Radio Corax ist ein offener Kanal, ein Radio zum Mitmachen für alle, die sich selbst am Mikro austoben, andere mit ihrer Lieblingsmucke nerven oder den »Mainstream-Medien« etwas entgegensetzen wollen. Gerade diesen eigenen Anspruch, offen für jeden zu sein, müssen die Senderverantwortlichen, die oft einen linken oder linksalternativen Hintergrund haben, notwendigerweise schon mit ihrer Satzung einschränken. Ansonsten läuft man Gefahr, das zu wiederholen, was dem Offenen Kanal in Berlin passiert ist: Jahrelang konnten Nazis ihre Sendung Radio Germania über den Äther schicken, ohne dass der Kanal etwas dagegen unternehmen konnte. Bei Corax dürfen aus diesem Grund laut dem eigenen Statut keine Personen das Mikro übernehmen, die »faschistisches, rassistisches oder sexistisches Gedankengut verbreiten bzw. verbreiten wollen«. Auch für den Fall, dass zugeschaltete Zuhörer Ähnliches verlautbaren, gebe es klare Regeln, wie man im Programmheft des hallischen Senders Ende des vergangenen Jahres nachlesen konnte.
Das Programmheft thematisierte die Corax-Satzung nicht zufällig: Tatsächlich gab es einen Vorfall, bei dem ein Anrufer antisemitische Karikaturen des Stürmers beschrieb, um anschließend zu jammern, dass er die entsprechende Ausgabe leider nicht mehr habe. Auch der Moderator bedauerte dies wohl. Der Vorfall führte auf einem »Selbstverständnis-Wochenende« in Halberstadt – notwendiger- und richtigerweise – zu Diskussionen, wie so etwas zu vermeiden sei. Doch immer, wenn linke Gruppen oder Vereine, über ihr eigenes Selbstverständnis reden, folgen daraus nur zwei Dinge: 1. Die ermüdende Diskussion scheint nie zu enden; 2. Frei nach dem Spruch ›viele Köche verderben den Brei‹ werden schwammige Festlegungen getroffen.
Auch das Ergebnis der Corax-Diskussion ist unkonkret und liegt inhaltlich voll im Trend, da es den Veröffentlichungen von Awareness-Teams gleicht (vgl. in diesem Heft zu Awareness-Teams: Justus Wertmüller: Nicht wie die stolze Rose, die immer bewundert sein will). Es kann wie folgt zusammengefasst werden: Diskriminierung muss bewusst gemacht werden! Die Autorin Philine schreibt im Programmheft wie folgt: »Diskriminierung ist mitnichten an Worte und Formulierungen gebunden. Sie beginnt dort, wo sich Personen, Hörende, gemeint und verletzt fühlen.« Um bei niemanden ein Gefühl des Unwohlseins hervorzurufen, das nicht von einer Magenverstimmung oder einem Stimmungstief herrührt sondern als Diskriminierung ausgelegt wird, solle eine andere Alltagskultur geschaffen werden: »auf Worte achten, Kontexte schaffen, in denen Formulierungen richtig verstanden werden, auf Feedback reagieren und die angestoßene Diskussion ergebnisoffen führen«.
Philine und die anderen Radio-Engagierten haben sich damit eine Richtlinie auferlegt, die hinter das eigene Statut zurückfällt, das genau benennt, wem man verbietet die Regler zu bedienen. Wenn der Beschluss der Halberstädter Selbstfindung praktiziert wird, heißt das letztendlich, dass Beiträge, in denen kritisiert, polemisiert oder gar ein Witz gemacht wird, verunmöglicht werden. Denn es könnte ja sein, dass sich auch nur ein einziger Hörer »verletzt fühlt«. Und mit dem schlechten Gefühl beginnt die »Diskriminierung«. Da man darauf bedacht ist, korrekt und hoffentlich diskriminierungsfrei zu formulieren, spricht man zum Beispiel gern in der gegenderten Form. Wie etwa die Moderatorin am 15. April 2015 in der abendlichen »Tagesaktuellen Sendung«, die tatsächlich die Attentäter auf die Charlie-Hebdo-Redaktion und den jüdischen Supermarkt als »ExtremistInnen, TerroristInnen, IslamistInnen« bezeichnete. Vielleicht war es der – nur ein ganz wenig abwegige – Hintergedanke, dass sich auch diese Männer wie Frauen gefühlt haben. Bloß nix Falsches sagen! [msd]
Der beste Mix für Wohlfühllinke
19. Oktober 2015 von bonjour tristesse
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