Ende März lud der hallische Trinker- und Schlägertrupp »Brigade Halle/Saale« zur Zusammenrottung aller aufrechten Plattenbaubewohner nach Halle-Silberhöhe ein. Der Grund: Die Stadt möchte ein neues Asylbewerberheim in der Nachbarschaft eröffnen.
Zu jeder guten Familienfeier gehört ein besserwisserischer Cousin, der dem Rest der Familie Tischmanieren beibringen möchte. Bekanntermaßen schlagen seine Versuche ebenso fehl, wie die Versuche des Bündnisses gegen Rechts (BGR) Halle mittels Bildungswochen die Silberhöhe in einen Hort der multikulturellen Eintracht zu verwandeln. Am Ende des Abends ist man sich nach all den Zankereien dennoch einig, dass Blut dicker als Wasser ist – der Hallepass also wichtiger als die Gesinnung. Entsprechend rief das Hallenser Bündnis dazu auf, »die Einwohner dieses Stadtteils« vor einer »Instrumentalisierung« durch Neonazis zu schützen.
Hinter vorgehaltener Hand gestehen die engagierten Demokraten des BGR natürlich ein, dass die Realität eine ganz andere ist. Beim Großteil der Silberhöhebewohner bedarf es eben keiner aufwendigen Instrumentalisierung, um gegen alles Fremde zu hetzen und vorzugehen. Andere zu quälen und ihnen das Leben zur Hölle zu machen, gehört in Vierteln wie der Silberhöhe zum guten Ton. Sind es nicht Zugezogene, knöpft man sich wahlweise den unliebsamen Nachbarn oder Fußballfans des 1. FC Magdeburg vor. Einen Aufmarsch der Plattenbaubewohner zu blockieren, der nur die Wahrheit über die Silberhöhe repräsentiert oder »Nazis raus!« an einem Ort zu brüllen, zu dem sie gehören wie die Yogaläden zum Paulusviertel, dient vor allem einem Zweck: um jeden Preis den Schein einer »weltoffenen« Stadt aufrechtzuerhalten. Für die Stadt ist das Engagement gegen Nazis eine ökonomische Notwendigkeit. Will sie weiterhin internationale Akademiker und Fachkräfte anlocken, so darf der Ruf einer »weltoffenen« und »multikulturellen« Stadt keinesfalls bröckeln. Das BGR ist damit, entgegen der Selbstdarstellung seiner Protagonisten, nicht kritischer Stachel im Fleisch der Stadt Halle, sondern verlängerter Arm ihrer Interessen. Ihnen geht es weniger um das Wohlergehen und die Sicherheit der Flüchtlinge und Roma als um das Stadtimage und die Integration ihrer Volksgenossen aus der Silberhöhe in das neue, sich antirassistisch gebende Deutschland. Entsprechend dazu und entgegen besseren Wissens erklärte eine Sprecherin des BGR, das sich in Bündnis gegen die Realität umbenennen sollte: »Umso mehr freuen wir uns über Bewohner_innen der Silberhöhe, die durch ihre Teilnahme am demokratischen Protest zeigten, dass sie mit rassistischer Hetze nicht einverstanden sind.« Dabei wird wohl nicht einmal das BGR bezweifeln, dass der Anteil an Silberhöhebewohnern bei seiner Kundgebung noch kleiner gewesen ist als der Ausländeranteil Sachsen-Anhalts.
Die Gruppe gegen deutsche Normalität verweigerte sich unterdessen dem Dienstleistungsunternehmen BGR und besetzte ein Haus im hallischen Paulusviertel. Ihre Forderungen: Die Unterbringung von Flüchtlingen und günstige Wohnungsangebote für die Betroffenen rassistischer Bedrohungen und Gewalt im Paulusviertel und der Innenstadt statt in der Silberhöhe und Halle-Neustadt. Wenigstens äußere sich die Fremdenfeindlichkeit im Stadtzentrum nicht in physischer Gewalt. Die Silberhöhe solle im Gegenzug eine Grenzanlage erhalten – eine Tradition, mit der die Ostdeutschen Erfahrung haben. »Denn dann«, so die Gruppe, »könnten die Bewohner und Bewohnerinnen, wie stellvertretend von der ›Brigade Halle/Saale‹ propagiert, ihr ›survival of the fittest‹ spielen und sich in Ruhe gegenseitig terrorisieren.«
Bündnis gegen die Realität Halle
19. Oktober 2015 von bonjour tristesse
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