Das internationale Film- und Medienkunstfestival des in Halle herumwerkelnden gemeinnützigen Vereins „Werkleitz“ machte sich dieses Jahr die Angst zum Thema. Unter dem Motto „Angst hat große Augen“ sollte eine Abfolge von „kollektiven Angstszenarien“ dargestellt werden. Das Spektrum dieser Thematik wurde recht oberflächlich gefasst und erstreckte sich von der krankhaften und damit unbegründeten Angst vor Technik (Technophobie) bis hin zu einer durchaus nachvollziehbaren Angst vor Terrorismus. Veranstaltet wurde das „Werkleitz“-Festival in Kooperation mit der Berliner Künstlergruppe „Kunstrepublik“, die laut „Mitteldeutscher Zeitung“ vom 17. Oktober 2010 „für den kontroversen Höhepunkt des Festivals“ sorgte.
Planmäßig wollte die Gruppe vom 12. bis zum 17. Oktober Lautsprecher am „Roten Turm“ befestigen und von dort aus fünfmal täglich Muezzin-Rufe ertönen lassen. Statt des Aufrufs zum Gebet sollten aber statistische Fakten – zum Beispiel zum Beitrag der Migranten am Bruttosozialprodukt Deutschlands – verkündet werden. Damit wollten die Künstler auf den „ökonomischen und kulturellen Beitrag der Bürgerinnen mit migrantischem Hintergrund“ aufmerksam machen, und sprachen davon, dass „Islamophobie, Arbeitslosigkeit, Kontrollverlust und schlicht das Unbekannte“ den Boden für „Zweifel und Furcht, bis hin zu Wut und Aggression“ bilden würden. Es ist äußerst widersprüchlich, von einer irrationalen Angst der Ostdeutschen vor dem Islam auszugehen und sie gleichzeitig mit der Betonung der „Nützlichkeit“ von muslimischen Migranten widerlegen zu wollen. Abgesehen davon ist „Islamophobie“ selbst ein politischer Kampfbegriff, der vornehmlich darauf abzielt, jede Kritik am Islam zu verunglimpfen und einen qualitativen Unterschied zu Vorurteilen gegenüber Fremden behauptet. Er dient dazu, die Gefahr und das Ausmaß der fremdenfeindlichen Ressentiments gegen Muslime maßlos zu überhöhen und den Antisemitismus in seiner Bedeutung zu relativieren. Zusätzlich zu den Statistiken sollten die Worte „Halle Alle“ immer wieder im Stile einer Mischung aus orientalischen, gregorianischen und „Zwölftonmusik-Klängen“ gerufen werden. Dieses Konzept wurde im städtischen Kulturausschuss vorgestellt und sorgte für Bedenken und letztendlich für die Verweigerung der Lokalität. Günther Kraus, Stadtrat und Parteimitglied der SPD, begründete die Entscheidung mit Rücksicht auf die „muslimischen Mitbürger“ die diese Aktion eventuell falsch verstehen könnten. Und was passiert, wenn die Hüter des Koran etwas „falsch verstehen“ weiß jeder, dem die Namen Theo van Gogh und Kurt Westergaard bekannt sind. Die abgespeckte Variante fand dann am Marktplatz statt. Die Kaufhäuser „Galeria Kaufhof“ und „Wöhrl“ stellten ihre Dächer für die Künstlergruppe zur Verfügung. Nach den ersten Gesängen sorgte die Empörung zahlreicher Bürger allerdings für die Abschaltung der Lautsprecher. Die Reaktionen ließen natürlich nicht auf sich warten. So kritisierte der CDU-Landtagsabgeordnete Marco Tullner: „Wer meint, durch bewusstes Provozieren die aktuell ohnehin aufgeladene Integrationsdebatte zusätzlich anheizen zu müssen, spielt mit dem Feuer.“ Als Konsequenz daraus würde er sich jetzt für eine Sperrung der Gelder für „Werkleitz“ einsetzen. Es birgt schon eine gewisse Ironie, wenn man bedenkt, dass Tullner auf die Vergabe von Geldern soviel Einfluss hat, wie die Vernunft auf Osama bin Laden.
Die eigentlichen Reaktionen auf die Aktion sollten aber noch kommen. „Werkleitz“ lud im Rahmen ihres Programms zu einer Diskussionsveranstaltung ein. Dort sollte der unglaublich überflüssigen Frage nachgegangen werden, ob Kunst einen Beitrag zur Überwindung kulturell bedingter Vorurteile und Konflikte leisten kann. Zu dieser heiteren Runde fanden sich SPD-Stadtrat Gottfried Koehn – der betonte nur als Privatperson anwesend zu sein – , mehrere Vertreter des Islamischen Kulturzentrums, ein evangelischer Pfarrer, Frauen die den Islam kennen und lieben gelernt und sich deshalb ganz dieser Religion verschrieben haben sowie jede Menge Künstler und Abgesandte der „Kunstrepublik“ ein. Kaum wurde zwischen Stadtrat, Konvertiten und Vertretern des „muslimischen Kulturzentrums“ munter fraternisiert, unterbrach die Polizei das Treffen wegen einer Bombendrohung. Jetzt durften alle mal kurz Angst haben. Als Entwarnung gegeben wurde, zeichnete sich eine unglaublich schwachsinnige Diskussion ab. Die verantwortlichen Künstler wurden von einigen der anwesenden Moslems darauf aufmerksam gemacht, dass die Bewohner einer islamischen Stadt auch Angst hätten, wenn dort Kirchenglocken erklängen. Wer hat schon keine Angst vor Glocken, können diese doch einen gehörigen Tinnitus auslösen. Vom Stadtrat wurde immer wieder um eine Pädagogisierung der Kunst gebettelt. Somit zeigte der Sozialdemokrat noch weniger Verständnis von Kunst, als seine Opponenten aus dem Künstlerspektrum, die zwar darauf hinwiesen, dass Kunst keine Integrationsfunktion hätte, ihr aber im nächsten Satz doch eine Funktion verliehen. Dies beteuerten sie mit den Worten: „Halle alle habe die Gemeinsamkeiten der hier Lebenden ansprechen wollen“. Damit wurde Adornos Erkenntnis, dass „authentische Kunst“ nicht zielgerichtet, sondern Selbstzweck sei, schon obsolet.
Auch die Kopftuchdeutschen brachten sich weiter in die Diskussion mit ein. Eine Frau äußerte sich, natürlich nicht ohne vorher den ersten Teil des islamischen Glaubensbekenntnisses – „es gibt keinen Gott außer Gott“ – zu zitieren, und wies darauf hin, dass doch „Halle Alle“, wenn man die Buchstaben etwas vertausche, „Allah“ ergebe und das sei unerhört. Dann jammerte sie noch etwas, wie böse sie nach der Aktion auf der Straße angeschaut werde und übergab das Wort wieder an die Vertretung der Stadt. Nun konnte der Schulterschluss zwischen Moslems und Stadtvertretern endgültig vollzogen werden. Koehn wies in vorauseilendem Gehorsam darauf hin, doch bitte keine schlafenden Hunde zu wecken. Offensichtlich machten Fernsehbilder des fahnenverbrennenden Lynchmobs mit Koran und Kopftuch den Stadtvertretern dermaßen Angst, dass sie lieber – ohne jemals erwogen zu haben, die islamfreundlichen, aber missverstandenen Künstler aus Prinzip gegen das Rechtsverständnis der Schariafreunde zu verteidigen – Grundrechte zugunsten friedlicher Verhältnisse und der Unversehrtheit „religiöser Gefühle“ opfern. (flp)
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