Jedes Jahr wird in Halle ein kulturelles Themenjahr begangen. Veranstalter ist ein Zusammenschluss aus Museen, Theatern, Schulen sowie Verbänden. Das Themenjahr 2009/2010 „Arbeitswelten“ ging im März nun zu Ende. Aus diesem Grund fasst Martin Dornis die Aktivitäten für die Bonjour Tristesse zusammen.
Arbeit ist seit alters her hierzulande Lieblingsthema und Bestimmungsmoment dessen, was deutsch ist. Deshalb kommt man, wenn es um dieses Thema geht, recht schnell aufs wohlige „Miteinander“ anstatt aufs Geldverdienen. Wer keine Zeit oder Lust zum Malochen hat, dem wird schnell das Etikett des Undeutschen angeheftet: das des Sozialschmarotzers oder des Spekulanten.
In Halle widmete man sich 2009 im Rahmen des kulturellen Themenjahres der Problematik unter dem Titel „Arbeitswelten“. Arbeit würde, wie die Organisatoren in einer umfangreichen Broschüre zu dem Themenjahr erklärten, in unserer Gesellschaft begrifflich zu eng gefasst. Endlich seien auch Ehrenamt und Fürsorge als solche anzuerkennen. Schließlich lehre „die Erfahrung, dass […] nicht diejenigen, die das meiste Geld verdienen, die Erfolgreichsten ihres Berufs sind, sondern diejenigen, die sich“ ihm „mit Leib und Seele […] verschreiben“.1 Arbeit soll nicht lediglich als Mittel zum Lebenserhalt dienen. Man muss schon mit Haut und Haaren dabei sein und bereitwillig zur Selbstauflösung antreten.
Jeder Straßenfeger ein Michelangelo
Während der feierlichen Eröffnungsveranstaltung des kulturellen Themenjahres stellte Marianne Gronemeyer, Sozialwissenschaftlerin und ,wie im Halle-Forum zu lesen war, renommierte Buchautorin, in einem Referat ihre Unterscheidung zwischen guter und böser Arbeit vor. Sie fürchtet, „dass wir uns in eine Lage gebracht“ haben, „in der gute Arbeit auf die rote Liste der aussterbenden Arten geraten“ ist. Es gibt „sie gewiss noch, die wirklich gute Arbeit“, aber nicht für Geld. „Bezahlte Arbeit“ sei „heutzutage ‚durch die Bank‘ verdorben“.2 Böse Arbeit ist durch Geld kontaminiert und bei guter veranstalten echte Menschen irgendwie ganz nette Dinge für konkret sich selbst oder ihre nicht minder authentischen Nachbarn.
Leider können die Supermärkte mit ihren ach so schrecklichen Massenprodukten alles sehr viel günstiger anbieten als jeder noch so konkrete Mitbürger. „Die einzige Antwort“ darauf laute: „Eigenarbeit, das heißt, den Geldbedarf und die Geldabhängigkeit zu mindern durch eigenes Tun und durch die Schaffung unmittelbar nützlicher Gebrauchsgüter für den eigenen oder den nachbarschaftlichen Bedarf“.3 Der Schwerpunkt liegt auf dem Selbertun, dem Verausgaben eigener Mühe. Das unmittelbare Herstellen wird als Weg aus dem entfremdeten Massenkonsum vorgeschlagen.
Um das zu verwirklichen, müsse man „radikal umdenken“. Die Bürger sollten sich „nicht“ länger „als Konkurrenten ansehen“. „Ansehen“, wohlgemerkt, und darauf wird zurückzukommen sein. „Eigenarbeit“ sei vielmehr „konvival“, was hier bedeutet: Sie könne „nur miteinander oder gar nicht erbracht werden“. Das empfohlene Gegenkonzept zum Warentausch gründet darauf, dass alle zusammen und gemeinschaftlich Hand anlegen. In der Warengesellschaft hingegen produzieren bekanntlich die Einzelnen als Vereinzelte und finden erst nachträglich im Tausch zu einem vermittelten Zusammenhang. Gegen diese vermittelte Form von Gesellschaft blasen die Hallenser Sturm, und propagieren das direkte, nicht über den Umweg des Tausches hergestellte, unmittelbar auf Mühe und Plackerei basierende Miteinander. Aber da es ihnen an umstürzlerischer Energie glücklicherweise bisher noch mangelt, beschränken sich die Arbeitswütigen erstmal auf ihr nächstes Umfeld bzw. auf die eigene Person. Durchaus folgerichtig ist innerhalb dieses Konzepts die Verteufelung eines Lebens in Luxus und der Appell, doch einfach zu vertrauen. Unsere auf Konsum und Versorgung ausgerichtete Gesellschaft habe die „Vertrauensfähigkeit“ der Menschen untergraben und ihre „Bedürfnisse unersättlich gemacht“. Fähigkeit zum Vertrauen erscheint hier als ein Wert an sich. Die alles entscheidende Frage, wer worauf bzw. auf wen vertraut, wird dabei gar nicht erst gestellt.4
Man hat an die Zukunft zu glauben, zu vertrauen und ansonsten den Rand zu halten. Als Belohnung darf man sich als Genie wähnen. So fordern die Herausgeber der Broschüre dazu auf, „die Straßen zu fegen […] wie Michelangelo malte. So wird man einst über einen sagen können: […] Er lebte als großer Straßenfeger und er hat seine Arbeit gut gemacht.“5 Wer also schon zu nichts wirklich taugt und wen eh keiner braucht, kann immerhin den Besen in die Hand nehmen, für lau die Straßen kehren und sich dabei für einen großen Künstler halten. Jemand schrubbt nämlich besser und gründlicher, wenn er dieser abgrundtief schmachvollen Tätigkeit auch noch die höhere Weihe verleiht. Wer schon so richtig nichtig und nutzlos ist, soll immerhin putzen wie ein Weltmeister. Der Mensch als verächtliches Wesen hat zu lernen, sich in seinem Elend auch noch würdevoll zu fühlen. Der Schein bestimmt das Bewusstsein.
Durch freiwillige Unterwerfung sollen die Probleme der Welt gemeistert werden, bzw. das, was die Veranstalter dafür halten. Sie proklamieren, dass „das Jahresthema 2009 […] uns wieder mitten in die Problemstellung unseres gesellschaftlichen Miteinanders“ bringe. „Anders vielleicht als bei manch vorhergehendem Thema lässt das Motto ‚Arbeitswelten‘ weniger Spielraum für philosophische Exkurse und kaum Möglichkeiten, sich einer eigenen Position durch die Flucht in die Abstraktion zu entziehen“.6 Das Direkte, der unmittelbare Bezug aufeinander, wird hier als vermeintliche Alternative empfohlen. Man mag das als harmlos, versponnen und ungefährlich einschätzen. Aber viele kleine Leute an vielen kleinen Orten, die viele kleine Schritte tun, können bekanntlich das Gesicht der Welt verändern …
Die revolutionäre Kraft der Entfremdung
Arbeit als unmittelbar Greifbares zu betrachten, hat Tradition. Im Kontrast dazu skizzierte Marx die Arbeit als selbstwidersprüchliche und in sich zerrissene Größe. Sie erweist sich kritischer Analyse als eine reale, im gesellschaftlichen Verhalten der Menschen gründende Abstraktion. Sie ist deshalb gerade nicht selbstverständlich, sondern durch und durch vermittelt und zwar gerade weil sie „mitten in der Problemstellung des gesellschaftlichen Miteinanders“ angesiedelt ist. Das gesellschaftliche Verhältnis erweist sich so aber gerade nicht als „unseres“, sondern als ein zwar von „uns“ erzeugtes, aber gleichwohl verselbständigtes, eigengesetzlich sich reproduzierendes. Arbeit ist unter kapitalistischen Bedingungen prinzipiell entfremdet.
Nun denken Linke (und andere Deutsche) beim Stichwort Entfremdung sofort an etwas durchaus Schlechtes, Verabscheuenswürdiges bzw. „durch die Bank verdorbenes“.7 Bei Marx und Hegel ist Entfremdung allerdings ein notwendiger, zu begrüßender (wenngleich über sich hinauszutreibender) Zustand. Das Wort Entfremdung, das Feinden der Aufklärung das Blut in Wallung versetzt, umfasst das Heraustreten der Menschheit aus vormodernen direkten Unterwerfungsverhältnissen. Entfremdung ist der Aufbau der „durch und durch künstlichen Welt“8, die Begründung der Zivilisation.
Durch Entfremdung sind die Menschen nicht mehr selbstverständlich mit dem Boden verwurzelt, und mit der Beschäftigung ihrer Ahnen verknüpft. Die Bande zur Vergangenheit sind zerschlagen, ein versachlichter Zusammenhang entstanden. Die Arbeiter produzieren für eine Gesellschaft, die sich ihnen gegenüber autonom verhält. Sie wirken in einer Produktion, die von einem automatischen und prozessierenden Subjekt, dem Kapital, also von einem gesellschaftlichen Verhältnis angetrieben wird (vgl. Marx, S. 169). Die kapitalistische Ökonomie produziert um ihrer selbst willen und verwandelt die Individuen dabei in ihre Anhängsel.
Dabei wird ihnen Glück, Autonomie und Freiheit vorgegaukelt. Wohlgemerkt: Nur vorgaukelt. Aber immerhin das. Unter Entfremdung ist ein Zustand zu verstehen, in dem die Menschen von abstrakten Prinzipien geleitet werden. Politisch vom allgemeinen Willen und damit von Gesetzen, die vom ethischen Gerechtigkeitsempfinden einzelner getrennt sind (was Deutschen und anderen konkreten Menschen ungerecht anmutet) und ökonomisch vom Wert: Produziert wird, wo es Profit einbringt, nicht um menschliche Bedürfnisse zu befriedigen.
Entfremdete Verhältnisse sind die Bedingung für völlige Freiheit. Sie bereiten dem Zwang, Vieles selbst zu produzieren, nur für sich und seine Nächsten, ebenso das wohlverdiente Ende wie der Gebundenheit an die eigene Scholle. Die Entfremdung zerschlägt tatsächlich alles, womit uns heute die tief- und hintersinnigen Arbeitsweltler beglücken wollen. Damit ist sie eine großartige revolutionäre und destruktive Kraft.
Was uns die Veranstalter als Eigenarbeit auftischen wollen, ist im Kern ein reaktionärer und ressentimentgeladener Antikapitalismus, der wohlweislich vom „Raubtiergebaren“ der „Finanzhaie“ oder von „sozialer Kälte“ salbadert bzw. betont, dass der Mensch doch kein „Vermögensgegenstand“ wäre (Norbert Blüm), er sein Leben doch nicht „nur“ der Ökonomie unterwerfen solle. Das heißt nicht nur aber doch auch der Ökonomie. Das bedeutet weiterhin: sie sollen sich zusätzlich auch noch der Gemeinschaft unterwerfen. Ansonsten könnte ja jemand auf den Gedanken kommen, sich weder für die Verwertung des Kapitals noch für die Gemeinschaft sinnlos abschuften zu wollen. Gegen derartige Fälle wird empfohlen, doch auch mal an alle zu denken: Derartiger Appell an den so genannten Gemeinsinn dient keinem anderen Zwecke, als die Herrschaft der Ökonomie über die Menschheit bis zum St. Nimmerleinstage währen zu lassen. An „alle“ denken, heißt Staat und Kapital denken, da in der kapitalistischen Gesellschaft „alles“ staatlich und kapital verfasst ist. Mit Altruismus ist keine Gesellschaftskritik machbar. Schließlich wäre es nichts Anderes als egoistisch, uns endlich vom Diktat durch Volk und Kapital zu befreien. Dass der Mensch nur an sich selber denke, kann daher auch niemals die Begründung für die Unmöglichkeit eines Lebens ohne Ausbeutung und Herrschaft sein. Wären kapitalistische Individuen wirklich so selbstsüchtig wie von links wie von rechts gern je nach Fasson positiv oder negativ unterstellt, dann hätten sie sich diese lästige Produktionsweise längst vom Halse geschafft. Aber sie enthält die Potenz des Umschlags ihres Egoismus’ in den Kollektivwahn. Dieser verhindert den Bruch hin zur Emanzipation, treibt die Gesellschaft in die Barbarei und zerstört die Menschlichkeit. Altruisten sind Menschenfeinde.
Deutsche Arbeit ist wertvoll
Normale, kapitalistische Arbeit („durch die Bank verdorben“) wird im Hallischen Themenjahr durch ein spezifisch deutsches Verständnis von Arbeit kritisiert. Deutsche Arbeit zielt auf Ausbeutung wie jede andere kapitalistische Arbeit auch, erscheint aber als Selbstzweck. Ihr ganzes Wesen ist dadurch bestimmt: sowohl kapitalistisch zu sein (und zwar in durchaus brutaler Weise), als auch dies um keinen Preis der Welt sein zu wollen.
Das liest sich dann so: „Wenn wir entlohnt werden, dann werden wir um den Lohn für unsere Mühe gebracht“.9 Bürgerlich gedacht wäre es selbstverständlich, dass jemand für sein Schuften gefälligst entlohnt wird, und möglichst wenig Zeit für gefälligst viel Schmott verplempern will. Tiefsinnigen Denkern weitab „grundlegender philosophischer Fragestellungen“, erscheint dies als schnöde und materialistisch. Wahrer Lohn bestünde „nicht“ in dem, was einer „verdient“, sondern darin, „was er durch sie“ (seine Tätigkeit) „wird“.10
Der Grundgedanke derartiger Überlegungen besteht darin, dass die Arbeit eines Menschen angeblich per se wertvoll wäre; ein Produkt einfach so Wert hätte, weil es Mühe gekostet hat, es zu erzeugen. Aber Arbeit ist nicht Wert. Sie schafft Wert; sie erhält ihn erst dadurch, dass er ihren Produkten durch das gesellschaftliche Verhältnis, in dem sie sich befinden, zukommt. Wertbildende Arbeit ist in sich zerrissen. Sie steht sich selbst als Wert gegenüber. Ein Mensch und seine Arbeit sind – glücklicherweise – nichts wert, jedenfalls nicht in der kapitalistischen Gesellschaft. Außer unter Deutschen. Die wollen mit aller Macht daran glauben, dass es anders wäre. Aber dafür schickten sie Juden ins Gas. Sie wurden für die tatsächliche Wertlosigkeit verantwortlich gezeichnet. Sie hätten den Wert an sich gerissen, weshalb er ihnen mit Gewalt wieder entwunden werden sollte. (So wurde den Juden ihr Eigentum in Nazideutschland auch, aber gewiss nicht nur aus Habgier geraubt.) Der Massenmord in Auschwitz ist die schlimmste denkbare Zuspitzung des gutmenschlichen Geredes vom Wert eines Jeden und seiner Arbeit. Die tatsächliche und jedem ins Auge stechende Wertlosigkeit generiert die wahnhafte und panische Suche nach Schuldigen.
Dieses Denken stiftete in Deutschland von 1933 bis 1945 einen gesellschaftlichen Zusammenhang, der sich nicht primär durch das Streben nach Profit, sondern stattdessen durch Massenmord begründete. Deshalb kann hier durchaus von einem „Produktionsverhältnis des Todes“ 11 gesprochen werden. In dieser besonderen Form von Gesellschaft herrschte ein typisches Verständnis von Arbeit: Es dreht sie den Menschen als Selbstzweck an. Wenn heute Linke, Antiglobalisierer, Christen, Konservative, linksliberale Gutmenschen und Nazis gegen eine profitorientierte Ökonomie hetzen, so ist dahinter zumeist keine Kritik der kapitalistischen Gesellschaft (die eine vernichtende an Staat, Kapital und Arbeit wäre) zu vermuten. Vielmehr handelt es sich dabei nur allzu oft um einen ideologischen Nachhall der Nazibarbarei.
Dieses Lob des Schaffenden ist unlösbar mit der Sehnsucht nach Ausrottung eines Raffenden verquickt. Der Nationalsozialismus in seinem Kern ist und war ein Protest gegen die Entfremdung der menschlichen Arbeit. Auch den Nazibarbaren erschien es verwerflich „materialistisch“, „nur“ für Geld zu arbeiten. Auch sie zogen dagegen ins Feld, nur dem Profit nachzulaufen. Auch ihr Konzept zielte darauf, dass die Volksgenossen sich umeinander kümmern und füreinander sorgen sollen, anstatt ihren materiellen Lüsten zu frönen. Auch sie wetterten gegen die kapitalistische Entfesselung der Bedürfnisse, das schwindende Vertrauen und feierten das Unmittelbare, Direkte und Echte.
Auf der anderen Seite erklärten die Deutschen diejenigen, die sie für die Entfremdung der Arbeit verantwortlich hielten, zur „Gegenrasse“. Wer Vertrauen einfordert und damit in einer per se auf Vereinzelung gegründeten Gesellschaft „Politik machen“ will, muss die angeblich Verantwortlichen für das allgemeine Misstrauen benennen und seine Gemeinschaft gegen jene zu stiften wissen. Die Abneigung gegen Vertrauensunwürdige und Nichtvertrauende, die gemeinschaftliche Askese, der Feldzug gegen die angeblich unersättlichen Bedürfnisse – das ist der Kitt des gesellschaftlichen Miteinanders, das den hallischen Arbeitsweltlern vorschwebt.
Ausbeutung mit Leib und Seele
Nun steht das Prinzip der deutschen Arbeit nicht dem der kapitalistischen zum Zwecke des Wirtschaftswachstums entgegen. Die deutsche Arbeit ist gleichzeitig die brutalste Zuspitzung als auch die Wendung vermittelter Ausbeutung und Herrschaft in ihr Gegenteil. Sie schlägt in den direkten Zugriff und in die freiwillige Unterwerfung um. Erhalten bleibt der kapitalistische Zwang zur Verwertung, die Tatsache, nicht leben zu können, ohne sich ausbeuten zu lassen. Was verschwindet sind die emanzipativen Seiten: die Aussicht auf ein Leben ohne Ausbeutung und Herrschaft. Es gilt als unerwünscht, sich die Arbeit so gut wie möglich vom Halse zu schaffen, sie durch Lohnkampf und Arbeitszeitverkürzung zu minimieren. Man hat sich der Arbeit mit „Leib und Seele“ zu „verschreiben“.12 Das ist die Quintessenz deutscher Arbeit als Zuspitzung und Umschlag der kapitalistischen in einem. Darin besteht das durch und durch deutsche Rezept des Themenjahres. Deutsche Arbeit proklamiert gegen den Schein die rohe und blutige Realität. Sie gönnt den Menschen nicht einmal, sich als etwas Besseres wenigstens noch zu dünken. Sie ist erpicht darauf, noch den spärlichsten Schein von Glück und Freiheit auszumerzen, indem sie den Arbeitenden ins Hirn meißelt, nicht um des Habens, sondern um des Seins willen zu schuften. Dass man unter Bedingungen kapitalistischer Produktionsweise den ganzen Tag Unsinn treiben muss, reicht den Arbeitsweltlern nicht. Man muss auch noch seine Persönlichkeit danach gestalten.
Gegen diese Ideologie ist die schnöde, sachliche Perspektive zu verteidigen: Arbeit ist für Geld zu leisten. Darin besteht ihr einziger Zweck. Niemandem ist einzureden, sich auch noch gerne für Volk und Wirtschaft zu verausgaben. Stattdessen ist der Kampf um „disponible time“ (Marx) zu führen: dem Einzelnen möglichst viel frei verfügbare Zeit zukommen zu lassen. Es ist einzig der Entscheidung des Individuums anheim zu geben, ob diese freie Zeit völlig sinnlos verplempert wird: etwa um sich die Birne dicht zu quarzen. Oder um Computer zu spielen. Oder gar (aber wirklich nur notgedrungen), um sich auf Veranstaltungen der Stadt Halle erzählen zu lassen, dass der Lohn einen um die Mühe der Arbeit bringe.
Martin Dornis
Anmerkungen:
1 Broschüre Arbeitswelten, Kulturelles Themenjahr in Halle 2009. S. 10
2 Marianne Gronemeyer: Welche Arbeit braucht der Mensch? – Vortrag zur Eröffnung des Themenjahres Arbeitswelten in Halle. In: Broschüre Arbeitswelten, , S. 1
3 Ebd., S. 11.
4 Broschüre, S. 16.
5 Ebd., S. 156.
6 Ebd., S. 8.
7 Ebd., S. 1.
8 Alfred Sohn-Rethel: Geistige und körperliche Arbeit, Zur Theorie gesellschaftlicher Synthesis, Frankfurt 1970. S. 68.
9 Gronemeyer, S. 14
10 Broschüre, S. 115.
11 ISF, Flugschriften, S. 8
12 Ebd., S. 10.
[…] Kann denn Arbeit böse sein? Martin Dornis resümiert über hallische Arbeitswelten. […]
„Gutmenschen“ ist Nazisprech, sonst aber recht lesenswerter Artikel.
@ Joschka
Auch wenn wikipedia meint. dass die Begrifflichkeit „Gutmensch“ & „Gutmenschentum“ ein aus dem konservativen, rechtspopulistischen und rechtsextremen Bereich stammender Begriff sei, bleibt es doch bei einer bloßen Behauptung. Es ist nicht belegbar, dass der vermeintliche Erfinder des Kampfbegriffs „Gutmensch“ Goebbels oder ein Autor des Stürmers gewesen sein soll. Der Bedeutungsgehalt der Begrifflichkeit ist keineswegs statisch. In der jüngsten, dokumentierten Geschichte des Begriffs vollzog sich schon eine relativ große Bedeutungserweiterung. Klaus Bittermann polemisiert zu Recht gegen „Gutmenschensprache“ und nennt synonym „Betroffenheitssprache“, „Gesinnungskitsch“, „Gesinnungssprache“ und „Plapperjargon“. Ganz ähnlich Iva Bozic, der Gutmenschentum synonym setzt mit „Gefühlslinken“ und „Bauch-Anarchisten“. Mir fällt dazu noch der Begriff „Dorf-Linke“ ein.
Auch wenn der Begriff „Gutmensch“ im rechten Sprachgebrauch verwendet wird, heißt das nicht, dass die politische Rechte einen Absolutheitsanspruch darauf besitzen würde.
In der Frankfurter Rundschau vom 19.11.1997 bemerkt Kurt Scheel, Mitherausgeber der Zeitschrift Merkur, dort habe im Januarheft 1992 zum ersten Mal der Ausdruck Gutmensch gestanden; er dürfe aber nur »als süffisante, Heiterkeit erzeugende Bemerkung angesichts eines berufsmäßigen Moralisten« benutzt werden. Ob also der Herausgeber des Merkur, Karl Heinz Bohrer, »Anfang 1992« (wie Bittermann bestätigt hat, tatsächlich der Urheber von Gutmensch war? Zumindest hat er einen kräftigen Anstoß gegeben.
http://www.gfds.de/sprachberatung/fragen-und-antworten/uebersichtsseite/gutmensch/
Bettina Röhl interwiewt Ignatz Bubis (9.7.1999). Interessant, weil Bubis darin seine persönliche Definition von „Gutmensch“ deutlich macht:
„Dass es auch einen linken Antisemitismus gibt, steht für mich schon lange fest, nicht erst seit heute. Die haben sich schnell gewandelt damals. Von einem Tag auf den anderen. Im Juni 1967 sind sie auf die Straße gegangen für Israel – es hieß damals die Israelis sollen ins Meer geworfen werden und dagegen gab es vom Frankfurter Asta Demonstrationen – im September 1967 haben sie dagegen den israelischen Botschafter hier an der Uni – die gleichen Leute – mit Tomaten und Eiern beworfen. Und da haben sie die armen Palästinenser entdeckt.
Da hatten sie wieder einen, für den sie sich einsetzen konnten […] und noch etwas passierte, nämlich, dass die Israelis sich selber geholfen haben, ohne die Hilfe der deutschen Linken oder der französischen Linken. Und da erkennen Sie das Wesen der Sorte Gutmenschen: Die sind nur dann für jemanden da, wenn Du ganz tief in der Scheiße sitzt oder wenn sie glauben, dass Du tief drin sitzt und sie glauben, man müsse Dir helfen. Aber jemand, der sich selber helfen kann, für den interessiert sich dieser Typ Gutmensch nicht mehr.“
Ist Iva Bozic die Schwester von Ivo?