Sören Pünjer schreibt über linke Magdeburger, die Montagsdemonstrationen und die Einladung eines Friedensforschers nach Halle. Der Text ist die leicht überarbeitete und gekürzte Fassung eines Vortrages, den unser Autor im Mai 2014 in Halle auf einer Veranstaltung im Rahmen der Antifaschistischen Hochschultage der AG Antifa im Stura gehalten hat.
Der Linken Jugend- und Hochschulgruppe Magdeburg kommt das Verdienst zu, als erste eindringlich vor den montäglichen Friedensdemonstrationen in zahlreichen deutschen Städten gewarnt zu haben. Schon im März 2014 konnte man auf ihrer Homepage anlässlich einer in Magdeburg angemeldeten Demonstration lesen: »Wir haben ein bisschen recherchiert und sind dabei auf eine üble Mischung aus verschwörungsideologischem Denken, rechtsesoterischer Lyrik, zutiefst antisemitischer Bildsprache und Truther-Propaganda gestoßen, was uns letztlich dazu bewogen hat, eindringlich vor dieser Demonstration zu warnen«. Hier einige Beispiele für das Gedankengut, vor dem die angehenden Linkspartei-Funktionäre so eindringlich warnten: »Lasst euch nicht ablenken vom Massenentertainment, bleibt kritisch!«; »Militär und Demokratie sind unvereinbar«; »Kinder an die Macht!«; »Volksentscheidung statt Volksenteignung«; »Für eine neue Erde in Frieden«; »Deutschland ist kein Sozialstaat mehr. Die Gewinne werden nach oben verteilt, unten kommt nichts an, und um unsere Ersparnisse müssen wir auch bangen«; »Artikel 149 (GG) – wir wollen eine Verfassung«; »Bankenmonopol unschädlich machen. Gewinne aus Kapital als Bedingungsloses Grundeinkommen umverteilen!«; »Lebt wieder mit der Natur und nicht von der Natur!«; »Das Zinsenszinsenschuldengeldsystem überwinden!«; »Natürliche Wirtschaftsordnung statt parasitärem Kapitalismus« sowie »Hört auf uns Bürger«. Angesichts dieses kruden, autoritären, ressentimentgeladenen und verschwörungstheoretischen Zeugs kann man sich der Schlussfolgerung der linken Gruppe eigentlich nur anschließen, wenn sie folgendes schreibt: »Eine friedliche und freiheitliche Welt ist nur in Abgrenzung und Bekämpfung derartig rechten Gedankengutes möglich. Keine Querfront mit rechten Verschwörungsheinis«.
Leider hat die hier geschilderte Sache einen Haken. Die zitierten Parolen stammen gar nicht von der besagten montäglichen Friedensdemo, sondern sind allesamt Bestandteil der 95 Thesen der Empörten zu Magdeburg, die die Initiative Echte Demokratie Jetzt! Ende Oktober 2011 als »modernes Magdeburger Pendant« von Luthers Wittenberger Thesenanschlag an die Tür des Magdeburger Rathauses gepinnt hatte. Einer der Hauptverantwortlichen der Initiative ist Robert Fitzke, seines Zeichens Ansprechpartner in der Magdeburger Regionalgeschäftsstelle der Partei Die Linke. Fitzke durfte im Juli 2011 die Idee von Echte Demokratie Jetzt! auch im hallischen freien Radiosender Corax ausbreiten. Begeistert zitierte er dort eine Passage aus dem spanischen Empörten-Manifest M-15, die besagt, dass die politischen Kategorien links und rechts im gemeinsamen Kampf irrelevant seien: »Einige von uns bezeichnen sich als aufklärerisch, andere als konservativ. Manche von uns sind gläubig, andere wiederum nicht. Einige von uns folgen klar definierten Ideologien, manche unter uns sind unpolitisch, aber wir sind alle besorgt und wütend angesichts der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Perspektive, die sich uns um uns herum präsentiert.«
EINE DRINGENDE WARNUNG
Es ist bemerkenswert, dass sich ein linker Parteikader jenseits von rechts und links in Stellung bringt, ohne dass man ihm den handelsüblichen Querfront-Vorwurf macht, der angesichts der von ihm mit zu verantwortenden »Thesen« eigentlich postwendend fällig sein müsste. Stattdessen erhielt sein Ansinnen Beifall auf offener Szene: Die Magdeburger Gruppe von Echte Demokratie Jetzt! wird unter anderem von der sachsen-anhaltischen Rosa-Luxemburg-Stiftung, von der Linksjugend Sachsen-Anhalt und vom Magdeburger SDS, dem Studierendenverband der Linkspartei, unterstützt. Noch nicht einmal die Antifa rückte den Magdeburger Empörten auf die Pelle, und das, obwohl eine der Thesen den vermeintlich »parasitären Kapitalismus« anprangerte und stattdessen nach einer »natürlichen Wirtschaftsordnung« verlangte – eine Forderung die man traditionell von Kameraden in den verschiedensten Brauntönen kennt und die man mittlerweile selbst in linken Jugend- und Hochschulgruppen als zutiefst antisemitische Bildsprache zu dechiffrieren gelernt hat.
Dass die Linke Jugend- und Hochschulgruppe Magdeburg im Gegensatz zu den montäglichen Friedensdemos im Fall von Echte Demokratie Jetzt! nicht gegen das dort anzutreffende verschwörungsideologische Denken, die rechtsesoterische Lyrik und die antisemitische Bildsprache protestierte und von einer Teilnahme abriet, hat einen ganz banalen Grund: Ihre Mitglieder sympathisieren nicht nur mit Echte Demokratie Jetzt!, sondern gehören selber zu deren Initiatoren. Sie waren laut eigenem Bekunden an der »Magdeburger Aktion […] nicht ganz unbeteiligt«. Ihre Alarmglocken läuteten im Falle der montäglichen Friedensdemos wohl deshalb so schrill und heftig, weil man ein wenig zu deutlich bei deren Organisatoren das eigene Konzept einer Sammlungsbewegung um jeden Preis wiedererkannt hatte. Angesichts des eigenen pluralistischen Ansatzes fühlte man sich vermutlich dabei ertappt, dass man linke Kampfbegriffe wie Querfront oder Neurechts konsequenterweise auch auf sich selbst hätte anwenden müssen. Vermutlich hat die Linke Jugend- und Hochschulgruppe Magdeburg erkannt, dass das Mobilisierungspotential für Echte Demokratie Jetzt! sich gar nicht so sehr vom Mobilisierungspotential der »rechten Verschwörungsheinis« unterscheidet. Anders lässt sich kaum die Vehemenz, ja regelrechte Drohung verstehen, mit der sie das eigene Klientel von einer möglichen Beteiligung an den Montagsdemonstrationen abhalten wollte: »Als linker Jugend- und Studierendenverband, der es sehr ernst meint mit dem Kampf für eine friedliche Welt, müssen wir dringend davor warnen, auf diese Demonstration zu gehen [Hervorh. S. P.]«.
Richtig geschmerzt haben muss es die linken Aktivisten, als am 21. April 2014 ein ausgemachter Querfrontler wie Jürgen Elsässer auf einer Montagsdemonstration in Berlin im Grunde nichts anderes feilbot, als eine Kopie der Echte-Demokratie-Jetzt!-Idee: »Links und Rechts sind out, es geht um uns hier unten gegen die da oben!« Damit stellte Elsässer klar, dass keine linke Jugend- und Hochschulgruppe dieser Welt ein Monopol auf echten emanzipatorischen Bewegungspluralismus hat. Sein auf besagter Demonstration gehaltener Redebeitrag klingt dann auch so, als würde er aus dem spanischen Empörten-Manifest zitieren: »Wir sind nicht einheitlich, wir sind vielfältig. Wir haben in den meisten Fragen ganz unterschiedliche Meinungen. Wenn wir anfangen zu diskutieren über Nation und Familie, über Gott und die Welt, über die Zukunft des Geldsystems – dann werden wir uns nicht einig. Aber diese Pluralität ist nicht unsere Schwäche, sondern sie ist unsere Stärke«. Am Ende seiner Berliner Rede fügte Elsässer noch ein wenig Prozentrechnung hinzu, die dem einen oder anderen bekannt vorkommen dürfte: »Links und Rechts sind out. […] Heute haben wir eine andere Spaltung: Hier die 99 Prozent der Ehrlichen und Arbeitenden – und dort das eine Prozent der internationalen Finanzoligarchie«.
KONKURRIERENDE BANDEN
Es lässt sich nicht einfach als taktisches Manöver abtun, wenn sich Elsässer auf die Occupy-Bewegung beruft. Er tut das völlig zu Recht. Auch der Anspruch von Occupy war weder rechts noch links, und auch Occupy nahm das eine Prozent der Finanzoligarchie ins Visier. Auch wenn die Occupy-Anhänger lieber den Begriff »Wallstreet« im Munde führten, war damit nicht nur dasselbe gemeint wie auf den montäglichen Friedensdemos, auch das allerseits verwendete Vokabular war dem Original aus NS-Zeiten bedenklich nahe. Erstaunlich ist, wie wenig diese Parallele, ja inhaltliche Deckungsgleichheit überhaupt gesehen wird, beziehungsweise gesehen werden will. Einer der ganz Wenigen, denen das überhaupt aufgefallen war, ist der bewegungslinke Politaktivist Pedram Shahyar. Seit er nicht mehr im Attac-Koordinierungsrat sitzt, betreibt er in seiner Freizeit eine Art globales Bewegungshopping und schaut sich überall auf der Welt sogenannte soziale Bewegungen vor Ort an. Als er am 5. Mai 2014 auf einer Montagsdemonstration in Berlin sprach, erhielt er erstaunlich viel Beifall für seine Worte gegen Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus. Vorab erklärte der Bewegungsexperte gegenüber der Taz seine Motivation für seinen Auftritt so: »Ich wehre mich gegen eine pauschale Kritik an den Teilnehmern, weil sie mehrheitlich aus demselben Spektrum kommen wie das auch bei Occupy-Demos war. […] Auch Occupy hatte viel Spiritualität, viele Verschwörungstheorien.« Es ist schon erstaunlich, dass nicht nur die Taz und nahezu alle Linken diesen Fakt ignorieren. Ebenso wird schlichtweg ignoriert, dass die Unterscheidung zwischen raffendem und schaffenden Kapital konstitutiv für die Occupy-Idee war und sie aus dem Ungeist der sogenannten Truther-Bewegung geboren wurde, die nicht nur 9/11 für einen »Insidejob« hält, sondern generell davon ausgeht, das »wir« von geheimen Mächten und Drahtziehern regiert und gelenkt werden. Am selben Gedankenmüll, den man zu Hochzeiten von Occupy noch als fortschrittlich abfeierte, lässt man im Falle der Montagsdemos plötzlich kein gutes Haar mehr: Die Taz nennt die Demonstranten »Verwirrte« und »Neurechte«. Attac erkennt urplötzlich sogar »NSDAP-Forderungen«, wenn auf den Montagsdemos gegen das Finanzkapital und den Zins gewettert wird, wie es nicht nur bei Occupy üblich war. Ganz zu schweigen davon, dass der Hass auf Finanzkapital und Zins der zentrale Grund war, warum Attac überhaupt ins Leben gerufen wurde.
Pedram Shahyar rechtfertigt seine Beteiligung an den Montagsdemonstrationen ausdrücklich damit, dass er Verschwörungstheorien für den Anfang der Ausprägung eines kritischen Bewusstseins hält. Mit dieser Position dürfte er unter Linken auf den ersten Blick recht einsam dastehen, weil man dort allenthalben pauschal bekundet, links zu sein bedeute, schlichtweg jeder Verschwörungstheorie entgegenzustehen. Auf den zweiten Blick jedoch sieht das schon anders aus. Wenn Pedram Shahyar zur Begründung seiner Sicht gegenüber der Taz ausführt, dass »solche Theorien […] Ausdruck davon« seien, »dass die äußere Wirklichkeit einem nicht mehr als bändigbar erscheint – um dann zu sagen: Was uns präsentiert wird, stimmt nicht, wir wollen die Zusammenhänge verstehen«, dann dürften ihm etliche Linke die Zustimmung kaum verweigern. Schließlich präsentiert Shahyar hier im Grunde nichts anderes als eine Variation des Mottos, dass man die Leute da abholen müsse, wo sie stünden. Die Erklärung, warum Occupy innerhalb der deutschen Linken auf breite Zustimmung stieß, die Montagsdemos hingegen auf Ablehnung, liegt im ungeschriebenen Bandengesetz des Konkurrierens um Einfluss und Macht – getreu der Platzhirschmentalität deutscher Touristen bei Liegestuhlreservierungen im Auslandsurlaub, die schamlos für sich reklamieren: Wir waren nun mal zuerst da.
ANTISEMITISCHE TICKETMENTALITÄT
Im Grunde hat Pedram Shahyar eine hervorragende Analyse der individuellen Disposition für Verschwörungstheorien geliefert. Wenn er betont, dass Verschwörungstheorien »Ausdruck davon« seien, »dass die äußere Wirklichkeit einem nicht mehr als bändigbar erscheint«, dann kommt er den Erkenntnissen der Kritischen Theorie über das potentiell faschistische Individuum und dessen Ticketmentalität sehr nahe, über die Adorno und Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung bekanntlich feststellten, dass bereits sie und nicht erst das bewusste Zücken des ausgewiesen judenfeindlichen Tickets antisemitisch sei. Im Gegensatz zu Horkheimer und Adorno sieht Shahyar darin jedoch nicht das Problem, sondern erkennt im Verschwörungsdenken gar die Vorstufe zur Mündigkeit des Individuums. Der ohnmächtige Einzelne, der der Wirklichkeit nicht mehr gewachsen ist, versucht sich ihr durch pathische Projektion zu entziehen. Das Benutzen von Verschwörungstheorien zur Welterklärung, bei Occupy ebenso wie bei den Montagsdemonstrationen, ist Ausdruck einer individuellen Weigerung, die realen Zusammenhänge überhaupt erst erfassen zu wollen, also das Gegenteil von Mündigkeit. Es ist die Abdichtung gegen die Realität, ein Wahngebäude, in das man, als wäre man sein eigener persönlicher Blockwart, nichts mehr hinein lässt, was den buchstäblichen Ordnungs-Wahn stören könnte. Dies funktioniert nur, wenn man eigene Persönlichkeitsanteile als fremd identifiziert und durch Projektion von sich weist, um so vor sich selbst als Saubermann mit reinem Gewissen dazustehen. Die Gleichung 99 zu 1, die bei Occupy und den Montagsdemonstranten gleichermaßen hoch im Kurs steht – hier die ohnmächtigen 99 und dort das differente machthabende eine Prozent –, bringt genau jene »Wut auf die Differenz« zum Ausdruck, das laut Adorno und Horkheimer für das »Ressentiment der beherrschten Subjekte« charakteristisch ist: Im »Nebel der Verhältnisse von Eigentum, Besitz, Verfügung und Management« versuchen sich jene mit Gewalt eine vermeintlich klare Sicht auf die Verhältnisse zu verschaffen und müssen dies irgendwann sogar zwanghaft.
»ENDLÖSUNGSWEG FÜR ISRAEL«
Wenn man aus dem Anhänger von Verschwörungstheorien statt eines potentiell faschistischen ein potentiell kritisches Individuum macht, dann stört eine zentrale Erkenntnis über den Antisemitismus grundlegend. Der darf dann in keinem Fall das sein, was er ist: nicht einfach das bloße hässliche Ressentiment gegen real existierende Juden – dafür passt in der Regel die Kategorie der Fremdenfeindlichkeit viel besser –, sondern eine Welterklärung. Leute, die im Gegensatz dazu den Antisemitismus für eine rassistische Sonderform halten wollen, können dann auch gegen die Kritiker des linken Kleinredens und Verharmlosens des Antisemitismus nur folgendes zu Papier bringen: »Ihre Antisemitismus-Vorwürfe […] sind völlig entkoppelt von dem, was Linke wirklich über Juden sagen. […] Auf diese Weise wird der Antisemitismusvorwurf zu einem Herrschaftsinstrument degradiert […], um die letzten Reste antikapitalistischer Opposition in der BRD zu marginalisieren und letztlich aus dem Weg zu schaffen.« Geschrieben hat diese Zeilen eine Arbeitsgruppe der Linksjugend und des SDS – der Bundesarbeitskreis Antimilitarismus und Frieden. Die zitierten Sätze stammen aus einem Pamphlet mit dem Titel Halle Crime – »Antideutsche« greifen Friedensveranstaltung in Sachsen-Anhalt an. Erschienen ist es anlässlich der Störung einer Veranstaltung der hallischen Links-Alternativen Hochschulgruppe Ende November 2013. Eingeladen hatte man sich den sogenannten Friedensforscher Professor Werner Ruf, der zum Thema »Der Iran im Fadenkreuz westlicher Interessen« referierte. Als Vertreter des weltweit einzigartigen, nur in Deutschland existenten Berufsstandes der Friedensforscher tritt Werner Ruf für das Ende des jüdischen Staates Israel ein. Dies stieß in Halle dankenswerterweise auf Protest durch die AG »No Tears for Krauts« und das Offene Antifaplenum Halle und brachte dem Herrn Professor einen Antisemitismusvorwurf ein, was wiederum für Empörung bei der Links-Alternativen Hochschulgruppe sorgte. Und das, obwohl selbst Gregor Gysi, der große Vorsitzende auch der Links-Alternativen Hochschulgruppe, gegenüber der Tageszeitung Die Welt auf die Frage, wo denn die Grenze zwischen legitimer Kritik an Israel und Antisemitismus zu ziehen sei, festgestellt hatte: »Dort, wo das Existenzrecht Israels infrage gestellt wird«.
Worin nun äußert sich die Infragestellung Israels bei Werner Ruf? Zum Beispiel in seiner Unterstützung einer Propagandashow namens Nakba-Ausstellung, in der das sogenannte Rückkehrrecht der Palästinenser gefordert wird, von dem auch Ruf ganz genau weiß, dass die Umsetzung dieses angeblichen Rechtsanspruches schlicht und ergreifend das Ende der Existenz des Staates Israel als ein jüdischer bedeuten würde. In einem Artikel mit dem Titel Lösungswege für den israelisch-palästinensischen Konflikt, den er besser mit »Endlösungsweg für Israel« überschrieben hätte, outet sich Werner Ruf als ein völkischer Beobachter par excellence: Beim sogenannten Rückkehrrecht handele es sich um einen »Rechtsgrundsatz«, denn schließlich »stammt der Großteil der Flüchtlinge (und ihrer Nachfahren) aus dem heutigen israelischen Staatsgebiet und hat damit auf der Grundlage des Völkerrechts ein prinzipielles Rückkehrrecht an den Ort, an dem sie oder ihre Familien vor der Vertreibung lebten« (Hervorh. S. P.). So geht links-deutsche Friedensforschung bei einem, dessen Hass auf Israel sich in starkem Maß aus antinationaler Quelle speist und der vermutlich fest daran glaubt, dass das völkische Denken, bei dem territoriale Ansprüche per Blutsbande an Nachfahren und Familien weitergegeben werden, für immer und ewig ein explizit rechtes Alleinstellungsmerkmal ist. Nicht im Traum käme er darauf, dass es sich bei seinen Argumenten eigentlich um NPD-Logik in Reinform handelt, derer sich aktuell mit selten gehörtem Antifa-Wortgeklingel auch die Putin-Regierung bedient, die vor kurzem Nachfahren und Familien russischen Blutes samt Boden heim ins Reich geholt hat.
Weil sich Werner Ruf die entscheidende Frage, warum Israel ein jüdischer Staat bleiben muss, nur damit beantworten kann, dass der israelische Staat irgendwie auf Palästinenserunterdrückung und Apartheid steht, glaubt er im jüdischen Charakter Israels die Ausgeburt des Nationalismus schlechthin erkannt zu haben. Nationalismus hält er ausnahmslos für einen Anachronismus, und somit ist für ihn auch das jüdische Israel ein besonders unzeitgemäßes Gebilde. Eine dringende Notwendigkeit für den jüdischen Charakter Israels sieht Ruf schon deshalb nicht, weil auch er das traditionell antirassistische Verständnis von Antisemitismus pflegt, der als Sonderform des Rassismus ohnehin nur von Weißen ausgehen könne. In Werner Rufs Anmerkungen zu Katja Kipping: Linker Zugang zum Nahostkonflikt klingt das dann so: »Antisemitismus stammt aus biologischen Theorien des 19. Jahrhunderts, [die] die sog. ›semitische Rasse‹, also auch die Araber, für biologisch minderwertig erklärte.« Die strunzdumme Argumentationsfigur, dass Araber schon deshalb keine Antisemiten sein können, weil sie doch selber Semiten seien, ist seinerzeit nicht nur von Jassir Arafat bemüht worden. Akademisch aufpoliert hat sie Edward Said in seinem unsäglichen Orientalismus-Buch, auf das Ruf regelmäßig begeistert zu sprechen kommt.
Wollte man es ihm gegenüber mit ein wenig Nachsicht formulieren, könnte man sagen, dass Ruf aufgrund seines falschen Antisemitismusbegriffes die Bedeutung des Staates Israel als ein jüdischer vernachlässigen muss. In seinem Begriff hat weder die zentrale Bedeutung des islamischen Israelhasses einen Platz noch ein Verständnis vom Nationalsozialismus, der im Antisemitismus sein Schmiermittel und Kitt zugleich hatte. Ruf ignoriert, dass der Antisemitismus den Nationalsozialismus überhaupt erst möglich machte, als Gemeinwesen zusammenhielt und gerade deshalb den maßlosen, jeder Ratio Hohn sprechenden kollektiven Vernichtungswillen hervorbrachte. Deutlich wird das insbesondere an Rufs regelrechter Begeisterung für das soziale Engagement zweier ganz besonders antisemitischer und deshalb auf Israels Vernichtung drängenden Organisationen: »Sind Hamas und Hizbullah Reaktionäre, weil sie die einzigen Akteure in der Region sind, die für eine erhebliche Verbesserung der sozialen Situation der Menschen sorgen?«, fragt er, ohne auch nur auf die Idee zu kommen, dass er sich in dieser Logik konsequenterweise auch die folgende Frage stellen müsste: Kann die NSDAP, die damit reüssierte, dass sie ab 1933 unbestritten für eine erhebliche Verbesserung der sozialen Situation der arischen Volksgenossen sorgte, überhaupt als reaktionär gelten?
Man sollte sich endlich vom Irrglauben verabschieden, dass das Adjektiv reaktionär eine Art Gegenstück zum Adjektiv sozial sei, denn der berühmten sozialen Frage ist die Endlösung der Judenfrage keineswegs äußerlich. Das soziale Engagement von Hamas und Hisbollah für die moslemischen Brüder und Schwestern ist zentraler Teil der antisemitischen Gemeinschaftsbildung gegen den zu bekämpfenden Feind. Es wird dem Einzelnen für die Erbringung des totalen Opfers bis in den Märtyrertod, für die völlige Selbstaufgabe also, zuteil. Das Rekrutieren von Selbstmordattentätern ist ohne die von Hamas und Hisbollah garantierte Sozialleistung gar nicht möglich. Sie ist sogar dessen Voraussetzung. Für die hinterbliebenen Angehörigen eines suicide bombers zu sorgen, ist das soziale Versprechen, an das der einzelne Dschihadist glauben können muss, um sich für die Umma »freiwillig« zu opfern.
DAS SCHLECHTE GEWISSEN
Um eine ausreichende Antwort auf die Frage zu geben, warum Linke sich so schwer damit tun, den Antisemitismus in ihren eigenen Reihen überhaupt also solchen wahrzunehmen, ihn stattdessen kleinreden und ihm wie in Magdeburg sogar eine Plattform geben, kommt man am linken Faschismus-Verständnis nicht vorbei. Anfang letzten Jahres schrieb der ehemalige Radio-Moderator Ken Jebsen, mittlerweile Autor für Jürgen Elsässers Compact-Magazin und prominenter Redner auf den montäglichen Friedensdemos, in einem Offenen Brief an Angela Merkel: »Nationalzionisten haben Israel okkupiert wie die Nazis ’33 Deutschland okkupiert haben.« Über Ken Jebsen hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass er ein Antisemit ist. Der zitierte Satz weist ihn jedoch auch als einen Antifaschisten in der Tradition Georgi Dimitroffs und Ulrike Meinhofs aus, für die der Antisemitismus maximal ein Nebenwiderspruch der auf die Okkupation Deutschlands zielenden Nazis war. Hatte Dimitroff einstmals die Nazis als volksfeindliche Handlanger des Kapitals begriffen, wofür die anlässlich des Ukrainekonflikts wieder hervorgekramte Antifa-Parole »Hinter dem Faschismus steht das Kapital« steht, hat Ulrike Meinhof den israelischen Faschismus nur deshalb entdecken können, weil sie aufgrund ihres NS-Verständnisses von der Okkupation Deutschlands durch die Nazis überzeugt war. So stark, dass sie sich maßgeblich für die antifaschistische Unschuldsvermutung der RAF gegenüber den Deutschen verantwortlich zeichnete, die da bekanntermaßen lautete: »Dem Volk dienen.«
Bis vor kurzem hätte man denken können, dass ein solches Faschismusverständnis nur noch randständig sei und damit auch als potentielle Bedrohung für Israel vom Tisch wäre. Dass in der Ukraine der Natofaschismus toben würde, wie es Jürgen Elsässer nennt, und »Pro-EU-Faschisten« in Kiew das Sagen hätten, wie es in der linken Tageszeitung Junge Welt Tag für Tag in Variation des Themas heißt, ist jedoch eine weit über das jeweilige Milieu verbreitete Sichtweise. Zwar sind die Zeiten vorbei, in denen Texte wie aktuell der der Roten Hilfe noch unbeanstandet durchgehen konnten, in dem es heißt: »Der Charakter faschistischer Ideologie und Bewegung und ihre Rolle im Kapitalismus als potentielle Stütze der Herrschenden und im schlimmsten Fall sogar als Herrschaftsoption wurde in der Ukraine ein weiteres Mal in Ansätzen geschichtliche Realität.« Dennoch ist angesichts der allerorts verbreiteten Unsicherheit Skepsis angebracht, ob diejenigen, die solch antiimperialistischen Blödsinn Roter Helfer nicht unterschreiben würden, sich auch wirklich endgültig vom völkischen Antifaschismus realsozialistischer, sprich sowjetischer respektive russischer Provenienz verabschiedet haben. Dass es prowestliche Faschisten seien, die da derzeit auf ukrainischer Seite kräftig mitmischten, diese ahistorische und unlogische Begriffskonstruktion russischer Propaganda verfängt zuweilen selbst unter israelsolidarischen Leuten in einer Größenordnung, die man nicht für möglich gehalten hätte.
Es passt ins Bild allgemeiner Unsicherheit, dass man meist ungläubig zur Kenntnis nimmt, wie wenig sich Linke und Nazis bei ihrer Sicht auf die Ukraine und Russland unterscheiden. Alle europäischen Faschisten sind sich in ihrer Unterstützung Russlands und im Abrücken von der ohne Frage hässlichen, aber zum Glück sehr kleinen Swoboda-Partei einig und zeigen damit ein gutes Gespür dafür, dass es offensichtlich an der Politik der Übergangsregierung nichts gibt, was man auch nur annähernd faschistisch nennen kann. Dass die Swoboda-Leute zumindest bis auf weiteres offensichtlich auf dem Weg der Besserung sind, hat ihnen exemplarisch für die derzeitig vorherrschende Sicht unter europäischen Faschos der Nazi-Kader Rigolf Hennig attestiert: die Swoboda und Rechte-Sektor-Leute hätten sich von den Zionisten im Gewand der EU einspannen und als nützliche Idioten missbrauchen lassen. Als im Mai 2014 über diese konsensuale Pro-Russland-Position erstaunlicherweise auch im Zentralorgan der Linkspartei, im Neuen Deutschland, berichtet wurde, meldeten sich in den Kommentarspalten der Zeitung sofort unerschrockene Antifaschisten zu Wort. Jemand, der sich »Primavera« nennt, brachte es auf den Punkt: Tendenziös und einseitig sei es, über die Deckungsgleichheit von linken und rechten Positionen im Ukraine-Konflikt zu schreiben, dadurch solle offensichtlich »jedem, nicht dem Mainstream erliegenden Leser, der Verständnis für die Position Russlands zeigt, ein schlechtes linkes Gewissen eingehaucht werden«.
Als Vorbedingung dafür, zukünftig weder in Magdeburg unter dem Label Echte Demokratie Jetzt! eine Plattform für Antisemiten zu schaffen noch einen Israelhasser wie Werner Ruf nach Halle einzuladen, bedarf es notwendig eines schlechten Gewissens. Nur sollte dieses gerade kein linkes, also identitär-kollektives sein, sondern ein individuell-persönliches, das, so die Hoffnung, einem wie von selbst auf Distanz zu linken Leuten bringt, die es, seit sich Karl Marx mit der heiligen Familie deutscher Sozialisten angelegt hat, von Generation zu Generation einfach nicht besser wissen wollen.
Sören Pünjer
Links und rechts sind tatsächlich out, aber nicht in dem Sinne daß es egal wäre mit wem man da politisch sich engagiere, sondern daß auf beiden Seiten 90% der Personen nicht nur wegen ihrem offensichtlich zur Schau gestelltem Antisemitismus indiskutabel sind, sondern weil diese Personen moralisch, seelisch und intellektuell verkommen sind. Das weiß jeder der hin und wieder mit solchen Personen zu tun hat (ihnen aus dem Weg zu gehen ist unmöglich denn sich als Rebellen zu inszenieren ist „in“) oder sich die einschlägigen Propagandaschwafelseiten ihrer Grüppchen anschaut.