Es zählt wohl unbestritten zu den Annehmlichkeiten der modernen Zivilisation, dass das Einnehmen der täglichen Mahlzeiten nicht mehr nur dem Überleben dient, sondern angesichts arbeitsteiliger Gesellschaft, weltweiten Warenverkehrs und des allgemein gestiegenen Lebensstandards auch Genuss bedeuten kann. Dass weite Teile der Bevölkerung dank Mensa-Sprintmenü und der Unfähigkeit, auch nur einfachste Zutaten sinnvoll miteinander zu kombinieren, dennoch meist nicht besser speisen als ihre Vorfahren im Kohlrübenwinter, ändert nichts an der Richtigkeit dieser Feststellung. Der Nebeneffekt einer dauerhaft gut bestückten Küche ist, dass eine gewisse Menge an gekauften Lebensmitteln verdirbt, vergessen wird oder schlicht nicht schmeckt und deshalb in der Mülltonne landet. Wer mag schon matschige Tomaten? Wer isst schon gern harte Brotkanten? Und wer achtet wie besessen auf das Mindesthaltbarkeitsdatum? In Presseberichten kursieren über den Anteil des in Deutschland weggeworfenen Essens teilweise die absurdesten Zahlen. Je linker eine Postille, so scheint es, desto mehr geht die Fantasie mit den Schreibenden durch, so dass viel darauf hindeutet, dass die Lust am Lebensmittelmüllberg proportional zur eigenen Verzichtsethik steigt. Kaum ein Artikel kommt ohne die Anklage aus, mit dieser »Verschwendung« Verantwortung für Hungersnöte in den Armutszonen der Welt zu tragen. Dass die Erde bei vernünftiger Bewirtschaftung noch weit größere Bevölkerungszahlen als die gegenwärtige ernähren könnte, wollen all jene nicht wissen, deren Hass auf Wohlstand, Luxus und das eigene Dasein so weit geht, trotz ausreichenden Einkommens in den Mülltonnen der Supermarktketten herumzuwühlen und der Welt voller Stolz zu berichten, welch Schätze sich in den stinkenden Behältern gelegentlich finden lassen. Dass es sich bei diesen linksgrünen Erdenrettern um dieselben Leute handelt, die einer gentechnischen Veränderung von Pflanzen zur Ertragssteigerung im besten Fall nur »kritisch« gegenüberstehen, sei hier nur am Rande erwähnt. Für dieses Klientel ist ohnehin klar: Nicht etwa gescheiterte Staaten und herrschende Rackets an der Peripherie, Naturkatastrophen oder die innere Logik des Kapitalismus, der nicht verwertbare Menschen entsorgt wie fauliges Obst, sind Urheber von Mangelernährung, Krankheit und Verderben, sondern der Drittklässler, der sein Roggen-Dinkel-Sandwich nach zwei Bissen in die Rabatte schleudert. Sich von dem zu ernähren, was andere wegwerfen, gehört, anders als für die armen Teufel in den abgehängten Slums der Trikontmetropolen, in mitteleuropäischen Breiten zu großen Teilen zum »radical chic« überwiegend jener Bevölkerungskreise, die mit Armut so viel zu tun haben, wie Chinanudeln mit der Küche Südostasiens. Das, was als antikapitalistische Praxis in deutschen Großstädten mittlerweile zu einer Sportdisziplin geworden ist, führt zu einem regen Treiben vor den vielversprechendsten Tonnen, bei dem – welch Überraschung – nur jene gewinnen, die zu den schnellsten, fittesten und informiertesten Mülltauchern gehören.
Wohl angesichts dieser sich zunehmend zuspitzenden Versorgungslage entwickelte eine Kölner Initiative – ein buntes Potpourri aus Irgendwas-mit-Medien-Leuten, Entwicklungshelfern, Tierrettern und abgehalfterten Volkspädagogen – eine Internetseite (www.foodsharing.de), über die übriggebliebenes Essen verschenkt werden kann. Die Idee ist schnell erklärt: Person A hat vier Äpfel, braucht aber nur drei und stellt einen zur Abholung ins Internet. Person B – zufällig ganz in der Nähe – braucht einen Apfel, kann oder möchte nicht 30 Cent beim Händler dafür ausgeben und schaut auf der genannten Internetplattform nach verfügbarem Kernobst. Er kontaktiert Person A, ein Treffpunkt wird ausgemacht und der Apfel wechselt den Besitzer. Mit diesem revolutionären Gedanken wollen die Initiatoren »einen neuen Weg beschreiten, um Lebensmittelverschwendung einzudämmen.« Doch eine bekloppte Idee muss man nicht nur haben, man muss sie auch begründen. Die dabei am häufigsten auftauchenden Worte sind erwartungsgemäß »Wegwerfmentalität«, »Bewusstsein«, »Ressourcen«, »Hunger«, »ökologisch«, »ethisch« und »nachhaltig«. Die Organisatoren sprechen bei den über die Webseite weitergegeben Resten tatsächlich von »geretteten Lebensmitteln«. Bei so viel staatsbürgerlichem Engagement wundert es auch nicht, dass die Initiative neben den üblichen NGOs – Erschaffer und Profiteure des schlechten Gewissens gleichermaßen – auch vom Verbraucherschutzministerium Nordrhein-Westfalen unterstützt wird. Das solch eine Initiative auch ohne staatliche Unterstützung in einem sich zunehmend antikapitalistisch gerierenden Deutschland erfolgreich sein wird, steht – obwohl die Anzahl der »Essenskörbe«, so die euphemistische Bezeichnung für die zu vergebenden Naturalien, insbesondere in Sachsen-Anhalt noch recht überschaubar ist – außer Frage. Protestantische Verzichtsethik, tiefsitzender Hass auf das Geldwesen und ökologische Indoktrinierung haben ihre Spuren hinterlassen.
Dabei galt der Überfluss den Menschen lange Zeit als ein zu erstrebendes Ideal, nicht umsonst ist in der Bibel vom »Land, in dem Milch und Honig fließt« als Chiffre für das Paradies die Rede. Die Zeiten, in denen die Menschen danach strebten – bei aller Aussichtslosigkeit dieses Unterfangens –, diesen Zustand bereits zu Lebzeiten zu erreichen, sind jedoch leider vorbei. Die Initiative Foodsharing ist Ausdruck einer allgemeinen gesellschaftlichen Tendenz, die Ausschweifung und Luxus verurteilt und penetrant mit Öko- und Ethikterror noch in die privatesten Nischen einzugreifen versucht. Ginge es nach den Foodsharern, den grünen Apologeten eines CO2-neutralen Lebens und den bärtigen Irren in ihren klimaunschädlichen Lichtaktiv-Häusern, hätte sich der Mensch höheren Idealen unterzuordnen. Nicht mehr das Streben nach individuellem Glück, was auch immer unter diesem notwendig unscharf bleibenden Begriff verstanden wird, soll im Zentrum des eigenen Handelns stehen, sondern die Unterordnung persönlicher Bedürfnisse unter den Zeitgeist. Gegen eine solche Welt, gegen die Demütigung, sich bei wildfremden Menschen melden zu müssen, um sich 200 Gramm Paniermehl (zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels verfügbar in 06434, Aschersleben) durch den Türspalt reichen zu lassen, sind die an gewisse Regeln gebundenen Termine bei der Agentur für Arbeit das reinste Antidepressivum. Während es sich beim Abholen der Stütze um ein verbrieftes Recht handelt, dass der Staat und insbesondere seine bisweilen übereifrigen Erfüllungsgehilfen zwar selbstverständlich immer wieder aufzuweichen versuchen, erinnert das freundliche Anbieten nicht mehr gebrauchter Lebensmittel an völlig willkürlich bereitgestellte Opfergaben. Das über Foodsharing organisierte Entgegennehmen von Essensresten ist das Äquivalent des entwürdigenden Herumwühlens in Mülltonnen auf der Höhe der Zeit. Dass die autonome Linke zum Bestücken ihrer »Volxküchen« das »Containern« einst gesellschaftsfähig machte, tja, darauf einen »Getreideriegel Apfel-Traube«. Abzuholen in der Wilhelm-Raabe-Str. 7, 39108 Magdeburg. [mab]
My waste – your taste
2. Januar 2014 von bonjour tristesse
Du hast doch keine Ahnung du Verschwänderschwein!
„VerschwEnderschwein“ … würde ich als Kompliment betrachten, oder ist der Satz ironisch gemeint?