Kaum etwas lockt Lokalfürsten und Provinzjournalisten mehr hinter dem Ofen vor als der Angriff auf ihre Stadt. Geradezu überempfindlich reagierten sie, als Halle im Spiegel als »Nazi-Hochburg« bezeichnet wurde. Der Autor Gordon Repinski, der dies tat, verlor in seinem Artikel über Karamba Diaby, Halles SPD-Direktkandidat für die Bundestagswahl, kein gutes Wort über die Saalestadt. Über die Kandidatur des gebürtigen Senegalesen heißt es: »Es ist ein Experiment. Halle gilt als eine der Hochburgen des Rechtsradikalismus in Deutschland, bei der Landtagswahl 2011 holte die NPD in manchem Viertel fast zehn Prozent der Stimmen.« Diese Aussage ist in der Tat nicht ganz nachvollziehbar. Interessant ist jedoch weniger die genaue Zahl der NPD-Wähler als die Reaktionen auf den Artikel. Im Onlinemagazin Hallespektrum herrschte »blankes Entsetzen« über den Spiegel-Artikel. Man warf Repinski eine reißerische Aufmachung vor. Dieser war lediglich zu einem zweistündigen »Kurzbesuch« in der Stadt. Cornelia Pieper, der aus Halle stammenden Staatsministerin im Auswärtigen Amt, war es ein »Rätsel, was da alles zusammenrecherchiert wurde«. Die Affäre zog schließlich solche Kreise, dass sich sogar Sachsen-Anhalts Innenminister einschaltete. Holger Stahlknecht gab der Mitteldeutschen Zeitung (MZ) zu Protokoll, dass er nicht habe feststellen können, »dass Halle eine Hochburg von Rechtsextremisten« sei. Sie alle wähnten sich einer gemeinen Intrige ausgesetzt, die, wie die hallische Integrationsbeauftragte feststellte, »unserer Stadt und unserer Integrationsarbeit« schade. Niemand schien ernsthaft zu fragen, inwiefern ein einziger Artikel (der noch dazu erst durch seine Skandalisierung einem größeren Leserkreis bekannt wurde) einen solchen Schaden anrichten könne. Der Oberbürgermeister Bernd Wiegand konterte den Spiegel-Artikel mit einem Satz aus dem Setzbaukasten für Engagierte: »Ein breites gesellschaftliches Bündnis fördert seit Jahren durch vielfältige Aktionen Toleranz und Zivilcourage in unserer Stadt. In Halle ist kein Platz für Rechtsextremisten und Fremdenhass – in keinem Stadtteil.« Die MZ, offenbar darum bemüht, diese Aussage zu verifizieren, nötigte Miteinander – Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt e. V. ein Statement ab, in dem bestätigt wurde, dass es in Halle wirklich keine großen Nazigruppierungen gibt. Allerdings betonte ein Sprecher des Vereins zu Recht, dass es jenseits organisierter Strukturen so etwas wie »Alltagsrassismus« gibt.
Ganz so genau hingucken mag man beim Hallespektrum allerdings nicht. Der sprachlichen Gepflogenheiten der Antirassisten nicht mächtig wird diskutiert bis Halle weltoffen ist. So ist man stolz, dass die Mobile Beratung für Opfer rechter Gewalt für Halle lediglich 12 rechte Angriffe für das vergangene Jahr ausweist gegenüber 16 Angriffen im Vorjahr. Und auch bei diesen zwölf Angriffen solle man mal genau hinsehen: »Aufgeführt wird dort [in der Statistik] auch der Angriff auf einen Schwarzafrikaner in der Großen Ulrichstraße – der Attacke gingen aber laut Polizei zuvor Beschimpfungen des alkoholisierten Mannes in Richtung der Gruppe voraus.«
Diaby lobt Halle als tolle Stadt, die seine Heimat geworden sei, auch wenn es in Halle »einzelne Ecken« gäbe, in denen er sich »unwohl fühlen könnte«. Das allerdings sei »weniger eine Frage der Hautfarbe als ein grundsätzliches Problem«. Vom Redakteur des Spiegel-Artikels fühle er sich »verarscht«, da er ihm erklärt habe: »wer einmal in Halle war, der wird wieder kommen.« Dass Diaby eine affektive Bindung zu Halle aufgebaut hat ist vielleicht etwas verschroben. Wenn er aber begründet, dass er sich in Halle »verliebt« habe, weil es die deutsche Stadt sei, »in der 1703 zuerst ein Schwarzafrikaner studieren und 1755 die erste Frau promovieren durfte«, ist dies mehr als entlarvend: Da er für Halle nichts anderes in die Waagschale werfen kann als 310 Jahre alte Fakten, scheint die Stadt doch nicht so besonders liebenswert zu sein, wie alle in einer gemeinsamen Kraftanstrengung betont haben. [are]
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