Die großen Kampagnen zum Nichtraucherschutz sind inzwischen erfolgreich abgeschlossen. In öffentlichen Gebäuden und Verkehrsmitteln, Restaurants und vielen (in Bayern und Nordrhein-Westfalen sogar in allen) Kneipen und Diskotheken herrscht Rauchverbot. Mit den gesetzlichen Regelungen einher geht nicht nur etwa das Verschwinden des einstmals zur Gastfreundlichkeit gehörenden Aschenbechers auf dem Balkon von Nichtrauchern, sondern auch wenigstens teilweise eine regelrechte Blockwartmentalität sich permanent bedroht und gestört fühlender Nichtraucher.
Diese Mentalität soll nun in Halle in Form eines Nichtraucherhauses institutionalisiert werden: Prospektive Mieter sollen sich per Zusatzvertrag verpflichten, dass weder in der Wohnung noch auf dem Balkon geraucht wird, wobei nach dem zweiten Verstoß dem Mieter gekündigt werden kann. Für Gäste gibt es keine Ausnahmen im Wohnbereich, sondern nur einen abgelegenen Bereich auf dem Gelände. Überwacht werden wird das natürlich von den Nachbarn.
Initiator des geplanten Wohnprojekts ist neben der Wohnungsgenossenschaft Halle-Süd die Organisation Pro-Rauchfrei, auf deren Homepage der Vorsitzende Siegfried Ermer erklärt, das Pilotprojekt diene dazu, Vermietern zu zeigen »wie sie das wachsende Bedürfnis nach rauchfreien Mietwohnungen einfach und effizient umsetzen können«. Allerdings ist bislang ziemlich fraglich, ob eine Kündigung aufgrund eines solchen Zusatzvertrages vor Gericht bestand hätte. Zwar können Mieter bisher dazu gezwungen werden, etwa im Treppenhaus nicht zu rauchen oder zu verhindern, dass der Rauch aus der Wohnung in den Flur zieht. Selbst auf dem Balkon kann das Rauchen verboten werden, wenn sich Nachbarn gestört fühlen. Indes kann das Rauchen bislang nicht generell in der Wohnung und auf dem Balkon verboten werden. Allerdings gibt sich Ermer überzeugt, »dass sich die Gerichte allmählich dem Nichtstörer (Nichtraucher) zuwenden werden, auch wenn es die Juristen der Störer (Raucher) zu verhindern versuchen«.
Die aggressive Wortwahl vom »Störer«, die nicht weniger als eine Feindbestimmung ist, macht deutlich, dass es um mehr geht, als um die Frage, ob Passivrauch den Nachbarn belästigt. In einem Flyer zum »Rauchfrei Wohnen« von Pro-Rauchfrei heißt es: »Die Gesundheit des Menschen ist laut WHO: ›ein Zustand des vollständigen körper-lichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.‹ Wir bekennen uns zum uneingeschränkten Recht aller Bürger auf eine von Tabakrauch freie Atemluft.« Der Raucher stört also das vollständige körperliche, geistige und soziale Wohlbefinden. Am Nichtraucherwesen soll die Welt – oder wenigstens die Produktionsgemeinschaft Deutschland – genesen.
Dabei abstrahiert die Gesundheitsdefinition der WHO, auf die sich die Nichtraucherschützer hier stützen, von der gesellschaftlichen Bestimmtheit des Gesundheitsbegriffs. Die Bestimmung des Einzelnen als »gesund« bedeutet, die körperlichen und seelischen Voraussetzungen zu erfüllen, seiner gesellschaftlichen Funktion nachkommen zu können. Gesundheit ist also nicht bloß ein Zustand, sondern zugleich auch der Zwang, sich zu sich selbst als Ware Arbeitskraft verhalten zu müssen. Von dieser Bestimmung aus lässt sich der Nichtraucherschutz als Teil einer gesellschaftlichen Tendenz zur Generalmobilisierung der Ware Arbeitskraft begreifen (vgl. dazu auch das Interview mit Clemens Nachtmann Die Mobilmachung ist zum Dauerzustand geworden in Bonjour Tristesse # 16), die in der Forderung besteht, ständig an sich selbst, das heißt: der eigenen Arbeitskraft zu arbeiten, sei es durch »Fit for Fun«, »Lebenslanges Lernen« oder das Knüpfen potentiell verwertbarer Kontakte. So erodiert – oder vielleicht auch: transformiert sich – der, wie scheinhaft auch immer von der Arbeitssphäre geschiedene Privatbereich, der nicht mehr passive Reproduktionssphäre ist, sondern Zeit für die Arbeit am Selbst.
Die innere Logik dieser Tendenz ist aber nicht nur lästig, sondern auch politisch brandgefährlich: Bei aller eigenen Anstrengung wird sich das erhoffte vollständige Wohlbefinden nämlich nicht einstellen, und das verlangt nach dem äußeren Feind. Vorläufig werden die Schuldigen diejenigen sein, die angeblich aus »Egoismus« und »Triebhaftigkeit«, tatsächlich aber, weil sie oftmals schlechterdings keinen Sinn darin erkennen können, permanent an sich zu arbeiten, jedenfalls vorerst nicht mittun werden: Schon jetzt sind Rauchen oder fettige Ernährung Stigmata der Unterschicht – und nicht zufällig liegt der Quadratmeterpreis im Hallenser Nichtraucherhaus mit 10 Euro deutlich über dem letzten Mietspiegel (unter 7 Euro), was der Nachfrage aber keineswegs schadet. Indem Rauchen, Essgewohnheiten und Sport an den sozialen Status geknüpft werden, steigt im Angesicht des von Abstiegsangst zerfressenen Angestelltenmilieus der gesamtgesellschaftliche Druck zum Konformismus nicht nur im geplanten Nichtraucherhaus, sondern auch in den von Weißmehl und Süßigkeiten befreiten Kindergärten, gesundheitspolitisch verantwortlichen Schulen, am Arbeitsplatz und in den Familien.
Wahrscheinlich wird das Vorhaben, ein komplett rauchfreies Mietshaus zu installieren, diesmal noch an den juristischen Hürden scheitern. Zugleich erlaubt dieses Projekt aber einen mikrologischen Blick auf die kommende Gesellschaft, die statt Gastfreundschaft nur die aggressive Freundlichkeit pädagogischer Verachtung kennt, die sich in den Warnhinweisen auf die Schädlichkeit des Rauchens ausdrückt und in der dann nicht nur der Nachbar – wieder einmal – vor allem ein politisch und volksgemeinschaftlich legitimierter Denunziant im Wartestand ist, der das private Verhalten seiner Umwelt auf seine Gesundheits- und Sozialverträglichkeit hin überwacht. [le]
Rauchfreie Blockwarte
30. März 2015 von bonjour tristesse
Und wann bitte lassen alle diese „Blockwarte“ auch endlich mal ihre Autos – bevorzugt SUVs – in der Garage und gehen zu Fuß zum Bioladen? Wie sauber wäre dann auch endlich die Luft auf dem Weg zur NIchtraucherkneipe!