee: der Wuschel als unsere fünfte Kolonne. Aber nein, der ist leider echt. Natürlich hoffen wir darauf, dass zumindest ein Teil der Leserschaft des Grossen Thiers zur Vernunft kommt und etwas mehr nachdenkt. Walter Benjamin schreibt ja irgendwo von der erkenntnisfördernden Kraft, die ein Schock manchmal haben kann. Beispiel Phase 2: Das ist immer noch keine hervorragende Zeitschrift, aber unsere Intervention scheint zumindest bei der Redaktion zu etwas mehr Selbstreflexion geführt zu haben. Es scheint nicht mehr jeder Mist veröffentlicht zu werden, das Heft ist dünner, aber auch etwas besser geworden. Und das ist schon viel Wert.
Wie wir jetzt in Sachen Grosses Thier weiter machen, wissen wir aber noch nicht. Einige von uns haben überlegt, in einer Erklärung zu behaupten, dass nicht das Grosse Thier gefakt ist, sondern die Bonjour Tristesse. Das Grosse Thier würde dann in derselben miesen Qualität weiter erscheinen wie bisher, und wir könnten nach ein, zwei Ausgaben die Autoren und Leser vorführen, die beim Heft geblieben sind. Andere von uns finden das aber albern. Wir sind also noch im Diskussionsprozess.
[…] Hier gibts noch ein bisschen mehr. […]
Noch eine Frage an NTfK:
Wie hoch war die Auflage der Zeitschrifte „Das grosse Thier“?
https://sites.google.com/site/universitaetbockwurst/wildbader-grubenhund