Zwietracht zu säen, war das Ziel der „AG No Tears for Krauts“ Halle, wie sie in ihrem Einleitungsvortrag in Leipzig sagte. Mitte Januar lud die AG gemeinsam mit der „Bahamas“-Redaktion zu einer Vortragsveranstaltung in den Leipziger Süden ein. Diese war eine Reaktion auf das Verbot einer Veranstaltung mit Justus Wertmüller, die im „Conne Island“ stattfinden sollte (siehe Bonjour Tristesse Nr. 11). Der gemietete Raum war überfüllt, rund 200 Personen konnten nicht mehr hereingelassen werden und vor den angeklappten Fenster lauschten Trauben von Menschen. Nach den Vorträgen von Martin Dornis, der Bahamas-Redakteure Sören Pünjer und Justus Wertmüller regten sich einige Leipziger ein wenig auf, es wurde viel über den „Cee Ieh“-Newsflyer gesprochen und der Vorschlag aus dem Publikum gemacht, dieser Veranstaltung eigene folgen zu lassen, in welchen der Sumpf der Leipziger Linken thematisiert werden sollte. Was folgte, war wenig. Neben den Partygesprächen, in denen noch Wochen nach der Intervention von außen über den Vortragsabend diskutiert wurde, reagierte nur die „Cee Ieh“-Redaktion und trat geschlossen zurück. Für sie hat eine neue Phase begonnen, denn die Redakteure wollen nun eine bundesweit erscheinende Zeitschrift herausgeben. Im Folgenden ist der Einleitungsvortrag der „AG No Tears for Krauts“ dokumentiert.
Ohne Zweifel. Wer in Delitzsch, Grimma, Zwickau oder noch schlimmeren Ansiedlungen das Licht der Welt erblickt, für den erscheint ein Umzug nach Leipzig wie das Tor zum Paradies. Und das insbesondere dann, wenn die zukünftige Meldeadresse im Radius von zwei Kilometern um das Leipziger Connewitzer Kreuz liegt, wo das Leben lustig, die Wände bunt und die sogenannte Szene lebendig ist. Nicht wenigen zugezogenen Linken dürfte der rechtzeitige Ortswechsel die körperliche Unversehrtheit gerettet haben. Der Leipziger „Süden“, so die gängige Bezeichnung für den sächsischen Garten Eden, ist hip, vor Nazis und anderen ostdeutschen Rohlingen sicher; die Drogen sind billig, die Menschen schön.
Der tiefen Dankbarkeit über diesen Umstand dürfte es zuzurechnen sein, dass sich das linke Leipzig mit seiner Stadt innig verbunden fühlt. Der Stolz auf Connewitz und seine Sitten und Gebräuche ist unübersehbar, er kriecht aus allen Ritzen, er liegt wie eine Glocke über dem Stadtteil – gar nicht unähnlich dem Gestank vergorener Reste über der Bier-Brauerei im Leipziger Stadtteil Reudnitz. Dieser Stolz dürfte auch einer der Gründe dafür gewesen sein, warum im Herbst des vergangenen Jahres eine Veranstaltung im „Conne Island“ verboten wurde und selbst jene, die das Verbot verurteilten, auf Kritiker, deren Personalausweis sie als nicht wohnhaft in Leipzig ausweisen, allergisch reagierten.
Das „Bündnis gegen Antisemitismus“ Leipzig ersuchte damals das Plenum des „Conne Island“ in einer Sache, die eher einer Formalität gleichkommt: Eine Diskussionsveranstaltung sollte stattfinden, wie schon dutzende Male zuvor, diesmal zum Thema „Integration“; der Referent: Justus Wertmüller. Doch so einfach war die Sache bekanntlich nicht. Nachdem Meinungen ausgetauscht worden und die Vorwürfe „Rassismus!“, „Sexismus!“ und „Diskussionsstil!“ maßgeblich vom „Antifaschistischen Frauenblock Leipzig“ und Umfeld zum x-ten Mal wiedergekäut worden waren, erteilte das Plenum ein Verbot, das später niemand mehr so nennen wollte. Das „Conne Island“ wies den Verbotsvorwurf weit von sich und bezeichnete den Vorgang nüchtern als Absage – ganz so, als handele es sich um die Folge eines Wasserrohrbruchs. Andere Inselbewohner erfanden die bemerkenswerte Sprachregelung: „Wir machen DAS eben nicht.“ Auch das „Bündnis gegen Antisemitismus“ begab sich in die Niederungen des Diskurses, bescheinigte Wertmüller ein Pöbler zu sein und signalisierte so Gesprächsbereitschaft mit der linken Zensurbehörde. Der „Conne-Island“-Newsflyer „Cee Ieh“ bestrafte das Verbot zwar mit einem Autorenstreik und belieferte den Newsflyer in der Januarausgabe nicht wie üblich mit den Abhandlungen über Rassismus, Szenetratsch und aufgepeppten Hausarbeiten. Aber auch der Newsflyer ließ es auf einen offenen Bruch nicht ankommen.
Vielmehr reihte sich, angesichts einiger scharfer Kritiken aus Berlin und Halle auch der „Cee Ieh“ in die Gemeinschaft der Beleidigten, der Gekränkten und sich ungerecht behandelt Fühlenden ein. Als Reaktion auf eine in der hallischen Zeitung „Bonjour Tristesse“ abgedruckten Anzeige, die sich über die Leipziger Verhältnisse belustigte und im Zusammenhang mit der Abbildung des Konterfeis des MDR-Entertainers Achim Menzel konstatierte, dass es im „Cee Ieh“ nun endlich nur noch um Musik ginge, zeigte sich die Redaktion des inoffiziellen Connewitzer Regierungsblattes weitgehend humorresistent. Neben Auslassungen über „Mamis“, die ihre „Kinder“, also die Redakteure der Bonjour Tristesse, „zeitig ins Bett schicken“ würden, war der „Cee Ieh“ sehr kreativ und nannte die Redakteure „Provinzler“. Diese wirklich messerscharfe Analyse – die öffentliche Selbstbetiteltung der „Bonjour Tristesse“ lautet „Antworten aus der Provinz“ – verrät mehr über den Verfasser und sein Umfeld als über die vermeintlich Beleidigten. Denn angesichts der puren Unbewohnbarkeit weiter Teile Leipzigs; angesichts der gerade mal doppelten Einwohnerzahl gegenüber Halle; angesichts von Identifikationsfiguren wie den unsäglichen „Die Prinzen“-Sängern Krumbiegel und Künzel und dem Sitzblockierer Ex-Oberbürgermeister Tiefensee, die es in Sachen Provinzialität locker mit den hallischen Lokalgrößen Peter Sodann, Dariusz Wosz und Kai Pflaume aufnehmen könnten, ist der Verweis auf „Provinzialität“ seiner Kritiker geradezu grotesk.
In dem Vorwurf der Provinzialität verdichtet sich vielmehr das Verhältnis der Leipziger Linken zur Connewitzer Scholle selbst. Er zeugt von einer eklatanten Schwäche der realistischen Einschätzung ihrer eigenen Umwelt. Angesichts der Zustände, die sich in ihrer Ausprägung kaum von Vorgängen in Dessau, Potsdam oder eben Halle unterscheiden; oder schlimmer noch: Angesichts einer Stadt, die sich als Vorbild für die gesamte Republik anpreist und unter der Schirmherrschaft einer obskuren „Leipziger Freiheit“ steht – so der stadtoffizielle Werbeslogan –, einer Stadt, die sich immer wieder als „Wissenschafts-“, „Bach-“ oder gar „Heldenstadt“ in Szene setzt, angesichts dieser Stadt wäre das Vorgehen einer ideologiekritischen Linken „in und gegen Leipzig“ dringend notwendig.
So wie Leipzig sich aufgrund seiner Geschichte für überaus progressiv hält, so hält sich auch seine linke Szene aufgrund ihrer angeblichen Israelsolidarität für geradezu einzigartig und schon deshalb für besonders schützenswert. Man fühlt sich urban, dissident, der Kritik des Antisemitismus mächtig und damit als Teil einer Gemeinschaft der Guten; der „Süden“ als eine Art Prenzlauer Berg in dreckig, nur ohne Schwaben und andere Fremden; ein Reservat des basisdemokratischen Zusammenlebens, dessen höchster Ausdruck die hochgelobte Konsensfindung ist.
Leipzigs Linke sind damit Teil einer städtischen Selbstinszenierung und gehen dieser selbst auf den Leim. Während den Marketingexperten mit ihren unendlichen Geschichten über die friedliche Revolution, die Hauptstadt der Bürgerrechtler, über Demokratie, Pfarrer Führer und Höchstleistungen in Kunst und Kultur auf Grund ihres Lohnverhältnisses noch ein instrumentelles Verhältnis unterstellt werden kann, ist die Liebe der Leipziger Linken zum „Süden“, zum „Laden“ (für „Conne Island“) oder zur „Karli“ (Sprech für die Karl-Liebknecht-Straße, die als Hauptgeschäftstraße Leipzigs Zentrum mit Connewitz verbindet) authentisch und offenbar durch nichts zu erschüttern. Die Wenigen, die sich der basisdemokratischen Wohlfühl-Gemeinschaft verweigern, werden geächtet und sogar, wie auf einem „Conne Island“-Plenum geschehen, mit Prügel bedroht. Wer nicht mitspielt, ist raus.
Angesichts dieser Leipziger Linken, für deren übergroße Mehrheit die Kuschelgemeinschaft alles, die Wahrheit hingegen nichts bedeutet, ist das heutige Motto unserer Veranstaltung „In und gegen Leipzig“ unbedingt auf die Linke selbst anzuwenden. Zwietracht zu säen – nicht mehr und nicht weniger – ist das Ziel. Wir wünschen viel Vergnügen.
AG „No Tears for Krauts“ Halle
Als Leipziger, der unter der Kompromisslerei und Kumpanei der Leipziger Linken lange leiden musste, bin ich wirklich dankbar für diese messerscharfe und beißende Polemik. Endlich spricht mal jemand die Wahrheit aus, ohne mit der Wimper zu zucken.
und das ding ist nur, dass ich nichts dafür kann, wenn er sich einen… ist ja auch egal, oder?
She’s the one!
Sexualitäts- und Machtdispositiv auf zwei Personen verteilt. oder irre ich mich etwaaaaaaaa?
spalten statt versöhnen: streiten gibts in eurem Verständnis wohl nicht. Nicht aus Leipzig kommend, sind die Debatten andernorts in ihrer Struktur auch nicht anders, Ihr tut euch dadurch hervor, dass ihr leugnet, es hätte je eine Kritik gegeben (an Werthmüller oder anderem), und spielt euch dann auf, wenn ihr wo nicht mitmachen dürft. Aber ihr lasst andere auch „nicht mitmachen“, indem ihr die Kritik aus den Ecken, die ihr reflexartig ablehnt, ignoriert und als „wiederkäuen“ beschreibt. Wenn das eure Vorstellung von Auseinandersetzung ist, ist klar, warum es nur spalten oder versöhnen gibt und kein Streitgespräch dazwischen.