Während der vergangenen Monate mutierten zahlreiche Menschen, bei denen man im Nachhinein froh sein muss, dass ihr Engagement bisher nur irgendeinem langweiligen Hobby galt, zu sogenannten Wutbürgern. Aus Fotografieinteressierten wurden Ganztagsempörte, aus Hobbyköchen ehrenamtliche Anwälte ungeborener Generationen und aus Autoschraubern „99%“. Menschen also, die einem schon aufgrund ihrer moralischen Appelle und ihrer dummschwätzenden Selbstgerechtigkeit furchtbar auf den Kranz gehen – von ihrem Wunsch nach direkter Volksherrschaft einmal ganz abgesehen. Als wäre diese Entwicklung nicht schon längst gesellschaftlicher Mainstream, appellierte nun auch eine Professorin der Burg Giebichenstein – der hiesigen „Kunsthochschule für Kunst und Design“ – an die gesellschaftliche Verantwortung ihrer Studenten.
Innerhalb eines Kurses sollten die Teilnehmer ein eigenes Demoplakat oder Protesttransparent gestalten. Wer die Videos der „Stuttgart21“- und „Occupy“-Proteste kennt, der weiß, dass diese Veranstaltungen bisher bestimmt nicht unter einem Mangel an kreativen Ideen litten. Im Gegenteil: Kabarette, Freilufttheater und spontane Musikeinlagen leisteten ihren Beitrag, dass aus den Protesten riesige Volksfeste wurden. Der Professorin ging es jedoch auch nach eigener Aussage nicht um die Verschönerung der Demonstrationen, sondern um die Politisierung ihrer Studenten. Denn, so ihr Appell: „Aufgabe einer aufmerksamen Studentenschaft sollte es sein, sich immer wieder kritisch mit Politik und Gesellschaft auseinanderzusetzen und gleichermaßen der Kritik eine öffentliche Stimme zu verleihen.“ Ahnend, dass es um die Aufmerksamkeit ihrer Studenten schlecht bestellt ist, wollte die Professorin deren Fähigkeit zum eigenständigen Denken jedoch nicht auf die Probe stellen. Sie gab daher alle Themen für den „typographischen Protest“ vor. Noch die platteste Protestphrase erschien der Professorin – möglicherweise mit einigem Recht – nicht zu dumm für ein Publikum, das es nicht anders verdient hat. So reichte das Spektrum der Forderungen von „Bunt statt Braun!“ über „Atomkraft? Nein Danke!“ bis zu „Steigende Mieten stoppen! Für eine soziale Stadt“. Das entscheidende Auswahlkriterium für die Themen war offensichtlich ihr dezidierter Konformismus. Eine größere Sprengkraft als diese Forderungen hätte nur noch ein Coming-Out in einer Schwulendisko. Für besonders Waghalsige stand noch eine Auswahl politischer Nischenthemen zur Verfügung: „No means no!“ und „Reclaim the Streets!“.
Zumindest im akademischen Dunstkreis mit künstlerischer Note ist nur noch offen, ob diese Forderungen auf eindringliches oder gelangweiltes Kopfnicken stoßen. Zustimmung erfahren sie auf jeden Fall. Die Aufgabe entsprang jedoch auch nicht aus der Überzeugung von der Dringlichkeit und Richtigkeit der einzelnen Forderungen. Vielmehr diente der Appell an die Verantwortung der Studenten und die Beschäftigung mit solchen Themen der Selbstvergewisserung und dem eigenen Distinktionsbedürfnis. Insbesondere unter Grafikdesignern einer Kunsthochschule gibt es ein ausgeprägtes Bedürfnis, die eigene Tätigkeit von der Werbung abzugrenzen. Schon die bloße Erwähnung des Wortes „Werbung“ während des gefürchteten Bewerbungsgespräches für einen der begehrten Studienplätze zieht mit großer Wahrscheinlichkeit eine Absage nach sich. Nach dem eigenen Selbstverständnis bildet die örtliche Kunsthochschule schließlich nicht für die freie Wirtschaft, sondern den hochsubventionierten Kulturbetrieb aus. Werbung steht gemeinhin in dem Ruf, niederen Verkaufsinteressen zu dienen, während zu Kunst und Protest angeblich „höhere“ Motive drängen würden. Bei einer späteren Bewerbung im Kulturbetrieb, der von Wutbürgern nur so durchsetzt ist, beweist eine gewisse Anzahl politischer Arbeiten somit die eigene Mitgliedschaft im Verein. Gleichzeitig dienen sie auch der Abgrenzung gegenüber der Masse konkurrierender Mediengestalter.
Im Editorial der ersten Ausgabe einer von Studenten der hallischen Kunsthochschule herausgegebenen „Zeitschrift für Designwissenschaften“ stand: „Design als Allerweltsbegriff hat es in die Nähe von Couturiers, Karossenschneidern und Friseuren gebracht, kurz, den modischen Stylisten der Oberflächen. Natürlich weisen Designer, die sich selbst ernst nehmen, den Vorwurf, in Sachen Oberflächlichkeit tätig zu sein, weit von sich.“ Der verbreitete Ruf von Designern, oberflächliche Personen zu sein, die von nichts richtig eine Ahnung haben, sich und alles andere aber gut verkaufen können, wird zum Selbstvorwurf. Diesen Vorwurf versucht man durch die Beschäftigung mit einem politischen, gesellschaftlichen oder kulturellen Thema innerhalb seiner Arbeit zu entkräften. Man beweist sich sozusagen selbst die Zugehörigkeit zur „Critical Mass“.
Die Bewerbung an der örtlichen Kunsthochschule hat indes nicht nur überhaupt erst eine Chance, wenn man sie nicht mit dem eigenem Interesse für Werbung begründet, sondern beste Aussichten auf Erfolg, wenn die Zuneigung zu Kunst und Gesellschaft beteuert wird. Dieses Interesse sollte man jedoch nicht einfach so allgemein bekunden – dies macht die Kommission misstrauisch –, sondern mit konkreten Beispielen anreichern. Die „Bonjour Tristesse“ schlägt aus diesem Grund den angehenden „Burg-Studenten“ vor, die folgenden Sätze anzuwenden und individuell zu ergänzen: „Seit meiner Jugend engagiere ich mich für/in … Das Engagement wird von der Auseinandersetzung mit … begleitet.“ Damit dürfte die „Bonjour Tristesse“ in ihrer letzten Ausgabe doch noch ihre Eignung als praktische Lebenshilfe bewiesen haben.
(haj)
Aufstand auf der Wut-Burg
18. Februar 2012 von bonjour tristesse
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