Er singt von „Huren“, „Schwuchteln“ und der Verteidigung seiner Ehre. Seine Mission: Habt Respekt! Er ist ein gefragter Talkshowgast der öffentlich-rechtlichen Sender (ein Grund mehr, die Gebühren zu prellen), und seine Fangemeinde reicht vom zwölfjährigen Teenager bis zu seinem breitschultrigen, beim Fußball prollenden Vati. Die Rede ist von Bushido. Der Rapper ruft seit Beginn seiner Karriere widersprüchliche Reaktionen hervor. Aufgrund seiner gewaltverherrlichenden und schwulen- wie frauenfeindlichen Texte gilt der „Gangsta-Rapper“ als Schrecken aller Pädagogen und Eltern. Kerner und Co. widmeten Bushido einstündige Sendungen, um ihn zur Rede zu stellen, warum er etwa Frauen beschimpft. (In ihrer Kritik thematisierten Moderator und Gäste allenfalls Beleidigungen wie etwa „Hure“, aber nicht Bushidos besungenen Wunsch nach der Scharia. Doch schon während der frühen TV-Auftritte stimmten Sozialarbeiter eine Lobeshymne auf den Berliner an und priesen seine Authentizität – er spreche die „Sprache der Straße“). Selbst eine jugendpolitische Sprecherin der Hamburger Christdemokraten forderte ihn auf, als Vorbild für Jugendliche die richtigen Werte zu vermitteln. Mittlerweile kennt die Begeisterung seiner erwachsenen Fans keine Grenzen mehr. In Schulen darf Bushido als cooler Hobbypädagoge auftreten, Maischberger lädt ihn als Gesprächspartner zum Thema Kindererziehung ein, und Bayerns Ministerpräsident bekundet unverhohlen seine Sympathie mit dem Rapper. Und der Skandalrapper, wie er immer noch gern genannt wird, kann laut überlegen, in naher Zukunft Berlins Bürgermeister und später Bundeskanzler zu werden, ohne dass sich aufgrund seines Größenwahns Hohn und Gelächter über ihn ergießt. Im Frühjahr war Bushido in seiner Filmbiographie „Zeiten ändern Dich“ auf den Kinoleinwänden zu sehen. Produzent und Drehbuchautor Bernd Eichinger setzte seine Reihe „Wichtige deutsche Persönlichkeiten“ fort: Nach Adolf Hitlers „Untergang“ und Andreas Baaders präpotenten Revolutionsspiel folgte nun Anis Mohamed Youssef Ferchichis Aufstieg, alias Bushido („ich bin der Führer wie A“). Eichinger zeigt Bushidos Weg zum Erfolg, natürlich nah an der Realität. Jedes zweite Wort ist „behindert“ oder „Spast“, und alle fünf Minuten prügelt sich Bushido (und siegt immer). Der Rapper, der sich selbst spielt, setzt sein ganzes schauspielerisches Können im Film in einen einzigen Gesichtsausdruck – a new Peter Sodann is born. In „Zeiten ändern Dich“ werden die Anschläge am 11. September als Ursache für die Kehrtwende – vom arbeitslosen Graffitisprayer zu Deutschlands beliebtesten Sprechsänger – gezeigt. Bushido, der nicht nur im Film sich selbst spielt, sondern die Handlung als Sprecher aus dem Off kommentiert, sagt zu den Zuschauern, dass die Bilder der einstürzenden Türme des World Trade Centers ihn nicht geschockt hätten. Aber er habe den Willen zum Leben in sich gespürt und begann mit dem Texten. Im Spielfilm wird Bushidos Song zum 11. September nicht zitiert: „Wenn ich will, seid ihr alle tot, ich bin ein Taliban. Ihr Missgeburten habt nur Kugeln aus Marzipan.“ Und weiter im Film: Bushido überzeugt erfolgreich eine Untersuchungsrichterin, dass man zur Verteidigung der Menschenwürde schon mal denjenigen krankenhausreif prügeln darf, der die Reifen seines geliebten Autos aufgeschlitzt hat. Recht verkommt hier zum Ausdruck einer gefühlten Gerechtigkeit. Am Ende des Films hat Bushido jedem Hauptdarsteller und mindestens jedem zweiten Nebendarsteller vorgehalten bzw. ins Gesicht geschrien, worum es ihm geht – „Respekt“. Die Familienharmonie ist wieder hergestellt (dem Vater, der die Mutter verprügelte, verzeiht der Islam-Rapper), und er beschallt vor dem Brandenburger Tor Deutschland, und Deutschland jubelt ihm zu. Und wenn Deutschland jubelt, dann jubelt auch Halle: Auf der Werbetour zum Film begrüßte Bushido seine Fans im örtlichen Großraumkino. Mindestens 500 kreischende Teenager – die Mädchen mit Tocotronic-Scheitel, die Jungs in weiten Hosen –, ihre Eltern und einige breitschultrige, Münz-Mallorca-gebräunte junge Männer mit hartem Gesichtsausdruck hörten ihrem Star, der im Trainingsanzug auftrat, zu. Dieser begann, man kann es sich denken, seine Rede mit einer Ermahnung: Alle sollten die Zuschauer hinter sich respektieren, sich setzen, so dass jeder ihn sehen könne. Die rappende Super-Nanny versuchte sich zunächst als Entertainer: „Wahnsinn, dass so viele am Nachmittag hier ins Kino gekommen sind. Habt ihr alle keine Arbeit?“ Niemand lachte. Bushido stellte seinen Zuhörern eine unlösbare Aufgabe: „Stellt mir eine intelligente Frage, die ich noch nie gehört habe.“ Versuch Nummer 1 (Nadine, 22) beschwerte sich ausführlich darüber, dass sie zu seinen Konzerten immer nach Dresden fahren müsse. Ihr Star unterbrach sie nach zwei Minuten: „Was ist die Frage?“ – „Wann kommst Du runter nach Leipzig?“ – „Also wann ich runter – runter mit ö – komme …“ Beim zweiten Versuch fragte die 14-jährige Jacqueline, ob Bushido etwas fürs Publikum rappen könne und auch Sandra, 18, scheiterte: „Kennst Du Sven Hoffmann? Das ist doch dein Manager.“ Bushido: „Wen? Mensch, da hat Dich jemand im Chat verarscht.“ Der Kurzauftritt bewies vor allem eins: Die Fans sind blöder als ihr Star. Respekt! (msd)
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