Was herauskommt, wenn ein paar Hinterwäldler sich an zivilgesellschaftlichem Jargon versuchen, zeigten im November 2014 die Anwohner Annaburgs. Von Annaburg in Sachsen-Anhalt haben auch die meisten Sachsen-Anhalter noch nie etwas gehört. Das 3000-Seelen-Nest, das irgendwo zwischen Wittenberg, der brandenburgischen und der sächsischen Landesgrenze liegt, schaffte es dann aufgrund eines angeblich marodierenden Haufens von Kindern zu MDR-weiter Bekanntheit. Selbstverständlich nicht aufgrund der eigenen Brut. Die Kinder der etwa 120 dort lebenden bosnischen Roma hätten sich als »ungezogen« erwiesen, wie die örtliche Pfarrerin bekannt gab. Die 8- bis 15-jährigen würden die Einheimischen anpöbeln und bedrohen. Schlägereien habe es noch nicht gegeben. Die Pfarrerin der Stadt beklagt einen hohen Leidensdruck der Einheimischen. Die »Lebensqualität« sei »eingeschränkt« und »wir wollen so nicht miteinander leben«. Was sie damit genau meint, erklärt sie auch. »Die Kinder sind oft nur ein Spiegel ihres Elternhauses«. Übersetzt heißt dies, dass es bei der bosnischen Sippe kein Wunder sei, dass diese solch schlimme Kinder hervorbringe. Der Terror der Bambini-Brigade scheint so schlimm zu sein, dass 700 Annaburger – also fast ein Viertel der Anwohner – am 10. November auf die Straßen gegangen sind, um für »mehr Respekt« und »mehr Zivilcourage« zu demonstrieren. Selbstverständlich durfte dabei der Verweis nicht fehlen, dass man nichts gegen Fremde habe. Der Stadtratsvorsitzende sagte »bei jeder Gelegenheit«, dass »wir (…) nichts gegen Ausländer« hätten, so die Mitteldeutsche Zeitung (MZ). Auch David Begrich vom Miteinander e. V. bescheinigte den Anwesenden, dass keine »organisierten Rechtsextremisten« unter ihnen verweilten. So seien alle froh, dass die Demonstration friedlich geblieben ist. Einen Zwischenfall habe es aber laut MZ wohl doch gegeben. Einer der zivilcouragierten Annaburger musste von der Polizei davon abgehalten werden, das Grundstück einer der bosnischen Familien zu betreten, da er diese dort »provozieren« wollte.
Kaum überraschend ist, was den Autoritären aus Annaburg einfällt, um der Lage Herr zu werden: Neben mehr Sanktionierungsmöglichkeiten durch das Ordnungsamt und einer erhöhten Polizeipräsenz werden mehr Sozialpädagogen als Geheimwaffe gegen die, wie sie in der Schule nur genannt werden, »Ausländerkinder«, gefordert. Immer wieder schimmert durch, dass der übernommene tagesaktuelle Jargon der Zivilgesellschaft nur dazu dient, gegen die als Fremdkörper wahrgenommenen Zugezogenen zu hetzen. Neben der von allen politischen Kräften getragenen Forderung nach mehr Personal in Kindereinrichtungen (als würde ein besserer Personalschlüssel in den Kitas die Situation entschärfen), verlangten die Annaburger, dass man »unsere Werte und Normen« schütze. Der Respekt habe ja schließlich den Autochthonen zu gelten und nicht denjenigen, die »uns beschimpfen, bedrohen und bespucken«. Ein sogenannter Bürgerreporter der MZ weiß, dass bei den bosnischen Pöbel-Kids Hopfen und Malz verloren sei. Der eigentliche »Stein des Anstoßes« werde, so der MZ-Schreiberling über die Kinder, bei der Demonstration zwar nicht beim Namen genannt. »Dieser Stein bzw. die kleinen Steinchen, die den Annaburgern am meisten Sorgen bereiten, kennen offenbar keinen Anstand und Respekt«. So bezweifle er, »dass diese wenigen kleinen, kantigen Steinchen die eigentliche Botschaft verstehen«. Welche Botschaft diese Kinder seiner Meinung nach tatsächlich verstehen könnten (vielleicht eine Tracht Prügel von ihm höchstpersönlich?), spricht er bislang noch nicht aus.
Was die bosnischen Familien zu sagen haben, bleibt dagegen im Dunkeln. Der Bürgermeister Annaburgs spricht von einem »zarten Pflänzchen«, das nun in Form eines Dialoges heranwachse. Die Bosniaken möchte er aber von Presseanfragen »abschirmen«, schließlich weiß er als Stammesoberhaupt am besten, was gut für seine Stadt ist. Und am Ende könnten diese Störer noch Geschichten darüber erzählen, wie die provinzielle Willkommenskultur tatsächlich aussieht. [nn]
Anständige Zivilcourage gegen Ausländerkinder
30. März 2015 von bonjour tristesse
Kommentar verfassen