Das Mansfelder Land zu verstehen, ist schwierig. Man spricht, wie man denkt – dumpf und langsam. Wer im Landkreis Mansfeld-Südharz, ein paar Kilometer westlich von Halle geboren wird, dessen Chancen auf ein Leben jenseits staatlicher Transferleistungen sind gering. Wer es dennoch schafft, seine Arbeitskraft entgegen allen Prognosen doch irgendjemandem aufzuschwatzen, darf sich glücklich schätzen. Doch nicht etwa deshalb, weil seine Einkünfte die eines Hartz-IV-Empfängers signifikant übersteigen. (An lukrativen Jobs mangelt es in mindestens gleichem Maße wie an geeigneten Bewerbern.) Sondern weil der tägliche Gang ins Nagelstudio, zur Supermarktkasse oder zum örtlichen Landwirtschaftsbetrieb es diesen „Bessergestellten“ wenigstens erlaubt, dem Anblick der eigenen Sippe ohne irgendwelche Ausflüchte für ein paar Stunden zu entfliehen. Wovon die Avantgarde des Berliner Prenzlauer Bergs nur träumt, ist hier – allerdings aus anderen Gründen als im Nordosten der Hauptstadt – längst Realität: Selbstversorgung, Naturnähe und Originalklamotten aus den Fünfzigern. Dazu scheint sich die Lage im Regenschatten des Harzes auch auf das gesellschaftliche Klima auszuwirken; zumindest verhält sich der mangelnde Niederschlag direkt proportional zur Zahl der dort blühenden Landschaften.
In Hettstedt, das wie dutzende andere Städte der Gegend für sich reklamiert, ein „Tor zum Harz“ zu sein (aus welchen Gründen auch immer das ein Qualitätsmerkmal sein soll), gerieten vor einiger Zeit zwei Freunde, die beide mit einem Job gesegnet und also zu den Privilegierten im Land gehören, in einen heftigen Streit. Daran ist durchaus nichts Ungewöhnliches, vielmehr würde die Abwesenheit dieser Form der Auseinandersetzung auf schwere gesellschaftliche Verwerfungen in der Gegend hindeuten. Bei diesem Streit ging es jedoch nicht wie sonst üblich um „Frauen“, das Fernsehprogramm oder die Besorgung von Alkoholika. Die Freunde gerieten, selbstverständlich nicht ohne einen erheblichen Konsum von Bier und Schnaps, in einer ortsüblichen Schänke stattdessen darüber in Konflikt, wer den besseren Beruf habe. Einer der beiden, ein Bäckerlehrling, vertrat die Ansicht, dass sein Beruf gegenüber dem des Saufkumpanen, ein Einzelhandelskaufmann, der „wichtigere“ wäre. Das sah der Einzelhandelskaufmann naturgemäß anders, was den Bäckerlehrling zunehmend erzürnte. Das Streitgespräch verlagerte sich auf die Straße, auf die sich der Einzelhandelskaufmann geflüchtet hatte. Dort trat und schlug der Bäckerlehrling auf den Freund ein und stieß, als der Erfolg dieser Handlungen auf sich warten ließ, mit einem Messer auf den Kopf des Opfers ein. Das Tatwerkzeug blieb aufgrund der Härte des Vorgehens in der Schädeldecke stecken und brach ab, wie die behandelnden Ärzte angesichts der Tiefe des Stichs jedoch erst nach einer Röntgenuntersuchung bemerkten. Der Bäcker ließ den Freund nach der Tat an Ort und Stelle liegen und ging seiner Wege. Das zuständige Landgericht Halle backte in der Ahndung der Straftat jedoch kleine Brötchen und verhängte Ende dieses Sommers gegen den nun 21-jährigen Täter eine Jugendstrafe von zwei Jahren Haft auf Bewährung. Diese wurde an die Absolvierung einer Suchttherapie gebunden, welche er – wie es der Zufall will – kurz vor Prozessbeginn begonnen hatte. Das Gericht blieb damit weit unter der Forderung der Staatsanwaltschaft, die wegen der Schwere der Tat drei Jahre Haft gefordert hatte. Der Ausbildungsbetrieb des Bäckerlehrlings sah die Handlungen seines Schützlings indes weniger problematisch: Die gewaltförmige Verteidigung des eigenen Berufsstandes wurde mit der Übernahme in ein festes Arbeitsverhältnis belohnt. (mab)
Ein Freund, ein guter Freund …
18. Februar 2012 von bonjour tristesse
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