Dass Werbeagenturen ihre Produkte in unterschiedlichen Gegenden unterschiedlich bewerben nennt man »Zielgruppenorientierung« und ist nicht ganz unüblich. Die Website »lieferando.de«, auf der man Speisen diverser Anbieter online bestellen kann, hatte sich für Halle etwas ganz besonderes überlegt. An hallischen Straßenbahnen wurde die Werbung für Lieferando mit dem Spruch »Kochen ist für Magdedorfer« versehen. Dass die obsessive Konkurrenz der beiden größten Städte Sachsen-Anhalts von Minderwertigkeitsgefühlen geprägt ist, ist nicht besonders überraschend: Wer hat den besseren Fußballverein? Wer das größere Kulturangebot? Wer hat mehr Einwohner? Eigentlich wissend, dass der gemeine Magdeburg-Olvenstedter und der landläufige Halle-Neustädter sich wirklich nicht im geringsten unterscheiden, richten beide ihren Blick auf den anderen, um das eigene Elend nicht zur Kenntnis nehmen zu müssen. Dieser traditionelle Schwanzvergleich der Bewohner beider Städte geht zwangsläufig mit einer gegenseitigen Abwertung einher. Vor allem die Beleidigung »Magdedorfer« gehört dabei zum festen Repertoire vor allem der Fans des Halleschen Fußballclubs. Dass die Einwohner Ammendorfs, der Silberhöhe oder Trothas nun nicht gerade für ihren gutbürgerlichen, kosmopolitischen Charme eines Großstädters bekannt sind, lässt die Abqualifizierung der Magdeburger als »Dörfler« umso lächerlicher erscheinen. Dass »lieferando.de« dieses Ressentiment nutzt, ist zumindest skurril. Die Werbetreibenden verbanden in ihren Sprüchen für andere Städte Lokalpatriotismus und regionale Küche (»Berlin is(s)t mehr als Currywurst«). Für Halle scheinen sie nichts Passendes gefunden zu haben, so dass sie nur auf die Liebe zur eigenen und die damit einhergehende Feindschaft zur fremden Scholle zurückgriffen. Aufgrund der kargen Rezeptelandschaft in Halle (und Magdeburg) dürfte online bestelltes Essen eine Aufwertung der Speisenvielfalt bedeuten. Ob dies mit einer erhöhten Genussfähigkeit einhergeht muss allerdings vehement bezweifelt werden. [are]
Kein Blick über den Tellerrand
26. Juni 2013 von bonjour tristesse
Veröffentlicht in Zeitung | 2 Kommentare
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Also in Frankfurt/Main wirbt Lieferando mit dem Slogan: „Kochen ist für Offenbacher“
Das ist dann wirklich der bittere Beleg dafür, dass sich Halle durch rein garnichts auszeichnet. Selbst die Werbeslogan, der auf die Rivalität anspielt, entspringt einem Standardtemplate.