Als die Bonjour Tristesse Anfang 2007 erstmals erschien, kündigten wir an, dass eingesandte Texte nur dann veröffentlicht werden würden, „wenn sie uns gefallen, wir sie für diskussionswürdig halten oder sie besonders abstrus oder lustig finden“. Vier Jahre mussten wir warten, bis uns ein Text erreicht, der hervorragend in die letzte Kategorie passt. Eine Leserin schickte uns den unten dokumentierten Text mit dem Betreff „kurzartikel von doktor sigrun: ‚keine tränen für no tears for krauts’“. [Schreibweise hier und im Text wie im Original] Sigrun, die sich selbst die Doktorwürde verliehen hat, zeigte sich in ihrem – nun ja – Schreiben empört über das angeblich rüpelhafte Verhalten einiger Personen aus dem Umfeld der AG „No Tears for Krauts“ beim Straßenfest des linken Kulturprojektes „Ludwigstraße 37“ (auch bekannt als VL) in der Nacht vom 7. zum 8. Mai. Sigrun beklagte sich über allerlei Fehlverhalten ihrer antideutschen Lieblingsfeinde, vergaß aber, den eigentlichen Skandal des Abends zu erwähnen. Einige durchgeknallte Irre aus dem Umfeld des VL – eine bessere Umschreibung dieser Leute gibt es leider nicht – entfernten ein Transparent von der Bühne, auf dem den Alliierten für die Zerschlagung Nazideutschlands gedankt wurde und sich gegen Antisemitismus und Nationalismus gewandt wurde: eine Position übrigens, mit der im Gegensatz zu einigen Altlinken nicht einmal Angela Merkel und Erika Steinbach ein Problem haben dürften. Als einige Veranstaltungsgäste diese Form der Zensur unterbinden wollten, wurden die Antinazi-Gegner aus dem VL handgreiflich. Ihnen konnte das Banner zwar wieder abgenommen werden, sie versuchten aber immer wieder, das Transparent erneut gewaltsam zu entreißen. Im Publikum wurde unterdessen zur Aufpeitschung der Pazifistenmeute immer wieder angestimmt: „Frieden erhalten, Nazis raus!“ Die Freunde des alliierten Krieges gegen das „Dritte Reich“ als „Nazis“ zu bezeichnen, erfreute sich an dem Abend unter den versammelten Friedenslinken großer Beliebtheit. Das Transparent blieb letztlich zwar auf der Bühne; die Auseinandersetzungen gingen allerdings so lange, dass die Party nicht fortgesetzt werden konnte. Der für den weiteren Abend geplante DJ bekam seine Gage ohne sein Zutun – und die linken Nazis mussten wutschnaubend das Feld räumen.
All diese Geschehnisse waren für Sigrun offenbar nicht spannend genug, um über sie zu schreiben. Das emotionale Erleben der Mitglieder der AG „No Tears for Krauts“ allerdings schon. Wir dokumentieren hier das Textangebot und darauffolgenden Briefwechsel mit „Sigrun“ von der mal freien, mal nicht so freien „Zapatistischen Hedonistenfront Halle“, die eine vorgeblich niedrige Quote weiblicher Autoren für ganz dolle unemanzipatorisch hält und glaubt, dem Problem durch Selbstfeminisierung entgehen zu können: Hinter „Sigrun“ verbirgt sich in realitas ein „Siegfried“.
liebe bonjour tristesse-redaktion.
ich bin sigrun aus halle und habe einen kleinen präsentationsbrief zu den vorfällen beim diesjährigen kapitulationsfest in der ludwigstrasse geschrieben. am besten,ihr druckt in als artikel,das hebt mal die autorinnenqoute bei euch (ich hörte,bei euch schreibt genau eine frau,uuuh wie emanzipatorisch!).
notfalls geht es auch als leserbrief,aber das führt zu der konsequenz,dass viele in halle denken,ihr seid nicht kritikfähig,hähä.nun ja,genug mit dem geschwafel.hier der brief:
hallo liebe krauts!
Wir,die Freie Zapatistische Hedonistenfront Halle und einige andere nette libertär denkende leute aus halle wollen euch unseren gruss senden und euch gratulieren,dass ihr es mal wieder geschafft habt, die ecklige fratze des faschismus in der linken aufzuzeigen.leider wart in dem falle ihr selbst die faschisten.wer sich über langhaarige,kiddi-punx und alt-linke,welche in der ddr für ihr unangepasstes denken im knast sassen, lustig macht(„geh doch mal zum frisör“,“gibts deinen iro auch bei ikea?“,“hallo antisemiten-paul!“ etc.), der hat wahrscheinlich grosse emotionale seblbstwertprobleme.
das tragische ist,dass genau diese sozialfaschisten sich als arrogante,überhebliche,machistische linke moralapostel aufspielen.sprich, nen dj mobben,wenn er eine us-kritisches lied spielt.wer keine kritik zulässt,auch wenn sie manchmal stereotyp und dumm ist, der wird zum kleinen adolf.
so das reicht erstmal.ihr armen.ihr tut uns jetzt schon leid.denn das imperium schlägt zurück,hähä!
dies sei die erst stellungsnahme der freien hedonistInnen.
ich hoffe,wir bleiben in kommunikation.ich hoffe,ihr kommt mir jetzt nicht mit adorno-zitaten,die ihr selbst nicht kapiert habt.
ich hoffe,ihr könnt mal euren kranken kopf ausschalten und auf euer herz hören.
beste grüsse, the host
Da „Sigrun“ nicht sofort die gewünschte Beachtung erhielt, wurde sie bereits vor Ablauf des nächsten Tages quengelig – aber merkwürdigerweise auch zutraulicher:
ey leute,ihr habt aber ne lange leitung.oder seid ihr euch zu fein,mit mir zu kommunizieren?ich würde gerne.ich hoffe auf baldige antwort
sigrun
Die Redaktion begreift es zwar grundsätzlich nicht als ihre Aufgabe, ihren Lesern beim Erwerb von Frustrationstoleranz behilflich zu sein, die sich spätestens im Grundschulalter hätte entwickeln müssen. Da sie aus Zeitgründen erst später auf „Sigruns“ Auslassungen antworten konnte, konnte sie in diesem Fall allerdings doch einen kleinen (unfreiwilligen) Beitrag zur nachholenden Bewältigung dieser Entwicklungsaufgabe beitragen. Um „Sigrun“ keine Aufgaben zu stellen, die sie überfordern, sprich: um die Frustration nicht übermächtig werden zu lassen, ließ die Bonjour Tristesse ihre Sozialarbeiterfraktion antworten:
Liebe Sigrun,
da wir weder eine Ein-Mann-Gruppe noch nach dem Führerprinzip aufgebaut sind – soll heißen: da wir uns im Unterschied zu den meisten anderen Gruppen in Halle untereinander abstimmen müssen – brauchen wir mit unseren Antworten manchmal etwas mehr als 24 Stunden Zeit. Vielen Dank aber auf jeden Fall für Deine E-Mail. Der Text, den Du bei uns eingereicht hast, entspricht in seiner jetzigen Form allerdings leider nicht ganz unseren publizistischen Vorstellungen. Um ihn in der Bonjour Tristesse veröffentlichen zu können, müsstest Du drei Dinge verändern:
1. Der Text ist als Brief konzipiert, der sich zwar möglicherweise seinem Adressaten erschließt, dem Großteil der BT-Leser dürfte allerdings nicht klar sein, auf welche Ereignisse Du anspielst. Kannst Du unseren Lesern eventuell ein wenig umfangreicher erklären, worauf Du Dich beziehst? Sonst hat das Ganze nur den Charakter einer Insidermeldung, die nur für fünf, sechs Leute interessant ist.
2. Humor und Ironie müssen sich aus sich selbst heraus erschließen. Vielleicht kannst Du ja an den entsprechenden Stellen noch etwas feilen, so dass Du auf Regieanweisungen u. ä. („Hä, hä“ usw.) verzichten kannst.
3. In Sachen Rechtschreibung und Grammatik sind wir zwar keine Puristen, auf ein paar grundlegende Dinge achten wir allerdings schon: Dingwörter (Substantive) sollten konsequent groß, Tuwörter (Verben) kleingeschrieben werden. Hinter Satzzeichen muss ein Leerzeichen stehen. Vielleicht kannst Du ja darüber hinaus auch noch mal jemanden in Hinblick auf Rechtschreib- und Tippfehler über Deinen Text schauen lassen. Manchmal übersieht man einfach etwas, wenn man lange an einem Text arbeitet. Wenn Du uns die Überarbeitungen bis zum nächsten Mittwoch zuschicken könntest, wäre das super. Dann könnten wir den Text noch mit in das nächste Heft aufnehmen. Sonst müsstest Du drei bis vier Monate bis zur nächsten Ausgabe warten, Dein Text wäre schon wieder unaktuell und Deine Mühe wäre umsonst gewesen.
Beste Grüße,
Daniela für die Redaktion
„Sigrun“ wurde nun noch zutraulicher:
hallo daniela,
danke für die tipps.ich werde versuchen,den text nochmals ein wenig zu zu ändern. auf die briefform möchte ich allerdings nicht verzichten.da müssten wir einen kompromiss aushandeln.ich würde notfalls das ganze doch als leserbrief laufen lassen,falls dieser auch in der nächsten print-ausgabe erscheint. mit der rechtschreibung kann ich euch verstehen,doch das spiel mitschrift und sprache macht mir sehr spass und alle wörte klein ist so ein spiel. na ja,da liesse sich auch eine einigung erzielen.
gut,ich melde mich!
sigrun von der ZHBFH
(ZapatistischHedonistischeBefreiungsFrontHalle)
„Sigrun“ hatte in dieser E-Mail wohl ihre Fähigkeit überschätzt, einen Zwölfzeiler innerhalb einer knappen Woche auf ein halbwegs lesbares Niveau zu heben. Dafür war ihr Kuschelbedürfnis weiter gestiegen. Hatte sie die AG „No Tears for Krauts“ in ihrem ersten Schreiben noch als „Faschisten“, „Sozialfaschisten“, „arrogante, überhebliche, machistische linke Moralapostel“, herzlose „kranke Köpfe“ bezeichnet, wollte sie diese Wiedergänger Hitlers keine sieben Tage später gemeinsam mit den „Hardlinern der Ludwigstraße“ zum großlinken Stelldichein ins neue Hausprojekt einladen:
So,ihr Lieben,
da Wir genau wie Ihr (und übrigens,man soll es nicht glauben,auch einige andere gruppen in halle) die zapatistische Verlagslinie getreu einhalten (Marcos:“Botschaften aus dem Lakandonischen Urwald“, Nautilus 1996, S. 12–17), also nicht dem sogenannten Führerprinzip unterstehen,haben wir entschieden,den Text so zu belassen und euch zu bitten,ihn als Leserbrief zu drucken.Wort für Wort.Ohne Änderung.
Das Thema ist natürlich noch nicht beendet.Wir werden im Juni die „Andere Kamapgne“ starten. Das bedeutet, wir werden zu gemeinsamen Diskussion und gepflegten Prügeleien von Angesicht zu Angesicht einladen. Adresse: Steinstrasse 55 – unser neues Hausprojekt. Sprich Delegierte von der Tristesse, den Krauts, der AG Antifa, den Hardlinern der Ludwigstrasse,den Leuten der Reilstrasse kommen mit allen Interessierten zusammen. In unserer netten Bar unten links. Da wo wir alle herkommen,hihi.
Wird mal Zeit, Tacheles zu reden und uns nicht mehr feige hinter den Schreibfedern bzw. Notebooks zu verstecken. Diesen Zwischentext bitte ich euch,abzudrucken. Das wäre für uns ein Zeichen der Kooperation.Ich weiss nicht,ob ihr einen Sinn in unserer Kampagne erkennt,ich weiss nicht ob wir selber einen sehen,aber einen Versuch ist es allemal wert.
Na dann,viel Spass beim Druck
Die Redaktion der „Bonne Nuit Tristesse“
Subcommandante Sigrun
Warum „Sigrun“ ausgerechnet den Máximo Líder Subcommandante Marcos, dessen Konterfei auf unzähligen T-Shirts, Kaffeetassen, Bundeswehrrucksäcken, Plakaten und Schlüsselanhängern abgebildet wurde, als Kronzeuge gegen das Führerprinzip heranzog, blieb schleierhaft. Die Möglichkeit, dies persönlich zu erfragen, hat sich bislang nicht ergeben: Der Juni ist längst vorbei, und die Redaktion wartet immer noch sehnsüchtig auf den Beginn der „Anderen Kamapgne“ und das gemütliche Beisammensein in der „netten Bar unten links“.
ich hab keine ahnung welcher bekloppte trottel diese zeilen geschrieben hat.
muss wohl schizophren oder so sein.also ich jetzt
wie dem auch sei,ab ersten märz steht die bar.
die einladungen werden verschickt an : AG Antifa, No tears for krauts, Kritische Intervention, Autonome Kids Miliz, Autonome und Jugend, Freie zapatisitsche Hedonisten Front, Vereinigung linksradikaler Hausbesitzer und Besetzer, das VL, das GiG, die Reil78 und natürlich an uns dem „NuPakadi!“ (NaWarte!)
Äh? http://www.myspace.com/music/player?sid=71832719&ac=now
…gefunden unter dem Link von Sigrun.