Die vergangenen neun Jahre waren offensichtlich besser als gedacht, denn solange gab es das Hallische Umweltblatt Calendula nicht. Nun haben sich jedoch die hallischen Ortsgruppen von Attac, Greenpeace, des Naturschutzbunds Deutschland e. V. (NABU) und des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sowie der Friedenskreis Halle dazu entschlossen ein Nachfolgemagazin herauszugeben. Die kostenlose Zeitschrift Hallesche Störung liegt in zahlreichen Läden der Stadt aus. Bei einem Blick in das monatlich erscheinende Blatt wird indes umgehend bestätigt, was die Liste der Herausgeber befürchten lässt. Die Agenda des Heftes besteht tatsächlich aus dem Kampf gegen »Finanzspekulanten«, aus dem Schutz der Heimat und aus der Suche nach neuem Lebensraum. Im Editorial der ersten Ausgabe vom Januar heißt es: »Das Zeitungsprojekt will mit Bildern, Originaltönen und Texten dem emotionalen Wert von Heimat nachspüren. […] Es wird darum gehen, verschiedene Aspekte von Heimat als Identifikationsraum zu erkunden und zu präsentieren. Dabei kommt der Entdeckung der Nachhaltigkeit als Weg in eine gesicherte Zukunft eine besondere Rolle zu.« Mit der Sorge um die Zukunft und der noch etwas steifen Heimatliebe empfehlen sich die Herausgeber als Nachlassverwalter der womöglich demnächst verbotenen NPD. Ihrem Einsatz hierfür nach zu urteilen, rechnen sie offensichtlich fest mit einem erfolgreichen Verbotsverfahren: »Unser Blatt versteht sich als Informationsplattform aller gesellschaftlichen Kräfte, die den Wandel vom ego-zentrierten Streben nach materiellem Reichtum hin zu Kommunikations- und Beziehungsfähigkeit, Vertrauen und bürgerschaftlichem Engagement für das Gemeinwohl unterstützen.« Hinter dem sperrigen Satz verbirgt sich der Wunsch nach Volksgemeinschaft. Während die Herausgeber individuelles Streben nach Glück und Wohlstand verdammen, ist ihr Blatt voller Lob für das unentlohnte Opfer zum Wohle der Gemeinschaft. Die Idee zur Wiederaufnahme des Heftes wäre den Herausgebern bei den sogenannten »Heldentagen« gekommen. Die so betitelte Veranstaltungsreihe hatte im letzten Sommer unter dem Motto »Alternativlos war gestern – Wir wuppen die Krise« das Ehrenamt gepriesen. Daran anknüpfend, enthält die erste Ausgabe der Halleschen Störung ein ausführliches Portrait einer unbezahlten Mitarbeiterin des Umsonstladens im hallischen Glauchaviertel. In Anspielung auf die kaputte Heizung des Ladens heißt es: »In Deutschland ist es kalt, aber im Umsonstladen gibt es Wärme.« In derselben Ausgabe berichtet eine andere Autorin im »Report aus der Franzigmark« von ihrem Engagement für den BUND bei der Wiederherrichtung des ehemaligen Schulumweltzentrums. Nicht nur der Titel erinnert an einen Frontbericht. Über den »Einsatz« im »Entmüllungskommando« schreibt die Verfasserin: »Was gibt es denn zu entsorgen – Kot, Erbrochenes, Leichenteile oder radioaktive Abfälle?! Ich bleibe eisern. Ob ich mich denn dann nicht in einen Schutzanzug hüllen wolle, hakt der Mensch vom ›BUND‹ nach. Schnickschnack! Überheblich lehne ich ab. […] Wie überprüfen sorgfältig den korrekten Sitz unserer Atemmasken und Arbeitshandschuhe und tappen tapfer in die funzelige Tiefe. […] Mit dem schlimmsten rechnend, stelle ich mich auf Leichen tierischer wie menschlicher Provenienz ein.« Die Betonung des Opfers, das als Held nicht gescheut, im Umsonstladen für das warme Herz ertragen und bei der Säuberung im Schulumweltamt eisern erbracht wird, verrät viel über das Motiv der Freiwilligen. Gleiches gilt für die penible Dokumentation der Wohltaten, die ein Großteil des Heftes einnimmt. Die Engagierten verhalten sich wie Extremsportler, die mehr Energie auf die Schilderung ihrer Taten und der dabei erlittenen Strapazen verschwenden, als auf den Sport selbst. Der Slogan »Wir wuppen die Krise« der »Heldentage« ist demnach vor allem als Selbstempfehlung zu verstehen. Denn mit dem Engagement ist die heimliche Hoffnung verbunden, dass die herbeigesehnte Volksgemeinschaft die erbrachten Opfer im Falle der befürchteten Krise nicht vergessen wird. Soll heißen: Die vermeintlichen Natur- und Heimatfreunde umtreibt weniger das Schicksal der Arbeitslosen von Glaucha, als vielmehr die Angst davor, eines Tages selbst nicht mehr gebraucht zu werden. Hinzu kommt der drängende Wunsch, die insgeheim als mittelmäßig empfundene Biografie in eine Märtyrergeschichte umzuschreiben. Das marternde Gefühl, es zu nichts wirklich gebracht zu haben, gleichzeitig aber zu Höherem berufen zu sein, wie es für die verkannten Bachs, Eulers und Goethes, wie es für Lehrer, aber auch für den Mittelstand ganz allgemein typisch ist, soll beim aufopferungsvollen Einsatz betäubt werden. Hierfür eignet sich nichts besser, als das Lob der Heimat. Indem die Wichtigkeit des Geburtsorts betont wird, erklärt man das empfundene Versagen durch seine Herkunft. Und gleichzeitig soll das Bekenntnis zur eigenen Scholle das ewige Herumgekrebse in Rufnähe zum Elternhaus als beherzte Entscheidung für Saaleaue und Haussperling erscheinen lassen.
Ein Artikel der zweiten Ausgabe verdeutlicht, wie es bei den Wohltätern um die Liebe zu Mensch und Heimat bestellt ist. In expressionistischer Manier lässt ein Autor in einer verspäteten Reportage seinen apokalyptischen Phantasien anlässlich des Saalehochwassers vor zwei Jahren freien Lauf: »Bäume schwimmen an unseren Augen vorbei, Schwärme von rastenden Gänsen und Kranichen nehmen dort Platz, wo sonst Mähdrescher und Traktoren auf den nächsten effizienten Einsatz warten. Auch wenn es böse Blicke von den Bauern gibt oder von den Menschen, deren Keller leergepumt werden müssen – es ist keine Schadenfreude, die uns an den Rand des Hochwassers treibt; es ist die stille Hoffnung, dass es ein Refugium des Unkontrollierten gibt im durchgestylten kapitalistischen Verwertungssystem Erde, dass es unkontrollierbare Situationen gibt, in denen wir für einen Moment das atmen, was fast ausgestorben mit Birkhuhn und Schwarzstorch schien: einen Hauch von Freiheit.« Es ist zu hoffen, dass die Herausgeber ihren Maximen des Naturschutzes folgen und ihr Blatt schnellstmöglich wieder einstellen – nicht nur der Umwelt zuliebe. [haj]
Wer einmal die Heimatschützer kennen lernen möchte, kann dies anlässlich des zweijährigen Bestehens der Schmonzette am 24.1.15. Wie wichtig sich diese Leute nehmen! Kaum zu glauben…
http://hallespektrum.de/nachrichten/vermischtes/zwei-jahre-hallesche-stoerung-party-24-januar-der-goldenen-rose/134092/